Priester: Der Letzte dreht das Licht ab

Priester in Österreich - Die trostlose Realität eines aussterbenden Berufs

Die Realität eines aussterbenden Berufs

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Es ist der große Tag im Leben des Andreas Kaiser aus Reichenau an der Rax, Absolvent eines Forstwirtschaftsstudiums, 33 Jahre alt. „In positiver innerer Spannung“ verbringt er den Vormittag, geht im Kopf noch einmal durch, wie die zweistündige Feier ablaufen wird, was er wann zu sagen hat, hofft, dass alle seine Verwandten und Freunde einen Sitzplatz mit Aussicht finden werden.
Freunde haben ihm erzählt, so sei es ihnen Stunden vor der Hochzeit ergangen. Aber wie das ist, mit einer Frau vor dem Altar, wird Kaiser, sollte er auf seinem gewählten Lebensweg nicht scheitern, nie erfahren. Er sagt, er besiegelt an diesem Tag seine persönliche Beziehung zu Gott. Er probt, wie es Franz Joseph Baur, Regens des deutschen Priesterseminars in Nürnberg, formuliert, den „biografischen Ernstfall des Theologen“.

Kaiser wird an diesem Nachmittag zum Priester geweiht. Eine Stunde vor dem Ereignis zieht er sich mit vier anderen Weihekandidaten und Kardinal Christoph Schönborn in eine Hauskapelle des Bischofssitzes zu Anbetung und Meditation zurück. Jetzt ist es kurz vor 16 Uhr, und die Sommersonne knallt auf den Stephansplatz. Nur in der Sakristei des Doms ist es angenehm kühl.

Priesterweihe 2006. Sonnenstrahlen durch die Oberlichten lassen ein Firmament aus Staubkörnchen über der Menschenansammlung in dem schmalen langen Raum entstehen, Weihrauchschwaden steigen auf. Irgendwo weiter hinten schlüpfen Kaiser und die vier anderen – sie stammen aus Österreich, Italien, Spanien und Polen – in ihre Alben, die blütenweißen Untergewänder der Getauften. Auch nahezu alle anderen handelnden Personen tragen Weiß – die Priester und Diakone, die Kapläne, Dechanten und Vikare. Ministrantinnen und Ministranten, genug für die Pfarren eines ganzen Dekanats, kichern und schwätzen, verstummen allerdings schlagartig, als das Purpur des Kardinals sich ins Weiß mischt und Schönborn ihnen mit papabiler Freundlichkeit die Häupter tätschelt. Dann ordnet Dompfarrer Anton Faber den Einzug in den Dom.

Über zwei Stunden dauert das Ritual. Ob sie würdig sind, fragt Schönborn; ein Priester bejaht. Von den Kandidaten selbst, so sieht es die Dramaturgie vor, will er wissen, ob sie „mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam“ versprechen. Nur vage deutet der Kardinal in seiner Predigt die gegenwärtigen Probleme des Berufs an. Dass viele länger Zeit brauchen, um Jesus zu folgen, und unsicher auf dem Weg waren, „das ist heute so“; ebenso dass der Verzicht auf die Ehe „manchmal spürbar“ werde. „Es ist vielleicht ein bisschen wie mit dem Heiraten: Man traut sich nicht und wartet und wartet.“
Dass kaum noch Männer bereit sind, ihrer religiösen Berufung zu folgen, indem sie Priester werden, sagt der Kardinal nicht. Er hat dazu ohnehin schon Stellung genommen und den grassierenden Priestermangel in Österreich in einem großen Oster-Interview salbungsvoll zurechtgeredet: Die Kirche würde nicht viele, sondern gute Priester brauchen. 31 Neue werden es heuer sein. Noch in den siebziger Jahren wurden im Schnitt 74 Priester jährlich geweiht, bis Ende der neunziger Jahre waren es um die 50.

