Regierung: Gusen- bauer auf großer Fahrt

Regierung: Auf großer Fahrt

Der Bundeskanzler gibt sich der Außenpolitik hin

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Kalbsbacke mit Sahnepellkartoffeln – Alfred Gusenbauer hat’s geschmeckt. Er fühlt sich wohl im kühlen Kanzleramt seiner deutschen Amtskollegin Angela Merkel, mitten im etwas zausigen Zentrum Berlins. Pfingstmontag traf man einander bereits zum dritten Mal. Merkel hatte Gusenbauer kurzfristig nach Berlin gebeten, um gemeinsam mit den Regierungschefs von Lettland und Estland auszubaldowern, wie mit den mächtigen Gegnern einer Europäischen Verfassung – darunter Großbritannien, Frankreich und Polen – verhandelt werden soll. Beschlusslage nach dem letzten Happen Kalbsbacke: Alfred Gusenbauer wird Montag kommender Woche nach Warschau reisen, um die schwierigen Kaczynski-Zwillinge – der eine ist Staatspräsident, der andere Ministerpräsident – zu bearbeiten.

„Merkel schickt Gusenbauer auf Geheimmission“, titelte nur Stunden später die Tageszeitung „Österreich“ patriotisch. Selbst in der nobleren „Presse“ brach sich Nationalstolz Bahn: „Gusenbauer muss Merkel helfen.“

Solches liest der Kanzler gerne.

Mit fortlaufender Amtsdauer hat sich noch jeder Bundeskanzler hingebungsvoll der Außenpolitik gewidmet – Alfred Gusenbauer internationalisierte sich allerdings schon nach hundert Tagen. Denn das weiß der Profi: Prestigepunkte lassen sich eher im auswärtigen Tête-à-Tête denn im innenpolitischen Gerangel gewinnen.

Bei Gusenbauer tritt zur Pflicht auch Neigung: Der heute 47-Jährige hatte über den Großteil seiner Karriere hinweg Außenpolitik betrieben. Sechs Jahre lang war er Vizepräsident der Sozialistischen Jugendinternationale, danach für sieben Jahre stellvertretender Vorsitzender der „Erwachsenen“-Internationale SI. Deren Chef hieß damals immerhin Willy Brandt. Sechzehn Jahre lang – bis zu seiner Angelobung als Bundeskanzler – war er im Europarat gesessen. Er hatte für eine Legislaturperiode den entwicklungspolitischen Ausschuss des Nationalrats geleitet und schon zwei Jahre vor Österreichs EU-Beitritt als „Kontaktabgeordneter“ an den Sitzungen der SP-Fraktion des Europaparlaments teilgenommen. Als „Brotberuf“ führte der Ybbser zehn Jahre lang die Europaabteilung der Arbeiterkammer Niederösterreich. Seinen ersten rein „innenpolitischen“ Job übernahm Gusenbauer erst 1999, wenige Monate vor seiner Bestellung zum Bundesparteivorsitzenden, als er Landessekretär der niederösterreichischen SP wurde.

Gusenbauer spricht famos Englisch, Französisch, Spanisch und leidlich Italienisch. Korrespondenten und österreichische Diplomaten zeigen sich vom Auftreten des neuen Kanzlers oft beeindruckt.

Gusenbauer ein zweiter Kreisky, der sich früher oder später elegant über die Niederungen des tagespolitischen Zanks hinwegheben wird, um bei den ganz Großen dieser Welt mitzumischen? Wohl kaum. Dazu fehlt es an Statur – Kreisky war vor seiner Kanzlerschaft immerhin sieben Jahre lang Außenminister gewesen – und an der weltpolitischen Gemengelage: Anno Kreisky war Österreich ein Spezialfall, ein neutrales Land zwischen den Blöcken mit gewisser Brückenfunktion. Heute ist es einer der kleineren Mitgliedsstaaten der EU, umgeben von fünf NATO-Mitgliedern und der Schweiz.

