Porträt: Der Quertrei-ber - Paulus Manker

Porträt: Der Quertreiber

Als Alkoholkönig und Menschenfeind im Kino

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Narzissmus ist kein Ausdruck mehr. Um zu beschreiben, wie der Schauspieler und Regisseur Paulus Manker zu sich selbst steht, müsste man andere, neue Begriffe finden – der Mann ist ein Automythomane, ein Ichbesessener. Sich an sich selbst zu berauschen fällt Manker verhältnismäßig leicht. Der „Wahnsinnsblick“ etwa, den er in bestimmten Bildern in dem Film „Slumming“ habe, erinnert ihn direkt an Großes: „Wie der Emil Jannings im ‚Blauen Engel‘“, berichtet er erregt, ganz ungeniert, als ginge es um einen anderen als ihn selbst.

Inzwischen werde er übrigens sogar am Ende der Welt erkannt, meint er, so ironisch, dass er den Unterhaltungswert seiner Ausführungen nicht gefährdet, aber auch selbstzufrieden genug, um auf ihre Gültigkeit hinzuweisen. Vor einer Schneiderei am Rande des Dschungels, nahe Angkor Wat, hätten ihn vor Jahren ein paar junge Kambodschaner identifiziert: „I saw you on TV today“, habe einer von ihnen in brüchigem Englisch und infantilem Tonfall immer wieder ehrfürchtig berichtet. Paulus Manker im kambodschanischen Fernsehen? Gut möglich: Wer zu einem Auftritt in der Serie „Kommissar Rex“ verpflichtet wird, darf damit rechnen, danach weltweit präsent zu sein.

Andererseits ist Manker derzeit nicht ganz wohl in seiner Haut. Der Respekt, den er sich verschaffen will, bleibt ihm in Österreich, ausgerechnet hier, verwehrt. „Man will mich in diesem Land ja nicht“, stellt Manker kühl fest – und findet solche Ansagen selbst gleich „eitel, larmoyant, ganz widerwärtig“. Tatsächlich reißen sich Österreichs Filme- und Theatermacher seit Jahren nicht darum, mit ihm zu arbeiten. An Mankers Qualität als Schauspieler liegt das keineswegs: Der 48-jährige Wiener, Sohn der Theatergrößen Hilde Sochor und Gustav Manker, gehört seit fast drei Jahrzehnten, seit seinen frühen Hauptrollen in Filmen von Michael Haneke („Lemminge“, 1979) und Franz Novotny („Exit“, 1980; „Die Ausgesperrten“, 1982) und Engagements am Burgtheater, vor allem aber in den Inszenierungen Peter Zadeks, zu den profiliertesten Charakterdarstellern im deutschsprachigen Raum. Auch als Regisseur sozialpessimistischer Filme („Schmutz“, 1985; „Der Kopf des Mohren“, 1995) und provokanter Theaterstücke („Weiningers Nacht“, 1988; „Alma – A Show Biz ans Ende“, 1996) wird er weithin geschätzt.

Unberechenbar. Dennoch scheint hierzulande kaum jemand noch das Risiko auf sich nehmen zu wollen, mit Paulus Manker zu drehen oder zu spielen. Zu oft hat er bewiesen, dass er, vorsichtig formuliert, nur bedingt teamfähig ist und seine eigenen künstlerischen Visionen bedingungslos durchzusetzen bereit ist. Zum kreativen Starrsinn kommt die Lust an der Provokation. Der Welt das dringende Gefühl zu geben, nicht ganz zu wissen, woran sie mit ihm ist, gehört zu Mankers bevorzugten Taktiken. Von der Angst, die seine – freilich kalkuliert inszenierte – Unberechenbarkeit bei manchen Mitarbeitern auslöst, zehrt er. Er gibt das offen zu, denn es macht sein Leben leichter, wie er findet; umgeben zu sein von Schulterklopfern und Fraternisierern, das stellt sich Manker als die eigentliche Hölle vor.

