Porträt: Wilhelm, der Zweite, Volkspartei

Porträt: Wilhelm, der Zweite

Die unheimliche Allmacht von Klubobmann Molterer

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Als am Freitag vergangener Woche das große Küssen und Herzen auf der Bühne im Linzer Lentos-Museum begann, rückte Wilhelm Molterer für einen kurzen Moment in den Mittelpunkt. Wolfgang Schüssel packte seinen Klubobmann und drückte ihn fest an die Brust. Doch die nächstbeste Gelegenheit – der Kanzler wandte sich dem nächsten Parteifreund zu – nützte Molterer und schlängelte sich wieder an den Rand der Gruppe, von wo aus er das große Finale des Neujahrstreffens der ÖVP beobachtete.

Die Rampe und ihr Licht sind nicht die Sache des Wilhelm Molterer. Die prominenten Plätze vor der Bühne überließ er in Linz großzügig den schwarzen Regierungsmitgliedern. Dezent hielt er sich auch zurück, als die TV-Kameras den Parteiobmann bei dessen Ankunft umringten.

Doch als Molterer im Lentos-Museum auf seine Parteifreunde und Abgeordneten trifft, werden Schultern geklopft, Hände geschüttelt, Neujahrswünsche gewechselt. Kein ÖVPler will sich die Gelegenheit entgehen lassen, mit dem „Willi“ ein paar Worte zu wechseln.

Wer auf einer ausgeleuchteten Bühne wie eine Randfigur wirkt, ist nicht automatisch Komparse, sondern kann auch der Regisseur sein. Für den Bundeskanzler und seine Minister bedeutet die EU-Präsidentschaft mehr Arbeit, für Wilhelm Molterer auch mehr Macht. Wolfgang Schüssel ist mit dem EU-Vorsitz ausgelastet, in Wien hält ihm sein Adjutant Molterer den Rücken frei und den Koalitionspartner unter Kontrolle.
Wilhelm Molterer ist mächtig wie nie zuvor.

Der Parteimanager. Niemand in der ÖVP nennt den Bundeskanzler „Wolfi“. Wer mit ihm per Du ist, sagt „Wolfgang“. Molterer dagegen ist everybody’s „Willi“. So nennen sie ihn auch daheim in Sierning, an den Stammtischen im Forsthof oder im Gasthaus Mayr-Ott. Formal ist Molterer einer von drei Stellvertretern des Bundesparteiobmanns.
Tatsächlich ist er der operative Parteichef.

Molterer kennt die ÖVP und die feinen Mechanismen des Machtausgleichs zwischen Bauern-, Angestellten- und Wirtschaftsbund genau. Und er kennt die Niederlage. 1994 hatte er als Generalsekretär die Wahlschlappe mitzuverantworten.

In der ÖVP erzählt man sich gern, Molterer hätte bei seinen verschiedenen Jobwechseln keinen so ganz aufgegeben. Die Volkspartei wird heute nicht vom Hauptquartier in der Lichtenfelsgasse, sondern von einem Büro im Parterre des Parlaments am Ring aus gelenkt. Generalsekretär Reinhold Lopatka organisiert zwar die Partei und hält Kontakt zur Basis. Doch für die großen Fragen ist der Klubobmann zuständig.

Bei den wöchentlichen Ministerratsvorbesprechungen der ÖVP-Führungscrew führte früher Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat den Vorsitz, wenn der Parteichef verhindert war. Seit drei Jahren wird Schüssel von Molterer und nicht mehr vom Generalsekretär vertreten. Lopatka akzeptiert die Autorität Molterers, die Zusammenarbeit funktioniert. Nach der jüngsten Niederlage bei der ORF-Publikumswahl war Molterer seinem Generalsekretär allerdings ernsthaft gram.

Selbst die Pflege des Parteinachwuchses ist Sache des Klubobmanns. In einem regelmäßig tagenden Zirkel von ÖVP-nahen Jungakademikern hält Molterer gern politische Vorlesungen. Seine früheren Kabinettsmitarbeiter sitzen an wichtigen Schaltstellen im Land, von der Industriellenvereinigung bis zu staatsnahen Unternehmen. Und sogar seinen Nachfolger als Landwirtschaftsminister hat Molterer selbst ausgebildet: Josef Pröll.

