Porträt

Porträt: Der Überalldabei

Der Überalldabei - Hans Hollein wird 70 Jahre alt

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Alle werden sie da sein: der Wiener Bürgermeister, der Altbürgermeister, einige Stadträte, natürlich der Hausherr sowie handverlesene Prominenz aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Am 30. März wird in den Prunkräumen der Wiener Albertina ein pompöses Geburtstagsfest gefeiert. Der Jubilar heißt Hans Hollein, und er wird 70 Jahre alt.

Es kann gut sein, dass ausgerechnet die Hauptperson an diesem Dienstagabend etwas indisponiert wirken wird. Denn Hollein muss schon am Tag davor auf seinen Geburtstag anstoßen. Am 29. März findet zu seinen Ehren im Bundeskanzleramt ein Diner statt. Gastgeber ist Kunststaatssekretär Franz Morak.

Hans Hollein gefällt das Getöse um seinen Siebziger ausnehmend gut. „Ich finde das irgendwie in Ordnung“, sagt er, „schließlich habe ich einiges getan für Österreich.“

Hollein ist nun mal kein Bescheidener, war es nie. Außerdem liegt er mit seiner Analyse nicht falsch. Der Mann, an dem das Attribut „Stararchitekt“ seit gut 40 Jahren klebt wie ein zweiter Vorname, hat seiner Heimat viel Renommee eingebracht. Er ist international der angesehenste unter den noch lebenden österreichischen Architekten. 1985 erhielt er den Pritzker-Preis – die weltweit höchste Auszeichnung in der Baukunst. Schon sein allererstes Projekt, der Umbau des winzigen Kerzengeschäfts Retti am Wiener Kohlmarkt 1964, wurde zum Klassiker und steht heute unter Denkmalschutz.

Eine prächtige Geburtstagslaudatio von Wiens Bürgermeister Michael Häupl scheint also durchaus angebracht.

Außerdem passen die bevorstehenden Würdigungen zeitlich perfekt als Wiedergutmachung für jüngst erlittene Kränkungen. Im Dezember war Hollein für seine Beiträge beim Umbau der Albertina von der interessierten Öffentlichkeit fast einstimmig in Grund und Boden kritisiert worden. Vor allem der „Soravia Wing“, ein wuchtiges Aluminiumkonstrukt, das er dem Kunsttempel wie eine überdimensionierte Krawattennadel an die Front geheftet hat, sorgte für empörte Reaktionen. „Das Wing-Ding sieht aus, als hätte es ein minderbegabter Statiker ohne einen Architekten oder ein minderbegabter Architekt ohne einen Statiker gebastelt“, schrieb etwa der Architekturkritiker Jan Tabor in der Wiener Stadtzeitung „Falter“.

Eitle Sponsoren. Der Architekt bekam wohl auch jenen Teil des Ärgers ab, der eigentlich den Sponsoren des Flügels galt: den Brüdern Hanno und Erwin Soravia, Bauunternehmer aus Kärnten, die sich ihre Großzügigkeit mit dem protzig geratenen Schriftzug „Soravia Wing“ direkt auf dem Objekt abgelten ließen.

Hollein behauptet, dass ihn die schlechte Nachrede kalt lasse. Seine Flügelkonstruktion sei vorab von allen Verantwortlichen gesehen und für gut befunden worden. „Immerhin gab es einen Wettbewerb, den ich gewonnen habe.“ Aber sein Gesichtsausdruck verrät, dass er dieses Thema nicht um jeden Preis vertiefen möchte.

Überhaupt hat Hollein derzeit wenig Muße, über abgeschlossene Projekte nachzudenken. Es gibt zu viele, die noch laufen und an denen der Architekt seine gleichermaßen legendäre wie gefürchtete Liebe zum Detail austoben kann. Im Süden Wiens soll demnächst das Projekt Monte Laa realisiert werden, ein Bürokomplex direkt über der Südosttangente, den Hollein gemeinsam mit seinem Wiener Kollegen Albert Wimmer geplant hat. Neben den Gasometern entsteht bis Jahresende der Gate 2, ein 20-geschoßiger Büroturm. Kurz vor der Fertigstellung ist auch der Saturn Tower in der Donau-City. Und demnächst wird das Hotel Hilton am Stadtpark wieder eröffnet, das mit Holleins Expertise – und wiederum im Auftrag der Soravia-Brüder – generalrenoviert wurde.