Seither schrumpft die Zahl der Neuzugänge in den Priesterseminaren rapid, und dazu braucht es gar nicht erst handfeste Skandale wie jenen um das Seminar in St. Pölten. Im November 2005 trat etwa in der Diözese Feldkirch kein einziger Seminarist in das laufende Ausbildungsjahr ein, in Gurk-Klagenfurt und Linz waren es zwei, in Graz-Seckau drei, in Salzburg, Innsbruck und Eisenstadt jeweils fünf, in Wien immerhin elf. Insgesamt befinden sich derzeit 164 Männer in den Seminaren des Landes; vor fünf Jahren waren es noch 206.
Momentaufnahmen eines aussterbenden Berufs: 1990 gab es 5010 katholische Priester, 2005 noch 4285. Ein Fünftel der insgesamt 3048 Pfarren hat keinen eigenen Priester mehr. In der Diözese Innsbruck sollen die 286 Pfarren zu 70 so genannten Seelsorgeräumen zusammengefasst werden. Bis 2016 wird es nur noch 80 Priester unter 70 Jahren geben; derzeit sind es 188.

Im Burgenland sind 70 der 172 Pfarren ohne eigenen Priester. Von den 110 amtierenden Priestern stammen 40 Prozent aus dem Ausland, zumeist aus Afrika beziehungsweise ost- und südosteuropäischen Ländern. Der akute Bedarf, um die Pfarrstrukturen im nächsten Jahrzehnt zu erhalten, beträgt 70 neue Priester; sieben müssten also jährlich geweiht werden. „Utopisch“, sieht auch Pastoralamtsdirektor Hans Haider ein. Im laufenden Jahr versprach bisher einer dem Bischof Gehorsam.
In Oberösterreich beträgt das Durchschnittsalter der Pfarrer mittlerweile 61 Jahre. Hundert der 487 Pfarren müssen ohne eigenen Seelsorger auskommen. Die Diözese musste deshalb ihre Personalpläne revidieren. Statt 3500 Katholiken pro Priester, wie es die Kalkulation zwischen 1999 und 2005 vorsah, soll im Jahr 2010 ein Geistlicher bereits 6300 Gläubige im städtischen beziehungsweise 4500 im ländlichen Bereich betreuen. „Das sind aus der Not geborene Konzepte“, sagt Max Mittendorfer, Regens des Linzer Priesterseminars.

Pfarreraufstand. Geht ein Pfarrer in Pension, stirbt er oder verlässt, aus welchen Gründen auch immer, seine Gemeinde, ist immer häufiger kein Nachfolger in Sicht. Auch Helmut Schüller weiß das. Der ehemalige Caritas-Präsident und zeitweilige Generalvikar der Erzdiözese Wien ist nur noch Teilzeitpfarrer. Eine Hälfte der Woche verbringt er in Wien als Seelsorger im universitären Bereich, die andere in der kleinen Gemeinde Probstdorf am Südrand des Marchfelds. Er habe den Eindruck, die Strategie laute, „der Letzte dreht das Licht ab“, sagt Schüller in seinem Wiener Büro. „Mir wurde schon mitgeteilt, dass es nach mir keinen Pfarrer mehr in Probstdorf geben wird.“ Das könnte schneller eintreten, als Schüller und seine 2500 Schäfchen bisher vermuteten. Noch während der Probstdorfer Pfarrer über den Priestermangel und dessen Folgen spricht, läutet sein Telefon. Die Kirchenspitze ist dran: Ob er sich vorstellen könne, eine große Pfarre am Wiener Stadtrand zu übernehmen, Not sei am Mann. Schüller überlegt noch, vielleicht auch, weil er erst Bilanz ziehen muss über das Ausmaß seiner bisherigen Tätigkeiten.

