Die Intendantin im Porträt: Kiss me, Kate

Porträt: Kiss me, Kate

Kathi Zechner bringt das Musical auf Erfolgskurs

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"Und ich hab glaubt, die arbeiten um die Uhrzeit schon", sagt ein Betriebsrat zum anderen. Der lacht bemüht.

Die zwei robusten Männer warten im ersten Stock der Lehárgasse 9 darauf, dass ihnen endlich jemand die Tür öffnet. Es ist neun Uhr Früh, selbst der Schmäh von Betriebsräten um diese Tageszeit noch nicht schlagsicher, außerdem lässt das Wetter keinen Zweifel daran, dass der Herbst vor der Tür steht: Die Stadt ist grau, grau, grau.

„Guten Morgen!“, ruft den beiden Herren ihre Chefin gut gelaunt entgegen. „Guten Morgen! Guten Morgen!“

Kathi Zechner ist 1,58 Meter groß, wiegt 45 Kilo, trägt heute ein eng anliegendes warmes Winterkleid und strahlt quer über den langen Gang, der an prächtigen Flügeltüren vorbei zu ihrem Sekretariat führt. Gute Laune verbreitet sie schon von Amts wegen: Seit Jänner 2004 ist Zechner Intendantin sowohl des Raimund Theaters als auch des Ronachers, deren Bühnen sie im Auftrag des Wiener Bürgermeisters mit knallbunten Musicals bespielt.

Das Thema der anberaumten Sitzung ist freilich so reizvoll wie ein Tofu-Burger. Zechner will den Mitarbeitervertretern das Projekt „Ernährung, Entspannung, Bewegung“ näherbringen. „Gesäßmuskeln im Sitzen anspannen? Das ist gut, da wird man gleich ein bisschen größer“, versucht sie Stimmung in die Runde zu bringen. Auch das Musical-Business ist nicht rund um die Uhr glamourös.

Doch Zechners Grundhaltung ist zweifellos die Begeisterung. „Wir starten dieses Gesundheitsprogramm, weil die bevorstehende Saison besonders anstrengend wird“, strahlt sie tapfer.

„Die Veranstaltungen finden doch innerhalb der Dienstzeit statt?“, fragt ein Betriebsrat vorsichtshalber.

Draußen beginnt es in Strömen zu regnen.

Statt der üblichen zwei bringen die Vereinigten Bühnen diese Saison vier Musicals heraus. Am 20. Oktober geht die Uraufführung der Familiensatire „Die Habsburgischen“ über die Bühne, im Jänner feiert das Queen-Musical „We Will Rock You“ Premiere, im Frühjahr steht die Persiflage „Forbidden Ronacher“ am Programm. Das Highlight folgt am Schluss: Am 30. Juni wird das umgebaute Ronacher mit Mel Brooks’ „The Producers“, dem größten Broadway-Kracher seit „Lion King“, ebenso pompös wie kostspielig wiedereröffnet.

Dabei prophezeiten böse Zungen dem Genre Musical im Allgemeinen und den Vereinigten Bühnen im Besonderen noch vor wenigen Jahren einen raschen Exitus. „Ich habe ein Problem mit Musicals – ich mag keine“, machte Musiker Hubert von Goisern 2004 aus seinem Herzen keine Mördergrube. Der Kultursprecher der Wiener ÖVP, Franz Ferdinand Wolf, erhielt zustimmenden Applaus von Grünen und FPÖ, als er im Dezember 2005 den Umbaustopp des Ronachers forderte und flott konstatierte: „Die Stadt investiert in eine Theaterleiche.“

Die finanzielle Lage der Vereinigten Bühnen war angespannt. Kostspielige, aber wenig erfolgreiche Produktionen wie „Wake Up“ (2002) oder „Barbarella“ (2004), für die noch Zechners Vorgänger Rudi Klausnitzer verantwortlich gezeichnet hatte, hinterließen Spuren im Budget. 2004 schloss der Theaterkonzern mit einem Fehlbetrag von 6,5 Millionen Euro ab. Um 2005 ein positives Ergebnis erzielen zu können, mussten sämtliche Rücklagen aufgelöst werden. Generaldirektor Franz Häußler sprach düster von „erschöpften Kapitalreserven“.

Doch Zechner schwärmte auf ihrer Antrittspressekonferenz unbeeindruckt von einer wunderbaren Zukunft. Auf Widerstand reagiert die einstige ORF-Programmintendantin seit Beginn ihrer Karriere immer gleich: Sie ignoriert ihn. „In Wien gehen jedes Jahr rund 500.000 Menschen in Musicals. So tot kann das Genre also nicht sein“, beschied sie ihren Kritikern, bezog ihr Büro und nahm die Arbeit auf.