Drehtür-Diplomatie. Gusenbauers Außenpolitik-Offensive in seinem ersten Mai als Bundeskanzler zeugt jedenfalls von einem entschiedenen Zug zum Tor. Es begann am 8. Mai mit der Visite des slowakischen Premiers, des Linkspopulisten Robert Fico. In der folgenden Woche ging Gusenbauer selbst auf Reisen und diskutierte in Laibach mit Sloweniens Ministerpräsidenten Janez Jansa die Ortstafelfrage. Drei Tage später, am 21. Mai, gab Gusenbauer im Wiener Redoutensaal ein großes Mittagessen für ehemalige Staatenlenker, darunter der deutsche Exbundeskanzler Helmut Schmidt und der abtretende Präsident Nigerias, Olusegun Obasanjo. Am 24. Mai kam dann ohnhin schon Putin, tags darauf tafelte Gusenbauer mit Expräsident Bill Clinton, flog am Pfingstmontag zu Merkel nach Berlin, holte am Weg zum Flughafen den früheren deutschen Innenminister Otto Schily zu einem kurzen Plausch ab und traf am Mittwoch in Wien mit dem kroatischen Regierungschef Ivo Sanader zusammen. Schon am nächsten Morgen posierte er mit der israelischen Außenministerin Tzipi Livni vor den Kameras, 40 Minuten später folgte deren US-Amtskollegin Condoleezza Rice Gusenbauer ins Kanzlerbüro.

Diese Woche geht es Schlag auf Schlag weiter: Montag kommt zuerst Portugals Premier Jose Socrates und dann der legendäre Exaußenminister Henry Kissinger, dessen Habilitationsschrift sich mit Staatskanzler Clemens Fürst Metternich beschäftigt hatte, dem früheren Residenten in Gusenbauers Büro. Den Fronleichnamstag verbringt der Bundeskanzler im schweizerischen Interlaken, wo er die österreichische Delegation bei Gesprächen über die gemeinsame Fußball-EM anführt. Am 11. Juni geht’s dann zu den Kaczynskis nach Warschau, eine Woche später findet ohne-hin schon der EU-Gipfel in Brüssel statt. Danach kommt der Kanzler erst richtig in Fahrt. Am 4. Juli fliegt er in schwerer Mission nach Guatemala City, wo das IOC darüber entscheidet, ob Salzburg, das russische Sotschi oder Pjöngchang in Südkorea die Winterspiele 2014 ausrichten darf. Diskret arbeitet das Kanzlerbüro derzeit an einer Anschlussvisite beim mexikanischen Präsidenten Felipe Calderon. Bald nach Gusenbauers Rückkehr kommen die Regierungschefs Südosteuropas zu den Salzburger Festspielen. Fest steht auch, dass der Kanzler im September zur diesjährigen UN-Generalversammlung fährt und danach in New York bei der Jahrestagung der Clinton-Foundation seinen neuen Freund Bill wieder trifft (Gusenbauer: „In Europa wär der ein Sozialdemokrat“). Langstrecke steht dann auch im nächsten Jahr an, wenn der Kanzler nach dem EU-Lateinamerika-Gipfel ein Besuchsprogramm in den Staatskanzleien des nach links gerutschten Subkontinents anschließen will.

Den Koalitionspartner beeindruckt Gusenbauers Kampfkarte naturgemäß wenig: Er sei zwar sehr rege und bringe durchaus Erfahrungen mit – eine Strategie sei hinter all diesen Aktivitäten aber nicht erkennbar, heißt es in der ÖVP. Bei Schüssel sei das anders gewesen, dieser habe Schwerpunkte gesetzt, etwa die regionale Partnerschaft in der EU und den Balkan.

Dabei verklärt sich ein wenig die Erinnerung. Schüssel war in seinem ersten Amtsjahr wegen der EU-Sanktionen weitgehend isoliert gewesen – und von einer „regionalen Partnerschaft“ mit Österreich wollten die Beitrittsländer in unserer Nachbarschaft nie viel wissen.

Fast wortgleich wie die lieber anonym bleibenden Gusenbauer-Skeptiker beim Koalitionspartner ÖVP kritisiert der FPÖ-Europaabgeordnete Andreas Mölzer die Kanzler-Aktivitäten: „Er kennt sich aus, aber er setzt keine Schwerpunkte. Und er spielt den Bürgern vor, er könne nahtlos an Kreisky anschließen, was ein Schmäh ist.“ Die Außenpolitik-Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek, wüsste, wo Gusenbauer die eingeforderten Schwerpunkte setzen sollte: „In der Nahostpolitik etwa, da hört man überhaupt nichts. Und es ist beschämend, dass jemand, der aus der Solidaritätsbewegung kommt, das Budget für die Entwicklungszusammenarbeit nur so geringfügig erhöht.“

