Tschad: Rebellen planen neue Offensive

Rebellen planen neue Offensive: Österreichs Eufor-Soldaten werden wohl länger bleiben

Eufor-Soldaten werden wohl länger bleiben

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Mahamat Hassane Boulmaye träumt von einer Reise: Sobald wie möglich möchte er N’Djamena besuchen, die Hauptstadt des Tschad. Das Problem dabei ist bloß, dass er nicht einfach so hinfahren kann. Wenn er in seine Heimat will, muss er sich den Weg freikämpfen, 2000 Kilometer quer durch die Wüste.

Boulmaye, 36, ist ein Rebell, Angehöriger einer Fraktion der Union des Forces de la Résistance (UFR), die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Präsidenten des Tschad und sein diktatorisches Regime zu stürzen. Noch befinden sich die Aufständischen in der sudanesischen Hauptstadt Khartum und schmieden Pläne für die Offensive. Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Richtung Westen aufbrechen werden. „Wir kommen mit 20.000 Mann“, sagt Boulmaye gegenüber profil.

Auf halber Strecke zwischen den Milizen der UFR und dem Präsidentenpalast in N’Djamena hören österreichische Soldaten aufmerksam zu, wie das Hintergrundrauschen des Kriegs im Tschad anschwillt. Es sind Aufklärungsspezialisten des Bundesheeres, Teil der Mission Eufor Tschad/RCA – der bislang größten eigenständigen Militäroperation der Europäischen Union, für die EU-Mitgliedstaaten 3200 Mann abgestellt haben. 160 davon kommen aus Österreich, unter anderem Geheimdienstagenten, vorwiegend aber Spezial­einsatzkräfte des Jagdkommandos, die auf einer Basis in der Stadt Abéché und auf vorgeschobenen Stützpunkten draußen in der Wüste stationiert sind.

Der Auftrag der Eufor besteht darin, gut eine Million Menschen im Osten des Tschad zu beschützen: 500.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus der Bürgerkriegsregion Darfur im benachbarten Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und dem Tschad selbst, dazu die ansässige Zivilbevölkerung und die Angehörigen internationaler Hilfsorganisationen. Im Osten des Tschad herrscht ein Zustand der Gesetzlosigkeit, den sich bewaffnete Gruppen lange Zeit ungehindert zunutze machen konnten – Rebellen ebenso wie Räuberbanden. Zumindest dort, wo in der Nähe von Flüchtlingslagern Eufor-Truppen stationiert sind, habe sich die Situation gebessert, berichten Hilfsorganisationen. Aber der Einsatz der Europäer, der erst im vergangenen Frühjahr begann, steht bereits wieder vor dem Ende.

Die Präsenz der Eufor war von Anfang an als reine Überbrückung für die UN-Mission Minurcat 2* gedacht, die am 15. März kommenden Jahres beginnt. Damit endet das Mandat der Europäer, an ihrer Stelle sollen Blauhelme das Kommando und die Sicherung der Flüchtlingslager übernehmen. Allerdings hat sich knapp drei Monate davor kaum ein Land dazu bereiterklärt, Soldaten dafür abzukommandieren. Das heißt: Die Europäer bleiben im Tschad. Und mit ihnen die Österreicher.

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Dass die EU überhaupt Militär in den Tschad geschickt hat, hängt in erster Linie mit dem Darfur-Konflikt zusammen. In der westsudanesischen Region sind seit 2003 bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen, mit ihnen verbündeten Milizen und Rebellen schätzungsweise 300.000 Menschen ums Leben gekommen, 2,7 Millionen wurden vertrieben. Eigentlich sollte eine gemeinsam von den UN und der Afrikanischen Union geführte Unamid** für Ruhe sorgen.

