Regierung: Im Tal der Amazonen

Liese Prokop, die erste Frau im Innenministerium

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Erwin Pröll traf Freitagabend als Erster der Granden zur ÖVP-Vorstandssitzung in der Wiener Lichtenfelsgasse ein. Der Landeshauptmann strahlte: Wieder einmal hat er seinem Parteichef gezeigt, wo in der Volkspartei die Macht sitzt. Jeden Versuch, die Präsenz Niederösterreichs in der Bundesregierung nach dem Abgang von Ernst Strasser zu verringern, hatte er zurückgeschlagen und zuletzt eine seiner Vertrauten als Innenministerin durchgesetzt: Liese Prokop ist Prölls Kandidatin, daran kann kein Zweifel bestehen.

Prokop – eine Notlösung? Ergebnis des Kantönligeistes in der ÖVP? Mit Polizeireform und Asylpolitik, Aufklärungsquoten und Zivildienstproblemen hat die 63-jährige Tochter des früheren Tullner Bezirkshauptmannes Hans Sykora trotz ihrer langen politischen Karriere tatsächlich kaum etwas zu tun gehabt. Jugend und Familie, Soziales und Senioren und natürlich der Sport waren ihre Arbeitsfelder, seit sie 1969 in die niederösterreichische Landespolitik eingestiegen war. Zwölf Jahre lang saß sie im Landtag, seit 23 Jahren ist sie Mitglied der Landesregierung – dieser Rekord wird wohl nie mehr gebrochen.

Sie war 28, hatte eben bei den Olympischen Spielen in Mexiko Silber geholt und den Weltrekord im Leichtathletik-Fünfkampf aufgestellt, als sie der kurz zuvor inthronisierte Landeshauptmann Andreas Maurer in den Landtag holte. Prokop hat mindestens drei Politikergenerationen überlebt: Als sie im Landhaus erstmals die Abgeordnetenbank drückte, war Bruno Kreisky noch Oppositionsführer und Heinz Fischer kleiner Klubsekretär der SPÖ. Karl-Heinz Grasser war gerade zehn Monate alt.

Quereinsteigerin. Maurers Blick war auf eine Quereinsteigerin gefallen, die etwas hermachte: Österreichs Sportjournalisten hatten sie zur Sportlerin des Jahres gewählt, ihre sportliche Heimat, die Südstadt bei Mödling, wurde für einige Jahre zum Leichtathletik-Mekka. Der Prokop/Sykora-Clan – auch Schwester Maria Sykora war eine famose Athletin – dominierte Österreichs Sommersport-Szene. Liese Prokops Neffe Thomas Sykora brachte der Familie später auch im Winter Medaillen heim.

Eine Ideologin wurde Liese Prokop nie. Eine ihrer wichtigsten Maßnahmen, landesweiter Gratis-Kindergarten am Vormittag, könnte auch von den Roten stammen. Während der langen Verweildauer in der Politik unterliefen ihr keine gröberen Fehler.

Ihre Karriere verlief, trotz des früheren Glamours, eher unauffällig. „Sie ist sicher kein Medientyp, aber eine gute Politikerin mit Handschlagqualität“, meint der frühere Staatssekretär und Bürgermeister von Wiener Neustadt, Peter Wittmann (SPÖ). Das Beste weiß auch Ex-Sportministerin Susanne Riess-Passer über Prokop zu berichten: „Sie beherrscht die Arbeit über Parteigrenzen hinweg. Eine tüchtige Frau.“

Mehr Wirbel als Liese machte ihr Mann Gunnar Prokop, peitschenknallender Vater des österreichischen Damenhandball-Wunders. Immer lag der cholerische Trainer mir irgendjemandem im Clinch: mit dem gegnerischen Betreuerteam, mit dem Schiedsrichter oder mit dem Publikum. In Mazedonien wurde er nach einem Match von aufgebrachten Fans niedergeschlagen. Als Trainer setzte sich der Mann der neuen Innenministerin vehement für die rasche Einbürgerung ausländischer Spielerinnen ein.
Das Paar hat drei Kinder.

Vor den Landtagswahlen 2003 zeigte Prokop Zeichen von Amtsmüdigkeit. Sie überlege ernsthaft, ob sie noch einmal kandidieren solle, vertraute sie Freunden an. Pröll überredete sie zum Bleiben.

Der Posten des Innenministers ist nun der Höhepunkt der längsten Politikkarriere in der jüngeren österreichischen Geschichte.

Seit Anfang vergangener Woche war die ÖVP eifrig bemüht, keine neuen Debatten über Strassers raschen Abgang aufkommen zu lassen. Dafür musste einmal die von der SPÖ angedrohte Sondersitzung im Parlament vom Tisch. Die Klubobleute von SPÖ und ÖVP verständigten sich darauf, zumindest den Innenausschuss des Nationalrats einzuberufen, um die Lage nach Strassers Abgang zu sondieren.

Am Dienstag hieß es, vor Weihnachten werde keine Entscheidung fallen. Schüssel stehe nach der Bestellung Günther Platters ja nicht mehr unter dem Druck, rasch einen neuen Minister zu suchen. Hinter den Kulissen zog der Kanzler aber unermüdlich die Fäden, um seinen Plan durchzusetzen. Der war kühn: Platter sollte Innenminister bleiben, ins Heeresressort wollte der Kanzler seine ehemalige Kabinettschefin Ulrike Baumgartner-Gabitzer entsenden.

