Vogerlkunde

Coverstory. Wir leben im Überfluss, aber sind wir auch glücklich?

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usgerechnet der Vater der Psychoanalyse war ein Skeptiker des Glücks. „Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der Schöpfung nicht enthalten“, formulierte Sigmund Freud. Die von ihm entwickelte Methode könne nur „hysterisches Elend in gemeines Unglück“ verwandeln. Aus darwinistischer Sicht mag es zwar stimmen, dass der Homo sapiens einzig zu dem Zweck auf der Welt sei, um vor seinem Ableben den Genpool zu bereichern. Doch der Kampf ums nackte Überleben ist in hoch entwickelten Gesellschaften passé. Wer Hunger hat, muss nicht mehr unter Lebensgefahr ein wildes Tier erlegen. Das Angebot an Nahrung und Gütern des täglichen Bedarfs ist überreichlich.

Allein die umfassende Freiheit macht zu schaffen. Denn trotz des bis zum Überdruss beschworenen individuellen Lebensglücks, freier Job- und Partnerwahl, staatlicher Gesundheits- und Sozialleistungen sowie gesicherter Altersversorgung kommt bei vielen Menschen keine Hochstimmung auf. Laut einer im Vorjahr veröffentlichten Studie leiden 14 Prozent der europäischen Bevölkerung an Angst-, sieben Prozent an Schlafstörungen und 6,9 Prozent an Depressionen. Tendenz seit der Wirtschaftskrise 2008: stark steigend. Laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger werden in Österreich jährlich 900.000 Menschen wegen seelischer Probleme behandelt, 840.000 schlucken Psychopharmaka. Allein in den beiden vergangenen Jahren stieg die Zahl der Verschreibungen um 17 Prozent. Die Zahl der Erwerbsunfähigkeitspensionen aufgrund psychischer Erkrankungen wuchs seit 1995 um 116,7 Prozent, die Zahl der Spitalsaufenthalte aufgrund psychischer Leiden seit Mitte der 1990er Jahre um 96,6 Prozent. Im Jahr 2009 verursachten psychische Erkrankungen Kosten von 2,4 Milliarden Euro. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im subjektiven Empfinden der Österreicher wider: Bei einer im Sommer 2011 durchgeführten Umfrage gab ein Drittel der Befragten an, unglücklich zu sein. Damit reihen sich die Österreicher unter die unzufriedensten Europäer.

Parallel dazu wächst das Geschäft mit dem Glück und seelischem Wohlbefinden. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden im Jahr 2008 weltweit 104,8 Milliarden US-Dollar mit Psychopharmaka umgesetzt, zwei Jahre davor waren es 90 Milliarden. Dazu kommt eine unüberschaubare Zahl an Büchern diverser Heilsbringer und Glücksversprecher. Allein der Internetversand Amazon listet 4457 Titel zum Thema Glück auf.

Experten warnen, dieser „Glücksterror“ würde die Menschen nur noch mehr ins Unglück treiben, während andere an dem Unglück verdienen. Vielleicht wird uns nur eingeredet, dass wir so unglücklich sind, damit wir all die Verheißungen fürs rasche Glück möglichst zahlreich konsumieren. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens RegioPlan geben die Österreicher im Jahr 3,7 Milliarden Euro für Glücksspiele aus, um 30 Prozent mehr als für Bildung.

Doch was genau charakterisiert Lebensglück – haben all die Berater, Therapeuten und Psychologen Recht, die behaupten, dass man Optimismus und glückliche Lebenseinstellung lernen kann? Oder legt doch die genetische Veranlagung fest, ob jemand selbst im größten Unglück wie etwa einer Krebserkrankung sich noch eine positive Lebenseinstellung bewahrt, während sich andere von Kleinigkeiten aus der Bahn werfen lassen und daran zerbrechen? Die Wissenschaft kreist das flüchtige Vogerl Glück immer weiter ein und liefert Antworten auf Fragen nach Umwelteinflüssen, etwa, inwieweit Eltern für das spätere Lebensglück ihrer Kinder prägend sind oder ob der Glaube an Gott Menschen glücklicher macht.

