Porträt des Islam-Lehrers Engin A.

Porträt des Islam-Lehrer Engin A.: Sollte an ihm nur ein Exempel statuiert werden?

Sollte an ihm ein Exempel statuiert werden?

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Von Eva Linsinger

Für seine 33 Jahre war Engin A. schon ziemlich viel: Er war kurz Schüler an der HTL, er war bei der Post, er war Servicetechniker bei einem Hi-Fi-Unternehmen, er war Programmierer bei Siemens, er war kurz Schüler an der Pädagogischen Akademie, er war Religionslehrer. Und seit über einer Woche ist er ein Präzedenzfall – der des radikalen Islamlehrers, der nicht mehr unterrichten darf.

Für eine exponierte Rolle eignet sich der zurückhaltende A., der sich beim Reden am liebsten tief in seinen Pullover verkriecht, ohnehin schlecht, für jene eines Fundamentalisten noch viel weniger. Er lebt seit 28 Jahren in Wien, spricht perfekt Deutsch und hat kein Problem, die Demokratie als „wichtig“ zu verteidigen, Plädoyers für Frauen- und Menschenrechte zu halten oder „Respekt für Juden als Gelehrte der Heiligen Schrift“ einzufordern. Wenn A. vom Islam spricht, ist viel von Toleranz die Rede. In der Wahrnehmung der Wirklichkeit, wie A. sie hat, ist er das Sinnbild eines aufgeklärten Wiener Moslems.

Für die Schulbehörden hingegen, von Unterrichtsministerin Claudia Schmied abwärts, ist er der Prototyp des extremistischen Islamlehrers, der im Unterricht Dinge verbreitet, die in Österreich nicht tolerierbar sind. Daher wurde am Beispiel von A. demonstriert, dass nun dagegen etwas unternommen wird. Erstmals belegte der Staat einen Religionslehrer mit Unterrichtsverbot. Erst jetzt beginnt A., sich dagegen zu wehren: „Moslems stehen unter Generalverdacht. Ich bin kein Antisemit, das lasse ich mir nicht gefallen“, sagt er, für seine Verhältnisse fast laut.

Diese Verteidigungsreden kommen zu spät. Am 14. Jänner soll er in der 4e-Klasse in der Hauptschule Brüßlgasse im 16. Wiener Bezirk Zettel verteilt haben, auf denen vermeintliche „jüdische Firmen“ wie McDonald’s, Coca-Cola oder Hugo Boss aufgelistet sind, und den Schülern aufgetragen haben, dort nicht einzukaufen. A. beteuert heute, dass es sich ganz anders zugetragen habe: „Die Kinder waren an dem Tag emotional aufgeregt wegen des Gaza-Kriegs. Ich habe sie gegen Ende der Stunde im Internet surfen lassen. Da haben sie die Seiten ausgedruckt. Ich habe das nicht kontrolliert, das war mein Fehler.“ Damals, Mitte Jänner, gab er aber noch viel mehr Fehler zu und unterzeichnete vor dem Schuldirektor und Bezirksschulinspektor Walter Maitz ein Geständnis (siehe Faksimile). „Ich wollte die Kinder vor dem Direktor schützen“, sagt er. Außerdem seien ihm die „rechtlichen Konsequenzen der Unterschrift nicht bewusst“ gewesen. Und überhaupt sei das Geständnis nur unter Druck zustande gekommen: „Ich konnte in dem Moment nicht klar denken.“ Selbst für die Aussagen der Kinder, die ihn beschuldigen, die Zettel verteilt zu haben, hat A. eine Erklärung: „Es ist doch klar, dass die Kinder sagen, ich war’s nicht, und dem Lehrer die Schuld geben. Das ist immer die erste Reaktion.“ Bei A. ist es erst die zweite: Wochenlang zog er nur den Kopf ein und wehrte sich nicht.

Kein Disziplinarverfahren. Bis heute hofft A. irrigerweise, dass er sich in irgendeiner Art Verfahren erklären kann: „Mich hat nie jemand befragt, wie es wirklich war.“ Das wird auch nicht mehr passieren: „Warum hätten wir groß befragen sollen, wenn A. ohnehin den Vorfall gesteht?“, sagt Inspektor Maitz. Auch die Indizien wiegen schwer: In A.s Unterrichtsstunde wurde vom Lehrercomputer eine Seite ausgedruckt, die im Druckerprotokoll mit „juedische Product“ vermerkt ist. Für Maitz ist der konkrete Vorwurf so gravierend, dass es keine Rolle spielt, ob A. im Allgemeinen radikal ist oder nicht.