Der Priester ist nämlich seit April auch Obmann eines mittlerweile eingetragenen Vereins namens Pfarrer-Initiative. Gemeinsam mit dem Paudorfer Pfarrer Udo Fischer, dem Doyen der kircheninternen Rebellen Österreichs, und einigen anderen Priestern will er die drängenden Fragen des Berufs einer offenen Diskussion zuführen. „Not amused“ sei der Kardinal darüber, meint Schüller mit verhaltenem Lächeln. Es ist aber auch kein Wunder, wenn ausgerechnet jene, die am Beginn ihrer Laufbahn uneingeschränkte Gefolgschaft geloben, basisdemokratische Elemente in die Kirche tragen wollen. Etwa zweihundert Mitglieder hat die Initiative derzeit – solche, die bereits mehrere Pfarren zu betreuen haben und einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit hinter dem Lenkrad verbringen; solche, deren Frustrationspotenzial noch Engagement zulässt; und solche, die Unterstützung von der Kirchenobrigkeit begehren, wenn sie in heiklen Fragen nach ihrem Gewissen und nicht nach dem geltenden Recht entscheiden.

„Verbitterung und innere Emigration, bis hin zu Alkoholproblemen“ hat Schüller unter den Pfarrern schon des Öfteren erlebt. Auf den Punkt gebracht: Sie wissen nicht, was sie zu tun haben, und fühlen sich allein gelassen. Wie weit die Gläubigen sich von den Dogmen und verbindlichen Traditionen des Katholizismus entfernen dürfen, stürzt viele Priester, die diesbezüglich um Rat und Richtlinien gefragt werden, in ein Dilemma. Die Pfarrer-Initiative verlangt offene Diskussionen zu Fragen, mit denen jeder Priester im Alltag konfrontiert wird. Wie soll in Zukunft mit wiederverheirateten Geschiedenen umgegangen werden, die – obwohl als Schäfchen geschätzt – bei der Eucharistie zu Katholiken zweiter Klasse degradiert werden? Wie können die stagnierenden Bemühungen um die Abendmahlseinheit zwischen evangelischen und katholischen Gläubigen in Gang gebracht werden? Und wie kann die kaum noch genutzte Gelegenheit zur Beichte so reformiert werden, dass die Gläubigen sie als Katharsis und nicht als Zuchtrute empfinden?
Diese Anliegen, beteuert Schüller, seien alles andere als „Micky-Maus-Themen einiger Querulantenpfarrer“ oder „Pastoralwehwehchen einer gelangweilten Hirtenschar“, wie die Mitglieder auch immer wieder zu hören bekommen. „Die Kirchenobrigkeit“, sagt der Obmann der Pfarrer-Initiative, „schaut weg.“ Und manchmal scheint es so, als würden die Bischöfe und Kardinäle es gar nicht gutheißen, dass wenigstens andere hinschauen.

Überlastung. Solche Erfahrungen hat auch der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner vor wenigen Jahren gemacht. Als er im Jahr 2000 eine umfassende Studie über „Priester im Modernisierungsstress“ vorbereitete, wurden von hohen Kirchenstellen Versuche unternommen, die Datenerfassung zu verhindern. Das „mysterisch-sakramentale Kirchenbild“ dürfe nicht durch schnöde Soziologie verweltlicht werden, hieß es. „Die Angst der Mutter Kirche“ vor Bekanntmachung der Pfarrersnöte sei groß, gestand ein Bischof Zulehner im Vertrauen.

Die Studie mit 2500 Teilnehmern aus Österreich, Polen, Kroatien, Deutschland und der Schweiz erschien dennoch – und ihre Ergebnisse haben heute mehr Relevanz denn je. Die einstigen Seelsorger müssten zunehmend auch als pastorale Organisatoren agieren, konstatiert Zulehner. Das schwindende Ansehen von Religion und Kirche raubt ihnen zusätzlich Energie. Nahezu 60 Prozent fühlen sich häufig überlastet, 80 Prozent beklagen, dass sie aufgrund des Priestermangels kaum noch Zeit haben für einen der wichtigsten Aspekte ihrer Tätigkeit: die Einzelseelsorge.

