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Heinz Fischer will in die Hofburg!

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Irgendwann hat ein unbekannter Leser in der Zentralbücherei der Stadt Wien das Buch „Positionen und Perspektiven“ von Heinz Fischer aus dem Jahr 1977 zur Hand genommen. Die Spuren seiner Empörung sind in Anmerkungen an den Seitenrändern überliefert. „sic! also doch“, ist an jener Stelle mit Bleistift geschrieben, an der sich der damalige Klubobmann der SPÖ über den Begriff der Leistungsgesellschaft so seine Gedanken gemacht hat. Dieses Wort, so Fischer, würde nur das Gewinnstreben in unserer Gesellschaft verschleiern, während der materielle Gewinn mit der tatsächlichen Leistung oft wenig zu tun habe. Er fände es gerechter, wenn die Menschen nach dem gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit und nicht nach ihrem Marktwert bezahlt würden.

Der Linke.
Also doch! – ein gefährlicher Linker mag sich der Leser gedacht und das Buch am Ende dennoch einigermaßen beruhigt wieder zurückgestellt haben. Im Kapitel „Gedanken zur politischen Willensbildung“ führt Fischer nämlich aus, warum in politischen Gremien „vor allem der vernünftig handelt, der sich nur dann exponiert, wenn er sicher sein kann, dass sein Standpunkt von einer ausreichend großen Mehrheit geteilt wird – oder der, der sich überhaupt nicht zu Wort meldet“. Man kann Fischer nicht vorwerfen, jemals in seiner politischen Karriere unvernünftig gehandelt zu haben. Eine Leidenschaft, die sich vergisst, war nie in ihm. Er blieb, wie immer auch seine Titel und die jeweiligen Parteivorsitzenden wechselten, ein anständiger, das heißt frei von Intrigen agierender, Fragen der sozialen Gerechtigkeit zugewandter, nie über die Stränge schlagender Politiker mit einem puristischen Lebenswandel, dessen einziger Ausreißer ein flotter Alfa Romeo zu sein scheint, den er sich in jungen Jahren zugelegt hat. Als Fischer vor rund 40 Jahren ins politische Rampenlicht trat, hatte er schon einige Sträuße ausgefochten. In seiner Jugendzeit war er Proponent des linken Flügels im Verband der Sozialistischen Studenten gewesen. Hannes Androsch, der etwa zeitgleich mit Fischer ins Parlament kam, war bei der Mehrheitsfraktion gewesen, und die war weit weniger links. 1966 veröffentlichte Fischer eine Dokumentation über Taras Borodajkewyzc, einen Professor an der Hochschule für Welthandel, der in seinen Vorlesungen offen seine antisemitische Einstellung propagiert hatte.

Der Stratege.
Als Fischer 1962 in den Parlamentsklub der SPÖ eingetreten war, trug er das Etikett eines Systemveränderers, eines Linken. Ein Linker freilich, der „seine Linkslage aus Klugheit verdeckt“, wie Erhard Busek, nachmaliger Vizekanzler der ÖVP, ein paar Jahre später meinte. Man bezog sich auf verschiedene Aufsätze Fischers, in denen er für eine so genannte „Doppelstrategie“ der allein regierenden SPÖ warb: Eine Regierung, so Fischer, könne die Verhältnisse „nicht radikal“ infrage stellen, weil sie die Wähler bei der Stange halten muss. Das Geschäft zur „Weitertreibung des Sozialismus“ solle von progressiven Gruppen und Minderheiten erledigt werden. Fischer selbst unternahm durchaus kleine aufrührerische Versuche. Von Kreisky wurde ihm kurzerhand der Mund verboten, als er eine Debatte über den Religionsunterricht in den Volksschulen anzettelte. In Zeitungsartikeln von damals wird er als brillanter, emotionsgeladener Redner geschildert. Die ehemalige „Kurier“-Redakteurin Helga Stadler, heute Präsidentin der Salzburger Festspiele, bezeichnete ihn gar als „Vulkan“. Dem Schriftsteller Robert Menasse fällt heute angesichts des vorsichtig formulierenden Parlamentspräsidenten das Bild vom „erloschenen Vulkan“ ein, „auf dessen Grunde ein Kelomat steht“ – eben „nicht Fischer, nicht Fleischer“.

