Porträt: „Ich musste Carrie verlassen“

Sarah Jessica Parker über ihren neuen Film

Drucken

Schriftgröße

Das weiße Puppenhaus im Londoner „It“-Viertel Soho platzt aus allen Fugen. Im Kaminzimmer, das mit Kekstellern und elektrifiziertem Weihnachtsbaum die Illusion häuslicher Idylle zu vermitteln trachtet, stapeln sich Journalisten aus ganz Europa. PR-Damen, eine Visagistin und „PAs“ (Personal Assistants), das Kammerzofen-Pendant des zeitgemäßen Hollywood-Stars, schwirren mit geschäftigen Mienen und sorgenvollen Blicken durch die engen Gänge und über die knarrenden Holzstiegen des für das PR-Brimborium angemieteten 19.-Jahrhundert-Etablissements.

Im ersten Stock erteilt die Frau, die über Jahre die fiktive beste Freundin aller Beziehungsproblematikerinnen des globalen Dorfs gab, Audienzen im 40-Minuten-Takt.

Wie alle denkenden Hollywood-Stars versucht Sarah Jessica Parker ihren Besuchern das Gefühl zu injizieren, dass sie trotz ihrer 12-bis-15-Millionen-Dollar-pro-Film-Gage und ihres Bekanntheitsgrads in Madonna- und Nicole-Kidman-Sphären die Bodenhaftung nicht verloren hat. „Danke, danke, dass Sie von so weit gekommen sind“, zwitschert sie und streckt einem ihre winzige, knochige Hand entgegen. Die „Ich bin eine von euch“-Operation ist jedoch zum Scheitern verurteilt.

Entchenartigkeit. Denn noch hatte sie artig ihren rebhuhnfarbenen Tellerrock gedreht, als der vorangegangene Kollege am Ende seines Termins nach den Labels an ihrem bestenfalls 1,60 Meter hohen Ballerinenkörper gefragt hatte.

„Oh“, quiekt sie mit einem gewissen Stolz. „Die Jacke ist von Sonja Rykiel, der Rock von Alexander McQueen und, hmmm, ach ja das Top von Azzedine Alaia.“ In diesem Moment fällt Sarah Jessica Parker, 40, in jene Attitüde, die sie später als „diese Carrie-Entchenartigkeit“ bezeichnen wird.

Um diese „Entchenartigkeit“, die integrativer Bestandteil der Carrie-Bradshaw-Psyche war, endlich abzuschütteln, hat Sarah Jessica Parker all jene Rollenangebote, die nach dem Finale der HBO-Serie im vorangegangenen Jahr in ihrer Agentur eingetrudelt waren und nur im Entferntesten die Attribute „Single und beziehungsneurotisch im urbanen Raum“ erfüllten, sofort postwendend zurückschicken lassen.

In „Die Familie Stone“ (Österreich-Start: 16.12.), ihrem ersten Film nach „Sex and the City“, spielt Parker die verklemmte Business-Furie Meredith Morton, die ganz im Gegensatz zur Figur der Carrie eine Gaumenzäpfchenprellung erleiden würde, wenn sie das Wort „Dildo“ oder „klitoraler Orgasmus“ auch nur flüsterte. „Meredith“, erklärt Parker, „ist die Frau, die zu hassen man liebt. Ihre Frisur sitzt, ihre Seele ist ein einziger Krampf, und sie ist die lebende Antithese zu Carrie. Also zutiefst unsymphatisch, zumindest in der ersten Hälfte des Films.“

Ihr „Beraterstab“ hat Sarah Jessica Parker „in dieser Entscheidung, gegen die Klischees anzukämpfen“, sehr bestärkt: „Natürlich hatte ich anfangs Angst. Hier befand ich mich in einem Ensemble hochkarätiger Schauspieler. Aber es liegt nun einmal in meinem Naturell, dass ich nur dann zu Höchstleistungen fähig bin, wenn es schwierig wird und ich mich auch ein bisschen fürchte.“

Die lobende Bemerkung über die mimische Qualität der „Familie Stone“-Mitglieder wie Diane Keaton und Claire Danes lässt den – wenngleich perfiden – Rückschluss zu, dass die „Sex and the City“-Heldin ihre Serienkolleginnen nicht in diese Kategorie einordnet. Parker soll laut Gerüchten diverser Branchenblätter den Rest der Truppe durch eine Überdosis Egozentrik und die doppelte Gage (laut „Entertainment Weekly“ 200.000 Dollar pro Folge) nervlich dermaßen strapaziert haben, dass jenseits des Drehbuchs vorrangig Sprachlosigkeit herrschte. In einem Interview mit der Zeitung „USA Today“ verlieh sie jüngst ihrem Bedauern Ausdruck, dass sie „mit den Mädels nur mehr fallweise E-Mails austausche“ und Charlotte-Darstellerin Kristin Davis „leider zurzeit nicht kommunikationsfähig ist, weil ihr Hund dauernd krank ist“.