Der Klubmanager. Der Glaube an die notwendige Geschlossenheit seines Parlamentsklubs kommt bei Molterer gleich nach der Heiligen Dreifaltigkeit. Meinungsvielfalt wird großzügig akzeptiert, solange sie nicht öffentlich stattfindet. Dennoch wird er von seinen Abgeordneten geschätzt. Er legt sein Amt weniger autoritär an als sein Vorgänger Andreas Khol. Der heutige Nationalratspräsident übernahm persönlich das Abzählen seiner Abgeordneten und wusch ihnen den Kopf, wenn sie nicht rechtzeitig zur Abstimmung im Plenum waren. Molterer lässt diskret SMS verschicken, um seine Leute in den Sitzungssaal zu lotsen. Dem intellektuell-professoralen Stil Khols setzt Molterer bodennahen Pragmatismus entgegen: Bauernregeln statt Zitate aus der Geistesgeschichte der Menschheit.

Molterer wollte nie Klubobmann werden. Doch wegen der knappen Koalitionsmehrheit im Nationalrat brauchte Schüssel seinen besten Mann für den heiklen Job. Attacken auf den politischen Gegner gehören zur Job-Description – vor allem wenn der ORF live aus dem Plenarsaal überträgt. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer wird dann zum „Genossen Zickzack“, die Grünen zu „linken Fundis“. Die Folge: Molterers Sympathiewerte waren als Minister höher. „Früher war Molterer ein besonnener Sachpolitiker, heute ist er ein aggressiver Konfliktpolitiker und Rechtfertigungsakrobat“, sagt Molterers SPÖ-Counterpart Josef Cap. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen seinerseits fühlt sich mitunter geschulmeistert: „Manchmal versucht uns Molterer etwas bischöflich und oberlehrerhaft mitzuteilen, was für eine Oppositionspartei zulässig ist und was nicht.“ Aufgrund seiner Predigten verpassten die Grünen Molterer bei den Koalitionsverhandlungen vor drei Jahren den Spitznamen „Pater Willi“.

Der Koalitionsmanager. Im November 1999 – die Wahlen waren geschlagen, Sondierungsgespräche am Laufen – ließ Molterer eine gewisse Reserviertheit gegenüber der FPÖ erkennen: „Meiner Einschätzung nach ist Politik etwas, das man lernen muss, da kann nicht einer hereinstolpern und sagen: Jetzt bin ich da.“ Wenige Wochen später waren die Freiheitlichen da – und Molterer schwieg. Zuvor soll ihn Bundespräsident Thomas Klestil eindringlich gebeten haben, Schüssel von dessen Wendeplänen abzubringen. Der einstige Großkoalitionär Molterer gehört zu jenen Schwarzen, die sich für Schwarz-Blau am meisten verbiegen mussten – und vielleicht gerade deswegen die ÖVP-FPÖ-Koalition am heftigsten verteidigten.

Gemeinsam mit seinem orangen Kollegen Herbert Scheibner ist Molterer für die Koordination der Koalitionsarbeit verantwortlich. Was einmal mit ihm ausgemacht ist, erzählen BZÖ-Vertreter, das halte auch. Doch zuvor versuche er nach allen Regeln der Kunst, seinen Koalitionspartner abzuräumen. Im zwischenparteilichen Management dient Molterer als Schüssels Ausputzer. Der Kärntner ÖVP-Klubchef Raimund Grilc plauderte im Oktober vergangenen Jahres in aller Offenheit über ÖVP-interne Disziplinierungsmaßnahmen: „Immer wieder kommen beispielsweise von Wilhelm Molterer höfliche Aufforderungen an uns, Jörg Haider nicht allzu sehr zu traktieren, um ihn auf Bundesebene gnädig zu stimmen.“