Der Parteipolitiker.
Diejenigen, die Fischer schon in jungen Jahren kennen und schätzen gelernt haben, hatten ein schärferes Auge. In der Josefstädter Wohnung der Fischers traf sich in den siebziger Jahren häufig ein kritischer Politologenkreis: Der damalige Wirtschaftsbundsekretär Wolfgang Schüssel war dabei, der Linkskatholik Peter Diem, ein Freund des Kanzlers und Fischers gleichermaßen, der ihn „noch immer sehr gern mag“. Diem charakterisierte Fischer damals als „Mainstream-Sozialist“, dessen „Ehrgeiz ein bisschen ins musterknabenmäßige geht, weshalb es ihm auch an Faszination“ mangle. Trotzdem wurde Fischer auch späterhin von der ÖVP immer wieder als Linker vorgeführt, vor allem auf dem Kampffeld der Außenpolitik. Der sozialdemokratische Umgang mit den Diktatoren des Ostblocks war von der Vorstellung des „Wandels durch Annäherung“ geprägt. Das schloss ein, dass Spitzenpolitiker der SPÖ mit den offiziellen Ostblock-Führern auf gutem diplomatischem Fuß standen, während die Außenpolitiker der ÖVP – jedenfalls solange sie nicht regierten – vorwiegend zu Dissidenten Kontakte pflegten. Vermutlich spielte auch eine in der Sozialdemokratie tief verwurzelte Sehnsucht nach Ordnung und Regeln eine gewisse Rolle. Als Österreich in den siebziger Jahren diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik Nordkorea aufnahm und dieses Land, wie übrigens alle Ostblockländer, auf die Gründung so genannter Freundschaftsgesellschaften drängte, war Fischer ein paar Jahre lang Mitglied in der Gesellschaft „zur Förderung der Beziehungen zur koreanischen volksdemokratischen Republik“ – ein Faktum, das heute in aktuellen ÖVP-Dossiers zur Brandmarkung des SPÖ-Kandidaten gehandelt wird. Im Jahr 1977 meinte Fischer nach einem Besuch in der CSSR, dass ZK-Sekretär Vasil Bilak darauf achte, dass die Entwicklung „in überschaubaren Bahnen“ verlaufe. Im Jahr 1980 reiste er im Auftrag Kreiskys nach Kuba und wurde von Fidel Castro empfangen. Anfang der achtziger Jahre wurde Fischer von einem Abgeordneten der ÖVP gar der Unterstützung eines Moskauer Spionagenetzwerks bezichtigt. In seiner Zeit als Wissenschaftsminister war eine Rüstungskonversionsstudie genehmigt worden, die der Ökonomieprofessor und heutige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen geleitet und an der Peter Pilz mitgearbeitet hatte. Die Studie war auch SPÖ-intern unbeliebt, da die Verstaatlichte damals noch mit Panzern und Kanonen Geld verdiente. Fischer verteidigte die Wissenschafter erst, als er selbst angegriffen wurde. Im Jahr 1994, beim umstrittenen Staatsbesuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng, sagte Fischer in einem ORF-Interview, man solle mit Ratschlägen an die chinesische Führung etwas „bescheidener“ sein. Es gehe ja auch darum, „unkontrollierte Entwicklungen“ zu verhindern. Für den Geschmack von Erhard Busek war das etwas zu viel Verständnis für das Massaker am Tienanmen-Platz. Er wollte Fischer daraufhin nicht mehr zum Nationalratspräsidenten wählen. Fischers Bild hat im Laufe der Jahre verschiedene Deutungen durchgemacht. Norbert Leser, früher ein Anhänger Fischers und heute ein unversöhnlicher Gegner, behauptet sinngemäß, dass einer, der sämtliche Krisen in der SPÖ überstanden und fünf Parteivorsitzenden als Stellvertreter gedient hat, kein Guter sein könne.
Fischer ist seit Anfang der sechziger Jahre im Parteivorstand der SPÖ, 1975 wurde er zum geschäftsführenden Klubobmann bestellt, 1979 rückte er – nicht auf Kreiskys Vorschlag – in die Riege der SPÖ-Stellvertreter auf. Diese Funktion bekleidet er bis heute.