Erfolg. Säuberlich geordnet liegen DVDs („Rashomon“) und Fachzeitschriften („Variety“) auf Zechners Schreibtisch, der eindrücklich das Klischee widerlegt, Kreativität benötige Chaos. Die Einrichtung des Zimmers ist funktional, die weiße Sitzgarnitur alt, an den Wänden hängen wie in jedem Intendantenbüro Insignien des ersten Erfolgs: Glücklich strahlt Zechner mit Künstlern in die Kamera. Persönlich sind bloß die Schreibtischfotos ihrer Kinder.

„Mein Arbeitsplatz ist das Handy“, sagt sie und kramt das Gerät mit aufklappbarer Tastatur aus ihrer Tasche. „Ich pendle ständig zwischen unseren zwei Wiener Theatern und dem Büro in der Lehárgasse. Außerdem muss ich oft nach London, New York und Tokio, um den Musicalmarkt im Auge zu behalten.“ So glamourös ist ihr Job dann doch.

„Das Handy könnte die Ursache für die Schmerzen in Ihrem Arm sein“, wirft die Betriebsärztin ein, die neben Zechner steht. „Das Tippen mit den Daumen“, setzt sie erklärend nach.

„Jessas ja!“, ruft Zechner aus, die schlagartig in den Wiener Dialekt kippt, sobald das Gesprächsthema inoffiziell wird. „Und i hob mi scho gfrogt, woher i des hob.“ Sie lacht erstaunt.

Das Umrunden des Globus hat sich gelohnt. Im vierten Jahr von Zechners Intendanz haben die Vereinigten Bühnen die Trendwende geschafft. Die Musical-Produktion „Romeo und Julia“, 2005 aus Paris importiert, war mit 93 Prozent Auslastung so gut wie ausverkauft, „Elisabeth“ tourte gewinnbringend durch Japan, und „Rebecca“ (2006) wurde vom Fachblatt „Musicals“ mit Preisen regelrecht überschüttet. „Eine traumhafte Show“, lobte das US-Branchenblatt „Variety“.

Selbst unbeugsame Puristen, die über die Gattung Musical für gewöhnlich verächtlich die Nase rümpfen, horchten interessiert auf, als im August 2006 „Die Weberischen“ über die Bühne gingen. Zechner servierte die Vita des Tonsetzers Wolfgang Amadé Mozart als bitterböse Familiensatire und erweckte so eine alte Gattung zu neuem Leben: die musikalische Posse in der Tradition von Johann Nestroy und Ferdinand Raimund.

„Es gibt Skeptiker, die das Musical für künstlerisch wenig wertvoll halten. Mit Produktionen wie den ‚Weberischen‘ will ich ihnen zeigen, dass das Genre auch andere, satirische Seiten hat“, erklärt Zechner, die das Erfolgsrezept nun mit „Die Habsburgischen“ variiert.

„Habsburgische“. Die angemietete Probenbühne, auf der die 700 Jahre Herrschergeschichte einstudiert werden, liegt am Stadtrand und somit, wie Zechner selber eingesteht, am Arsch der Welt. „Wos is, Deppata“, grummelt sie ironisch einem Mistwagenfahrer hinterher, weil dieser ihrem dunkelblauen Auto die Fahrt versperrt. Die gebürtige Steirerin liebt den bodenständigen Spruch – als müsse sie extra betonen, dass sie nicht bloß erfolgreich, sondern ebenfalls lebensfroh sei.

Wie gut kennt sie sich eigentlich bei den Habsburgern aus?

„Ich lerne täglich. Aber als Autorin Michaela Ronzoni damit begonnen hat, mir den Stammbaum aufzuzeichnen, habe ich gemeint, das müsse jetzt auch wieder nicht sein.“

Aber wird das Publikum dem Stoff folgen können?

„Keine Sorge. Wir erzählen die Geschichte der Habsburger anhand von Familienevents wie Hochzeiten, einem Picknick im Grünen oder Totenfeiern. Das birgt genügend Identifikationspotenzial.“

Nachdem sie ihr Auto vor dem großen Backsteinbau geparkt hat, schleicht sich Zechner in die laufende Probe hinein. Am Rand der Spielfläche stehen und liegen Wasserflaschen aus Plastik herum, an den Wänden hängen Schnittmuster der Kostüme, auch das kalte Neonlicht sorgt dafür, dass das Arbeitsklima sachlich bleibt. „Nein, nein, nein, die Pointe muss schneller kommen“, weist Regisseur Stefan Huber einen Schauspieler an. Unterhaltung ist Millimeterarbeit.

