Sexualität: Homo erectus

Potenz: Wiener Studie liefert erstmals international standardisierte Daten

Studie: Jeder dritte Mann in Österreich hat Probleme

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Es ist nicht mehr das Tabuthema, das es einmal war. Aber noch immer ein Tabuthema: In den Facharztpraxen der Urologen und Andrologen reden Männer zunächst über alles Mögliche, nur nicht über das, weswegen sie eigentlich gekommen sind. Häufig sind sie schon wieder halb auf dem Weg zur Tür, wenn ihnen scheinbar ganz nebenbei ein Satz wie „da wär noch was“ über die Lippen kommt. Dann weiß der Arzt, was gemeint ist.

Viagra & Co haben den zumeist nicht mehr taufrischen Männern nicht nur eine Hilfe in der sich abzeichnenden Not gebracht, die Verfügbarkeit der Tabletten hat ihnen auch die Zunge gelockert. „Wissen Sie, Herr Doktor, es geht noch ganz gut. Aber es könnte ein bisschen besser gehen“, lautet dann beispielsweise der Einstieg ins Thema. Wer gibt schon unumwunden zu, dass es immer öfter nur halb oder gar nicht klappt und dass Mann jetzt Hilfe braucht? Vom Besuch des Männerarztes erfährt zumeist nicht einmal die Partnerin.

Umso ernüchternder ist der Befund über den wahren Mann, den Wiener Urologen und Epidemiologen vor wenigen Tagen präsentierten: Jeder dritte von 2870 im Raum Wien untersuchten und befragten Männern im Alter zwischen 20 und 80 Jahren entspricht nicht dem Bild des allzeit sexbereiten Kraftlackels. „Es sind Daten, die es nirgendwo sonst auf der Welt gibt“, sagt Studienkoordinator Stephan Madersbacher, Urologe am Wiener Donauspital.

Zwar wurde im Vorjahr im Raum Köln eine Studie zum Thema Erektion mit 20.000 befragten Männern und Frauen durchgeführt. Aber die höhere Qualität der Wiener Daten ergibt sich einfach daraus, dass die Fragen nach Potenzproblemen in eine allgemeine Vorsorgeuntersuchung eingebettet waren. Dadurch lassen sich erstmals genaue Zusammenhänge mit Lebensstil und dadurch bedingten Allgemeinerkrankungen herstellen. Das ist umso bedeutsamer, „weil man weiß, dass Potenzprobleme ein Marker für mögliche Gefäß- und Nervenerkrankungen sind“, so Madersbacher. Sind die Gefäße im Penis nicht mehr intakt, dann sind sie anderswo im Körper auch nicht mehr in Ordnung. Wer Erektionsprobleme hat, trägt, gerechnet auf zehn Jahre, in allen Altersgruppen ein um 30 bis 50 Prozent erhöhtes Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko.

Im Rahmen der gesetzlich verankerten Gesundenuntersuchungen werden in Wien jährlich etwa 10.000 Personen gescreent. Der in den USA ausgebildete Epidemiologe Christian Temml, Leiter des Referats für Gesundheitsvorsorge der Stadt Wien, führt seit 1995 gemeinsam mit Madersbacher und dem am Wiener Donauspital eingerichteten Ludwig Boltzmann Institut für Urologie auch urologisch-andrologische Untersuchungen durch.

Bluthochdruck. Das im Rahmen dieses Programms tätige Forscherteam hat bisher rund 20 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und dafür mehrere Preise eingeheimst, darunter im Jahr 2001 den deutschen Preis für geriatrische Forschung in der Urologie. Auffallend bei diesen Vorsorgescreenings ist, dass nahezu jeder fünfte Untersuchte unter Bluthochdruck leidet, ein Faktor, der die sexuelle Potenz beeinträchtigen kann.