Mit Eskalationen ist jedenfalls zu rechnen, wenn man Paulus Manker engagiert. Die Hauptrolle, die er in Michael Glawoggers jüngstem Film, in der Tragikomödie „Slumming“, übernommen hat, ist dafür kein schlechtes Beispiel: Nach dem turbulenten Wien-Dreh, der von fortgesetzten Gefechten und mindestens einem Arbeitsabbruch Mankers begleitet war, sieht sich die Wiener Produktionsfirma Lotus Film nun bereits seit Monaten mit den Klagsdrohungen des Mimen konfrontiert – zuletzt wegen Abänderung oder Kürzung einer vulgärpoetischen Tirade, die Manker in „Slumming“ als Rahmen der Erzählung improvisiert haben will und für die er nun finanzielle Abgeltung fordert. Der Produzent des Films, Erich Lackner, winkt indes ab und verweist auf die utopische Natur dieser Forderung: Das seien Texte, die Glawogger geschrieben und Manker nur weiterentwickelt habe. Einer Klage sehe er, Lackner, daher „mit einigem Zorn, aber gefasst“ ins Auge.

Berserkerhaft. Dem Film selbst (siehe auch Kritik S. 136) sieht man seine problematische Entstehung nicht an: Den heruntergekommenen Wiener Dichter und Trinker Kallmann, der zum Opfer eines nächtlichen Streichs zweier zynischer junger Männer wird, verkörpert Manker virtuos. Für Regisseur Glawogger ist dies „letztlich das einzig Entscheidende“, denn: „Natürlich ist es mit einem wie Manker zuweilen nicht einfach. Aber am Ende würde ich mir, wenn dabei auf dermaßen hohem Niveau gearbeitet wird, mehr solcher schwieriger Schauspieler wünschen.“ Auch „Slumming“-Verleihchef Michael Stejskal will sich – trotz erschwerter Arbeitsbedingungen angesichts Manker’scher Interventionen – nicht aus der Reserve locken lassen: „Das berserkerhafte Wüten ist das Vorrecht großer Künstler.“

Was er betreibe, stellt Manker klar, sei keineswegs Provokation um ihrer selbst willen: „Wenn über jemanden gesagt wird, er sei launisch oder kompliziert, so ist das nur die negative Beschreibung dessen, was man auch sensibel, empfindsam, berührend nennen könnte. Aber ein solcher Nimbus verselbstständigt sich leider schnell.“

Es ist schwer zu sagen, was Paulus Manker eher vorantreibt: die Verzweiflung über die Verhältnisse, mit denen er sich konfrontiert sieht, oder die schiere Lust am Querulantentum. Das Schauspielen begreift Manker als Ernstfall, auf der Bühne ist mit ihm fast alles möglich, unliebsame Überraschungen inklusive: Als tobender Oskar Kokoschka hat er in seiner „Alma“-Inszenierung Partnerin Johanna Wokalek einst so heftig geohrfeigt, dass bei ihr ein Riss im Trommelfell diagnostiziert wurde. Aber das Theater, wie Manker es sieht, endet am Bühnenausgang nicht: Im Oktober 1996 verlieh der Schauspieler in dem Josefstädter Lokal Fromme Helene seiner Weigerung, die Sperrstunde zu akzeptieren, durch gröbere Sachbeschädigung Ausdruck.

Die Besessenheit, mit der Manker seine Projekte vorantreibt, geht bis zur Selbstverschuldung: Die Exporte seiner aufwändigen „Alma“-Produktion nach Lissabon, Venedig und Los Angeles haben ihn einiges an Privatvermögen gekostet („Dazu hat man das Geld ja“). Von weiteren Projekten dieser Art hält ihn das nicht ab: Mankers Langzeitkomplize, der israelische Dramatiker Joshua Sobol, schreibt für ihn gerade ein Cosima-Wagner-Polydrama, das wie in „Alma“ anhand einer charismatischen Frauenfigur eine wilde Reise durch die Kultur- und Zeitgeschichte gewährleisten soll. Mankers Vorfreude („Da werden Leute wie Chamberlain, Hitler, Bülow und Liszt vorkommen, volles Kanonenrohr“) ist unüberhörbar.

