Raumfahrt: Enormer Stress im All

Raumfahrt: Stress im All

Die Raumfahrt als großes Gesundheitsrisiko

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Seit mehr als 30 Jahren ist der Erdtrabant verwaist. Kein Lebender hat seither seinen Fuß auf den Mond gesetzt. Doch die Ruhe wird nicht mehr allzu lange dauern. Wie die NASA erst im vergangenen Dezember bekannt gab, soll voraussichtlich ab dem Jahr 2020 am Rande des gigantischen Shakleton-Kraters, nahe dem lunaren Südpol, ein dauerhafter Außenposten der Menschheit entstehen. Geplant ist zunächst ein aus vier Röhren bestehendes, kreuzartig angelegtes System. Jedes Habitat soll einen Durchmesser von vier Metern haben und sechs Meter lang sein.

In der Vorwoche meldeten auch britische Experten ihr Interesse an einer Besiedelung des Mondes an. Die ersten Mondbewohner sollen aber nicht nur den schwarzsamtenen Himmel und die blau-weißen Erdaufgänge bewundern, sondern die Minikolonie Modul für Modul ausbauen, vermutete Gasvorkommen lokalisieren und später auch abbauen. Mit Solarstrom werden sie dabei reichlich gesegnet sein, am Südpol scheint die Sonne mehr als 70 Prozent der Zeit. Warm wird es dennoch nicht – die dort herrschende Temperatur schwankt zwischen minus 160 und minus 110 Grad Celsius. Die Rückkehr zum Mond soll aber eigentlich nur als Übung und Erprobung für eine noch weitaus ambitioniertere Mission dienen: die Reise zum Mars, den die NASA ebenfalls erobern will. „Das ist eine große, große Entscheidung“, kommentierte Scott Horowitz, Kodirektor für die Erforschung des Weltalls bei der NASA, das grüne Licht für die Mondplanung.

Haken. In der Tat. Denn die Vision hat einen kleinen Haken. Kein Mediziner weiß bis dato zu sagen, wie der menschliche Körper auf den Daueraufenthalt im All jenseits der trauten Erdumlaufbahn reagiert. Selbst abertausende Stunden im Orbit und wenige Tage auf dem Mond gestatten keine sicheren Prognosen. Was bisher bekannt ist, wirkt wenig ermutigend: Neben Kreislaufproblemen erleiden Astronauten im All Muskel- und Knochenschwund sowie eine Schwächung des Immunsystems. Der Sonnenwind sucht Sternenreisende mit seinen durchs All jagenden Protonen heim. Und die kosmische Strahlung, vor der Astronauten in der Internationalen Raumstation noch durch das Erdmagnetfeld weit gehend geschützt sind, attackiert sie gnadenlos. „Diese Strahlung allein könnte alle Vorhaben zunichtemachen“, sagt die 63-jährige Astronautin Shannon Lucid, die 223 Tage im All verbracht hat. „Man will schließlich keine toten Astronauten zum Mars schicken.“

Nach einer zwölftägigen Weltraummission an Bord der Raumfähre Atlantis erlitt die Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper bei einer Pressekonferenz im vergangenen September kurz hintereinander zwei Schwächeanfälle. Der zuständige Flugarzt erklärte später, es sei nicht ungewöhnlich, dass Astronauten nach längerer Zeit im All unter Kreislaufbeschwerden leiden, da sich im Weltraum die Blutmenge verringere. Doch das war womöglich nur Ausdruck allgemeiner Ratlosigkeit: Die Crew war am Tag zuvor in Cape Canaveral gelandet. Nach dem Aussteigen mussten die Astronauten einen zehnminütigen Stehtest absolvieren, fleißig trinken und umhergehen. Der Blutverlust war nach spätestens zwölf Stunden ausgeglichen, „aber manche Astronauten kippen auch noch drei Tage nach der Rückkehr zur Erde um“, erklärt der deutsche Medizinphysiker Thomas Heldt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. „Wie Schwerelosigkeit unser Herz-Kreislauf-System beeinflusst, verstehen wir eben nur unvollständig.“ Keine guten Aussichten für eine Mondmission, geschweige denn für einen Marsflug, der hin und zurück mindestens anderthalb Jahre dauern würde.