Laufende Proben besucht Zechner nicht oft. „Ständig zuschauen könnte ich nicht, dafür bin ich zu unruhig“, meint sie und zieht ein blaues Schulheft hervor. In gestochen scharfer Schrift hat sie jede Szene der „Habsburgischen“ penibel analysiert. „Das Publikum muss mitbekommen, dass es um eine Machtintrige geht“, sagt sie über die laufende Szene und schaut dem Regisseur dabei auf die Finger, ob er ihre Zielvorgabe auch erreicht.

Unerwartet springt sie auf. Die Herren und Damen Assistenten in dem provisorisch eingerichteten Büro sind zu laut. Verärgert klopft die Intendantin mit dem Fingernagel an die Glasscheiben des Kämmerleins. Bitte etwas mehr Disziplin.

Massiver greift Zechner vor Probenbeginn ein. Die Autorin der „Habsburgischen“ wies sie an, die Story auf keinen Fall chronologisch zu erzählen, bei „Romeo und Julia“ tauschte sie das komplette Bühnenbild aus. „Zechner nimmt ihre Rolle als Produzentin besonders stark wahr“, erklärt Autorin Ronzoni und will dies durchwegs positiv verstanden wissen. „Sie hat ein sicheres Gespür für Dramaturgie, geht mit Künstlern und deren Arbeit extrem fürsorglich um.“

Woran Zechner wenige Minuten später keinen Zweifel aufkommen lässt. Als Regisseur Stefan Huber die Schauspieler in die Mittagspause schickt, stürmt sie auf ihn zu. Schon während der Probe streckte sie ihre zwei Daumen grinsend nach oben. Nun fällt sie dem schmächtigen Mann vor Begeisterung um den Hals.

Zechner ist der vermutlich einzige Mensch im Showbusiness, der frei von Zynismus ist. Ob Regisseure, Korrepetitoren, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Autoren, Bühnenbildner, Dramaturgen, Dirigenten, Assistenten oder Komponisten: Alle werden mit Wangenküsschen, Umarmungen oder sonstigen Herzlichkeiten bedacht. Vera Russwurm, deren Talkshow Zechner im ORF auf Sendung brachte, läuft bei ihr immer noch unter einem Kosenamen. Generell mündet Lob von Zechner in den Satz: „Du bist ein Schatz.“

Karriere. Kathrin Zechner wurde 1963 in Graz geboren: Sie war das beste Mädchen. Selbst heute noch führt sie in ihrem Lebenslauf an, die Matura mit Auszeichnung bestanden zu haben. Es folgten ein Doppelstudium (Jura, Theater- und Politikwissenschaften), ein Praktikum beim ORF und eine atemberaubend steile Karriere. Als Gerhard Zeiler sie 1994 zur Programmchefin und damit zu einer der einflussreichsten Personen Österreichs machte, war Zechner 32 Jahre alt.

Die junge Intendantin, am Küniglberg auch Infantin genannt, führte den alten Staatsfunk ins moderne Medienzeitalter und durchflutete das Programmschema mit Boulevard. Plötzlich durften betrogene Hausfrauen bei „Vera“ ihr Herz ausschütten, die ORF-Gebührenzahler bei „Taxi Orange“ einer Gruppe öffentlichkeitsgeiler Twens beim Streiten zuschauen, auch die Serien „Julia“ und „MA 2412“ gingen auf das Konto Zechners.

„Sie führte ihre Abteilung wie La Mamma Incorporated mäßig“, erinnert sich Dodo Roscic, als Moderatorin ebenso wie Barbara Stöckl eine Entdeckung Zechners. Nach der erfolgreichen ersten Staffel von „Taxi Orange“ drückte Zechner ihrer Belegschaft einen Golddukaten in die Hand („Weil du ein Goldschatz bist“) und führte ihre Mitarbeiter kollektiv zum Essen aus. Als „Taxi“-Moderatorin hatte Roscic einen Sonderwunsch frei – und erhielt die gewünschte Playstation auch.

Gearbeitet wurde rund um die Uhr. Nachdem Zechner im Jahr 2000 ihren Sohn Stanislaus zur Welt gebracht hatte und vier Monate später schon wieder an ihrem Schreibtisch saß, musste zwar selbst Intendant Gerhard Weis zur Kenntnis nehmen, dass seine Programmchefin ab 16 Uhr keine Termine mehr absolvierte. Doch kaum war der Sohn am Abend im Bett, gingen Mails von zu Hause bis drei Uhr Früh an die Mitarbeiter hinaus.