Bei keinem dieser Bauvorhaben musste sich Hollein einem Wettbewerb stellen, den Auftraggebern genügte der große Name – obwohl dieser nicht nur für positive Nebenwirkungen garantiert. Hans Hollein hat spektakuläre, oft wegweisende Objekte gebaut wie das Städtische Museum in Mönchengladbach, das Museum Moderner Kunst in Frankfurt (bekannt als „Tortenstück“) und den Interbank Tower in Lima. Aber der Architekt gilt auch als Schwieriger, der Fertigstellungstermine oft nicht einhält und Budgets überzieht. Die Investoren schreckt das nicht. „Wir wollten für einen so prominenten Standort einen prominenten Architekten“, sagt Martin Huber, Vorstand der Baugesellschaft Porr, die den Büroturm Monte Laa errichtet. „Bei einem Projekt dieser Größe geht es schließlich auch um die internationale Vermarktbarkeit.“

Sein Ruhm habe aber auch Schattenseiten, meint Hollein kokett. „Ich durfte noch nie ein Einfamilienhaus bauen, weil die Leute Angst haben, dass sie dann jeden Tag in der Zeitung stehen.“

Wie Schlingensief. Österreichs Architekturkritiker beflegeln einander seit Jahren mit äußerst widersprüchlichen Analysen zu der Frage, ob der aktuelle Hollein noch so gut ist wie sein Ruf. Doch mit städtebaulicher Theorie lässt sich dem Phänomen Hollein ohnehin nicht beikommen. Der Kollege sei ein „Schlingensief der Architektur“ hat der Wiener Architekt Gustav Peichl vor kurzem boshaft angemerkt. Als Kritik will er das allerdings nicht verstanden wissen: „Schlingensief und Hollein sind beide intelligent, kreativ und sehr gut in der Selbstdarstellung“, meint Peichl. Hollein habe es stets darauf angelegt, ein Markenartikel zu werden, sagt Christian Kühn, außerordentlicher Professor am Wiener Institut für Gebäudelehre, „und das ist ihm mittlerweile gelungen“.

Kühn verweist auf ein Interview, das der Meister vor Jahren anlässlich einer Kunstaktion für die Wodka-Marke „Absolut“ gegeben hat. Auf die Frage, ob er schon einmal an einer Werbekampagne teilgenommen habe, antwortete Hollein: „Nein, aber als Architekt ist man dauernd auf einem Werbefeldzug für sich selbst.“

Hans Hollein begreift diesen Werbefeldzug so, wie er auch seine Arbeit begreift: als Gesamtkunstwerk. Er hat früh verstanden, dass es nicht ausschließlich die Planungsleistung ist, die einen guten von einem Stararchitekten unterscheidet. Dietmar Steiner, Leiter des Architekturzentrums Wien, erinnert sich an eine Architektenausstellung in Berlin Mitte der achtziger Jahre, die in der Ruine eines alten Kaufhauses stattfand. Jeder Teilnehmer durfte eines der leeren Schaufenster für die Selbstpräsentation nutzen. Die meisten dachten dabei an die Besucher der Ausstellung und zeigten Modelle oder Statements, die nach innen zeigten, sich also dem Betrachter zuwandten. Hollein verstand den Auftrag anders, er stellte nur die Buchstaben HOLLEIN ins Schaufenster. „Von außen hat das gewirkt, als hätte er die ganze Ausstellung signiert“, sagt Steiner.

Im Prinzip beansprucht Hollein für die eigene Person nichts anderes als für seine Bauwerke: größtmögliche Aufmerksamkeit. Deshalb hat er sich immer gern mit wichtigen oder wenigstens prominenten Menschen umgeben. Er kommt, wenn Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer ihren 60. Geburtstag feiert, wenn das Schloss Belvedere 100 wird oder die Wiener Städtische Versicherung ein Fest schmeißt. Die dabei geknüpften Kontakte nutzt er bei Bedarf. „Er biedert sich nicht an. Aber wenn er etwas unbedingt erreichen will, weiß er genau, wen er dafür anrufen oder zu welchem Abendessen er gehen muss“, sagt ein Hollein-Kenner.