Dünnes Eis. Gusenbauer macht mit seiner hitzigen Außenpolitik jedenfalls schnelle Bewegungen auf dünnem Eis. Verlockend, aber gefährlich war etwa das Ersuchen des ukrainischen Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch, in dessen Streit mit Staatspräsident Viktor Juschtschenko als Vermittler einzuspringen. Wohl in Kenntnis der schwer berechenbaren Akteure – er saß mit beiden im Europarat – schickte Gusenbauer seinen Außenpolitikberater Bernhard Wrabetz, den ehemaligen Europaratspräsidenten Peter Schieder und den Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk als Vorhut nach Kiew. Deren Bericht legte er EU-Ratspräsidentin Angela Merkel auf den Tisch, worauf man gemeinsam zur Ansicht kam, die Ukrainer sollten ihre Probleme selbst lösen. Rege Telefonkontakte zwischen Ballhausplatz, Berlin und Kiew gab es allerdings bis zur vorläufigen Versöhnung vorvergangene Woche.

Ein Hoppala unterlief Gusenbauer hingegen in der Kosovo-Frage. Mitte April hatte er in einem Reuters-Interview angedeutet, er habe mit dem serbischen Präsidenten Boris Tadic über den Plan des UN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari verhandelt, der eine Unabhängigkeit des Kosovo vorsieht. Als das Interview in Serbien bekannt wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los, weil Tadic über den von Belgrad schroff abgelehnten Ahtisaari-Plan überhaupt gesprochen habe. Tatsächlich hatte Gusenbauer am Rande des Parteitags der ungarischen Sozialisten Tadic auf das Konzept des Finnen angesprochen, allerdings nicht mit ihm „verhandelt“.

Tragfähiger ist die Achse zwischen dem Kanzler und Angela Merkel. Parteipolitische Differenzen spielen keine Rolle: Wie die Christdemokratin Merkel will der Sozialdemokrat Gusenbauer etwa die Sozialcharta im Verfassungsentwurf unbedingt retten, die britische Labour-Regierung will sie kippen. „Jene, die etwas nicht wollen, sollen in der Debatte nicht den Ton angeben“, sagte Merkel in der Pressekonferenz vor dem Pfingstmontag-Treffen. Gusenbauer wiederholte Merkels Sager demonstrativ fast wortgleich.

Vorbereitung. Dass der Umgang mit den Großen der Politik nicht immer einfach ist, dürfte dem Kanzler inzwischen klar geworden sein. Als Gusenbauer Wladimir Putin auf die Einschränkung der Medienfreiheit in Russland hinwies, konterte der gut vorbereitete Russe, er sei überrascht, dass der ORF-Stiftungsrat parteipolitisch beschickt werde. Und auch der Umstand, dass erst vor wenigen Jahren eine terrestrische Konkurrenz zum ORF zugelassen worden sei, erscheine ihm merkwürdig. In Russland gebe es eine solche längst. Beim Thema Menschenrechte verwies Putin eisig auf einen Amnesty-International-Bericht zur österreichischen Asylpolitik.

Angenehmer war da schon der Besuch Bill Clintons. Zwar musste das Kanzlerbüro kräftig beim Auftreiben der Dollar-Million für Clintons Aids-Hilfefonds mitarbeiten, ohne deren Zusage der Expräsident nicht eingeflogen wäre. Dafür durfte Gusenbauer bei der Scheckübergabe vor dem „Konzert für Europa“ einen Auftritt genießen, wie er dem Erfinder des Konzerts, Wolfgang Schüssel, nie vergönnt war. In dessen Amtszeit war der Event außerdem stets von heftigem Regen heimgesucht worden.

Das Mitleid der Roten hält sich in Grenzen. Sie machen Schüssel, er ist inzwischen auch außenpolitischer Sprecher der ÖVP, für die Koordinationsprobleme mit Außenministerin Ursula Plassnik verantwortlich. Als Plassnik vergangene Woche mit allen Mitteln verhindern wollte, dass ihre Amtskolleginnen aus Israel und den USA ihre knappe Zeit durch einen Besuch bei Kanzler Gusenbauer weiter kappen, vermeinte das Kanzlerlager abermals Schüssels lenkende Hand zu erkennen.

Gusenbauer setzte sich durch: Rice und Livni kamen wie geplant zu Besuch und Fototermin ins Kanzleramt. Tags darauf hatten mit Ausnahme der „Kronen Zeitung“ alle Blätter Fotos mit Plassnik, Rice und Livni im Aufmacher.

Selbst in der Außenpolitik schlägt eben Frauen-Power manchmal Kanzlermacht.

Von Herbert Lackner