Rauchen

Rauchen: Schall & Rauch

Schall & Rauch

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Der junge Mann im hellgrünen Pullover zieht genussvoll an seiner Zigarette und bläst dann den Rauch aus dem Mundwinkel schräg in die Luft. Die neuen Schockaufschriften auf den Zigarettenpackungen belustigen ihn: „Schon wie wir Kinder waren, haben s’ uns Raucherlungen und Raucherbeine gezeigt. Abgeschreckt hat das keinen von uns.“ Die umstehenden Raucher und Raucherinnen nicken zustimmend. Sie stehen im Hinterhof eines Bürohauses im dritten Wiener Gemeindebezirk und paffen im Freien, weil ihre Firma das Rauchen im Haus nicht gestattet.

Seit kurzem sind Zigarettenpackungen in Österreich mit Aufschriften verziert, die aussehen wie kleine Partezettel: schwarz umrandet, stehen dort in fetten Lettern Losungen wie „Rauchen kann tödlich sein“, „Rauchen fügt Ihnen und den Mitmenschen Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ oder „Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“. Gemäß einer EU-Richtlinie müssen alle Zigarettenpackungen spätestens ab 1. Jänner 2004 derartige Warnhinweise tragen, jeweils im Ausmaß eines Drittels der Packungsgröße. Seit die Weltgesundheitsorganisation WHO den Tabakgenuss zur Krankheit erklärt und deshalb zu einem weltweiten Kampf gegen das Rauchen aufgerufen hat, verstärkt auch die EU ihre Maßnahmen gegen den Tabakkonsum. Der Zugang zu Rauchwaren soll erschwert, Zigarettenwerbung ab 2006 generell verboten werden.

Schockbilder. Der Wiener Universitätsprofessor und Sozialmediziner Michael Kunze, als Mitglied des EU-Komitees für Tabakkontrolle (EU Regulatory Committee on Tobacco) einer der „Täter“, erblickt in den neuen Aufschriften zwar auch nicht die Lösung des Problems, wohl aber „ein Signal an die Raucher“. Schon jetzt zeigt er sich mit der Wirkung zufrieden: „Es gibt Diskussion, die Medien stürzen sich auf das Thema.“ Er finde es nur schade, dass er sich mit seinem Vorschlag nicht durchsetzen konnte, die Schockaussagen mit Infos über Entwöhnungshilfen zu verbinden. Stattdessen steht auf Zigarettenpackungen der Rat: „Hier finden Sie Hilfe, wenn Sie das Rauchen aufgeben möchten: Befragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“

Unterdessen plant die EU schon den nächsten Schritt: Zu den Schockaussagen sollen auch noch Schockbilder kommen – von abgestorbenen, nekrösen Beinen und verkohlten oder krebszerfressenen Lungen. Ob die Idee tatsächlich umgesetzt wird, ist allerdings den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen. Kunze denkt, es werde wohl einen Unterschied machen, ob die betreffende Nation Zigarettenpackungen nur vermarktet oder auch selber produziert.

Umso mehr wittern Kritiker hinter dem Schockprogramm bloße Heuchelei – immerhin subventioniert die EU den Tabak-anbau – und obendrein einen Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten: Das schleichende Verbot der freien Rauchkultur sei von einer Lustfeindlichkeit geprägt, wie man sie nur aus Epochen genereller Unterdrückung kenne. Manche Kritiker gehen gar so weit, hinter dem von der EU verordneten Anti-Raucher-Feldzug einen „faschistoiden Ansatz“ zu vermuten.

Raucher-lkone. In Barbara Stöckls ORF-Sendung „Help TV“, in der am Dienstag vergangener Woche neben Ärzten und Tabakopfern auch Befürworter des Tabakgenusses zu Wort kamen, stieg die ORF-Filmerin Elizabeth T. Spira („Alltagsgeschichten“, „Von Liebes- und Heiratssachen“) zur neuen Ikone der Raucher auf: Als freie, selbstbestimmte Bürgerin lasse sie sich den Rauchgenuss von niemandem nehmen.

Wie gefährlich ist Rauchen wirklich?
Für EU-Strategen wie für Sozialmediziner und Gesundheitspolitiker in den einzelnen Mitgliedsstaaten ist das Rauchen zuallererst ein Problem der Volksgesundheit und der volkswirtschaftlichen Kosten. Ganze Bibliotheken von Studien belegen, was ohnehin jeder weiß: dass Rauchen nicht nur herrlich, sondern auch gefährlich sein kann. Zwar bedeutet die Tatsache, dass Raucher durchschnittlich sieben bis acht Jahre früher das Zeitliche segnen, im Endeffekt auch eine Entlastung der Gesundheitsbudgets, wie das „New England Journal of Medicine“ schon vor Jahren mit gesundheitsökonomischem Zynismus anmerkte. Aber dem vorzeitigen Tod gehen Behandlungen und Krankenstandstage voraus, die mit Milliarden an volkswirtschaftlichen Kosten zu Buche schlagen.

