Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

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Werner Faymann und Josef Pröll waren gerade dabei, beim Tlapa – sie hatten dieses traditionsreiche Modehaus als demonstrative Geste ihres bedingungslosen Bekenntnisses zur Heimat wie auch ihres eisernen Sparwillens gewählt – ihre Angelobungskrawatten auszusuchen. Die Idee, sich überhaupt gleich eine zu teilen, hatten sie zwar nach längerer Überlegung wieder verworfen, aber bei der Enge ihrer Beziehung zueinander lag es auf der Hand, dass sie sich für verschwesterte Modelle entschieden.

Werner warf seinem Sepp immer wieder verliebte Blicke zu, die dieser, wie es sich für einen Landbauernbuben, der er in der Tiefe seines Herzens immer geblieben war, geziemte, mit schüchternem Erröten erwiderte. Als Werner dann aber auch noch begann, mit seinem stets treffsicheren Tenor „Biep, biep, biep – ich hab dich lieb!“ zu singen, wurde es dem Sepp doch zu peinlich. „Wernschti“, ermahnte er ihn mit koketter Strenge. „Net vor die Leit!“

Aber wo sollte der Werner denn hin mit seinem Glück? Er fühlte sich wieder wie 17 – und das war ihm zum letzten Mal mit neun passiert. Zur gleichen Zeit ertappte sich Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich bei dem Gedanken, dass Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek wohl einen Heiratsantrag von ihm abschmettern würde – wenngleich sicherlich nur aus dem etwas profanen Grund, dass ihr neuer Familienname ansonsten wie eine walisische Ortstafel klänge. Dennoch jagte ihm diese beinahe traumwandlerische Selbstverständlichkeit, mit der Gabi und er ihre Positionen teilten, glühend heiße Schauer über den Rücken. Auch er war wie sie ganz entschieden für eine Anhebung der Frauenerwerbsquote. Vor allem im bäuerlichen Bereich. Seine Einladung, sich einmal ganz privat mit ihm gemeinsam seine Sammlung sämtlicher Folgen von „Bauer sucht Frau“ anzusehen, hatte sie zwar noch züchtig ausgeschlagen – aber Niki spürte instinktiv, dass diesbezüglich der Weizen noch lange nicht gedroschen war.

Was Sozialminister Rudolf Hundstorfer an Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner vor allem schätzte, war leicht erklärt: Er war nicht Martin Bartenstein. Mitterlehner wiederum hatte sein Amt überhaupt nur unter der Bedingung übernommen, dass ihm kein Linker als Sozialminister gegenübersitzen dürfe, sondern eben ein Gewerkschafter, bei dem das Wort „Strukturkonservatismus“ keinen Schreikrampf, sondern ein breites, zufriedenes Lächeln hervorrief.

Eine Sozialpartnerschaft war natürlich keine ewige Amour fou, fand Rudi. Es war wie in jeder anderen Langzeit-Ehe. Es ging nicht um das heftige Lodern der Lust – das war doch ach so vergänglich! Nein, es ging um Intimität. Vor allem in den kleinen Dingen des Alltags. Miteinander schweigen können, ohne sich dabei unbehaglich zu fühlen. Tauben füttern im Park. Sich nach einem Kinobesuch beim anderen unterhaken zu können und zu wissen: Ja, hier bin ich zu Hause. Reinhold beschloss, Rudi wieder einmal Blumen ins Büro zu schicken. Er lächelte. Ob er sich wohl über rote Nelken freuen würde?

Nach der Angelobung notierte Doris Bures als obersten Punkt auf ihrer To-do-Liste: „Mitzi Fekter fragen, woher sie diesen Blazer hat!“ Doch auch abseits schnöder Äußerlichkeiten verband die Infrastrukturministerin wesentlich mehr mit der toughen Kollegin aus dem Innenressort, als die Öffentlichkeit auf den ersten Blick angenommen hätte. So einte beide zum Beispiel eine geradezu unbezähmbare Leidenschaft für wilde Rockmusik von Phil Collins. Und bei „Desperate Housewives“ fanden sie sich beide vor allem in der Figur der rothaarigen Bree wieder, wie sie im Zuge ihrer Tätigkeit als Koordinatorinnen der Regierungsverhandlungen festgestellt hatten. Übrigens in derselben Arbeitssitzung, in der sie sich nach einigen Stamperln Eierlikör gegenseitig gestanden hatten, dass es einer übermenschlichen Anstrengung bedurft hätte, den frühen David Hasselhoff von der Bettkante zu stoßen.

In stillen Stunden hatte Mitzi sogar manchmal das Gefühl, in Doris die Freundin gefunden zu haben, die sie nie gehabt hatte. Und auch Doris hatte sich, seit sie damals in dieser Kaffeekooperative in Nicaragua solidaritätsgepflückt hatte, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen, nie wieder so verstanden gefühlt wie jetzt von Mitzi. Als am Nachmittag nach der Angelobung sein Handy läutete, musste Josef Pröll gar nicht erst auf das Display schauen, um zu wissen, wer es war. Schließlich war es Werner selbst gewesen, der ihm exklusiv für seine Anrufe „I Am the One and Only“ als Klingelton heruntergeladen hatte.

„Lass uns essen gehen!“, bettelte Werner. „Ich zahl!“ Mit einem Mal fühlte sich Josef etwas unbehaglich. Er lockerte seinen Krawattenknopf und holte tief Luft: „Weißt du was? Heute nicht. Ich brauch ein bisschen Abstand.“ Werner schwieg. Als er sich wieder gefangen hatte, sagte er: „Nur damit eines klar ist: Ich bin kein Mann für eine Nacht.“

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