Wilhelm Molterer: Das Prinzip Hoffnung

Porträt: Prinzip Hoffnung

Wird er die ÖVP liberaler und offener führen?

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Man werde sich noch wundern, sagte Wilhelm Molterer. Der neue ÖVP-Obmann sei eine vielschichtige, schillernde Persönlichkeit. Ihm sei allerhand zuzutrauen.

Das Gespräch fand im Frühjahr 1995 im Ministerium am Wiener Stubenring statt. Molterer führte damals das Landwirtschaftsressort, und Wolfgang Schüssel war vom Parteivorstand eben erst zum neuen Obmann designiert worden.

Man werde sich noch wundern, sagt Ernst Strasser, Ex-Innenminister, der vor zwei Jahren im Konflikt mit Wolfgang Schüssel aus der Politik ausgestiegen ist und noch nicht wieder hineingefunden hat. „Der Willi wird stark unterschätzt. Er wird der nächste Bundeskanzler sein.“

Es ist ein langweiliges Ritual, den neuen König als den jeweils besten zu preisen, ohne den alten zu beleidigen. Doch die Wahl Molterers zum neuen Vorsitzenden der ÖVP, die am 21. April im Rahmen eines Parteitags am Salzburger Flughafen im Amadeus-Terminal vonstatten gehen soll, bringt die vielfältigsten Hoffnungen hervor: In die Parteiorganisation werde unter seiner Führung wieder Leben einziehen, es werde wieder offen diskutiert werden und nicht einfach dekretiert. Die konservative Programmatik werde an die gesellschaftliche Wirklichkeit angepasst, man müsse „nicht mehr so heilig“ tun, glaubt ein Funktionär vom weiten Land, Kritiker würden nicht mehr unerbittlich verfolgt und ausgegrenzt, meint ein Parlamentarier. Molterer sei doch einmal ein liebenswürdiger Kerl gewesen. Einige sprechen sogar von seinem Talent, andere zum Lachen zu bringen. Man wünscht sich, er wäre wieder der Alte.

Langjährige Freunde jubeln. Der oberösterreichische Agrarlandesrat Josef Stockinger ist überzeugt, dass nun alles besser werde: „Der Willi ist kein Schmähführer, er weiß, was er tut, er ist kompetent, und man kann ihm blind vertrauen.“

Ex-Landwirtschaftsminister Josef Riegler: „Molterer ist ein durch und durch politischer Mensch, von Gestaltung durchdrungen und immer schon sehr sensibel gewesen für gesellschaftliche Entwicklungen.“

Solche Preisreden erzählen freilich mehr über Molterers Vorgänger als über Molterer selbst.

In den vergangenen Jahren hat Molterer seinen Ruf als liberaler Konservativer mit strengen moralischen Grundsätzen die politische Kultur betreffend gründlich verspielt. „Er hat eben für Schüssel die Drecksarbeit machen müssen“, verteidigt ihn ein Freund aus Jugendtagen.

„Ab dem Zeitpunkt, wo er aus Pflichtbewusstsein Klubobmann wurde, war mit ihm nicht mehr zu reden. Da war er nur noch Schüssels Vollstrecker“, klagt ein anderer. Das war 2003, bei der Neuauflage von Schwarz-Blau.

Andererseits wird erzählt: Molterer habe es als Einziger im innersten Kreis gewagt, dem Kanzler unverblümt die Meinung zu sagen. Er könne das bezeugen, für die Zeit, als er selbst noch dazugehört habe, sagt Ernst Strasser.

Nüchterne Lebenswelten. Nach außen hin hätte sich Molterer freilich eher die Zunge abgebissen, als das Wort gegen Schüssel zu erheben.

Molterer hat früh gelernt, sich in das Notwendige zu fügen. Aufgewachsen ist er als Wilhelm Kletzmayr auf einem Bauernhof in der Nähe von Steyr. Sein älterer Bruder, der spätere Landwirtschaftskammerpräsident von Oberösterreich, war dazu bestimmt, den elterlichen Hof zu übernehmen. Willi war der Zweitälteste. Die Schwester seiner Mutter hatte ebenfalls einen Bauern geheiratet, und die Ehe war kinderlos geblieben. Im Alter von zehn Jahren wurde das Kind zum zukünftigen Erben dieses Hofes bestimmt und in die neue Familie verpflanzt. Auch wenn er Brüder und Eltern weiterhin sah, es war ein harter Einschnitt. Mit vierzehn Jahren wurde er in der Schule plötzlich mit einem neuen Familiennamen aufgerufen. Er war adoptiert worden und hieß fortan: Molterer. Sein späterer Förderer, Ex-Vizekanzler Josef Riegler, sagt: „Die bäuerliche Lebenswelt ist eine nüchterne, sentimental betrachtet eine brutale.“ In dieser Welt lerne man, „verlässlich zu sein und zur Verfügung zu stehen“. Molterers Loyalität zur Partei und zu Wolfgang Schüssel sei „immer größer gewesen als die Sorge um seine eigene Befindlichkeit“, das sei für einen, der aus diesem Milieu komme, ganz selbstverständlich, meint Riegler.