Die Glücksforschung boomt, spätestens seit der amerikanische Sozialpsychologe Martin Seligman Anfang der 1990er eine Abkehr von der bis dahin vorherrschenden Freud’schen Psycholehre postulierte, welche die Schattenseite der Seele erforschte. So erschienen zwischen 1967 und 1994 insgesamt 90.000 wissenschaftliche Artikel über Angst, Schmerz und Depression, aber nur 5000 beschäftigten sich mit dem Glück. Seligman hingegen wollte wissen, was Menschen glücklich macht und warum sie gesund bleiben: „Die Behandlung von Gemütszuständen, die das Leben unglücklich machen, hat die Aufgabe in den Hintergrund gedrängt, sich vermehrt mit Gemütszuständen zu befasssen, die das Leben lebenswert machen. Aber die Menschen wollen mehr als nur ihre Schwächen korrigieren. Sie wünschen sich ein Leben, das mit Sinn erfüllt ist, und wollen sich nicht bloß abstrampeln, bis sie tot umfallen.“ Der US-Psychologe wollte sich vor allem mit jenen zufriedenen Menschen beschäftigen, die sich durch keinen Stolperstein aus der Bahn werfen lassen. Die von ihm begründete Richtung wird heute als „positive Psychologie“ bezeichnet.

Seither wird das Glück in verschiedensten Einzeldisziplinen untersucht, von der Neurologie bis zur Verhaltensforschung. Aus zahlreichen Studien lässt sich mittlerweile herauslesen, welche Voraussetzungen ein zufriedenes Leben fördern: ein Arbeitsplatz, ein intaktes soziales Netzwerk, eine Partnerschaft, Kinder, Selbstbestimmung, Glaube und Spiritualität, Leben in einer Demokratie und in einer Gesellschaft mit einer breiten Mittelschicht, wenigen Armen, wenigen Reichen und nicht allzu großen Einkommensunterschieden.

In den vergangenen Jahren konnte der Forschungszweig die ersten Langzeitstudien vorlegen – unter anderem mit dem Ergebnis, dass ein zufriedenes, glückliches Leben positive Folgewirkungen hat. So sind laut einer Vielzahl von Studien glückliche Menschen nicht nur gesünder, sie genesen auch schneller und leben länger.

Doch die „positive Psychologie“ und im Besonderen deren Schlussfolgerungen aus diversen Langzeitstudien ernten auch jede Menge Kritik. So würden sich manche der Wissenschafter vor lauter „Positive Thinking“-Euphorie in ihren Daten verlieren und nur indirekte Schlussfolgerungen ziehen. Es wäre eben nicht klar, ob glückliche Menschen gesünder oder Gesunde eher glücklich sind, sagen die Kritiker.
Zu den bekanntesten Skeptikern zählt die amerikanische Journalistin Barbara Ehrenreich, Autorin des Buchs „Smile or Die“, die unter anderem kritisiert, die Glückseligkeitsideologie habe maßgeblich zur Entstehung der Finanzkrise beigetragen. Auch stellte Ehrenreich klar, es gebe keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass optimistische Menschen seltener an Krebs erkranken oder schneller genesen. Solche Schlussfolgerungen würden Patienten nur suggerieren, sie seien selbst schuld an ihrer Krankheit. Eine kürzlich publizierte Langzeitstudie gießt neuerlich Öl ins Feuer, etwa mit der Feststellung, dass aus glücklichen Kindern seltener kranke Erwachsene werden.

In jahrelangen Analysen erstellte Seligman einen Katalog von 24 Charakterstärken, die er als „Determinanten des Glücks“ bezeichnet. Zwar seien diese Charaktereigenschaften in jedem Menschen vorhanden, aber bei einigen schwächer ausgebildet als bei anderen. Diese 24 Merkmale ordnete er sechs übergeordneten Tugenden zu, und zwar: Weisheit und Wissen (Neugier, Lerneifer, Urteilskraft, ­Erfindergeist, soziale Intelligenz, Weitblick), Mut (Tapferkeit, Durchhaltekraft, Integrität), Gerechtigkeit (Loyalität, Fairness, Führungsqualität), Menschlichkeit (Freundlichkeit, Liebesfähigkeit), Mäßigung (Selbstkontrolle, Klugheit, Bescheidenheit) und Transzendenz (Sinn für das Schöne, Dankbarkeit, Hoffnung, Spiritualität, Vergebung, Humor, Leidenschaft).