Ermüdet. Bis dahin aber gilt: Es könnte besser gehen, finanziell, psychisch, künstlerisch. Auch wenn sich das Gerücht hartnäckig hält, dass Manker gute Chancen habe, demnächst das frei werdende Wiener Schauspielhaus zu übernehmen: Weder hat er sich dafür beworben, noch wurde er von der Jury je ernsthaft in Betracht gezogen. Das schillernde Wechselspiel von Illusion und Fakten beherrscht Manker länger schon. Vor zwei Jahren behauptete er noch, er plane, Anfang 2006 ein Theater in Wien zu eröffnen, heute sagt er ungerührt grinsend: „Das war eine Lüge, die einige Ihrer Kollegen bereitwillig gefressen haben.“ An einer Intendanz habe er nach seinen gescheiterten Bewerbungen für Volkstheater und Josefstadt kein Interesse mehr. „Jetzt nicht mehr. Ich ermüde. An allem. Es ist grauenvoll. Weil mir nichts mehr Spaß macht. Das ist mein letztes Interview.“ Er vergisst hinzuzufügen: für heute.

Wenn Paulus Manker ins Erzählen kommt, gerät er vom Hundertsten unversehens ins Tausendste; schließlich hat er einen Ruf zu verlieren – als begnadeter Polemiker, als Schandmaul und Anekdotenschleuder: Ausgehend von bunten Reiseberichten aus Istanbul („Seither bin ich dafür, dass die Türkei zur EU kommt; davor war ich total dagegen, weil ich mit den hiesigen Türken nicht zurechtkomme: Die sind ja unerträglich mit ihrem Fundamentalismus und ihrer Familienehre“) und aus Athen („Eine Arschlochstadt, so schiach wie Amstetten, die Scheiß-Akropolis und sonst nur Neubauten“) überlässt er sich zwanglos seinem Bewusstseinsstrom: Die Geschichte etwa, dass Udo Proksch keine Japaner mehr in das Café Demel gelassen habe, nachdem aufgeflogen war, dass Japaner ein Tortengeheimrezept gestohlen und in Fernost kopiert hatten, hält Manker beispielsweise für faszinierend. „So was mag ich: Nackte Willkür ist super. Davon ist man leider völlig abgekommen in Zeiten der political correctness.“ Einziges aktuelles Gegenbeispiel: der Film „Borat“, den er für ein unumstößliches Meisterstück hält.

Ein profil-Fototermin, den er im Industriegebiet des Alberner Hafens wahrnimmt, führt ihn zum Friedhof der Namenlosen. Manker, wie stets in theatralischem Schwarz, wischt einen Strauß Blumen zur Seite, um sich auf eines der Gräber zu legen. Flink legt er Schuhe und Socken ab, um auch ein bisschen Weiß ins Bild zu bringen. Seine nackten Füße seien irgendwo „zwischen Sandler und Christus“ einzuordnen, meint er. Und man könne das Bild dann ja für seinen Nachruf verwenden.

Es mag anderen unangenehm sein, fotografiert zu werden, Paulus Manker ist da nicht so. Bereitwillig posiert er in der untergehenden Sonne an der Donau, instruiert den Fotografen, weist auf „geile Motive“ hin, vor denen man ihn doch ablichten könnte, nein: müsste. Kurz spielt er mit dem Gedanken, seiner Freundin ein paar Blumen vom Friedhof mitzubringen. Wenig später, in einer voll besetzten U-Bahn: Manker schneidet Grimassen, betrachtet die Elastizität des eigenen Charakterkopfs im dunklen Spiegelbild der Wagenfenster. Vom Westbahnhof aus steuert er einem der nahe gelegenen Hauptschauplätze in „Slumming“ entgegen. In einem engen Gürtel-Café, im Sultan, nimmt er schließlich Platz wie ein Heimgekommener: Resopal-Interieur, goldschimmernde Lichterketten an den Wänden, Glücksspielautomaten, eine grellblonde Kellnerin huscht vorbei. Man kennt Manker hier. Auf der Straße vor dem Lokal, zwischen den Autos kauernd, bringt er sein Haar für ein Foto in Unordnung, blickt sinister auf den Beton.