Für Zulehner ist es höchste Zeit, die vielfach gestressten Pfarrer zu entlasten. Schon vor Jahren hat er mit dem südafrikanischen Bischof Fritz Lobinger das Modell der so genannten „Korinthpriester“ (oder Leutepriester) entworfen, das vorsieht, bewährte Gläubige aus den Gemeinden zu nebenberuflichen Priestern zu weihen – auch wenn sie verheiratet sind. Erst kürzlich ersuchte Zulehner Kardinal Schönborn, diese Vorschläge Papst Benedikt XVI. vorzutragen und dessen Genehmigung für ein Pilotprojekt im Weinviertel zu erwirken. Zulehner: „Der Kardinal meinte nach seiner Rückreise aus Rom aber nur, er habe die Unterlagen gar nicht mitgenommen, dazu sei es noch zu früh.“ Nicht nur aus theologischen Gründen hat die Kirchenobrigkeit wenig Verständnis für das Modell der Leutepriester. Erich Leitenberger, Pressesprecher der Erzdiözese Wien, führt sogar demokratiepolitische Motive dagegen an. Es sei nicht erstrebenswert, dass ein Sparkassendirektor oder Gendarmeriepostenkommandant sich im Ruhestand weihen lässt, „nur um weiter im Ort die Geschäfte zu führen“.

Heimatfilm. Leitenbergers These geht allerdings vom hohen Sozialprestige und von der lokalen Macht des Geistlichen aus. Der Pfarrer als heimlicher Dorfkaiser? Das war einmal, als das Landleben eher noch einem Heimatfilm glich. Da lauteten die Lebensstationen eines in der Großfamilie zum Priester bestimmten Sohnes: Knabenseminar mit zehn, Priester mit 22 – und das bis ins hohe Alter an einem Ort.
Wolfgang Unterberger weiß aus eigener Erfahrung, dass der Lebensweg von Priestern heute in den meisten Fällen ein anderer ist. „Die Gesellschaft ist extrem berufungsfeindlich geworden“, sagt der Pfarrer von Orth an der Donau. „Wenn heute jemand Priester werden will, lautet die erste Reaktion: Kann man ihm das nicht noch ausreden?“ Unterbergers Pfarrhof ist eigentlich ein pastorales Idyll: weitläufiger Garten, herzhaft knarrende Treppen, altes Mobiliar in der Bibliothek, viel Wohnraum. Und dennoch: Die Residenz eines Dorfkaisers ist es nicht. Der 39-Jährige sinniert über die Vermischung von Stadt und Land, über Ferienhäuser und Zweitwohnsitze, über die Landflucht der Jugend und darüber, wie „der städtische Einfluss, was religiöse Traditionen betrifft, immer stärker spürbar wird“. Liberaler ist das Klima geworden, weltlicher. Um die Leute zu erreichen, die einen früher respektvoll über die Straße grüßten, müsse man heute vor allem eines beherrschen: „Sich Namen merken können.“

