ÖIAG: Anlauf zum nächsten Bauchfleck

Post-Privatisierung: „Anlauf zum nächsten Bauchfleck“

Alfred Heinzel plant einen Börsengang der Post

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Der Kanzler hat eine Losung ausgegeben: Er wünsche Ruhe im ÖIAG-Theater. Ruhe zum Feiern des Jubiläumsjahres 2005, dessen historische Getragenheit nicht durch öffentliche Kleinfehden der betriebswirtschaftlichen Art unterbrochen werden soll. Wolfgang Schüssel weiß, warum er die Imponderabilie ÖIAG fürchtet. Dass in deren Organen keine Meister der subtileren gruppendynamischen Künste sitzen, hat sich inzwischen zu ihm durchgesprochen.

Dessen ungeachtet geht es wieder los. Diesmal ist es die Post, deren Management, Betriebsrat und Belegschaft seit der Vorwoche nicht wissen, wie ihnen geschieht: Nachdem erst vor wenigen Monaten der Teilverkauf an die Deutsche Post abgeblasen worden war, hatten Privatisierungspolitiker und ÖIAG mit großer Bestimmtheit erklärt, dieses Unternehmen solle bis 2007 in seiner gegenwärtigen Aufstellung und Eigentümerschaft in Ruhe arbeiten, sich zwei Jahre lang ungestört schlank und wettbewerbsfit machen.

Nur ganz im Stillen werkten – sowohl im Finanzministerium als auch in ÖIAG und Post – ein paar Experten im Auftrag ihrer jeweiligen Chefs weiter an möglichen Privatisierungsvarianten. Seit einigen Wochen an der Frage, wie sich denn die gute alte Post als börsenotierte Company ausnehmen würde. Es wurde gemunkelt, vor allem Post-Vorstand Herbert Götz sähe einen Börsengang als die beste Lösung, und auch Finanzminister Karl-Heinz Grasser könne der Idee viel abgewinnen.

Aber falls es tatsächlich zu einem solchen käme, meinte man bisher, dann sicher erst 2007 oder danach. Zumindest eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit seien angemessen.

Umso verblüffter reagierten Politik, Manager und Betriebsräte vergangenen Montag, als sie der „Presse“ ansichtig wurden. Deren Schlagzeile auf Seite eins lautete: „ÖIAG will Post über die Börse privatisieren“. Zwischen 25 und 49 Prozent der Gesellschaft sollten an Privataktionäre verkauft werden, legte ÖIAG-Aufsichtsratschef Alfred Heinzel in einem ausführlichen Interview dar. Heinzel präzisierte auch seinen Wunschzeitpunkt: Mai 2006. Also sehr bald. Seither wogt die öffentliche Debatte.

Heinzels Parforceritt entbehrt nicht der Pikanterie. Der ÖIAG-Oberboss hatte allen Gremienmitgliedern von Beginn an eingebläut: Ab nun gelten die Grundsätze der Privatwirtschaft. Kein privater Unternehmer begackere in der Öffentlichkeit Eier, die noch nicht gelegt seien. „Wenn Sie etwas zu veröffentlichen haben, dann tun Sie es dann, wenn die Sache fertig ist“, deklarierte er. „Manchmal hat er diejenigen total zur Schnecke gemacht, die gerade gegen diesen Grundsatz verstoßen haben“, verrät ein Gremienmitglied.

Jetzt gackert Alfred Heinzel zum ersten Mal selbst. Er habe bei seiner überraschenden Ankündigung keineswegs im Sinn gehabt, einen Testballon zu starten, gibt er zu verstehen. Vielmehr hätte er den „Presse“-Redakteur ganz simpel „in Bischofshofen beim Skilaufen getroffen“, sagt er. Zufällig, offenbar. „Der Redakteur hat Fragen gestellt, und höflich, wie ich bin, habe ich geantwortet. Diese kurze Unterredung hat er offensichtlich als Interview wiedergegeben.“ („Presse“-Redakteure weisen die Unterstellung von sich, sie würden kurze Pisten-Smalltalks in der Zeitung zu langen Frage-Antwort-Interviews verfälschen.)

Perplex. Jedenfalls waren nicht einmal die ÖIAG-Vorstände Peter Michaelis und Rainer Wieltsch über die Ankündigung eines großen Börsengangs vorinformiert. Gerhard Fritz, Betriebsratschef der Post, berichtet, er habe nach Zeitungslektüre sofort mit Michaelis Kontakt aufgenommen. Der habe ihm gesagt: „Herr Fritz, Sie können mir glauben, da ist nichts im Gange bei uns. Wir arbeiten nicht in diese Richtung.“ Wenige Stunden später fand Michaelis einen raschen Börsengang plötzlich ganz toll. Hatte er noch im Juli Riesenverluste der Post für die nächsten Jahre prognostiziert, so schwärmt er seit seinem Montaggespräch mit Heinzel von der Post als „diesem sehr erfolgreichen Unternehmen“ – und auch von einer neuen „Volksaktie“. Was übrigens in Anlegerkreisen gerade jetzt, da von der ÖIAG soeben weitere 17 Prozent der Telekom Austria über die Börse verkauft wurden und österreichische Anleger dabei kaum bis gar nicht zum Zug kamen, als „wirkliche Chuzpe“ bezeichnet wird.