In den Jahren 2001 bis 2003 wurden in den urologisch-andrologischen Fragebogen auch fünf Fragen zu eventuellen Potenzstörungen aufgenommen. Diese entsprechen dem international anerkannten IIEF-Score 5 (International Index of Erectile Function), der eine Skala von fünf bis 25 Punkten vorgibt. Erreicht man weniger als 22 Punkte, dann liegt eine leichtgradige, unter 17 Punkten eine leicht- bis mittelgradige, unter zwölf Punkten eine mittelgradige und unter acht Punkten eine schwere Potenzstörung vor (siehe auch Test auf Seite 109). Eine gelegentlich ausgebliebene Erektion wird dabei nicht gewertet, sie ist ganz normal und kann dem virilsten Mann passieren.
Umso verblüffender ist das Ergebnis der Studie: Bei 32,3 Prozent der untersuchten und befragten Männer zwischen 20 und 80 Jahren zeigte sich einer dieser vier Grade der erektilen Dysfunktion (ED), wie die Potenzstörung im Fachjargon heißt. Hochgerechnet auf die österreichische Gesamtbevölkerung bedeutet das, dass etwa eine Million Männer an irgendeinem Grad der krankhaften Erektionsstörung laboriert, drei Viertel davon (etwa 736.000) zwar nur an einer leichtgradigen, aber immerhin mehr als 260.000 an einer schwerwiegenderen Form der ED.

Der Anteil der betroffenen Männer bleibt in der Altersgruppe zwischen 20 und 50 Jahren auf niedrigem Niveau einigermaßen stabil und steigt erst dann deutlich an. Der Anstieg mit zunehmendem Alter mag weniger überraschen als das Faktum, dass die schwergradige Form der ED schon in der Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen auftritt, wenn auch nur mit 0,4 Prozent.

Die Wiener Studie nennt auch Ursachen und stellt Verbindungen zu anderen Krankheitsbildern sowie dem Lebensstil her: Die wichtigsten Einflussfaktoren, welche die Erektionsfähigkeit herabsetzen können, sind generell Alter, Krankheitssymptome des Urogenital-Traktes, geringe körperliche Aktivität, psychischer Stress, Bluthochdruck, Diabetes und erhöhte Blutfettwerte. Als weitere, in der Studie nicht ausgewertete Faktoren gelten Rauchen, Übergewicht (Body-Mass-Index), Alkoholkonsum und Herzerkrankungen.

Als stärkste, die Erektionsfähigkeit herabsetzende Einflussfaktoren erwiesen sich in der Studie Alter und Diabetes. So hatten beispielsweise Männer der Altersgruppe 61 bis 70 Jahre ein doppelt so hohes Risiko einer erektilen Dysfunktion wie Männer in der Altersgruppe zwischen 51 und 60 Jahren. Diabetiker tragen ein dreimal höheres Risiko einer Potenzstörung, in der Altersgruppe von 61 bis 70 Jahren steigt dieses Risiko sogar auf das 4,7fache an. Der Einfluss mangelnder körperlicher Aktivität, des psychischen Stresses, des Bluthochdrucks und von Krankheitssymptomen des Urogenital-Traktes bleibt in allen Altersdekaden einigermaßen stabil.

„Die Hauptaussage unserer Studie ist nicht, dass es in Österreich eine Million Impotente gibt“, erklärt Urologe Madersbacher, „sondern, dass das Thema noch immer tabuisiert wird, dass es Hilfen gibt, dass man dagegen etwas tun kann und zum Arzt gehen soll.“ Vor Selbstmedikamentation raten die Ärzte dringend ab, denn pharmazeutische Erektionshilfen wie Viagra, Cialis, Levitra und Uprima können nicht nur unangenehme Nebenwirkungen hervorrufen, sie bergen mitunter auch eine tödliche Gefahr. Denn bei Patienten, die wegen Herzproblemen Nitrosprays oder Nitrokapseln nehmen, verstärken Viagra & Co die Wirkung dieser Präparate, was zu einem rasanten Blutdruckabfall und zum Tod führen kann.

Dunkelziffer. Auch von den vielen Mittelchen, die im Internet oder in Sexshops angeboten werden, raten Mediziner dringend ab: „Denn wenn es wirkt, dann hat es Nebenwirkungen“, so Walter Stackl, Vorstand der Urologischen Abteilung der Wiener Krankenanstalt Rudolfsstiftung, „und wenn es nicht wirkt, ist es schade ums Geld.“ Dennoch werden mit solchen Mittelchen Millionenumsätze erzielt. Die Palette der angebotenen Hilfsmittel reicht von allerlei Mechanik wie Saugpumpen über spanische Fliegen bis zu homöopathische Tropfen: Es gibt offenbar eine beträchtliche Dunkelziffer an Problemmännern, sonst gäbe es nicht diesen Markt.
Die Frage, wann eine krankhafte Erektionsstörung vorliegt, lässt sich nicht einfach beantworten. „Das ist von Patient zu Patient verschieden“, erklärt Madersbacher, „das hängt vom Alter, von der Partnerin und oft auch von den Ansprüchen ab. Zu uns kommen Leute, die verzweifelt sind, weil sie nicht viermal in der Nacht können.“ Auf den Ratgeberseiten im Internet werden Faustregeln angeboten. Beispielsweise die, dass Mann jedenfalls einen Arzt aufsuchen müsse, wenn er im vergangenen halben Jahr bei mindestens einem Drittel der Versuche keine ausreichende oder keine ausreichend anhaltende Erektion zustande gebracht hat, um einen Geschlechtsverkehr erfolgreich auszuführen.