Doch jetzt ist Parker viel zu sehr Profi, um sich auf irgendwelche Risse in der Fassade einzulassen. Das Klima bei der „Show“, wie sie die Serie, die für die Single-Frauen von Kassel bis Hongkong sechs Staffeln lang zur fiktionalisierten Lebensberatung mutierte, nennt, sei „warm und familiär“ gewesen. „Ich musste Carrie verlassen, denn wenn es nach meinem Wohlfühlfaktor gegangen wäre, würde ich den Rest meines Lebens als Carrie Bradshaw verbringen. Ich war kreativ gefordert, habe bekannterweise einen Haufen Geld verdient und durfte noch dazu als Produzentin der Serie arbeiten. Unverdienterweise, denn ich hatte anfangs keine Ahnung von dem Job. Doch irgendwann braucht der Mensch natürlich neue Herausforderungen.“

Dass Sarah Jessica Parker, die bereits mit acht Jahren in der TV-Produktion „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ debütierte und seither nicht aufgehört hat, in der Nahkampfschule des Showbusiness ihre Schläge zu platzieren, mit der „für mich so harten Entscheidung“ ihre „Sex and the City“-Kolleginnen Kim Catrall, Cynthia Nixon und Kristin Davis in ein hochsensibles Karrierestadium stürzte, dürfte ihr ein überschaubares Maß an schlaflosen Nächten bereitet haben. Schließlich war auch das Projekt eines „Sex and the City“-Kinofilms an Parkers hohen Gagenforderungen gescheitert.

Control-Freak. Parker, das vierte von acht Kindern aus kleinbürgerlichen Verhältnissen in der tiefsten US-Provinz Ohio, umweht in der „Industrie“, so ihr Kürzel für das Hollywood-System, der Ruf eines „Control-Freaks“. „Bei so vielen Geschwistern musste man immer wie verrückt darum kämpfen, überhaupt wahrgenommen zu werden“, erklärt sie ihren Hang zum Perfektionismus.

Zwar scheint sie in der vergangene Woche publizierten Liste der „100 mächtigsten Frauen von Hollywood“ des Fachblatts „Hollywood Reporter“ nicht auf und wird, was ihre Zugkraft am Boxoffice betrifft, von Stars wie Julia Roberts, Nicole Kidman und selbst Jennifer Aniston ins hintere Mittelfeld gewiesen, doch ist sie sich ihres Machtprivilegs aufgrund der Carrie-Bradshaw-Nachwirkungen durchaus bewusst. In das Klagelied, dass Hollywood von einem „Macho-Club“ regiert werde, will sie nicht mit einstimmen: „Es gibt einen Haufen junger Produzentinnen, die frech und innovativ sind. Und so gar nicht die Geschmacksforderungen des herkömmlichen Establishments bedienen. Die sind durchaus in der Lage, ihr Ding durchzuziehen. Und auch damit Erfolg zu haben. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich arbeite jeden Tag mit diesen jungen Frauen.“

Stars wie Meg Ryan oder Diane Keaton, „die ich zutiefst bewundere, weil sie beim Dreh schon im Morgengrauen perfekt frisiert erscheint und am Telefon hochpolitische Diskussionen führt“, haben ohnehin längst ihre eigenen Produktionsfirmen aufgezogen. So auch Sarah Jessica Parker, die mit ihrer Company Pretty Matches einen Entwicklungsdeal mit dem Pay-TV-Sender HBO eingegangen ist, der neben „Sex and the City“ auch Renommierprodukte wie die Mafia-Serie „The Sopranos“ und die mit acht Emmies dekorierten Aids-Minidramen „Angels in America“ verantwortet. Als Produzentin fungiert sie auch in dem – eben im Drehstadium befindlichen – Anti-Rassismus-Thriller „Spinning in Butter“, in dem Parker eine College-Professorin gibt, die durch den Mord an einem Schwarzen auf ihrem Campus an ihre eigenen Grenzen getrieben wird. „Definitives Anti-Carrie-Material“, wie Parker ihre Karrierebemühungen, sich vom Klischee der Cosmopolitain-schlürfenden Manolo-Blahnik-Aficionada, die auf der Suche nach dem Richtigen ständig an die Falschen gerät, zu befreien, bezeichnet.

