Prognosen: Die Angst vor dem Vorsprung

Fällt der SPÖ-Triumph kleiner aus als erwartet?

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Jetzt muss Harry ran, das ist allen klar. Der Mann mit dem Kampfnamen Harry heißt in Wahrheit Harald Kopietz, ist ein ehemaliger Feuerwehrmann aus Wien-Floridsdorf und wird in die Wiener Stadtgeschichte als „Erfinder des Donauinselfestes“ eingehen. Vor allem ist der 56-jährige SPÖ-Landtagsabgeordnete aber ein Virtuose auf der wohl mächtigsten politischen Orgel des Landes: Als Geschäftsführer der Wiener SPÖ beherrscht er seit 1996 den Parteiapparat im tiefroten Wien. Seinen Geniestreich lieferte Kopietz, als er 2001 die Wahl der Direktkandidaten zum ORF-Publikumsbeirat praktisch im Alleingang entschied: Die Kopietz’sche Mobilisierungsmaschine spuckte eine Flut von Fax-Stimmen für die SPÖ-Kandidaten Steffi Graf, Fritz Muliar und Andrea Konrad aus und verhinderte damit eine absolute Mehrheit der ÖVP in den ORF-Gremien.

In den nächsten sechs Tagen soll der 56-Jährige, dem sich der Stress vor einigen Jahren schon einmal ernsthaft aufs Herz geschlagen hat, noch einmal sein Bestes geben und allzu siegessichere Sympathisanten doch noch zur Urne treiben.

Bis zu 55 Prozent verheißen die Umfragen den seit 60 Jahren die Wiener Stadtpolitik dominierenden Sozialdemokraten. Laut den vom OGM-Institut hochgerechneten Zeitreihen bewegen sich die Werte der SPÖ bereits sei Mai beständig in diesen lichten Höhen. An zweiter Stelle rangiert in der bislang jüngsten OGM-Umfrage die ÖVP mit 18 Prozent.

Demnach läge die Partei des Bürgermeisters um rund 37 Prozentpunkte vor den „Verfolgern“, sofern dieser Begriff bei einer solchen Rekord-Distanz überhaupt zulässig ist. Genau das schafft den Sozialdemokraten ein Problem: Viele Anhänger könnten angesichts der ohnehin gemähten Wiese am Wahlsonntag bequemerweise zu Hause bleiben. Und sollten es dann doch „nur“ 50 Prozent für die SPÖ werden (was immer noch einen Zuwachs von drei Punkten bedeuten würde), könnte das als schwere Niederlage interpretiert werden.

Also muss Harry ran. In einem Rund-Mail an alle Funktionäre versuchte der Mobilisierungsmeister vergangenen Freitag übertriebenen Optimismus zu zerstreuen: „Liebe Genossin, lieber Genosse, die für die SPÖ erstellten Umfragen lassen ein Ergebnis um 50 Prozent erwarten“, heißt es da. Und weiter: „Gleichzeitig steigt HC Straches Wiener FPÖ nach einem großteils unappetitlichen, reinen Anti-Ausländer-Wahlkampf doch auf die 10-Prozent-Marke an, während Grüne und Schwarze kaum vom Fleck kommen.“

Wenngleich die Meinungsforscher den Zweckpessimismus des roten Parteimanagers bei den SPÖ-Werten nicht teilen wollen – den FPÖ-Trend sehen sie ebenso. „Es stimmt“, meint etwa Peter Hajek (OGM), „die FPÖ könnte mit etwas Glück zweistellig werden.“ 20 Prozent hatten die Freiheitlichen 2001 noch erreicht. Nach der Abspaltung des BZÖ im heurigen Frühjahr waren sie in den Umfragen auf sechs Prozent zurückgefallen. Die Auftritte von Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache als ungenierter Haider-Klon dürften jetzt einige Abtrünnige zurückgelockt haben.

Lebenszeichen. In der FPÖ sieht man dem Wahltag jedenfalls einigermaßen hoffnungsfroh entgegen. Die Stimmung bei Straches Wahlkampfauftritten sei gut, er habe seine Bekanntheit enorm erhöht. Jedes Ergebnis nahe der 10-Prozent-Marke werde man am Wahlabend als „schönen Konsolidierungserfolg“ und „kräftiges Lebenszeichen“ deklarieren.