Die Versteifung und Aufrichtung des männlichen Gliedes entsteht durch ein kompliziertes Zusammenspiel von Nervenreizen, Botenstoffen, Blutzirkulation und Muskeln, das dazu führt, dass sich die drei Schwellkörper des Penis – zwei an der Oberseite, einer an der Unterseite als Umhüllung der Harnröhre – mit Blut füllen. Im schlaffen Zustand verhindern dauerhaft kontrahierte glatte Muskelstränge in den Arterien, dass sich die Adern weiten und zu viel Blut in die Schwellkörper strömt. Diesen Mechanismus kontrolliert der Sympathikus, ein Nervengeflecht, das im Bereich der oberen Brustwirbelsäule entspringt und bis in die Genitalregion ausstrahlt.

Bei sexueller Erregung, beispielsweise durch einen reizvollen Anblick, aufreizende Gerüche, Berührung, Traum oder Fantasie, kommt ein komplexer biochemischer Mechanismus in Gang. Das Gehirn sendet das Signal „erotischer Reiz“ ins Rückenmark, wo der Parasympathikus, eine Nervenverbindung, für einen direkten Informationsfluss zum männlichen Genitalbereich sorgt. Dort lösen die Nervensignale eine biochemische Reaktionskette aus, in deren Verlauf zuerst Stickstoffoxid (NO) und dann zyklisches Guanin-Monophosphat (cGMP) ausgeschüttet wird.

Dieser Botenstoff aktiviert die so genannte Proteinkinase G, die ihrerseits den bisher angespannten glatten Muskeln in den Arterien des Penis den Befehl zum Erschlaffen gibt. Daraufhin weiten sich die Adern, Blut strömt in die Schwellkörper, der Penis schwillt an und verhärtet sich. Zugleich werden durch den starken Blutzufluss kleine Venen im Schwellkörper abgedrückt, sodass der Blutabfluss stark vermindert wird. Auf diese Weise staut sich in den Schwellkörpern bis zu 100-mal mehr Blut als im schlaffen Zustand. Entscheidend für den Grad der Erektion ist die Menge des cGMP im Blut. Je mehr davon zur Verfügung steht, desto dauerhafter und härter ist die Erektion. Medikamente wie Viagra verhindern, dass die Stoffe, die zur Erektion führen, abgebaut werden. Eine eigene Schutzautomatik sorgt dafür, dass während des Schlafs bis zu 15 Erektionen hervorgerufen werden, um die Elastizität der Penisstruktur zu trainieren. Die beim gesunden Mann regelmäßig auftretende Erektion am Morgen ist Teil dieses Training und hängt nicht, wie oft fälschlich vermutet, mit dem Harndruck zusammen.

Als Gegenspieler zum „Steifmacher“ cGMP fungiert das Enzym Phosphodiesterase 5 (PDE-5). Es sorgt für den Abbau der cGMP-Moleküle. Dadurch wird die Blutzufuhr reduziert, bis der Penis wieder seinen erschlafften Ausgangszustand annimmt. Ähnlich wirken Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin oder die in der Nebenniere gebildeten Katecholamine. „Ein Mann, der permanent gestresst ist, hat im Schwellkörper Stresshormone, die er abarbeiten muss, bevor es zu einer Erektion kommen kann“, sagt Urologe Stackl.