Sterbende Gemeinden. In Unterbergers Fall ist das eine echte Herausforderung. Zu seinem Pfarrverband zählen drei Pfarren mit insgesamt acht Ortschaften; er hat also drei Pfarrhöfe und acht Kirchen zu erhalten, muss im Gegensatz zu vielen Stadtpfarrern ohne Sekretariat auskommen, im Alleingang Probleme mit der Mülltrennung am Friedhof bereinigen und ständig mehrere Baustellen beaufsichtigen. Im September verlässt er Orth und übernimmt eine Pfarre in Wien – nicht weil es ihm zu viel geworden ist, wie er betont, aber er hat in seiner noch nicht allzu langen Laufbahn bereits dreimal Pfarrverbände geleitet und verspürt Sehnsucht nach einer Stadtpfarre. „Außerdem bin ich der Meinung, dass Pfarrer nicht ein Leben lang an einem einzigen Ort bleiben, sondern auch einmal den Standort wechseln sollten.“
Lücken zu füllen ist allerdings in Unterbergers Gegend keine leichte Aufgabe für die Kirchenverantwortlichen. Orth an der Donau gehört, wie auch Schüllers Probstdorf, zum Vikariat Wien Nord „Unter dem Manhartsberg“. Der Großraum, der weite Teile des Weinviertels und Marchfelds umfasst, gilt als pastorales Krisengebiet. Fast 50 Prozent der 275 Pfarrgemeinden haben keinen eigenen Priester mehr. Im Rahmen der „kirchlichen Raumpflege“ (Pastoraltheologe Zulehner) sollen die Gemeinden in den nächsten Jahren zu 85 Seelsorgeeinheiten zusammengefasst werden. In einer Studie über das Vikariat hat Zulehner die Überlebenschancen der einzelnen Pfarren zum Teil ernüchternd bewertet. 31 Prozent gelten demnach als sterbend. In ihnen gibt es nur noch wenig Gelegenheit zu Eucharistiefeiern, schwach ausgeprägtes pfarrliches Leben und generell eine gedämpfte Stimmung unter den aufrechten Gläubigen.

Kommt dann noch der Pfarrer abhanden, bricht oft auch in lebendigen Gemeinden die Krise aus. Eben erst haben die 7000 Einwohner von Strasshof ihren langjährigen Pfarrer verloren; er ging in Pension. Und obwohl die Einwohnerzahl laut diözesaner Planung eine rasche Neubesetzung rechtfertigen würde, ist ein Nachfolger nicht in Sicht. Ein Kaplan, ein so genannter Moderator aus einer anderen Pfarre und ein Aushilfspfarrer sollen den pensionierten Holländer ersetzen. „Wenn jedes Mal ein anderer für ein paar Stunden kommt, kann keine Bindung mehr aufgebaut werden“, fürchtet Margarethe Nikendei, die Sprecherin des Pfarrgemeinderates.

Pastoralwehwehchen einer Pfarrgemeinderätin? Ist am Ende alles gar nicht so schlimm? Diözesanpressesprecher Leitenberger referiert in seinem Büro mit tiefer leiser Stimme über den Mangel, der da draußen herrscht. 1968, sagt er, war die „Wasserscheide“. Seither geht es bergab. Aber Wien habe schon schlimmere Zeiten durchgemacht: „Im 19. Jahrhundert gab es Zeiten fast ohne Priesterweihen.“ Wien rekrutiert sich schon längst international. 375 der 1196 Priester (inklusive der bereits pensionierten) haben eine andere Muttersprache als Deutsch; die ausländischen Priester stammen aus 49 Ländern. Indien, Afrika und ehemalige Kronländer der Monarchie sorgen für den Nachwuchs. Österreicher wollen kaum noch. In Leitenbergers Vorzimmer hängen Plakate eines gewagten Experiments, das die Diözese vor zwei Jahren startete: flott formulierte Sprüche, die Mut zum Priesteramt machen sollen. „Wer die Herzen der Menschen öffnen will, wird Chirurg oder Priester“, steht da, und: „Wer Licht in die Welt bringen will, wird Elektriker oder Priester.“ Aber auch derart kreative Methoden zeitigen nicht die gewünschten Effekte. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Versuch, mit medialen Auftritten für den Priesterberuf zu werben, ziemlich folgenlos ist“, gesteht Leitenberger ein.

Kandidatensuche. Auch das Priesterseminar in Linz unternimmt immer wieder Rekrutierungsversuche. Auf einem Transparent an der Außenmauer des Seminargebäudes prangt die Adresse der Internetseite www.priester-werden.at, wo Antworten auf Fragen wie „Wer kann Priester werden?“ (Antwort: „Jeder unverheiratete Mann, der getauft und gefirmt ist.“) gegeben werden. Regens Max Mittendorfer residiert in einem Büro von der Größe eines Turnsaals und kann ebenfalls kaum Erfolge bei der Anwerbung neuer Seminaristen vermelden. In letzter Zeit bitten er und seine Mitarbeiter zwar verstärkt Pfarrer und Religionslehrer, Kandidaten in ganz Oberösterreich zu nennen, deren Festigkeit im Glauben einen Eintritt ins Seminar aussichtsreich erscheinen lässt. „Leider machen wir die ernüchternde Erfahrung, dass damit keine großen Zahlen von Neuinteressenten angesprochen werden können“, meint er. Zwei Neuzugänge gab es im Herbst 2005 – Männer, die später mit einem Gehalt von etwa 1400 Euro rechnen dürfen und sich keine Sorgen um einen Job machen müssen.