Einige der zur FPÖ zurückströmenden Stimmen könnten tatsächlich aus dem SPÖ-Potenzial kommen, der Großteil dürfte aber aus dem Lager der Nichtwähler stammen. Die Schlappe von Jörg Haiders BZÖ in der Steiermark dürfte überdies potenzielle Orange-Wähler doch wieder den Blauen zugetrieben haben.

Was Michael Häupl zur Mobilisierung des eigenen Anhangs fehlt, ist ein veritabler Gegner, an dem er sich reiben könnte. „Dafür ist Strache aber einfach zu schwach. Er ist nur ein Krakeeler“, meint auch Kopietz. Auch 2001 war Häupls Wahlkampf erst richtig in Schwung gekommen, als Jörg Haider in der letzten Wahlkampfphase mit antisemitischen Parolen auf die Walstatt preschte und der Bürgermeister dröhnend dagegenhielt. Die rasche Reaktion Häupls hatte damals viele mögliche Grünwähler veranlasst, Rot zu wählen. Erst dadurch wurde die absolute Mandatsmehrheit der Sozialdemokraten ermöglicht.

Diesmal sollte das Duell Häupl vs. Schüssel lauten. Der schlaue Kanzler roch den Braten freilich frühzeitig und ließ den Wiener Roten ins Leere laufen: Attacken der Wiener SPÖ auf seine Bundesregierung blieben einfach unbeantwortet. Wiens ÖVP-Chef Johannes Hahn: „Schüssel hat gesagt: Wenn Häupl mit mir raufen will, dann soll er halt Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl werden.“ Die von der SPÖ jetzt kolportierten Zahlen glaubt Hahn nicht: „In allen Umfragen, die ich kenne, liegt die SPÖ deutlich über 50 Prozent – leider, sage ich gleich dazu.“

Hahn könnte am Wahlsonntag dennoch Grund zur Freude haben: Anders als in den von der SPÖ gehandelten Umfragen liegt die Wiener ÖVP in den Erhebungen des OGM-Instituts jetzt erstmals in diesem Wahlkampf – knapp, aber doch – vor den Grünen. 18 Prozent ÖVP, 16 Prozent Grüne lautet die Prognose, die man ernst nehmen sollte: Sowohl vor der Wahl in der Steiermark als auch vor jener im Burgenland hatte OGM die Ergebnisse von ÖVP und Grünen auf den Prozentpunkt genau vorhergesagt.

Reden in der Eden. Letzte Stimmen versuchen die Stadt-Schwarzen jetzt an Orten zu keilen, die bisher nicht oft Schauplatz politischer Kundgebungen waren. So wählten etwa Wirtschaftskammer-Chefin Brigitte Jank und die Ministerinnen Ursula Plassnik und Maria Rauch-Kallat für einen Sektempfang mit Ursula Stenzel und Johannes Hahn die noble Eden-Bar.

Erdiger gibt sich FP-Chef Strache, der diese Woche an die Stätte seines bisher wildesten Wahlkampf-Wütens, den Viktor-Adler-Markt im Arbeiterbezirk Favoriten, zurückkehrt.

Die SPÖ wird von Wahlkampf-Chef Kopietz noch einmal generalmobilisiert. Der rote Antreiber verfügt über beträchtliche Truppen. Die Wiener SPÖ zählt immerhin 100.000 Mitglieder, die in 370 Sektionen organisiert sind – gemessen an der Einwohnerzahl die weltweit größte Stadtpartei. 2800 Funktionäre sind derzeit praktisch täglich auf der Straße. Allein Laura Rudas, Tochter des Psychiaters Stefan Rudas und jüngste Gemeinderätin der Stadt, verfügte über einen Helferstab von 200 Jungroten.

Die Aktivitäten bestreichen das gesamte Stadtgebiet, wie der interne Wahlkampf-Kalender zeigt. Beispiel Dienstag dieser Woche: Während Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny im Studentenheim Vindobona über „Reaktionäre Kulturpolitik der Bundesregierung“ diskutiert und in Ottakring Ex-Schmetterling Beatrix Neundlinger mit der Band „Die geringfügig Beschäftigten“ auftritt, verteilen die SPÖ-Frauen an den strategischen Punkten Wiens 40.000 Herzen aus Kipferlteig.

Der Bürgermeister selbst ist an diesem Tag in besonderer Mission unterwegs: Anlässlich des Jubiläums „200 Jahre Frankfurter“ besucht Michael Häupl Würstelstände am Rathausplatz.

Von Herbert Lackner