Herr Präsident. Die guten Kontakte zu Politikern von Rot und Schwarz machten Hollein zu einem Überalldabei in der Bauszene. Seit 1999 leitet er den Wiener Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, ein Gremium, das den Magistrat bei Bebauungsplänen und Umwidmungen berät. Zugleich ist Hollein Präsident des Kultursenats, der ebenfalls in der Stadtplanung mitreden darf. Und zum Drüberstreuen fungiert Hollein auch noch als Präsident der Zentralvereinigung der Architekten. Ingesamt wird in und um Wien recht wenig gebaut, ohne dass Hollein in irgendeiner Form mitreden kann oder zumindest sehr früh über den Planungsstand des Vorhabens Bescheid weiß. Dietmar Steiner ist sich zwar sicher, dass Hollein um maximale Objektivität bemüht ist. „Aber rein aus Gründen der Optik müsste er den Vorsitz im Fachbeirat zurücklegen“, findet er. Auch Jan Tabor stößt sich an dieser Ämteransammlung: „Wäre es nicht der Hollein, ginge das nie durch.“

Dass er in Wien so unentbehrlich geworden ist, mag Hollein als späte Genugtuung sehen. Denn ausgerechnet in seiner Heimatstadt fühlte er sich lange verkannt. Während er im Ausland bereits für Großprojekte gefeiert wurde, ließ man ihn hier lange nur kleine Aufträge realisieren – die Neugestaltung der Fassade eines Innenstadtgeschäftes hier, den Umbau einer Nobelboutique dort. Er dürfe zwar zum Ansehen, nicht aber zum Aussehen dieser Stadt beitragen, beklagte er sich in den siebziger Jahren einmal.

Streitfall Haas-Haus. Dieser unbefriedigende Zustand änderte sich erst 1985, als er vom damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk mit der Planung des Haas-Hauses – direkt vis-à-vis dem Stephansdom – betraut wurde. „Ich hab mir gedacht, der kann das. Der hat ein Gefühl für diesen Platz“, erinnert sich Zilk. Die Wiener mochten sich diesem Eindruck lange nicht anschließen. Das Haas-Haus wurde zu einem der am heftigsten umkämpften Bauten in der Stadt. Hollein musste mehrfach seine Planung ändern, bis vom ursprünglichen Entwurf nur noch wenig blieb.

Dennoch ebnete dieser Auftrag den Weg für Holleins Karriere in der Hauptstadt. „Ich hab ihn für Wien erfunden“, muss sich Helmut Zilk in der Nachbetrachtung doch ein wenig selber loben.

Hollein ist zweifellos gut im Geschäft. Aber die materielle Seite dieses erfreulichen Zustandes interessiert ihn offenbar am wenigsten. Wohl gönnt sich der manische Vielflieger Tickets in der Business Class und erstklassige Hotels. Auf andere Statussymbole kann er aber verzichten. Für sich selbst hat Hollein noch nicht einmal ein Haus entworfen. „Ich bin nun mal ein Stadtmensch“, erklärt er, „und in Wien könnte ich es mir nicht leisten, ein Haus zu bauen.“ Also wohnt er seit vielen Jahren in einer Mietwohnung am Gürtel mit dem für einen Ästheten wohl schmerzhaften Ausblick auf den Südbahnhof.

Noch spartanischer wirkt Holleins Atelier im vierten Wiener Gemeindebezirk. Kein zufälliger Besucher würde in diesen Zimmerfluchten das Büro eines Stararchitekten vermuten. Normalerweise gilt ein Loft mit Weitblick selbst unter brotlosen Universitätsabsolventen als Mindestanforderung für gedeihliches Werken. Hollein dagegen sitzt – mit derzeit 17 Beschäftigten – noch immer in jenem Haus, in dem er einst seine ersten Pläne gezeichnet hat. Das Problem des größer werdenden Platzbedarfs löste er, indem er frei werdende Wohnungen zusammenlegte. „Es ist ein bisschen unpraktisch mit den drei Stockwerken“, räumt er ein, „aber es geht nicht anders.“

Ausgerechnet der Detailfanatiker Hollein huldigt im eigenen Büro der perfekten Schlamperei. Meterhoch türmen sich leere Pappkartons, auf den Tischen liegen mehrere Schichten Papier, und von der Decke baumeln nackte Glühbirnen.

Doch Hollein hat keinen Blick für das Tohuwabohu. Er sieht nur die Pläne, Modelle und Fotos aus 40 äußerst ausgefüllten Berufsjahren. Stolz präsentiert er das Modell für Vulcania, ein Vulkanismus-Museum, das er 2002 in der Auvergne fertig gestellt hat. Seine Idee, das Gebäude unterirdisch anzulegen und für die Besucher so einen „Abstieg zum Mittelpunkt der Erde“ zu simulieren, setzte sich gegen 80 Konkurrenten durch.

Ans Aufhören hat Hollein noch keine Sekunde gedacht. Auch mit 70 Jahren ist längst nicht alles gebaut, wovon der Architekt träumt. Vor allem sein größter Wunsch blieb bis dato unerfüllt: „Ich hab mir immer gewünscht, einmal eine Kirche zu bauen. Aber das hat sich leider noch nicht ergeben.“