Umwelthormone. Der Wiener Hormonforscher Johannes Huber nennt noch einen weiteren Faktor, der die männliche Sexualität beeinträchtigen könnte: „Östrogene sind der Feind jeder Erektion.“ Sie wirken genau jenen Stoffen entgegen, welche die Erektion erzeugen. Solche, in der Fachwelt als „environmental estrogenes“ (Umwelthormone) bezeichnete Substanzen sind in Kunststoffen als Weichmacher (Phtalate) sowie in verschiedenen Chemikalien enthalten oder kommen beispielsweise über Ausscheidungen der in der Antibabypille enthaltenen Östrogene in den Klärschlamm und über die Düngung wieder in die Nahrungskette. Der Innsbrucker Umweltmediziner Klaus Rhomberg vermutet, dass die kontinuierliche Abnahme der Zahl und Qualität der Samenfäden im Ejakulat auf solche Substanzen zurückzuzuführen ist. Ein Zuviel an Östrogenen beeinträchtigt aber auch die Wirkung des Männlichkeitshormons Testosteron, das unter anderem für die Lust am Sex verantwortlich ist. „Wir schwimmen in einem Meer aus Östrogenen“, sagt Huber.
Ein unterschätzter Faktor bei der Entstehung von Erektionsstörungen ist das Gefäßgift Nikotin. Zwar ist nicht jeder Raucher impotent, aber die schleichende Beeinträchtigung der Blutgefäße sehen die Mediziner häufig in ihren Praxen. Als verheerendste Mischung erweist sich starker Zigarettenkonsum gepaart mit schon länger wirkendem Diabetes, weil dann zur doppelten Gefäßschädigung noch eine Schädigung der Nerven hinzukommt. Männern, die ihre Potenz erhalten wollen, raten die Ärzte, nicht zu rauchen, mehr Gemüse, Fisch und Olivenöl zu konsumieren und nur maßvoll Alkohol zu genießen. Wer zusätzlich Ausdauersport betreibt, für regelmäßige Entspannung und Stressabbau sorgt, hat schon viel gewonnen.

Überbrückung. Jeder zweite Mann, sagen Andrologen, leidet irgendwann im Laufe seines Sexuallebens an Erektionsproblemen, aber nur etwa vier bis fünf Prozent davon wenden sich damit an den Arzt. Der klassische Fall ist der 40- bis 50-jährige Managertyp, der vor lauter Stress Potenzprobleme hat. Er kann nicht abschalten, sich nicht entspannen, daher fehlt ihm eine zentrale Grundvoraussetzung für die „unbeschwerte Geilheit“, wie der Wiener Sexualtherapeut Karl Stifter jenen Zustand beschreibt, in dem sich idealerweise die Vollerektion des Penis einstellt. Diese psychosomatische Störung lässt sich mit Viagra, Cialis oder Levitra gut behandeln, häufig nur zur Überbrückung, bis der Stress durch entsprechende Entspannungstechniken wie autogenes Training, Meditation oder Yoga abgebaut ist. Nach zehn bis 15 Anwendungen benötigt der Patient die Medikamente oft nicht mehr.

Schwieriger zu behandeln sind Fälle, in denen sich bereits eine gesundheitliche Beeinträchtigung bemerkbar macht. Der übliche Fall in dieser Kategorie ist der 55- bis 65-jährige Mann, körperlich nicht sehr fit, Raucher, übergewichtig mit einem zumindest leichten Diabetes. Dieser Typ Mann altert schneller, seine Blutgefäße sind angegriffen, daher erreichen kleines Becken und Penis nicht jenen Durchblutungsgrad, der für eine gute Erektion erforderlich wäre. Das sexuelle Verlangen kann noch vorhanden sein, aber durch mangelnde Fitness und organische Schädigung stellen sich Erektionsprobleme ein. Abhängig vom Grad dieser Schädigung können Medikamente zur Verbesserung der Erektion hilfreich sein oder auch nicht.

Als weitaus schlimmer erweist sich das Problem, wenn der Urogenitaltrakt durch Erkrankung, Bestrahlung oder einen chirurgischen Eingriff geschädigt ist. Obwohl die Ärzte heute trachten, selbst bei einer etwa aufgrund eines Karzinoms notwendigen radikalen Entfernung der Prostata die Nervenstränge zu erhalten, so ist eine Schädigung zumeist unausweichlich. Je nach Grad dieser Schädigung schwinden auch die Möglichkeiten des Urologen, die ausbleibende Erektion mit medikamentösen Mitteln zurückzuholen. Die Wundermittel, auf die der einigermaßen gesunde Mann zumeist sofort anspricht, sind dann rasch keine Wundermittel mehr.