Raumkrankheit. Die so genannte Raumkrankheit, die bislang fast alle Besatzungsmitglieder der Shuttle-Fähren und der Raumstation geplagt hat, ist da noch eine der am besten erforschten Auswirkungen von Aufenthalten im All. Der Körper reagiert anfangs mit stunden- bis tagelangen Schweißausbrüchen und Brechreiz auf das Fehlen vertrauter Orientierungshilfen. Eine der Ursachen sind widersprüchliche Informationen, die das Gleichgewichtsorgan im Innenohr sowie unsere Augen dem Gehirn liefern. Das Denkorgan hat große Probleme, aus beiden Datensätzen eine kohärente Raumperspektive zu zimmern.

Weniger harmlos sind dagegen jene Lichtblitze, die der Astronaut Buzz Aldrin 1969 auf dem Rückflug vom Mond an der Innenseite seiner geschlossenen Augenlider aufleuchten sah. Das war kein Freudenfeuerwerk, erklärten ihm Mediziner später, er hätte gesehen, wie kosmische Strahlen durch seinen Kopf jagten: Aus Sternenexplosionen stammende Protonen, Alphateilchen und Kerne von Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Eisen rasen annähernd mit Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall und durchbohren Raumschiffhüllen gleichermaßen wie Organismen. Der von der NASA festgelegte Toleranzwert für im All erworbene Strahlenschäden liegt bei einem um drei Prozent höheren Risiko für einen verfrühten Tod gegenüber der Normalbevölkerung. Nur helfen solche hypothetischen Maßstäbe wenig, wenn über die Schädlichkeit der Strahlen wenig bekannt ist. Da sich der Elementenhagel auf Erden und selbst im Orbit nur schwer simulieren lässt, sind seine Gesundheitsfolgen schlecht abschätzbar.

Die NASA versucht, die Auswirkungen anhand der Krankenakten von Überlebenden von Atombombenexplosionen sowie von verstrahlten Kernkraftwerksarbeitern abzuschätzen. Allerdings unterscheidet sich die im All wirkende kosmische Strahlung erheblich von ihren irdischen Geschwistern, weshalb viel Spekulation im Spiel ist. Das hält Wissenschafter dennoch nicht von Versuchen ab, das Bombardement im Labor zu studieren. Marcelo Vazquez vom Brookhaven National Laboratory auf Long Island feuert mithilfe eines Teilchenbeschleunigers schwere Atomkerne auf Mäuse, Ratten und Zellkulturen. Aufgrund seiner Experimente schätzt er, dass bei einem Flug zum Mars 13 bis 40 Prozent der Gehirnzellen eines Astronauten von einem solchen Schauer getroffen werden könnten. Die Strahlengeschosse lassen auf ihrem Weg durch den Kopf eine Bahn winziger Zerstörungen hinter sich, die in Summe womöglich katastrophale Folgen haben könnten. Frank Cucinotta, der führende Strahlenmediziner der NASA, will sich diesbezüglich noch nicht festlegen: „Wir wissen einfach noch nicht, welche Auswirkungen die Strahlung hat.“

Sonneneruptionen. Eine weitere Gefahr sind Sonneneruptionen. Bei diesen Ausbrüchen steigt die Intensität des Strahlungsstroms für Minuten oder Stunden bis zum Tausendfachen an. Einmal hätte das beinahe zu einer Katastrophe geführt. Einen Monat vor der letzten Apollo-Mission im Dezember 1972 kam es zu einer ungewöhnlich heftigen Eruption, welche die Astronauten getötet hätte, hätten sie sich zu diesem Zeitpunkt auf der Mondoberfläche aufgehalten. Wände von Raumschiffen, Wohnsilos und Mondfahrzeuge sollen deshalb künftig mit Aluminium, flüssigem Wasserstoff und womöglich auch Polyethylen – dem Material, aus dem Müllbeutel gefertigt sind – geschützt werden. Doch bislang ist es noch nicht gelungen, einen Schild zu entwickeln, der alle Strahlen erfolgreich abhält.