Laut Seligman ließen sich diese „Best of“-Charaktereigenschaften trainieren, zuvor sei es jedoch wichtig, die eigenen Stärken und Schwächen zu analysieren. Auf diesem Prinzip basieren so gut wie alle Lebens- und Wirtschaftscoachings. Oft werden dazu auch noch Entspannungsübungen empfohlen, um Stress und Ängste ­abzubauen, oder das Aufschreiben des Tagesablaufs, wenn nicht gar einer Bilanz des bisherigen Lebens, um sich erreichte Ziele und Defizite vor Augen zu führen.

Zwar erzielen Psychologen und Therapeuten mit derartigen Methoden durchaus gewisse Erfolge, aber viele selbst ernannte Lebensberater und Glückscoachs operieren mit selbst gestrickten Methoden, die jenseits jeglicher wissenschaftlichen Evidenz liegen. Über das Etikett „positiv denken“ lässt sich vieles verkaufen, bei ernsthaften psychischen Problemen sollte man jedoch unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und einen Arzt oder Therapeuten aufsuchen.

Angesichts der von Seligman formulierten Glücksdeterminanten stellt sich die Frage, inwieweit diese denn vererbt seien. Liegt es an den Genen, ob jemand das Glas halb leer oder halb voll sieht? Um das her­auszufinden, starteten amerikanische Wissenschafter eine Umfrage unter fast dreitausend Zwillingen. Ergebnis: Eineiige Zwillinge, die getrennt voneinander aufwuchsen, zeigten verblüffend gleiche Ergebnisse, bei zweieiigen, von denselben Eltern erzogenen Zwillingen hingegen wichen die Ergebnisse oft stark voneinander ab. Eine Reihe weiterer Studien kam zu ähnlichen Ergebnissen und zu einer Schätzung über den genetischen Anteil des Glücks: Demnach hängt unsere generelle Lebenszufriedenheit zur Hälfte von den Genen ab. Die Wissenschafter konnten sogar einzelne „Glücksgene“ ausfindig machen, wie etwa das Gen SLC6A4. Bei Trägern dieser Variante wirkt das Glückshormon Serotonin intensiver.

Wenn laut aktueller Forschung also fünfzig Prozent des menschlichen Glücksempfindens unveränderlich in den Genen festgeschrieben sind, inwieweit lassen sich dann die anderen fünfzig Prozent beeinflussen? Was genau können wir selber tun, um unser Glück zu schmieden, und vor allem: Was können Eltern tun, um möglichst glückliche Kinder aufzuziehen?
Der deutsche Hirnforscher Gerald Hüther ist überzeugt, dass es einfach ist, Kinder zu glücklichen Menschen zu erziehen. Er plädiert vor allem dringend für eine Schulreform im deutschsprachigen Raum: „Viele Kinder müssen in unseren Schulen lernen, dass sie so, wie sie sind, nicht gut genug sind. Das kann nicht glücklich machen.“ Freude sei schließlich auch für den Lernprozess wichtig, denn die dabei ausgeschütteten Glückshormone wirkten wie „neurobiologischer Dünger“ für das Gehirn. Hüthers Ansätze fokussieren auf zwei wesentliche Punkte: Ob Kinder oder Erwachsene – jeder Mensch benötigt ein Zugehörigkeitsgefühl, einen sozialen Anker, der seiner Psyche Halt gibt. Das zweite, für Hüther wichtigste Element ist die Erkenntnis, dass das herrschende Schulsystem vor allem in einem Punkt völlig versagt, nämlich im Bereich „Auf­gaben, an denen Kinder wachsen können“. So sollten sie beispielsweise schon früh Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen, wie alte Menschen besuchen oder sich um Tiere kümmern. Dafür müssten ihnen die Erwachsenen aber auch die entsprechende Wertschätzung entgegenbringen.