Der Medienmanager. Am Donnerstag vergangener Woche beschwerte sich Molterer in der Sitzung des Ministerrats bei seinen Kollegen heftig über einen kritischen Radiobeitrag. Ärgert sich der Klubobmann über Medien oder will er die Berichterstattung in seinem Sinne optimieren, greift er in die Innentasche seines Sakkos und zieht eine kleine Liste hervor. Auf ein paar gehefteten Seiten im Kleinstformat hat er die Telefonnummern der wichtigsten Politikjournalisten des Landes notiert – angefangen von ORF-Chefredakteur Werner Mück über die übrigen leitenden Redakteure des ORF bis zu den Chefs der Politikressorts der heimischen Tageszeitungen. „Es ist nicht die Aufgabe eines Politikers, den Journalisten das Leben zu erleichtern“, sagt er. In der Praxis macht Molterer den Berichterstattern, vor allem jenen im ORF, das Leben mit Interventionen, Kritik und ebenso gut gemeinten wie energisch vorgetragenen Anregungen eher schwerer. Der ORF werde zunehmend zu einer „schwarzen Teilorganisation“, weil Molterer „ständig“ interveniere, ärgerte sich der Grüne Van der Bellen im Februar 2004.

Schüssels Machtmanager. Der erste und der zweite Mann in der ÖVP verstehen einander blind – zwei Berufspolitiker, die nach typischen Karrieren in den Sekretariaten von Bünden und Interessenvertretungen die Spitze erreicht haben.

Ein aus Sicht seines Chefs idealer zweiter Mann wie Molterer zeichnet sich dadurch aus, dass er fachlich fast genauso gut ist wie die Nummer eins, ohne dem Boss gefährlich zu werden: Loyalität schlägt Ehrgeiz. Wie Schüssel ist auch Molterer in beinahe allen Politikbereichen firm und kommt auch – wie bei der jüngsten Post-Privatisierung – dementsprechend oft zum Einsatz (siehe Seite 40). Daneben gilt er als Personalchef der Republik. Jobs in schwarzen Einflusssphären werden nicht ohne das Placet des Klubobmanns vergeben. Auf Kritik reagiert der sachpolitische Kopfmensch mitunter empfindlich.

Zur Nummer eins fehlt ihm die spielerische Leichtigkeit. Bei öffentlichen Auftritten kann er schnell verkrampft wirken, sobald das Publikum nicht nur aus ÖVP-Funktionären besteht. Spricht er bei der Klubklausur in St. Wolfgang unter journalistischer Beobachtung zu seinen Abgeordneten, wechselt er zwischen den Sätzen von der oberösterreichischen Mundart ins Hochdeutsche, wobei die Schriftsprache weniger aufgesetzt wirkt als der Dialekt. Auch bei hochsommerlichen Temperaturen beim Heurigen legt Molterer selten das Sakko ganz ab, sondern fährt bloß aus den Ärmeln und lässt es um die Schultern hängen. Die dadurch eingeschänkte Bewegungsfreiheit scheint ihn nicht zu stören.

Wie für jeden Stellvertreter wird auch für Molterer der Schicksalstag kommen, an dem sein Chef abdankt und er vor der Entscheidung steht, ob er selbst in die erste Reihe vorrücken soll. Verliert die ÖVP die Nationalratswahl im Herbst, könnte Molterer Vizekanzler in einer großen Koalition werden und Schüssel auch als Parteichef beerben. Allerdings beschädigt eine Niederlage Schüssels auch Molterer. Dessen Schicksal ist eng mit jenem des Bundesparteiobmanns verknüpft. Geht Schüssel, könnte die ÖVP nicht nur ihre Nummer eins, sondern auch die Nummer zwei verlieren.

Im Mai vergangenen Jahres feierte die Volkspartei den 50. Geburtstag ihres Klubobmanns im Schönbrunner Palmenhaus. Der zehn Jahre ältere Kanzler sang eine Ode an seinen Freund: „Du bist der beste Klubobmann, den man sich wünschen kann. Und du kannst eigentlich alles werden, Parteichef und Kanzler.“

Fürs Erste will Schüssel wohl selbst Regierungs- und Parteichef bleiben – mit Molterers Hilfe.

Von Gernot Bauer und Ulla Schmid