Der Betriebsrat der Post rebelliert. Gerhard Fritz: „Was ist denn aus dem Versprechen geworden, uns in Ruhe arbeiten zu lassen? Wir sind noch nicht so weit!“ Die ÖIAG-Vorstände passen sich der neuen Windrichtung an. Einflussreiche Freunde Heinzels, wie etwa Industriellenpräsident Veit Sorger, ÖIAG-Aufsichtsrat und Chef des Privatisierungsausschusses, halten ihm zwar die Stange, aber mit etwas wackeliger Hand. Sorger hat in der ÖIAG Heinzels Schweigegebot stets mitgetragen. Zur Sache befragt, formuliert er jetzt ein wenig holprig: „Ich halte es nicht für falsch, wenn sich Alfred Heinzel als Aufsichtsratsvorsitzender am Beginn eines Jahres, nachdem die ÖIAG eine wirkliche Erfolgsgeschichte vorzuweisen hat, über dieses Thema Gedanken macht.“ Der von Heinzel propagierte Börsenplan könne laut Sorger „doch motivierend für die Post wirken – fürs Management und für die Mitarbeiter“.

Diese Ansicht will Betriebsratschef Fritz keineswegs teilen. Fritz: „Ein Börsengang, der jetzt eineinhalb Jahre lang diskutiert wird, ist sowieso schon zum Scheitern verurteilt.“

Die gängigste These, warum Heinzel eine solche Ankündigung überhaupt riskiert hat, lautet derzeit: Er habe seinen Job einfach satt. Angesichts seines rasch wachsenden Privatkonzerns habe er Besseres zu tun, als sich beständig mit ÖIAG-Kram herumzuschlagen. Im Sommer 2004 etwa gerieten einander Heinzel und Grasser ernsthaft in die Haare, als der Verkauf der Telekom Austria an die Swisscom platzte. Heinzel dachte damals laut an Rücktritt, später attackierte er Grasser in offener Hauptversammlung. Im September fand der Ärger für Heinzel seine zeitraubende Fortsetzung in dem missglückten Erstanlauf zu einem Siemens-VA-Tech-Deal. Es sei wie im Flohzirkus, soll Heinzel im privaten Kreis häufig stöhnen.

Doch jetzt wird auch die Privatisierung der Post zur – von ihm so verhassten – öffentlichen Politdebatte werden. Er hat sie selbst dazu gemacht. Dabei sehnt er sich angeblich nur mehr danach, die restlichen Privatisierungsaufgaben – soweit sie sich als machbar erweisen – rasch hinter sich zu bringen und dann zu gehen. Der Regierung, die sich im Wahlkampf 2006 des abgeschlossenen Privatisierungsvorhabens rühmen möchte, will er keineswegs in den Rücken fallen.

Aber was, wenn man ihm bedeutet, dass eine Privatisierung der Post politisch gar nicht machbar wäre? Dann könnte er sich früher zurückziehen. Dieser Gedanke lässt bei einzelnen Beobachtern die hintersinnige Frage aufkommen, ob Heinzel einen Börsengang der Post mit seiner Ankündigung nicht vielleicht abschießen wollte.

„Heavy“. Der Privatisierungsplan für die Post liegt jetzt jedenfalls offen auf dem Tisch, und das mit allen Konsequenzen. Die Idee, dieses Unternehmen minderheitlich an die Börse zu bringen, hält im Prinzip fast niemand für schlecht. Die Frage ist eine des Zeitpunkts und somit der Voraussetzungen. Noch kaum ins öffentliche Bewusstsein eingesickert ist: Bevor ein solches Projekt überhaupt angegangen werden kann, braucht es eine Neuformulierung des Postgesetzes. Und das wird, wie auch Befürworter des Börsengangs einräumen, politisch „recht heavy“.

Einen Börsengang fasst ein Unternehmen nur ins Auge, wenn es abzusehen vermag, unter welchen Rahmenbedingungen es sich in den kommenden Jahren am Markt zu bewegen hat, welche Spielregeln am Markt gelten. „Ich kann mir kaum vorstellen“, amüsiert sich ein Finanzmanager, „dass die Post in ein Börsenprospekt hineinschreibt: Wir wissen eigentlich nicht, wie lange wir auf welchem Markt über Exklusivrechte verfügen, und wir haben keine Ahnung, welche grundlegenden Wettbewerbsbedingungen im Jahr 2008 herrschen. Aber bitte, liebe Anleger, steckt euer Geld trotzdem in unsere Aktie.“ Genau das entspräche unter den aktuellen Voraussetzungen aber der Wahrheit.