Ihr Einsatz blieb bislang jedoch weitgehend wirkungslos: einerseits, weil die sudanesische Regierung alles unternahm, um die Unamid zu behindern, andererseits aber auch, weil die internationale Gemeinschaft ihren Versprechungen nicht nachkam. Eigentlich sollte in Darfur mit rund 27.000 Mann die größte Friedenstruppe der Welt tätig werden. Bislang ist gerade einmal ein Drittel davon eingetroffen. „Der eigentliche Auslöser für den Eufor-Einsatz im Tschad war der Konflikt in Darfur und die Befürchtung, dass diese Krise überspringt und in der Folge die gesamte Region instabil wird. Dazu kam natürlich der humanitäre Aspekt“, sagt ein EU-Diplomat gegenüber profil.

„Nordafrika ist ganz grundsätzlich von direkter Bedeutung, weil es für Europa die Gegenküste bildet“, analysiert auch Brigadier Walter Feichtinger, Leiter des IFK (Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement) an der österreichischen Landesverteidigungsakademie. „Es ist aber nicht nur sicherheitspolitisch relevant, sondern auch energiewirtschaftlich und allgemeinpolitisch. Die EU hat das auf politischer Ebene bereits verstanden.“
Für Österreich kam noch ein weiteres Argument hinzu: Die Regierung hatte sich für einen prestigeträchtigen Sitz im UN-Sicherheitsrat beworben. Eine Beteiligung an der Eufor-Mission, hofften die Politstrategen in Wien, würde die Chancen darauf deutlich verbessern.

Vor einem Jahr, im Dezember 2007, wurde der österreichische Afrika-Einsatz gegen die Bedenken der Opposition abgesegnet. Er begann alles andere als viel versprechend: Erst musste das Eufor-Kommando in Paris den Beginn verschieben, weil es an Ausrüstung und Transportmitteln fehlte. Und als die ersten Soldaten, darunter bereits ein Trupp Österreicher, Ende Februar schließlich doch im Tschad landeten, gerieten sie direkt in einen Putschversuch: Rebellen – angeführt von jener Fraktion, der auch Mahamat Hassane Boulmaye angehört – waren, vom Sudan kommend, bis zum Präsidenten­palast in der Hauptstadt N’Djamena vorgestoßen. Fast hätten sie es geschafft, Diktator ­Idriss Déby zu stürzen. Warum sie scheiterten, ist nicht ganz klar. Einerseits dürfte es an logistischer Hilfe durch Frankreich gelegen haben, andererseits aber auch dar­an, dass sich ihre Fraktionen knapp vor dem Sieg über die Aufteilung der künftigen Macht nicht einigen konnten.

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Die Lage im Land ist weiterhin fragil, das Verhältnis zwischen Tschad und Sudan höchst kompliziert. Vor einem halben Jahr hatten die Regierungen ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen und die Grenzen geschlossen. Beide verdächtigten einander wohl nicht zu Unrecht, die Rebellen des jeweils anderen Landes zu unterstützen. Dieser Tage stehen die Zeichen aber wieder auf Entspannung – offiziell zumindest. Bei Gesprächen in Libyen wurde kürzlich ein Ende der gegenseitigen Destabilisierungsversuche vereinbart. Gleichzeitig gibt der Sudan den Rebellen des Tschad aber offenbar die Möglichkeit, ungehindert in Khartum zu konferieren und ihren nächsten Angriff zu planen.

Vier Fraktionen haben sich dort zusammengeschlossen. Und diesmal soll der Erfolg nicht an internen Streitigkeiten scheitern. Schon jetzt ist die Rede davon, dass sich die Milizen bereits auf einen Präsidenten und vier Vizepräsidenten geeinigt hätten. Sogar über den Namen der Allianz soll gemeinsam entschieden werden – eine Kommission werde abstimmen, ob „Union des Forces de la Résistance“ (UFR) angemessen sei, sagt Boulmaye gegenüber profil. Letztlich verspricht die neue Rebellenkoalition nicht weniger als einen mustergültig demokratischen Tschad: Was angesichts der Tatsache, dass viele ihrer Führer zuvor hochrangige Mitglieder der brutalen Autokratien von Idriss Déby und seinem Vorgänger Hissène Habré waren, etwas an Überzeugungskraft verliert. Daran, dass die Aufständischen wiederkommen, herrscht jedoch kein Zweifel. Seit Jahren gehören ihre Attacken im Tschad mehr oder weniger zum Jahres­kreis. Möglich sind sie allerdings nur außerhalb der Regenzeit – und diese ist im November zu Ende gegangen.