Kopfschütteln. Während das Gros der unter Potenzstörungen leidenden Männer gar nicht zum Arzt geht, sehen sich Männerärzte oft mit Fällen konfrontiert, bei denen sie nur noch den Kopf schütteln. Da ist der 18-Jährige, der über ein Versagen klagt und den der Facharzt mit dem Rat verabschiedet, das Problem werde sich von selbst lösen. Da ist der 80-jährige Diabetiker, dem wegen multiplen Gefäßverschlusses schon ein Bein amputiert werden musste und der nach einem Medikament zur Potenzsteigerung verlangt. „Heute war ein 87-Jähriger bei mir, der Viagra wollte“, erzählt Androloge Loebenstein, „ich hab ihn gefragt, was er sonst für Mittel nimmt.“ Der Patient nahm zur Behandlung seines Herzleidens genau jene Nitropräparate, deren Wirkung Viagra bis zur Todesfolge verstärken kann.

Die Angaben darüber, ob Erektionsstörungen mehr auf organische oder mehr auf psychische Ursachen zurückzuführen wären, schwanken selbst unter Männerfachärzten. Während Studienkoordinator Madersbacher von altersbedingt bis zu 80 Prozent organischen Ursachen ausgeht, spricht der Kölner Urologe Frank Sommer, Deutschlands meistzitierter Experte für erektile Dysfunktion, von einem Verhältnis 70 zu 30 (siehe auch Interview auf Seite 104). Der Wiener Sexualtherapeut Karl Stifter hingegen glaubt, die Angaben seien schlicht berufsabhängig. Fazit: Urologen sehen zumeist organische, Psychotherapeuten hauptsächlich psychische Ursachen.

Dass organische und psychische Ursachen häufig gekoppelt sind, erklärt sich schon daraus, dass sich selbst zu einer zunächst rein organischen Erektionsstörung ziemlich rasch eine psychische gesellt, weil das Versagen eine Versagensangst hervorruft, sodass der Betreffende leicht in einen Teufelskreis rutscht, in dem sich Versagensangst und Versagen beständig wechselseitig aufschaukeln. Umgekehrt gibt es psychische Auslöser, welche die Funktionen der gesamten Reizkette vom Gehirn bis in den Penis blockieren, sodass keine Erektion zustande kommen kann.

Sexualtherapeut Stifter, der in Wien eine Praxis zur psychotherapeutischen Behandlung von Sexualstörungen betreibt und mehrere einschlägige Bücher verfasst hat, schildert die, wie er es nennt, „psychogene Grundlage für Impotenz“. Demnach gibt es Männer, die es trotz tiefem Verfangensein im Teufelskreis in einer Art „Selbstvergewaltigung“ immer wieder versuchen. Wie bei der Prüfungsangst stehen ihnen dann Schweißperlen auf der Stirn. Zumeist haben sie von klein auf gelernt, die Zähne zusammenzubeißen und es immer wieder zu versuchen. Folglich versuchen sie, ihrem Körper eine Erektion abzutrotzen, und genau das ist das Falsche.

Es gibt auch Männer, die ihre Erektion beständig beobachten und mit dem Kopf kontrollieren. Und wenn der Therapeut fragt: „Wie fühlen Sie sich in dieser Situation?“, dann antworten sie zunächst: „Super, geil“, bis allmählich klar wird, dass ihre Befindlichkeit alles eher als super und geil ist. Sie fühlen sich schlimmer als bei einer Betriebsprüfung oder nach einer beruflichen Niederlage. Es steht auch viel auf dem Spiel: Begriffe wie „impotent“ oder „Schlappschwanz“ bezeichnen einen unmännlichen Mann, der nicht nur Angst hat, sich zu blamieren, sondern auch sich am nächsten Morgen in den Spiegel zu schauen.

In solchen Fällen versucht der Therapeut, dem Betreffenden seine Situation bewusst zu machen, er hält ihn dazu an, sein Selbstbild zu überprüfen, sich zu fragen, wem er etwas beweisen will, wo seine Gefühle sind und ob er selbst bei seinen Gefühlen ist. Er rät ihm, sich über seine Beziehungsprobleme klar zu werden und seine Situation ganzheitlich zu sehen. Etwa, indem man Sexualität als eine Form der Kommunikation begreift und nach der Qualität der Kommunikation auf anderen Ebenen fragt: Wie ist das mit dem Verstehen und der Harmonie? Gibt es Zuneigung und Zärtlichkeiten auch außerhalb des Schlafzimmers? Wie steht es mit der Erotisierung in meiner Beziehung, gibt es die?