Die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) beschreiben die „Bürde des Tabakkonsums“ folgendermaßen: „In den USA rauchen geschätzte 46,5 Millionen Erwachsene, obwohl dieses singuläre Verhalten bei der Hälfte aller regelmäßigen Konsumenten zum Tod oder zu Behinderung führen wird. Das Zigarettenrauchen fordert Jahr für Jahr mehr als 440.000 Todesopfer, das entspricht einem von fünf Todesfällen. Dazu kommt, dass bei Fortsetzung der gegenwärtigen Rauchgewohnheiten 6,4 Millionen Menschen, die jetzt noch unter 18 sind, vorzeitig an tabakindizierten Krankheiten sterben werden.“

Mehr Raucherinnen. In Österreich, dem am wenigsten raucherfeindlichen Land innerhalb der 15 EU-Staaten, raucht nach einer Erhebung des Wiener Instituts für Sozialmedizin aus dem Jahr 2000 ein schwaches Drittel der Bevölkerung, genau sind es 32 Prozent der Männer und 26 Prozent der Frauen. Während bei den Männern in den vergangenen Jahren eine Stagnation oder sogar ein leichter Rückgang zu beobachten ist, steigt der Anteil der Raucherinnen beständig an, besonders auffallend in den jungen Altersgruppen. Laut einer Studie der WHO rauchen in Österreich bereits mehr 15-jährige Mädchen als Burschen regelmäßig Zigaretten. Während der neunziger Jahre stieg der Anteil der rauchenden Mädchen von zwölf auf 26 Prozent (Burschen: von 14 auf 20 Prozent). Damit hält Österreich hinter Grönland den zweiten Platz im europäischen Vergleich. Aber laut Ernest Groman, dem Leiter des Wiener Nikotin-Instituts, soll es auch Untersuchungen geben, die beim Anteil der rauchenden Mädchen bereits die 30-Prozent-Marke überschritten sehen. Der Epidemiologe Christian Vutuc vom Wiener Institut für Krebsforschung bestätigt diesen Trend, „weil die Frauen immer mehr das Rauchverhalten der Männer annehmen“, wobei sich das Einstiegsalter bei Mädchen wie bei Burschen schon in Richtung zehn Jahre bewege. „Das ist natürlich besonders beunruhigend“, so Vutuc, „denn je früher man raucht, desto empfindlicher ist die Lunge und desto größer sind die Schäden.“ Eine Befragung von zwölf- bis fünfzehnjährigen Schülern in Oberösterreich hat ergeben, dass mehr als die Hälfte Raucherfahrungen hatten. Das höchste Einstiegsrisiko haben laut Vutuc Kinder, wenn der beste Freund raucht, wenn Mutter oder Geschwister rauchen. Keinen signifikanten Einfluss hat der Vater beziehungsweise der Lehrer, was „etwas aussagt über Autorität und Werte“.
Schon jetzt kann Vutuc abschätzen, welche epidemiologischen Folgen der immer frühere Einstieg haben wird.

Derzeit sterben in Österreich jährlich etwa 3200 Menschen an Lungenkrebs, 90 Prozent der Opfer sind Raucher. An anderen tabakindizierten Krankenheiten sterben laut Auskunft des Wiener Nikotin-Instituts jährlich zwischen 12.000 und 14.000 Personen.

Studien, die derlei Daten erheben, fragen immer nur nach Zigarettenkonsum. Zigarren- und Pfeifenraucher scheinen nicht auf. Aber alle Beteuerungen, dass Zigarren- und Pfeifenrauchen viel gesünder als der Zigarettenkonsum seien, werden von mehreren amerikanischen Langzeitstudien relativiert. Demnach haben Zigarrenraucher je nach pH-Wert des Tabaks sowie der Rauchtechnik (inhalieren oder nicht) ein bis zu elfmal höheres Krebsrisiko als Nichtraucher (Lunge, Mundraum, Kehle, Speiseröhre, Bauchspeicheldrüse, Blase). Für Pfeifenraucher ist die Datenlage wesentlich dünner, aber Mundhöhlen-, Kehlkopf- und Speiseröhrenkrebs dürften auch dort die sehr wahrscheinlichen Langzeitfolgen sein. Für alle Arten des Tabakkonsums gilt das erhöhte Risiko von Zahnfleischentzündungen und Zahnausfall.

Rauchen gegen Asthma. Der Pulmologe Kaspar Sertl, Leiter der internen Abteilung am Krankenhaus Wien-Floridsdorf, plädiert trotzdem dafür, die Kirche im Dorf zu lassen. Er wolle zwar nicht das Rauchen propagieren, gebe aber zu bedenken: „In früheren Zeiten sind die Menschen mit 35 gestorben, ohne überhaupt in die Nähe einer Zigarette zu kommen. Heute werden viele Erkrankungen erst manifest, weil wir um so vieles älter werden.“ Sertl nennt sogar Lungenkrankheiten, wie die exogen-allergische Alveolitis oder die Sarkoidose, die nur Nichtraucher bekommen. In der Literatur sei von Asthmatikern die Rede, die nur deshalb zum Rauchen angefangen hätten, weil das symptomlindernd sei. Bei einer US-Studie, die nach Normbefunden für Lungenfunktion forschte, hätten die 20- bis 29-jährigen männlichen Raucher besser abgeschnitten als Nichtraucher. Erklärung: Empfindliche Jugendliche rauchen seltener als robustere.