17 Whiskys. Marlon Brando übrigens spiele „immer weg von der Kamera“, doziert Manker. Man dürfe als Schauspieler nicht immer nur versuchen, „alles zu zeigen“. Brando agiere „wie ein scheues Reh“ – und irgendwann öffne er sich dann plötzlich der Kamera, „und man hält im Kino den Atem an“. Theorien zum besseren Verständnis der Darstellungskunst hat Manker allzeit parat: „Warum soll man Dinge, die man mit sich einfach auch geschehen lassen kann, erzeugen? Warum soll man außer Atem spielen, wenn man außer Atem sein kann? Man kann das virtuos darstellen, aber es wird nie authentisch sein.“ Es gebe Szenen in „Slumming“, die habe er „nach 17 Whiskys gespielt“. Das Spannende daran sei aber, dass man nicht betrunken werde, wenn man zugleich arbeite. Man gerate nur etwas aus der Fassung, werde langsamer, müder.

Auf dem Weg zur letzten Station, zum alten Weinhaus Sittl, erkennt ein betagter Taxifahrer „den Herrn Regisseur“: Er sei doch vom Theater, oder? Manker gesteht sofort: „Theater, Film, Fernsehen, Arbeits-amt, alles.“ Aus dem Autoradio dringt leise ein Song der Beach Boys: „Help Me, Rhonda“. Im Sittl ordert Paulus Manker routiniert ein Martini-Gansl und einen Almdudler – und stellt sich für eine letzte Aufnahme mit demonstrativ gelangweiltem Gesicht zu zwei vom Alkohol gezeichneten Herren an die Bar, die den neuen Mann in ihrer Mitte sehr entschieden nicht zur Kenntnis nehmen.

Um Aufmerksamkeit ist Paulus Manker weiterhin bemüht. Von seiner großbürgerlichen Wohnung in der Inneren Stadt aus plant er dieser Tage, wenn auch widerwillig, seine nächsten Karriereschritte: Es habe Angebote gegeben nach „Slumming“, sagt er; und die junge Regisseurin Ruth Mader („Struggle“), die er sehr verehre, plane einen Film mit ihm. Aber Wien, fügt er noch an, sei „natürlich gefährlich, gerade wenn sie dich hier mögen. Weil sie dich verhaften, bequem und beschaulich machen. Deshalb bleiben manche berühmte Kollegen ja auch für immer in Wien: Hier liegt einem die Stadt zu Füßen, das gibt es nirgendwo sonst. Man wird in seiner Beliebtheit regelrecht gefesselt.“

Was immer Paulus Manker mit seinem meist zwischen Bauernschläue und Treuherzigkeit changierenden Blick von sich gibt, wird in der Ironieschleife, die er jeder Äußerung aufzwingt, zwiespältig gemacht. Die absurde Komik liegt da stets ebenso nah wie der letztlich ernste Kern seiner Selbsterklärungen: Das ist eine gute Basis zur Selbstmythologisierung. Die Stilisierung der Kunstfigur Manker schreitet voran. Längst ist der Schauspieler vom lokalen Schreckgespenst auch zur literarischen Figur avanciert: Der Schriftsteller Werner Kofler hat dem Heißsporn 1999 eine Studie namens „Manker“ maßgeschneidert. Ursprünglich hätte das Buch übrigens „Karfreitagsmord“ heißen sollen.

Von Stefan Grissemann