Leitartikel: Sven Gächter

Prinzenrolle

Prinzenrolle

Drucken

Schriftgröße

Rot und Schwarz haben sich nun doch wieder zusammengerauft, Gusenbauer und Schüssel ihre notorisch brüchige Gesprächsbasis gekittet und vollmundig Verhandlungswillen gelobt. Wurde das Schlimmste also gerade noch verhindert? Und was könnte denn noch schlimmer sein als, sagen wir, eine große Koalition oder eine SPÖ-Minderheitsregierung oder Schwarz-Blau-Orange? Neuwahlen vielleicht – womöglich mit einem ÖVP-Spitzenkandidaten namens Karl-Heinz Grasser?

Der schneidige Noch-Finanzminister wird in der Volkspartei ernsthaft für allerhöchste Weihen gehandelt. „Warum sollte einer wie er nicht zum engsten Kandidatenkreis gehören?“, meint ÖVP-Budgetsprecher Günter Stummvoll, freudig sekundiert von Silvia Fuhrmann, Chefin der Jungen ÖVP. Auch Landwirtschaftsminister Josef Pröll, bis vor Kurzem noch die hochgepriesene Zukunftshoffnung der Schwarzen, streut seinem Regierungskollegen rote Rosen. Und selbst der niederösterreichische Landesfürst Erwin Pröll soll den wendigen Kärntner seinem Neffen inzwischen vorziehen, aus welchen machtstrategischen Gründen auch immer.

Kein Parteigrande argumentierte jedoch so entwaffnend wie der burgenländische ÖVP-Chef Franz Steindl: „Grasser ist nicht nur im Burgenland sehr beliebt, er hat auch hervorragende Arbeit gemacht.“ Banaler und wahrhaftiger kann man es, ganz im Geiste Hans Krankls, nicht auf den Punkt bringen: Popularität rules – alles andere ist primär!

Die Personalie KHG offenbart das ganze Elend der ÖVP anno 2006 exemplarisch. Nach fast 20 Jahren Regierungsverantwortung – seit 2000 und vor allem 2003 quasi im Sololauf – präsentiert sich die Partei ausgebrannt und bewegungsunfähig. Mit eisernem Durchhaltevermögen und taktischem Killerinstinkt hat Wolfgang Schüssel alle Macht auf sich zentriert und es dabei verabsäumt, rechtzeitig seine Nachfolge zu regeln – wohl nicht unabsichtlich: Einerseits rechnete er nicht mit einer Wahlniederlage, andererseits kann ein Starkstrompolitiker von Schüssels Zuschnitt die Einsicht in seine Ersetzbarkeit nicht lange genug aufschieben.

Wenn nun plötzlich ein Außenseiter – der Grasser als Parteiloser de facto ist – zum Wunschkandidaten gesalbt wird, dann erklärt die ÖVP damit in erster Linie ihren personellen Bankrott. Tatsächlich gibt es weit und breit niemanden, der sich anböte, der Partei ein konsensfähiges, zukunftsträchtiges Gesicht zu geben. Kronprinz Josef Pröll hat sich durch sein seltsames Lavieren zwischen strukturellem Opportunismus und alles andere als souveräner Eigen-PR fürs Erste selbst den Weg zum Thron verbaut.

Den Deus ex Machina soll nun also Karl-Heinz Grasser geben, sei es als ÖVP-Spitzenkandidat bei allfälligen Neuwahlen, sei es als präsumtiver Vizekanzler in einer großen Koalition. Spannend wäre das Experiment allemal: Ein Mann, der seine – spektakulär steile – Karriere in jedem Punkt der Protektion väterlicher Mentoren verdankt (und die Mentoren je nach persönlicher Bedürfnislage immer bereitwillig ausgetauscht hat), müsste zum ersten Mal aus der wohligen Sicherheit des Windschattens heraustreten und, wenn nicht gleich Farbe bekennen, so doch annähernd eigenständiges Format beweisen.
Vor allem müsste er die Wähler dazu zwingen, sich erstmals ernsthaft mit der Frage auseinanderzusetzen, wodurch seine anhaltend hohen Popularitätswerte eigentlich gerechtfertigt sind, jenseits von Feschheit und Fiona. Er müsste so etwas wie eine politische Vision entwickeln, die über das lächerliche Mantra vom „Nullbudget“ hinausginge. Er müsste lernen, was es bedeutet, Verantwortung für andere als seine ureigenen Interessen zu übernehmen. Und er müsste vor allen Dingen einsehen, dass gewisse chronische Verhaltensmuster mit der politischen Kultur einer modernen Demokratie nicht vereinbar sind.

Das sind geradezu utopische Perspektiven, und es gibt zu denken, wenn sie in der ÖVP derzeit offenbar ausgerechnet auf Karl-Heinz Grasser projiziert werden. „Jetzt ist einmal die Zeit der Substanz da“, sagte Noch-Bundeskanzler Schüssel am Freitag bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Noch-nur-SP-Chef Gusenbauer. Der Satz war vordergründig auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen gemünzt, sollte in Wahrheit aber dem neuen ÖVP-Thronprätendenten Grasser ganz fett ins Stammbuch geschrieben werden. Dieser hielt sich in den vergangenen Wochen übrigens auffällig im Hintergrund, mied selbst die von ihm sonst so beflissen wahrgenommenen Society-Events. Ein untrügliches Indiz dafür, dass KHG der österreichischen Politik noch viel länger erhalten bleibt, als ihr möglicherweise gut bekommt?
Um noch einmal Chefanalytiker Krankl zu zitieren: Das wäre irre regulär!