Der Stille.
Fischer sei mit allen gleich gut und mit niemandem verfeindet, hieß es in den siebziger Jahren. „Aus dem Heinzi wird noch was, immer wenn’s schwierig wird, ist er am Klo und kommt zurück, wenn die Sache ausgestanden ist“, soll Kreisky einmal spitz angemerkt haben. Fischer war gerade Klubobmann geworden, als Kreisky einen wütenden Kampf gegen Simon Wiesenthal führte. Wiesenthal hatte kurz nach der Nationalratswahl 1975 ein Dossier veröffentlicht, wonach der freiheitliche Parteichef Friedrich Peter in einer SS-Einheit gedient hatte, die sich schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat. Kreisky vermutete dahinter ein Komplott der ÖVP, weil er Peter gefördert hatte, sprach von Mafia-Methoden und deutete an, dass Wiesenthal während des Krieges mit den Nazis kollaboriert habe. 40 prominente Mitglieder der SPÖ forderten Kreisky damals auf, seine Äußerungen zurückzunehmen. Fischer befürwortete – das war Parteilinie – einen Untersuchungsausschuss gegen Wiesenthal, der jedoch nicht zustande kam. Entschuldigt hat sich Fischer bei Wiesenthal nie, weil er sich „keiner Schuld bewusst“ ist. Auch im Konflikt zwischen Kreisky und Androsch hielt Fischer still. Nach Berichten von Zeitzeugen wollte Kreisky 1980 in einer Präsidiumssitzung Hannes Androsch als Finanzminister abberufen. Unter vier Augen soll sich Fischer bereit erklärt haben, im Präsidium dazu das Wort zu ergreifen. Das tat er jedoch nicht. Fischer sagt heute, er habe die Art und Weise, wie Kreisky mit Androsch in der Öffentlichkeit umging, für ungerecht und mit seiner Meinung auch nicht hinter dem Berg gehalten. Im „Kurier“ wird Kreisky im Jahr 1981 daraufhin mit den Worten zitiert, Fischer sei „chemisch frei von Zivilcourage“. Fischer selbst verliert fast die Beherrschung, wenn man ihm Feigheit oder Opportunismus unterstellt. Eine Wandlung seiner Standpunkte akzeptiert er nur in einer einzigen Frage: Der Hoffnung, dass es vorwärts gehe bis zum Endziel einer gerechten, sozialistischen Gesellschaft, die er bis weit in die achtziger Jahre hinein hegte, hat er in den neunziger Jahren mit der resignativ klingenden Feststellung abgeschworen, dass die SPÖ keine Weltanschauungspartei mehr ist. Fischer besteht darauf, dass er „im Großen und Ganzen seinen Grundsätzen treu geblieben“ sei.
Es ist freilich nicht leicht zu entscheiden, wann in der Demokratie die Feigheit beginnt und wann einer – auch im Sinne der Selbstschonung – um einen Kompromiss bemüht ist. Irgendwer muss die Rolle des Interessenausgleichers und Kompromisssuchers ja einnehmen, und Fischer ist sie – das sagen selbst seine politischen Gegner – auf den Leib geschrieben. Die Demokratie sei ein System, das „naturgemäß zur Feigheit einlädt“, sagt der Philosoph und Schriftsteller Franz Schuh lakonisch. Mehr noch als Fischers politische Positionen, die meist so abwägend formuliert sind, dass man nur vermuten kann, woran sein Herz hängt, wird sein ausgleichendes Naturell in seinem Lebensentwurf bestätigt. Als Fischer 1962 sein Studium der Rechtswissenschaften beendet hatte und sich für eine politische Laufbahn entschied, fragte er die sozialdemokratischen Größen von damals, die im Hietzinger Elternhaus ein und aus gingen – sein Vater war Staatssekretär gewesen –, um Rat. 1968 stieg er direkt von der elterlichen Wohnung in die Ehe um. Mit seiner Frau, deren Familie mit den Kreiskys in der schwedischen Emigration befreundet war, ist er auch nach 40 Jahren noch sehr glücklich. „Ein warmherziger, kluger und bescheidener Mensch“, sagt er fast ein wenig gerührt über seine Gefährtin. Freunde erzählen, Fischer sei entsetzt, wenn sich jemand aus seinem Freundeskreis scheiden lasse. Mit den Jahren und den Funktionen ist Fischer sowohl geistig als auch körperlich in den Konsens hineingewachsen. Wenn er Menschen trifft, die er mag, umarmt und berührt er sie, was einmal zu dem Gerücht geführt hatte, er hätte „etwas“ mit der Ex-Liberalenchefin Heide Schmidt. Man hatte die beiden Hand in Hand gehen gesehen. Ein Vorwurf, den man Fischer machen kann, ist der, dass er sich in der Frage der Macht naiv gibt und die Spitzenposition, die er seit Jahrzehnten in der SPÖ ausübt, kaum zur Gestaltung genutzt hat. Im Grunde ist Fischer immer ein Anhänger Kelsens, des Architekten der österreichischen Bundesverfassung, geblieben. Kelsen hatte das Ideal des parlamentarischen Verfahrens vor Augen, mit seiner auf Rede und Gegenrede abgestellten Technik, die einen Kompromiss zum Ziel hat. In seiner reinen Form sollte das bessere Argument siegen oder eine Synthese aus verschiedenen Standpunkten entstehen. Daran glaubt Fischer.