Inzwischen werden vereinzelt bereits Vorschläge wie jene Hüthers umgesetzt – es gibt sogar schon „Glücksunterricht“ in Schulen, so etwa an der Grazer Volksschule Peter Rosegger. Die Kinder sollen dort in Modulen lernen, wie sie sich gesund ernähren oder bewegen. Dazu werden ­positive und negative Gefühle analysiert, Thea­terspielen und Gesangsunterricht sollen zu einer besseren Körperwahrnehmung verhelfen. Weiters wird anhand von erzählten Geschichten analysiert, welche Passagen die Kinder emotional bewegen, einen Stimmungswandel in ihnen auslösen. Bei anderen wird die Empathiefähigkeit erarbeitet. Noch in diesem Jahr soll es dazu erstmals eine Evaluierung geben, die Aufschluss darüber geben soll, ob dieser Glücksunterricht etwas gebracht hat. Hüther ist überzeugt, dass auch Erwachsene auf ähnliche Weise an ihrem Glücksempfinden arbeiten können. „Das Gehirn ist plastischer, als wir gedacht haben, und bis ins hohe Alter formbar“, so der Forscher.

Rezepte, wie man sein Glück am besten schmiedet, gab es zu allen Zeiten. Die ersten „Glücksratgeber“ hatte 500 vor Christus der Denker Konfuzius im alten China verfasst. Als glückliches Leben bezeichnete er ein tugendhaftes Leben, das sich vor allem in sozialem Engagement und Wissenserwerb auszeichnet. Fast 200 Jahre nach Konfuzius postulierte der griechische Philosoph Aristoteles ähnliche Maximen: Demnach sei das Glück nicht in „Spiel und Scherz“ zu suchen, sondern „in den tugendhaften Tätigkeiten“. Auch der römische Philosoph Seneca sah Tugend und Glück als gleichwertige Geschwister, wie im Übrigen alle großen Weltreligionen, die in einem „maßvollen und tugendhaften Leben“ den Schlüssel zur Glückseligkeit sehen.

Tatsächlich belegen moderne Studien, dass Selbstkontrolle ein wesentlicher Faktor für das persönliche Glück ist. Die Fähigkeit des Menschen, eine Zeit lang Verzicht zu üben, sich zu zügeln und zu mäßigen, damit er in Zukunft umso mehr profitiert, ist eines der Charakteristika. Wenn jemand beispielsweise wochenlang für eine große Prüfung lernt, um dann das Gelernte vor anderen zu beweisen und davon einen beruflichen oder persönlichen Nutzen zu ziehen, dann ist das ein vorausschauendes, planerisches Element für das künftige Wohlergehen.

Der Wiener Psychologe Walter Mischel hatte bereits in den 1960er Jahren den aus Lehrbüchern bekannten, so genannten „Marshmallow-Test“ durchgeführt. Dabei testete er die Selbstbeherrschung von vierjährigen Kindern. Die Kinder wurden vor die Wahl gestellt, ob sie sofort ein Marshmallow, eine Süßigkeit, bekommen wollten, oder ob sie es schafften, fünfzehn bis zwanzig Minuten mit dem Verzehr zu warten. Während der Wartezeit verließ der Versuchsleiter den Raum. Hatten es die Kinder geschafft, das Marshmallow bis dahin nicht zu essen, erhielten sie zur Belohnung ein zweites. In der Psychologie wird dies als Belohnungsaufschub bezeichnet. Die Probanden, die damals an der Studie teilnahmen, werden bis heute in einer Langzeitstudie beobachtet. Und tatsächlich zeigte sich: Die Kinder, die am längsten oder gar bis zum Ende durchhielten und das Marshmallow nicht aßen, also sich gut selbst kontrollieren konnten, waren in der Schule generell besser, später im Berufsleben erfolgreicher, verdienten besser, ernährten sich gesünder, neigten weniger zu Suchtverhalten – und entwickelten weniger häufig eine Depression. Tugenden und Mäßigung, wie sie bereits die alten Philosophen beschworen hatten, sind also nachweisliche Faktoren für ein erfolgreiches und glückliches Leben.

Auch eine zweite wesentliche und bis heute immer wieder zitierte Glücksanleitung stammt aus dem alten China. Im Daoismus (auch Taoismus geschrieben), einer heute durch das Gegensatzpaar Yin und Yang auch in der westlichen Welt bekannten altchinesischen Philosophie, wird gelehrt, dass das Glück demjenigen von selbst passiert, der das Schicksal geschehen lässt und es nicht zu lenken versucht. Diese Weisheit wurde immer wieder in unzähligen Zitaten und Aphorismen verpackt. Einer der bekanntesten stammt vom deutschen Dramatiker Bertolt Brecht, der in seiner „Dreigroschenoper“ schrieb: „Ja, renn nur nach dem Glück / doch renne nicht zu sehr / denn alle rennen nach dem Glück / das Glück rennt hinterher.“