Molterer kam in eine landwirtschaftliche Mittelschule. Mit 18 Jahren war er Sieger bei der oberösterreichischen Leistungspflügermeisterschaft. Über eine Länge von 100 Metern hatte er mit seinem Pflug die besten Furchen in der richtigen Tiefe gezogen.

In Linz lebte er in einem Studentenheim der Katholischen Hochschulgemeinde, und in einem gewissen Sinn lebte er auf. Er studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und engagierte sich bei der ÖVP-nahen Studentenorganisation ÖSU. Er wurde Linzer ÖH-Vorsitzender.

Öfter als mit den Jusos – sein jüngerer Bruder war in den achtziger Jahren Chef der Sozialistischen Studenten in Wien – stritt sich Molterer mit den Konservativen aus den eigenen Reihen. Im Spektrum der ÖVP-Studenten waren Molterer in Linz und Ernst Strasser in Salzburg als links verschrien. Sie propagierten die Gesamtschule und waren für die Abschaffung des Bundesheeres.

Molterer war nicht der Rädelsführer, aber wenn es darauf ankam, lieferte er sich in den Hörsälen mit Michael Ikrath von der monarchistischen JES wilde Wortgefechte. Ikrath, inzwischen Bankmanager und ÖVP-Abgeordneter, der heute zum liberalen Flügel der ÖVP gehört, erinnert sich an einen „ernst zu nehmenden Gegner, gegen dessen Argumente man sich wappnen musste und mit dem man hinterher bei einem Bier dennoch herzlich lachen konnte“. Ikrath meint, das wäre „auch heute noch möglich, wenn Molterer loslassen könnte“.

Pflichtbewusstsein. Im Nachhinein betrachtet, hat die Politik Molterer vor dem Schicksal bewahrt, Bauer zu werden. Seinen Hof hat er mittlerweile verpachtet, mit seiner Frau und den beiden Söhnen lebt er schon lang in Wien.

Sein Weg in die Politik führte ihn in mehreren Etappen aus den Büros von Josef Riegler und Franz Fischler über den Bauernbund und das ÖVP-Generalsekretariat zum Amt des Landwirtschaftsministers. Schüssel zog ihn zu allen heiklen Angelegenheiten (Budget, Pensionen, ORF) bei. Aber sein Naturell schien nicht unbedingt für Konflikte gemacht.

Molterer war auch in Zeiten, in denen Schüssel begann, sich einzubunkern, einsame Entscheidungen zu treffen und Journalisten als Abgesandte des Bösen zu betrachten, das freundliche Gesicht der ÖVP. Als er im Jänner 2000 abkommandiert wurde, um mit den Freiheitlichen in Regierungsverhandlungen zu treten, konnte er seine Reserviertheit kaum verbergen. Aber er tat brav seinen Job. Viele Freunde glaubten damals, mit Molterer sei eine schwarz-blaue Koalition nicht möglich. Doch seine Wahrheit sah anders aus. Es sei im Februar 2000 darum gegangen, die Republik zu retten und den Reformstau aufzulösen, warb er in Hintergrundgesprächen.

Molterer, so kann man vermuten, litt am meisten unter den Protesten gegen Schwarz-Blau. Er nahm sie persönlich. Er war gekränkt. Er wollte doch nur das Beste.

Damals trat sein Hang zur Mission, zur Selbstbegeisterung zutage, eine Eigenschaft, die ihn mit Schüssel verbindet. Bei aller Kaltschnäuzigkeit brauchte auch Schüssel immer eine moralische Argumentation.

Molterer wehrte sich in den vergangenen Jahren einmal recht heftig gegen die Zumutungen des freiheitlichen Regierungspartners. Er warf dem FPÖ-Volksanwalt Ewald Stadler in einem „Kurier“-Interview „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ vor, als dieser bei einer Sonnwendfeier von der „angeblichen Befreiung im Jahr 1945“ sprach.

Jetzt könne er sich endlich freispielen, hoffen Molterers Anhänger. „Doch einer, der vor Pflichtbewusstsein strotzt und sich nie frei gefühlt hat, der gönnt anderen möglicherweise die Freiheit nicht“, warnt ein Skeptiker vor zu hohen Erwartungen.

Dass Molterer sich in den vergangenen Jahren gegen sein Innerstes verbogen hat, ist allerdings auch nur eine Vermutung, die aus der Hoffnung erwächst, nun werde alles anders.

Von Christa Zöchling