Wenn Mittendorfer von der Kapelle zum Mittagessen geht, lehnt er oft ohne stehen zu bleiben sein Gebetbuch an die Bürotür. Dann ist der Band ein winziger Farbklecks spirituellen Lebens im weiten, weiß getünchten leeren Gang. „Das alles wurde für hundert Leute gebaut, heute sind wir zehn“, sagt der Seminarist Franz Steinkogler, und seine Stimme hallt. Der 45-Jährige verkörpert die heute typische Genesis einer Berufung. Er hat sich erst nach 18 Jahren weltlichen Berufslebens, immerhin in der Kirchenbeitragsstelle, entschlossen. Ein Sozialberuf oder auch Religionslehrer stand lange zur Debatte. Priester, gleichsam als spirituell angereicherte Melange der beiden Berufe? Das hat er zwar nie ausgeschlossen, „aber für mich stellte sich schon die Zölibatsfrage, und die Geschichten um Kardinal Groer waren nicht gerade eine Motivation einzusteigen“. Als sich die Kirche in seinen Augen wieder in Richtung einer vernünftigen Mitte bewegte, wagte er es doch. Den Gedanken an eine Ehe hat er auch aus pragmatischen Gründen aus seinem Kopf gestrichen: „Das ist kein 40-Stunden-Job mit freien Wochenenden und fünf Wochen Urlaub. Entweder du hängst dich voll rein, dann kommt die Familie unter die Räder, oder du machst deinen Job nicht gut.“

Aderlass. Ob seine zum Zölibat bestimmten Schützlinge durchhalten werden, weiß Regens Mittendorfer noch nicht. In bestimmten Aspekten darf er es auch gar nicht so genau wissen. Über das Ringen mit der keuschen Ehelosigkeit und eventuelle Rückschläge reden die Seminaristen mit dem Spiritual, dem geistlichen Leiter: „Er ist mir gegenüber zum Schweigen verpflichtet.“ Mittendorfer weiß nur aus Erfahrung, dass es schon Jahrgänge gab, in denen acht anfingen und nur einer Priester wurde: „Das war ein ordentlicher Aderlass“. Milde fügt er hinzu: „Es ist durchaus sinnvoll, sich einmal g’scheit zu verlieben, um zu wissen, wie das ist. Aber irgendwann stellt sich dann wirklich die Frage.“

Aber auch aus anderen Gründen kann der Weg eines Seminaristen noch vor der Priesterweihe eine Wendung nehmen. Kurz vor seinem für Ende Juni geplant gewesenen großen Tag im Linzer Dom forderte der Seminarist Andreas Golatz in einem Zeitungsinterview Widerstand gegen Rom: „Es muss einen regelrechten Aufstand auf diözesaner Ebene geben.“ Zölibat und Priesterweihe für Frauen müssten offen diskutiert werden. Golatz’ Weihe wurde nach einem Gespräch mit Bischof Alois Schwarz vorerst abgesagt. Offizielle Begründung: Der Kandidat hätte sich Bedenkzeit erbeten.

Ein würdiges Mitglied der neu gegründeten Pfarrer-Initiative wäre Golatz mit diesen Ansichten allemal. Aber dazu müsste er seinem Bischof zuvor doch noch Ehrfurcht und Gehorsam versprechen.

Von Klaus Kamolz, Fotos von Philipp Horak