Eine dritte wichtige Definition des Glücks stammt vom griechischen Philosophen Epikur, der vor allem die Abwesenheit und Vermeidung von Schmerz als wichtigstes Kriterium ansah. Ein viel radikaleres Konzept propagierte schließlich das Christentum: Wahres Glück sei nicht im irdischen Leben, sondern erst im Jenseits zu erreichen. Und selbst dahin führe der Weg nur über absolute Selbstkasteiung. Um 1700 schrieb dann der englische Denker John Locke: „Die höchste Vollkommenheit einer vernunftbegabten Natur besteht in dem unermüdlichen Streben nach wahrem und dauerhaftem Glück.“ In Mitteleuropa brachte der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz auch den Staat ins Spiel, dessen Aufgabe es wäre, dem Menschen bestmögliche Glückseligkeit zu garantieren. In der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 wurde das Recht auf „the pursuit of happiness“, das Streben nach Glück, sogar in die Verfassung aufgenommen.

Doch dann war im europäischen Denken wieder Glücksskepsis angesagt: Der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche betrachtete das Glück nur als „einen Hauch, einen Husch, einen Augenblick“, bevor es wieder in unerreichbare Ferne rückt. Statt für eine Vermeidung von Schmerz plädierte er dafür, dass der Mensch möglichst viele intensive Erfahrungen machen sollte: „Wie, wenn nun Lust und Unlust so mit einem Strick zusammengeknüpft wären, dass, wer möglichst viel von der einen haben will, auch möglichst viel von der anderen haben muss.“

Das Paradoxon, dass an das Glück auch immer das Unglück gekoppelt ist, beschrieb auch Sigmund Freud: „Wir sind so eingerichtet, dass wir nur den Kontrast intensiv genießen können, den Zustand sehr wenig. Somit sind unsere Glücksmöglichkeiten durch unsere Konstitution beschränkt.“
So sehen es auch heutige Psychotherapeuten. Zufriedene Menschen akzeptieren vor allem die Schattenseiten und meistern diese besser. Die amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson von der University of North Carolina will sogar eine Art Glücksformel gefunden haben. So sollen einem negativen Moment im Durchschnitt drei glückliche gegenüberstehen. Dabei gilt es, vor allem die positiven Momente als solche zu erkennen – viele Menschen und insbesondere Pessimisten fokussieren nur auf die negativen Erlebnisse.

Das permanente Streben nach Glück macht demzufolge also tatsächlich unglücklich, da es dauerhaftes Glück einfach nicht gibt.

Das grassierende Unglück der westlichen Welt könnte auch in der Konsumkultur ihre Wurzeln haben, die uns durch die Werbung vorgaukelt, dass wir nur dieses oder jenes Produkt brauchen, um uns besser zu fühlen. Sogar Joghurt wird heute über die Formel „Wohlfühlfaktor“ verkauft. Außerdem neigt der Mensch dazu, sich ständig mit anderen zu vergleichen, was laut dem französischen Philosophen Charles-Louis de Montesquieu in einen Teufelskreis mündet: „Man will nicht nur glücklich sein, sondern glücklicher als die anderen. Und das ist deshalb so schwer, weil wir die anderen für glücklicher halten, als sie sind.“

Das Streben nach äußeren, materiellen Werten macht oft erst recht unglücklich. Der amerikanische Ökonom Richard Easterlin beschrieb im Jahr 1974 die eigenartige Gesetzmäßigkeit, dass – sobald die Grundbedürfnisse gedeckt sind – mehr Einkommen nicht glücklicher macht. Die Erfüllung weiterer materieller Wünsche wie ein schnelleres Auto führt nur dazu, dass der Glückseffekt bald danach verpufft. Die Latte wird somit immer höher und höher gelegt, bis eben nichts mehr geht. Selbst nach einem Lottogewinn pendelt sich das Hochgefühl schnell wieder auf ein normales Maß ein, ein Phänomen, das als „Easterlin-Paradoxon“ in die Lehrbücher Eingang fand. Auch wenn diese Gesetzmäßigkeit seit bald vierzig Jahren bekannt ist, so ist sie offenbar noch nicht ins allgemeine Bewusstsein gedrungen.