Leitartikel: Georg Hoffmann-Ostenhof

Rache ist süß

Rache ist süß

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Die Franzosen pilgerten noch zu den Wahllokalen, da wusste bereits ein Österreicher, was das alles zu bedeuten hatte. „Rache der Geschichte: Frankreich wählt heute seinen Haider“, titelte Wolfgang Fellner schmissig eine Kolumne in der Sonntagsausgabe seiner Tageszeitung „Österreich“. Er meinte Nicolas Sarkozy. Und Fellner erinnerte daran, dass Frankreich seinerzeit wegen Haiders Ausländerfeindlichkeit und der Regierungsbeteiligung der FPÖ über Österreich EU-Sanktionen verhängen ließ. Und wie rächt sich die Geschichte? „Ausgerechnet die Franzosen wählen einen Präsidenten, der Haider rechts überholt hat“, räsonierte Fellner und entrüstete sich: „Doch keinen stört’s. Und niemand spricht von EU-Sanktionen.“

Ich würde auf diese Ausführungen nicht eingehen, bestünde nicht die kleine Möglichkeit, dass ich an diesen seltsamen Gedanken mit schuld war. Ich hatte kurz vorher in einer profil-Kolumne gemeint, Sarkozy erinnere in seiner Wandelbarkeit, seiner Egomanie, seiner Fähigkeit zu polarisieren und seiner autoritären Psyche an jenen Haider, der in den neunziger Jahren einen Teil der österreichischen Bevölkerung fasziniert hatte. Was, wenn Fellner meinen Artikel gelesen haben sollte und sich davon inspirieren ließ? In diesem Fall möchte ich mich in aller Form für solch eine „Mittäterschaft“ entschuldigen. Denn Fellners Analyse kann falscher nicht sein.

Zunächst: Die Ausländerfeindlichkeit Haiders hätte nicht ausgereicht, um Europa zu empören. Ausschlaggebend war, dass sich die FPÖ und ihr Chef nicht glaubhaft von nationalsozialistischen Gedankengängen distanzierten und dass Haider immer wieder mit zweifelhaften Aussagen provozierte. Dass eine solche Partei in einem EU-Land regieren sollte, hielt man in Westeuropa, vor allem auch in Frankreich, zu Recht für unerträglich. Nicolas Sarkozy mag ein autoritärer Knochen mit populistischen Instinkten sein, ja, man kann ihn sogar für einen gefährlichen Politiker halten, aber mit den Nazis hat er bei Gott nichts am Hut. Und die Ausländerfeindlichkeit des neuen französischen Präsidenten ist auch von grundlegend anderer Art als jene des Kärntner Landeshauptmanns.

Die starken Sprüche etwa vom „Gesindel“, wie der Franzose die revoltierenden, aus Nordafrika stammenden Kinder in den Vorstädten beschimpfte, mögen schockieren. Aber, und das soll man auch nicht vergessen, mit seinem pointiert rechten Wahlkampf hat Sarkozy den wirklich Rechtsradikalen um Jean-Marie Le Pen – der von den französischen Konservativen nie auch nur in die Nähe der Macht gelassen wurde – das Wasser abgegraben. Le Pens Nationale Front, die am ehesten mit der FPÖ der neunziger Jahre zu vergleichen ist, hat bei den Wahlen dramatisch verloren.
Und bei allen unappetitlichen xenophoben Anklängen bei Sarkozy – kann man sich einen Jörg Haider vorstellen, der „positive Diskriminierung“ für die benachteiligte Immigranten-Jugend vorschlägt und deren besondere Förderung propagiert? Dies jedoch tut Sarkozy, der selbst ein Kind von Einwanderern ist.

Die Feststellung, dass der neue französische Präsident Haider „rechts überholt hat“, ist ebenso offensichtlicher Unsinn wie die Prognose, der „Sarkozy-Virus“ werde „ganz Europa anstecken“ und einen Rechtsruck einläuten. Aber entspricht der Ausgang der französischen Präsidentschaftswahl tatsächlich einer allgemeinen Tendenz in Europa, und gibt Frankreich den Rhythmus der politischen Entwicklung auf dem Kontinent vor?

In Wahrheit lassen sich allgemeine Polittrends in Europa derzeit nicht entdecken. Im Süden – in Italien, Spanien und Portugal – gewann zuletzt eher die Linke. In Deutschland kam zwar nach acht Jahren Rot-Grün 2005 eine große Koalition unter CDU-Führung ans Ruder, und in Großbritannien ist die Tory-Opposition im Aufschwung. Aber sowohl die britischen als auch die deutschen Konservativen positionieren sich, im Unterschied zu den französischen, zunehmend in der Mitte. In Skandinavien, wo Bürgerliche in den Regierungen sitzen, sind diese in ihrer Programmatik und Politik, gemessen an mitteleuropäischem Politverständnis, fast schon Sozialdemokraten. Und da mag man jetzt über den „Umfaller Gusenbauer“ lästern und den schlechten Start der großen Koalition geißeln: Einen Rechtsruck markierte die rot-schwarze Koalition weiß Gott nicht, schon gar nicht nach sieben Jahren schwarz-blau-oranger Regierung.

Empirisch finden sich bisher also kaum klare Grundlagen für die Fellner’sche Analyse. Auch für die behauptete Ansteckungsgefahr spricht wenig. Frankreich hat – und darüber mag man dort traurig sein – keine allzu große politische Ausstrahlungskraft im übrigen Europa. Die Politik dort bewegt sich oft sogar antizyklisch: In den achtziger Jahren etwa, in denen der Konservativismus in Europa triumphierte – siehe Margret Thatcher und Helmut Kohl –, wurde Frankreich vom linken Präsidenten François Mitterrand regiert.

Bei aller Sympathie für Warnrufe vor der „rechten Gefahr“ – einen gewissen Bezug zur Realität sollten diese doch haben.