Der Vermittler.
Er habe sich immer bemüht, objektiv und ausgleichend zu wirken, sagt er. Und er agiere im Hintergrund, weil sich im Scheinwerferlicht die Standpunkte nur verfestigen würden. So hat er im Laufe der Jahrzehnte für fünf verschiedene Parteivorsitzende Kompromisspapiere formuliert und auf Parteitagen die Antragsprüfungskommission geleitet, damit bloß nichts Unvorhergesehenes passiert. Für eine Zeit, in der Inszenierungen ebenso wichtig sind wie Entschiedenheit, ist Fischer ein altmodischer Politiker. Vielen der SPÖ nahe stehenden Intellektuellen fällt zu ihm erst einmal der Begriff „anständig, aber langweilig“ ein. Eine vor einem halben Jahr durchgeführte Umfrage im Auftrag der Grünen, die die Stimmungslage unter ihren Sympathisanten auslotete, ergab – für das grüne Establishment überraschend –, dass Fischer gerade zehn Prozentpunkte vor der ÖVP-Kandidatin Benita Ferrero-Waldner liegt. Fischer hat bei jungen, gut ausgebildeten Wählern der Grünen das Image eines Langeweilers, eines älteren Sozialdemokraten, der immer „wie ein Korken obenauf“ geschwommen ist. Dem Bedürfnis nach unterhaltsamen Peinlichkeiten wird Fischer in der Hofburg sicher nicht nachkommen. Man könne vielleicht manches gegen Fischer einwenden, sagt der Sozialdemokrat Caspar Einem, doch nicht im Hinblick auf das Amt des Bundespräsidenten. Diese Haltung ist auch in den Reihen der ÖVP weiter verbreitet, als es Wolfgang Schüssel lieb sein kann. Gemessen an der realen Macht des Bundespräsidenten – nicht an der theoretischen –, scheint Fischer ideale Voraussetzungen zu haben.

Warum sonst hat ÖVP-Nationalratspräsident Andreas Khol Fischer zu dessen 65. Geburtstag als „einen der größten Staatsmänner“ gepriesen?