Eine weitere Herausforderung stellt das durch den Raumflug geschwächte Immunsystem der Astronauten dar. Im All nimmt die Zahl der „Soldaten“ des Körpers, der T-Zellen, dramatisch ab. So ist die Viren-Konzentration im Körper von Astronauten bis zu vierzigmal höher als bei den auf der Erde Zurückgebliebenen. Unter diesen Bedingungen können selbst harmlose Viren mutieren und den Raumfahrern zusetzen. Aber auch der Anteil der roten Blutzellen sinkt und damit die Versorgung des Körpergewebes mit Sauerstoff. Zwar ließen sich diese Probleme kurzfristig mit Medikamenten eindämmen, aber unklar ist, wie nachhaltig derartige Behandlungen im Weltall wirken. Bekannt ist beispielsweise, dass Antibiotika im Orbit rasch ihre Wirksamkeit verlieren. Der Inhalt des Medizinschranks auf der Internationalen Raumstation wird deshalb jedes halbe Jahr vorsichtshalber komplett ausgetauscht.

Knochenschwund. Der Knochen- und Muskelschwund immerhin lässt sich vielleicht unter Kontrolle bringen. Bei einer Reise zum Mars, so schätzt der frühere NASA-Astronaut und Physiologe James A. Pawelczyk von der Pennsylvania State University, würden Astronauten pro Monat rund ein Prozent ihrer Knochendichte verlieren. Bei manchem Heimkehrer wäre das Skelett dann zerbrechlich wie eine Eierschale. Deshalb schlagen manche Mediziner vor, Astronauten sollten jene Medikamente schlucken, die auch Frauen in den Wechseljahren gegen Knochenschwund helfen. Um die Muskeln der Astronauten in Schuss zu halten, entwickeln NASA-Ingenieure nicht nur spezielle Fitnessgeräte, sie tüfteln auch an kostspieligen Systemen zur künstlichen Erzeugung von Schwerkraft, etwa durch große Zentrifugen, welche die Schwerkraft durch Fliehkraft simulieren.

In den vergangenen dreißig Jahren gab es zudem mehrere Vorfälle, welche die Vermutung nahe legen, dass bei Astronauten während eines Aufenthalts im All gehäuft Herzrhythmusstörungen auftreten. Der Mediziner Richard Cohen vom Massachusetts Institute of Technology ließ deshalb Probanden mehrere Tage mit niedriger liegendem Kopf im Bett verbringen, um die Blutzirkulation in der Mikrogravitation zu simulieren. Denn auch im All strömt ohne die Erdanziehung mehr Blut in den Oberkörper. Dabei entdeckte Cohen, dass die veränderte elektrische Herzaktivität die Gefahr von Frequenzstörungen merklich erhöht.

Bis heute versperrt die NASA jedoch weit gehend den Zugang zu Herzdaten der Astronauten, was der Physiologe Artin Shoukas von der Johns Hopkins University vor allem auf den Widerstand der Astronautenlobby zurückführt. Die Weltraumfahrer hätten kein Interesse, mögliche Herzprobleme diagnostizieren zu lassen, denn ein positiver Befund würde ein sofortiges Startverbot bedeuten. „Dabei ist nichts einfacher, als ein EKG zu erstellen“, so Shoukas. „Es gibt wohl nur einen Weg, dass sich diese Politik ändert: der Tod eines Astronauten.“

Die NASA hat jetzt die Mittel für Humanwissenschaften im Zuge der Vorbereitungen der Missionen zu Mond und Mars stark gekürzt – notgedrungen. Denn

George W. Bush hat der Behörde den himmelstürmenden Auftrag erteilt, die bemannten Missionen ins Sonnensystem zu schicken, ohne deren Budget nennenswert zu erhöhen. Da verwundert es wenig, dass NASA-Direktor Michael Griffin bei einer Anhörung im US-Kongress wissen ließ: „Ich glaube, dass wir das Pferd von hinten aufzäumen, wenn wir uns über das Geld für Humanwissenschaften zu viel Sorgen machen. Mein Auftrag lautet, sicherzustellen, dass die Vereinigten Staaten weiterhin Menschen ins All schicken können. Erst danach sollte Forschung an ihnen betrieben werden.“

Von Hubertus Breuer