Für A. ist aber genau das relevant, auch deshalb, weil er von manchen Medien als der Paradefall eines Fundamentalisten dargestellt wurde. Das war auch leicht, weil A. lange geschwiegen hat. Erst jetzt hat A. einen Anwalt, Elmar Kresbach, der von Helmut Elsner bis zum Holocaust-Leugner David Irving gern spektakuläre Fälle übernimmt. Zum Fall A. hat Kresbach zu sagen, dass „die Unschuldsvermutung grob verletzt und A. hinters Licht geführt wurde“.

In der Tat ging die Sache schnell, für einen Präzedenzfall sogar sehr schnell. Auf das Geständnis folgte das Unterrichtsverbot, dann die Vertragsauflösung, für die Behörden ist die Angelegenheit damit erledigt. Die islamische Glaubensgemeinschaft, die für die Beschäftigung von Religionslehrern zuständig ist, wollte zwar in ­einem Disziplinarverfahren die Angelegenheit klären. Nachdem der Vertrag mit A. aber aufgelöst ist, findet dieses Verfahren nun nicht mehr statt. Carla Amina Baghajati, die Sprecherin der Glaubensgemeinschaft, gibt offen zu, dass ihr das ein wenig Bauchweh verursacht: „Wir hätten gerne im Sinne der Rechtsstaatlichkeit alles aufgeklärt.“

Doch der Druck, schnell zu handeln, war groß, immerhin war die Studie, wonach fast ein Viertel aller Islamlehrer Probleme mit der Demokratie hat, ­gerade das Gesprächsthema Nummer eins. Mouhanad Korchide, der Autor dieser Studie, wirft der Glaubensgemeinschaft eine Ersatzhandlung vor: „Sie sollte die Ausbildungsstruktur reformieren, setzt aber stattdessen eine plakative Maßnahme. Doch man hat den Falschen erwischt. A. ist nicht radikal, sondern viel integrierter als die meisten Religionslehrer.“ Auch Eva Mader, Direktorin der Volksschule Wichtelgasse, sind an A. nie fundamentalistische Tendenzen aufgefallen: „Das wüsste ich, da wären die Eltern sofort zu mir gekommen.“ A. unterrichtete auch an ihrer Schule Religion. Mader weiß zwar zu berichten, dass er immer wieder Disziplinprobleme im Unterricht hatte, ansonsten habe sie aber nichts Negatives an A. bemerkt.

A. klammert sich an solche Aussagen und hofft bis heute, wieder unterrichten zu können – so wie sein Vater, sein Schwager und seine Schwester. Eine Ausbildung als Religionslehrer hat er nicht, der islamischen Glaubensgemeinschaft reichte im Jahr 2006 ein Test für seine Anstellung. „Ich liebe es, mit Kindern zu arbeiten und ihnen etwas über ihre Religion beizubringen“, sagt er. Erst jetzt, nachdem er langsam begreift, dass er wahrscheinlich nicht mehr als Lehrer arbeiten kann, attackiert er den Direktor der Brüßlgasse: „Der will mich fertigmachen. Schon zwei Islamlehrer sind von der Schule gegangen, der Direktor hat keine Sympathie für den Islamunterricht.“

Diese Rolle der verfolgten Unschuld will Direktor Karlheinz Fiedler seinem ehemaligen Lehrer nicht durchgehen lassen: „Das ist doch lächerlich, die beiden früheren Islamlehrer sind freiwillig gegangen. Wenn ich etwas gegen Moslems hätte, wäre ich doch nicht an der Schule, wo 98 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben.“ Nach den Anschuldigungen von A. rückten vergangene Woche dennoch eine Juristin des Wiener Stadtschulrates und Bezirksschul­inspektor Walter Maitz in der Schule an und befragten die Kinder erneut. Wieder gaben die Kinder an, dass A. die Zettel verteilt habe. Mehr noch: Einige behaupteten, dass A. körperliche Übergriffe getätigt habe. Damit fühlt sich Direktor Fiedler im Nachhinein zusätzlich bestätigt.

Für A. hingegen sind diese neuen Vorwürfe lediglich ein Beleg der Verschwörung gegen ihn: „Sie finden immer etwas anderes gegen mich.“ Er hofft, wie er es formuliert, dass er „irgendwie da herauskommt“. Sehr realistisch ist die Hoffnung nicht.