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Eine Großoffensive könnte die Eufor, die Mitte März mit der Rückführung ihrer Truppen beginnen soll, in einer sensiblen Situation treffen. Von den Aufständischen selbst dürfte ihr zwar keine direkte Gefahr drohen: Sie haben immer wieder betont und auch bewiesen, dass sie sich mit der Friedenstruppe nicht anlegen wollen. Als etwa im vergangenen Juni irische Eufor-Soldaten in Gefechte zwischen Regierungstruppen und Rebellen gerieten („Feindberührung“, profil 26/08), stellten Letztere sofort das Feuer ein und entschuldigten sich sogar noch für die Unannehmlichkeiten.

Das Risiko eines Umsturzversuchs in der Übergangsphase zwischen Eufor- und UN-Mission liegt aber darin, dass auch die kriminellen Banden, die im Osten des Tschad ihr Unwesen treiben, das Sicherheitsvakuum für Raubzüge nutzen würden. Sie sind die einzigen Gruppen, mit denen sich die Eufor bereits tatsächlich Scharmützel geliefert hat, auch die Österreicher. Dies bestätigt – leicht verklausuliert – auch Generalleutnant Günter Höfler, der Kommandant der österreichischen Streitkräfte.

Ein Zwischenbericht der UN hält jedoch fest, die Sicherheitslage im Osten des Tschad habe sich im vergangenen halben Jahr insgesamt „verschlechtert und untergräbt die Kapazität der humanitären Helfer ernsthaft“ – trotz der Präsenz der europäischen Soldaten, deren Stärke mit 3200 Mann für die Größe des Einsatzgebiets ­äußerst knapp bemessen ist. Für ihre eigene Mission, die im März beginnen soll, veranschlagen die UN einen Bedarf von mindestens 6000 Soldaten. Am 15. Dezember entscheidet eine Konferenz der Vereinten Nationen und der EU über das weitere Vorgehen. „Wir wollen ein Sicherheitsvakuum um jeden Preis vermeiden“, sagt ein EU-Diplomat.

Alles deutet nun darauf hin, dass mehrere europäische Staaten ihre Truppen nicht aus dem Tschad zurückziehen, sondern sie einfach dem Kommando der UN unterstellen. „Es wird auch weiterhin eine deutliche europäische Präsenz im Tschad geben“, prophezeit Walter Feichtinger vom IFK, der sich im jüngst erschienenen Buch „Krisenmanagement in Afrika“ (Böhlau Verlag, Reihe Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement) mit dem Thema auseinandersetzt. Allerdings wird die Blauhelm-Truppe keinesfalls die ursprünglich geforderte Stärke haben. Nach Informationen von profil dürfte sie gerade so groß sein wie jetzt die Eufor.

Österreich hat sich offiziell noch nicht entschieden, ob es weiterhin Soldaten für den Tschad abstellt. Tatsächlich hat die Regierung in Wien kaum eine andere Wahl, als eine weitere Entsendung zu beschließen. Die EU „ermutigt“ ihre Mitglieder, wie es im Diplomatensprech so schön heißt, bereits dazu. Und der inzwischen fixierte Sitz im UN-Sicherheitsrat erlaubt es kaum, ausgerechnet einen schwierigen Blauhelm-Einsatz zu verweigern. Das heißt: Das Bundesheer wird wohl auf unabsehbare Zeit in die Wüste geschickt – vielleicht so lange, bis der Rebell Mahamat Hassane Boulmaye selbst in der Regierung sitzt.

Von Martin Staudinger und Robert Treichler