Komm, süßer Tod

Recht auf Selbstmord: Darf man sich beim Sterben helfen lassen?

Titelgeschichte. Recht auf Selbstmord: Darf man sich beim Sterben helfen lassen?

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Der Gedanke kommt in vielen Gestalten, sie ähneln einander. Am Anfang kreist er um ein simples Was-wäre-wenn, das sich zu einem monströsen Warum-eigentlich-nicht auswachsen kann.

So etwa: Allein unterwegs auf der Autobahn, in einer schnellen Kurve, die in einen Tunnel mündet: Was, wenn ich jetzt nicht einlenke? Warum nicht?

Oder so: Stehend, am Abhang vor einer Felswand oder am Bahnsteig, kurz vor Einfahrt des U-Bahn-Zugs: Was, wenn ich jetzt diesen kleinen Schritt nach vorne mache? Warum nicht?

Der Gedanke kann auch ohne suizidale Vorgeschichte kommen, ohne schwere Depression oder Krebs im Endstadium. Er kann ganz plötzlich, impulsiv kommen, und er macht Angst. Angst vor der Möglichkeit, Furcht vor der Freiheit. Vor der Tatsache, dass da wirklich nur ein zarter Schleier ist zwischen Leben und Tod, eine einfache Handbewegung am Lenkrad, ein kleiner Schritt. Der Mensch hängt nur mit einem seidenen Faden am Leben. Er könnte ihn jederzeit durchtrennen, und sei es aus einem spontanen Impuls heraus. Warum nicht?

Der Selbstmord ist eine Handlung an der Grenze der Handlungsfähigkeit, ein Gedanke an der Grenze des Denkbaren. Das provoziert und macht ihn zu einem Skandal. Er wirft Fragen auf, die ans Innerste rühren: Wo endet die Freiheit des freien Menschen? Schließt die Pflicht, etwas aus seinem Leben zu machen, auch die Option ein, seinem Leben ein Ende zu machen, wenn und wann man es für richtig hält? Was wiegt stärker: die Autonomie oder die Verantwortung? Die Verantwortung wem gegenüber: Gott, der Gesellschaft, sich selbst? Und was ist ein Leben eigentlich wert?

Die Moral des Suizids ist kaum zu fassen, sie bleibt widersprüchlich, egal, wie man es betrachtet, selbst wenn man es so exklusiv diesseitig betrachtet wie der griechische Philosoph Epikur: „Das schauerlichste Übel geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“ Sprich: Vorbei ist vorbei, und nur was vorher war, zählt. Epikur leitete daraus übrigens die Pflicht ab, sich am Leben zu erfreuen.

Der österreichische Philosoph Wolfgang Ambros sah das in seinem Standardwerk zum Thema, „Heit drah’ i mi ham“, ganz ähnlich, aber aus einer völlig anderen Perspektive: „Bluatig rotes Wasser / Es is grad a so wia a Sonnenuntergang in Jesolo / Langsam wird‘s jetzt finster, finster und so stü / Freiheit hasst nur, dass ma geh‘n kann wann ma wü.“

Lebensgefühl durch Todesnähe – auch dieser Gedanke kann einem kommen. Freiheit ist auch nur ein anderes Wort für Nichts-mehr-zu-verlieren-haben.

Wie man es auch wendet, wie man ihn auch nennt: Der Selbstmord bleibt ein Skandal. Es geht immerhin um Leben und Tod.

Was verbindet Hannelore Kohl und Kurt Cobain, Gunter Sachs und Virginia Woolf, Rex Gildo und Mohammed Atta? Sie haben, jeweils aus ganz eigenen, grundverschiedenen Motiven, ihrem Leben freiwillig ein Ende gesetzt – und damit an eines der großen Themen und Tabus der Menschheit gerührt. Der Gedanke an den Selbstmord beschäftigt die Menschheit, seit sie denken kann ...

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Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.