In der Tat klingen viele Warnungen so, als würden Nichtraucher ewig leben. Die jahrhundertealte Rauchkultur und der damit verbundene Genuss werden ausgeklammert. Worin besteht eigentlich der Tabakgenuss, und was daran macht süchtig? Im Zigarettenrauch heftet sich das Nikotin an winzigste Teerpartikel und gerät so über die Lungenbläschen in die Blutbahn. Da Nikotin imstande ist, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden (was viele andere Giftstoffe nicht können), gelangt es schon nach wenigen Sekunden ins Gehirn. Dort bindet es an Rezeptoren, die normalerweise auf den Botenstoff Acetylcholin reagieren. Da Nikotin diesem Botenstoff sehr ähnlich ist, reagieren die Rezeptoren auch auf Nikotin. Der Berliner Suchtforscher Lutz Schmidt beschreibt Nikotin als „eine der am schellsten süchtig machenden Substanzen“. „Es hat nicht nur psychostimulierende Wirkungen wie Konkain oder Amphetamin, sondern stößt im Gehirn die gesamte Breite der Neuromodulatoren an und wirkt wie der Dirigent in einem Konzert auf viele Instrumente ein.“

Belohnungssystem. Es kommt zur Ausschüttung unterschiedlicher Neurotransmitter (Botenstoffe für den Informationsaustausch der Nervenzellen) wie Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Endorphinen. Die nikotinempfindlichen Rezeptoren haben einen sehr engen Bezug zum präfrontalen Cortex, jener Hirnregion, die für Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernen zuständig ist. Außerdem besteht eine enge räumliche Beziehung zum dopaminempfänglichen Belohnungssystem, das Funktionen wie Essen, Trinken und Sexualität bestimmt. All das erklärt die sehr verschiedenartigen positiven Gefühle, die ein Raucher kurz nach dem ersten Zug hat. Der Zigarettenrauch enthält aber – neben 40 eindeutig krebserregenden Substanzen – eine ganze Reihe weiterer Stoffe, welche die Ausschüttung von Botenstoffen wie Dopamin und Serotonin und damit das Wohlgefühl verstärken und so die Sucht potenzieren.

Die mit dem Rauchen gemachten Erfahrungen prägen sich tief ins Unterbewusstsein ein. Wenn ein gewohnheitsmäßiger Raucher das Zigarettenrauchen stoppt, treten ab dem ersten Tag Entzugserscheinungen wie das Verlangen nach Zigaretten, depressive Verstimmung, Angst oder Konzentrationsschwierigkeiten auf. Daher ist es schwierig, von der Sucht loszukommen.

Immerhin wollen 18 Prozent der österreichischen Raucher aufhören, weitere 37 Prozent wollen ihren Tabakkonsum einschränken. Jüngere Leute nennen finanzielle, ältere gesundheitliche Gründe. „Wir werden gestürmt“, berichtet Sozialmediziner Kunze, dessen Institut in Zusammenarbeit mit der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse an vier Standorten (Korneuburg, Horn, St. Pölten und Wiener Neustadt) Entwöhnungsprogramme anbietet. Zur besseren Bewältigung des Entzugs erhalten die Patienten Nikotinersatzmittel (Pflaster, Kaugummi oder Inhalator), das Entwöhnungsmedikament Zyban sowie psychologische Unterstützung.

Die Kernfrage bleibt: Lässt sich das Rauchen durch Zugangsbeschränkungen, Werbeverbote, Preiserhöhungen und Schockaufdrucke überhaupt eindämmen? Die Antwort lautet: Diese Maßnahmen sind ein Tropfen auf den heißen Stein – solange die Gesellschaft den Tabakkonsum akzeptiert. In Kalifornien ist das Rauchen mittlerweile so verpönt, dass sich außer Unterschichtlern kein Mensch mehr leisten kann, überhaupt in den Geruch des Rauchens zu kommen. Seit dem Start eines umfassenden Anti-Rauch-Porgramms im Jahr 1989 ist dort der Tabakkonsum um 57 Prozent zurückgegangen.

Dass die Schockaufschriften in Österreich auch nur einen Bruchteil dieser Wirkung zeitigen, ist unwahrscheinlich. Vielleicht erreichen sie das Gegenteil. „Je mehr Verbote es gibt, desto interessanter wird es“, glaubt Pulmologe Sertl. „Wir ermuntern die jungen Leute dazu, mit dem Rauchen anzufangen.“