Das demnach für die Börse unerlässliche Festschreiben der künftigen Rahmenbedingungen würde für die Post eine komplette Revision ihrer mittelfristigen Planung bedeuten. Diese Rahmenbedingungen sind maßgeblich mitentscheidend für Gewinn oder Verlust. Einerseits werden sie durch EU-Richtlinien bestimmt, andererseits von nationalen Regierungen, von denen manche ihren jeweiligen Postmärkten ein rascheres Liberalisierungstempo verordnen, als es die EU vorgibt. Innerhalb der EU ist das Bild höchst uneinheitlich. Es gibt hinhaltend protektionistische Mitgliedsstaaten (Frankreich), und es gibt ultraliberale (Schweden). Österreich liegt derzeit etwa in der Mitte.

Die heimische Post geht in ihrer Planung von bestimmten Annahmen über die Entwicklung der Rahmendaten aus. Sie nimmt etwa an, dass der ihr exklusiv vorbehaltene Markt ab 2006 nur mehr jene Briefe umfasst, die weniger als 50 Gramm wiegen, und dass am gesamten heimischen Briefmarkt ab 2009 völlig freier Wettbewerb herrscht. Sollte es anders kommen – sei es durch die derzeit noch unklare Politik Brüssels, sei es durch ein neues österreichisches Postgesetz –, so müssen die Postler ihre Umsatz- und Ergebnisprognosen dementsprechend modifizieren.

Am gegenwärtigen Aufruhr um die Schließung von Postämtern lasse sich eines erkennen, meint ein Post-Manager: „So wie jeder, der einmal einen Ball geschupft hat, glaubt, er könne im Fußballbund mitreden, meint jeder Käufer einer Briefmarke, er sei als Postkunde zur Mitbestimmung über das Unternehmensschicksal berufen.“ Wolle man also die Postmarkt-Liberalisierung gesetzlich forcieren, so sei hiefür die Vorwahlperiode des Jahres 2006 ein ziemlich ungeeigneter Zeitpunkt.

Ein neues Postgesetz 2006 ist somit unwahrscheinlich. Plausibler wäre ein Verschieben in die nächste Legislaturperiode.

Oder eben ein Vorziehen auf 2005. Mit anderen Worten: eine Novelle – sofort.

Auch wenn Wolfgang Schüssel die Feierstimmung des heurigen Jahres nur ungern durch banale Aufgeregtheiten unterbrochen sähe, scheint sich Vizekanzler Hubert Gorbach – er ist in der Regierung für die Neuformulierung dieses Gesetzes zuständig – für die Variante „sofort“ entschieden zu haben. Offenbar will er nicht derjenige sein, dem man es in die Schuhe schieben kann, wenn ein Börsengang vor der Nationalratswahl mangels Rechtssicherheit scheitert. Gorbach hat nun ein neues Gesetz für 2005 angekündigt.

Kontrovers. In der Frage „Liberalisierung des Postmarkts“ herrscht zwischen den Regierungsparteien, aber auch zwischen den für diese Materie zuständigen Ministern (Gorbach und der Post-Eigentümervertreter Karl-Heinz Grasser) Uneinigkeit: Grasser sähe am Briefmarkt gerne den totalen Wettbewerb, Gorbach balanciert zwischen widerstreitenden Interessen. Schwarz und Blau haben in diesen Fragen generell zwei Seelen in ihrer Brust: Einerseits sind da die ÖVP-Bürgermeister und die verbliebenen FPÖ-Stammwähler im ländlichen Raum, die um nichts in der Welt ihre gute alte Post missen möchten. Sie sträuben sich dagegen, ihre Briefe bald irgendwelchen, womöglich ausländischen Logistikfirmen unaussprechlichen Namens anzuvertrauen. Sie fürchten auch, dass schon in zwei, drei Jahren eine neuerliche Postamt-Schließungswelle durch Österreich rollt: Wo sie mit ihrer Prognose sogar richtig liegen, falls jetzt die große Liberalisierung tatsächlich rasch kommt und falls dabei das Prinzip der Universalversorgung zu österreichweit gleichen Preisen durchlöchert wird.

Andererseits gibt es vor allem in der ÖVP auch viele Liberalisierungs- und Privatisierungsbefürworter. Sie teilen im Wesentlichen die Einstellung Grassers.

„Mir schwant Schlimmes“, beschreibt Böhler-Uddeholm-Chef und ÖIAG-Kritiker Claus Raidl die Situation, die jetzt bei der Post entstanden ist. Von der Heinzel-Ankündigung eines Börsengangs im Turbotempo hält Raidl wenig: „Das ist der Anlauf zum nächsten Bauchfleck.“