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Ich mag keine Brechstangen“, sagt Herbert Föttinger, 43, designierter Direktor des Theaters in der Josefstadt, wenn man ihn auf Äußerungen anspricht, die in den vergangenen Wochen und Monaten publik wurden: Man müsse, hieß es da immer wieder, die Tradition dieses Theaters „aufbrechen“, die Struktur seines Publikums nötigenfalls auch gewaltsam verändern.

Die Josefstadt gilt als bürgerliches Theater, sein Publikum als konservativ. Das Durchschnittsalter seiner Besucher liegt bei 60 Jahren, ist also hoch. Die Gründe dafür sind die steigende Lebenserwartung, die Treue der Besucher und deren Mobilität auch im höheren Alter, die Verlässlichkeit von Spielplan und dessen Realisierung.

Das Josefstädter Theater und seine Dependance, die Kammerspiele, müssen über vierzig Prozent ihres Budgets aus dem Kartenverkauf abdecken. Das gelingt derzeit wieder, da man sich vom mehrmonatigen Flop der „Ära Gratzer“ erholt hat, und das muss auch künftig gelingen, weil sonst der von Bund und Stadt Wien gestützte Spielbetrieb gefährdet wäre.

Gelingen kann dies nur, sofern das Vertrauen des Publikums nicht enttäuscht wird. Wenn also der Regisseur und Schauspieler Paulus Manker kürzlich in einem Zeitungsinterview zur Josefstadt meinte: „Die muss man ausmisten wie den Augiasstall, und da hilft nur die große Gartenschere, auch wenn’s 70 Prozent des Publikums kostet“ – dann ist solch eine Äußerung nicht nur rabaukenhaft, sondern auch praxisfremd.

Benötigt wird nämlich keine Gartenschere, sondern eine Standortbestimmung des Josefstädter Theaters.

Wenn der Zeitgeist, wie es scheint, nach Zertrümmerung von Stücken und Texten, nach deren Manipulation und plakativer Aktualisierung verlangt, sollte es auch einen Ort geben, wo jene Zuflucht finden, die diesem Zeitgeist Widerstand leisten. Nicht aus Bequemlichkeit oder Denkfaulheit. Nicht, um Konventionen zu schützen, die manchmal kaum schützenswert sind. Aber es gibt Theaterbesucher, die Fantasie, Assoziationsfähigkeit und Intelligenz genug besitzen, um selbst feststellen zu können, ob ein Stück, ein Text in der heutigen Zeit noch Gültigkeit, gar Aktualität hat. Sie wollen sich nicht von Regisseuren die Stücke umstülpen, von Bearbeitern deren Meinung aufzwingen lassen. Sie sind auf der Suche nach einer gleichsam geschützten Zone. Sie wollen Sicherheit, mit dem angekündigten Stück konfrontiert zu werden und nicht primär mit der Eitelkeit eines Regisseurs.

In der Wiener Theaterszene, in der solche Sicherheit immer seltener geboten wird, könnte, sollte, müsste die Josefstadt die Funktion eines hochwertigen „puristischen“ Theaters haben, in dem das Stück, der Text, die Schauspieler mehr zählen als die mediengeile, schlagzeilenträchtige modische Verpackung. In dem man Autoren und Literatur begegnet und nicht szenischen Besserwissern. In dem es um Inhalte geht und nicht um Interpretationen.

Wenn also Herbert Föttinger, der neue Josefstadt-Chef, erklärt, er wolle „die Tradition im Griff, aber die Zukunft im Auge“ haben, dann sollte er dieses Motto auch tatsächlich verwirklichen. Es bedeutet, die große Tradition dieses Theaters nicht von Zeitmoden denunzieren zu lassen und auf der Basis wünschenswerter künstlerischer Erfolge auch jenen Mut zu entwickeln, den jede Theaterarbeit braucht.
Das ist kein Plädoyer für ängstliches Quotendenken, sondern für einen vernünftigen Umgang mit jenem Publikum, das man hat, das man braucht, das man vermehren, aber nicht unbedingt vor den Kopf stoßen will.

Karl Löbl, 75, zählt zu Österreichs profiliertesten Kritikern. Er war Chefredakteur des „Kurier“ und ORF-Kulturchef.