Wie gefährlich empfand sie die geschlechtspolitische Botschaft der Serie, die in ihren Anfängen Männer zu austauschbaren Sexualobjekten degradierte? Und den Frauen damit weiszumachen versuchte, dass es durchaus salonfähig ist, diese Macho-Attitüden zu übernehmen? Man erinnert an das Cover des Nachrichtenmagazins „Time“ aus dem Jahr 1998, das die vier „Sex and the City“-Darstellerinnen mit der rhetorischen Frage „Wer braucht schon einen Ehemann?“ abgedruckt hatte.

Parker zupft an ihrem schwarzen Satinhaarband: „Wissen Sie, ich war ja in diesem Fall nur das Sprachrohr und nicht der Botschafter.“ Parker ist übrigens seit 1997 mit dem etwas milchgesichtigen Mittelbau-Star Matthew Broderick verheiratet, der zurzeit am New Yorker Broadway im Boulevardstück „Ein seltsames Paar“ wirkt. Das skandalresistente Ehepaar lebt mit dem dreijährigen Sohn James in einer mehrstöckigen Wohnung im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village. Sie fährt fort: „Die gesellschaftspolitischen Inhalte von ‚Sex and the City‘ wurden ja bis zum Erbrechen diskutiert. Ich glaube, dass das Geheimnis des Erfolgs zuerst damit zusammenhing, dass man den Frauen einen entspannten Umgang mit der eigenen Sexualität vorlebte. Erstmals wurde ihnen gezeigt, dass sie nicht schmutzig, würdelos und nicht gesellschaftsfähig sind, wenn sie sich jene Dinge wünschen und ausleben, die bis vor Kurzem den Männern vorbehalten waren.“

Lipstick-Feminismus. In der zweiten Entwicklungsstufe wäre die Orientierungshilfe in die Richtung gegangen, „dass wir vor allem den Frauen die Botschaft vermittelt haben: Hey, du hast das Privileg der Wahl. Ob Mann oder Karriere oder beides: Du bestimmst, was du aus deinem Leben machst.“

Diese Sätze könnten dem Phrasenrepertoire eines „Glücklichsein leicht gemacht“-Seminars entsprungen sein. Schließlich, so merkt man an, hätte der Lipstick-Feminismus inklusive des Slogans „Du kannst alles haben“ viele Frauen mit Katerstimmung in der ideologischen Ausnüchterungszelle zurückgelassen. „Stimmt leider“, sagt Sarah Jessica Parker, „für eine Zeit hat unsere Generation wirklich geglaubt, wir können alles – Erfolg im Job, daneben ein erfülltes Sexual- und Beziehungsleben, Mutter sein, und zwischendurch kommt auch noch schnell der ‚Personal Trainer‘ für ein paar Yoga-Stündchen, damit der Körper das Size-6-Gebiet nicht verlässt. Das war zu viel.“

Man wird vom starken Verdacht beschlichen, dass Missis Parker genau diese Art von zu viel Leben führt, beschließt, sie dennoch nicht zu hassen, und wechselt schnell das Thema: Bush, der Krieg, die USA als Ideologiepolizei der Welt, die Ohnmacht der Intellektuellen etc.

„Pfuhhh“, stöhnt sie, „was soll man noch zu Bush sagen? Es ist wirklich verdammt schwierig heute, Amerikanerin zu sein. Reißen Sie mich jetzt ja nicht aus dem Kontext: Ich bin Patriotin. Aber zurzeit durchzieht ein tiefer Graben unser Land. Es finden keine politischen Diskurse mehr statt, wir sind geteilt. Das macht mir wirklich sehr große Angst.“

Zum Ausklang noch ein leichtes Thema: Weihnachten im Hause Parker-Broderick. „Ich bin vernarrt in Weihnachten“, kichert sie Carrie-mäßig, „wir werden den ganzen Weihnachtstag bei meinen Eltern in New York herumkugeln, stundenlang Geschenke aufmachen und uns die Bäuche voll schlagen. Und dann werden wir voll gefressen nach Hause rollen und uns dafür hassen. So wie eben jedes Jahr.“

Von Angelika Hager