„Erektion braucht Erotisierung“, sagt Stifter. Erotisierung verlangt nach einem Sender, der die Erotisierung erzeugt, und nach einem Empfänger, der sie zulässt. Dazu bedarf es einer Sensibilisierung, die sich durch bestimmte Übungen erzeugen lässt. Stifter rät seinen Patienten, sich von der Partnerin massieren und streicheln zu lassen, um eine „Berührungsbehaglichkeit“ zu erzeugen und dabei seine Aufmerksamkeit voll auf die Gefühle zu lenken. Mit zunehmendem Alter werden Spontanerektionen seltener, daher brauchen viele Männer über 50 zur sexuellen Erregung eine zusätzliche physische Stimulierung.

Ahnungslos. Aber trotz der angeblichen Aufklärung bis zum Überdruss existieren offenbar Wissenslücken, die der Wiener Urologe Walter Stackl „haarsträubend“ nennt. Viele Frauen würden nie masturbieren, daher ihre eigene Anatomie nicht kennen und gar nicht wissen, wo das sexuelle Glücksgefühl entsteht. Auch viele Männer würden die Anatomie der Frau nicht kennen. Und in die „First Love“-Ambulanz der Wiener Rudolfsstiftung kämen immer wieder junge Mädchen, die keinerlei Vorstellung davon haben, wie ein Kind entsteht. „Die Grundvoraussetzung für eine gesunde Sexualität ist die Sexualerziehung“, meint Stackl, „da könnte man noch einiges tun.“

Auf einen speziellen Punkt zeigen die meisten Experten: die geänderte Rolle der Frau. Als „umgebungsbedingt“ bezeichnet beispielsweise Männerarzt Thomas Loebenstein vor allem die Erektionsstörungen bei jüngeren Männern. In seiner Praxis hört er Schilderungen über fordernde, spöttelnde Frauen, die sich gedankenlos über die offensichtliche Unlust oder das Unvermögen ihres Partners lustig machen und schon mal fragen: „Wird’s bald?“ oder „Darf der Kleine schon auf?“ „Männer sind Sensibelchen“, sagt Loebenstein über die Wirkung derartiger Bemerkungen, „den können Sie eingraben“.

Sexualtherapeut Stifter wiederum stößt die „Abwertung des Männlichen“ sauer auf. In der Werbung würden Männer wie Dreck weggewischt, der patscherte, tölpelhafte Mann habe den Draufgänger verdrängt. In Film und TV sei die sexuell initiative Frau dabei, den sexuell initiativen Mann zu verdrängen: Sie sei es, die den Mann aufs Bett werfe und sich über ihn hermache. Eine „veralterte Psychoanalyse“ frage ausschließlich nach der Mutter- statt nach der Vaterbeziehung der Männer oder danach, wo Buben heute männliches Selbstvertrauen lernen. „Ich halte die Tabuisierung männlicher Werte für einen psychohygienischen Wahnsinn“, sagt Stifter.

Ob der solcherart beklagte Verlust der Machoseele tatsächlich einen gravierenden Einfluss auf das sexuelle Wohlergehen der Männer hat, wie Stifter meint, lässt sich wissenschaftlich nicht belegen. Dazu fehlen Vergleichsdaten zu Zeiten, als das alte Mannsbild noch intakt war und Erektionsprobleme jedenfalls nicht unbekannt waren, wie die mannigfach erfundenen Stützgeräte nahe legen. Und nicht wenige Männer, die offenbar auch ohne das Gockelprinzip ein erfülltes Sexualleben führen, deuten darauf hin, dass Stifters Rechnung nicht generalisierbar ist.

Was immer die Ursachen für die Schwächen des Mannes sein mögen – nach außen hin ist alles wunderbar. Im Freundes- und Kollegenkreis wird über Häufigkeit, Intensität und Kunstfertigkeit des Verkehrs „gelogen, dass sich die Balken biegen“, weiß Androloge Loebenstein. Schließlich ist der Mann nur ein Mann, wenn er kann. Potenz, Manneskraft, ungetrübte sexuelle Lust und Macht entsprechen trotz aller Political Correctness dem Bild, das in uns allen noch irgendwo wohnt. Nicht nur in uns Männern. Frauen, die vorgeben, nur einen Softie zu wollen, haben dann, wenn es darauf ankommt, sehr gern einen virilen Mann. Ja, er soll zärtlich, aber beim Verkehr ruhig auch ein bisschen beherrschend und kräftig sein. Das liebe Gerede vom Mann, der auch weinen kann, schön und gut. Aber bitte nicht im Bett.