Schneller, höher, weiter: Fehler ihres Teams akzeptierte Zechner nicht. War „Madame 100.000 Volt“ („Kurier“) mit einer Sendung unzufrieden, zog sie sich die Schuhe aus, bezog im Schneidersitz auf ihrem Bürostuhl Platz und las von dort oben selbst hochrangigen Mitarbeitern tobend die Leviten.

Was ihr die männliche Nomenklatura nicht verzieh: „dass sie kein 60-jähriger Mann war und sich auch nicht so benahm“, wie ihr einstiger Chef Gerhard Zeiler heute formuliert. Weil sie sich selbst ebenso sehr wie ihren Erfolg feierte, in der Onyx-Bar die Korken knallen ließ und extravaganten Kleidern gerne den Vorzug gab, musste sich Zechner vorwerfen lassen, sich nicht standesgemäß zu benehmen.

Was der politisch rechten Reichshälfte an Zechner nicht gefiel: dass sie Alfons Haider nach dessen Coming-out als Moderator zurück in den ORF holte, mit „Mama“ Robert ein Schwuler im „Taxi“ Platz genommen hatte, ihr die Fremdenfeindlichkeit der FPÖ zuwider war und sie 1995 das politisch linke „Fest der Freiheit“ vom Heldenplatz live übertragen ließ.

Als Generaldirektorin Monika Lindner im Februar 2002 ihr Amt antrat, verlor Zechner ihren Job. „Wäre sie bereit gewesen, sich mit dem damaligen FPÖ-Klubchef Peter Westenthaler zu treffen, hätte sie bleiben können“, erzählt ein einstiger Mitarbeiter. „Doch dazu war sie entschieden nicht bereit.“

Seither zerfällt Zechners Leben in zwei Hälften: die Zeit vor dem Februar 2002 und die Zeit seither. Zwar stürmt sie längst wieder von einem Erfolg zum nächsten. Doch die wilden Tage sind vorbei.

Theater. „Ich hätte im Fernsehgeschäft bleiben können“, sagt Zechner, die von gleich zwei deutschen Produktionsfirmen, später auch vom neuen ORF-Chef Alexander Wrabetz und RTL-Boss Zeiler verlockende Angebote bekam. „Es wird bei RTL immer einen Job für sie geben. Sie hat ein stehendes Angebot“, macht Zeiler aus seiner Begeisterung kein Hehl.

Aber zurzeit will Zechner nicht.

An einer Hand voll nervös wartender Musical-Darsteller vorbei eilt sie in den Zuschauerraum des Raimund Theaters: Gestern haben die Auditions zu „The Producers“ begonnen. Am provisorisch aufgebauten Regiepult inmitten der Publikumsreihen sitzt die allmächtige

Casting-Jury. Deren Chef bittet einen Bewerber nach dem anderen auf die Bühne.

„Was möchtest du für uns singen?“, fragt Mike Pinkerton jedes einzelne Mal betont höflich.

Über 1500 Sänger und Tänzer haben sich für „The Producers“ beworben, rund 650 wurden zu den Auditions eingeladen. Die rabenschwarze Komödie über zwei Broadway-Produzenten, die ein Musical über Hitler inszenieren wollen, heimste zwölf Tony Awards ein – so viele wie kein anderes Musical.

„Ich möchte ‚I’m Free‘ aus ‚Tommy‘ singen“, sagt ein Junge und setzt die Nummer in den Sand.

Das Mädchen nach ihm gibt die sexy Biene. „Sehr gut“, kommentiert Pinkerton. „Wir würden dich gerne tanzen sehen.“

Eine Farce über Hitler und die SS? „Natürlich ist es polarisierend, dieses Stück in einem Land wie Österreich zu zeigen, das Teil des Dritten Reiches war“, sagt Zechner. „Aber ich will die Diskussion. Mich fasziniert an Populärkultur, dass wir wichtige und kontroversielle Themen für ein breit gefächertes Publikum unterhaltsam aufbereiten können.“

Verstohlen nickt der Casting-Chef Zechner quer über die Reihen zu. Gleich komme jener Kandidat an die Reihe, der sie besonders interessiere. „Ich hab ihn in einer Bar singen gehört. Er könnte wer für die Hauptrolle sein.“

Der Schauspieler betritt die Bühne. „Ich gesteh lieber gleich, ich bin total müde, weil ich das ganze Wochenende Theater gespielt und bloß eine Stunde geschlafen habe.“
Er singt, und er singt schwach.
„Wir würden dich am Nachmittag gern tanzen sehen“, bleibt Pinkerton gelassen.
„Tut mir wahnsinnig leid, aber da sitz ich schon im Flieger nach Griechenland.“
Manche Schwierigkeiten setzen auch Zechner schachmatt.

Von Peter Schneeberger