Die Sache hatte einen Haken: Baumgartner-Gabitzer ist Wienerin, Niederösterreich hätte so nach Strassers Abgang einen Sitz in der Regierung verloren. Da half es auch nichts, dass der Kanzler Erwin Pröll seine Favoritin als Quasi-Landeskind schmackhaft machen wollte, weil diese einen Zweitwohnsitz in Niederösterreich habe. Dieser winkte ab: Mit einer Schmalspurvariante lasse sich sein Bundesland nicht abspeisen.

Am Mittwoch sprach der Kanzler erstmals mit Prokop. Sie erbat sich Bedenkzeit.

Frauenriege. Freitag Früh war alles klar. An diesem Vormittag wurden Mitarbeiter des ÖVP-Klubs erneut bei der SPÖ vorstellig: Heute Abend falle die Entscheidung über den Innenminister. Ob sich die SPÖ eine Sondersitzung knapp vor Weihnachten vorstellen könne?

FPÖ-Obfrau Ursula Haubner wurde von Schüssel persönlich über die bevorstehende Entscheidung informiert, wenngleich ohne Namensnennung.

Schüssel hat sich Prokop zwar nicht selbst ausgesucht, sie passt aber in seine Strategie: Der Kanzler umgibt sich inzwischen mit einer Amazonengarde. Für das Innere und das Äußere, für die Bildung und für die Gesundheit sind in seiner Regierung Frauen zuständig; er entsandte eine Frau in die EU-Kommission, und auch seine Öffentlichkeitsarbeit erledigen zwei Frauen.

Als Wirtschaftsminister hatte Schüssel 1989 mit der Juristin Ulrike Baumgartner-Gabitzer erstmals einer Frau die Leitung eines Ressortkabinetts übertragen. Benita Ferrero-Waldner machte er im Jahr 2000 zur ersten Außenministerin, im Sommer 2004 zur ersten EU-Kommissarin des Landes. Nun wird Liese Prokop erste Innenministerin der Republik.

„Was Schüssel nicht mag, sind Leute, die ihm erzählen, dass er eh so toll ist“, sagt seine Pressesprecherin Heidi Glück. „Frauen sind da wahrscheinlich mutiger, sie trauen sich, offen zu widersprechen, ihn zu kritisieren. Männer wollen es sich nicht verscherzen.“

Die resolute Heidi Glück und die burschikose Verena Nowotny bestreiten für den Kanzler die Medienarbeit: Glück, früher Pressesprecherin von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und in der PR-Agentur Publico tätig gewesen, ist für innenpolitische Belange zuständig, Nowotny für EU- und Außenpolitik. Nur selten weichen die beiden von des Kanzlers Seite.

Wie bis Dezember 2003 auch Ursula Plassnik. Die heutige Außenministerin diente Schüssel sechs Jahre lang als Kabinettschefin – sehr zur Freude des Karikaturisten Manfred Deix übrigens, der die große Blondine im Hintergrund jahrelang als „Running Gag“ durch diverse Schüssel-Zeichnungen huschen ließ.

Plassnik bereitete Schüssel die wichtigsten Unterlagen vor, blockte anfragende Journalisten ab und war selbst überaus medienscheu. Schüssel schätzt Verschwiegenheit und Perfektion.

Als er 1995 die marode Volkspartei übernahm, machte er Maria Rauch-Kallat zur Generalsekretärin. Für die engagierte und oft undankbare Tätigkeit an der Parteifront wurde sie 2003 mit dem Amt der Gesundheitsministerin belohnt. Schüssels Stellvertreterin in der Parteiführung ist seine enge Vertraute, Bildungsministerin Elisabeth Gehrer. Ex-Nationalbankpräsidentin Maria Schaumayer betraute Schüssels mit einer der heikelsten Agenden seiner Regierungszeit: den Verhandlungen zum Versöhnungsfonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Und mit Monika Lindner hievte Schüssel erstmals eine Frau an die ORF-Spitze.

Allen Frauen in Schüssels Umgebung ist eines gemeinsam: Sie sind tough und karrierebewusst.

Es waren seine Mutter und seine Tante, die Schüssels Frauenbild – und wohl auch sein Weltbild – prägten. Vater Ludwig ließ sich scheiden, als sein Sohn drei Jahre alt war. Mutter Elfriede, eine Handarbeitslehrerin, war fortan seine wichtigste Bezugsperson. „Sie war eine dieser Trümmerfrauen der Nachkriegszeit, die erste starke Frau in seinem Leben“, erzählt Baumgartner-Gabitzer. Die Tante, eine Mittelschullehrerin, ermöglichte ihm den Besuch des elitären Schottengymnasiums. Auch nahm sie den Buben erstmals ins steirische Benediktinerkloster Seckau mit – dorthin, wo Schüssel heute alljährlich im August bei „Einkehrwochenenden“ Kontemplation sucht. Beide, Mutter und Tante, waren tiefgläubige Katholikinnen.

Einflüsterin. Jene Frauen, die ihm am allernächsten stehen, sind seine Gattin Krista und Tochter Nina. Krista Schüssel war stets berufstätig – sie arbeitet als Kinderpsychologin – und ist wohl Wolfgang Schüssels einflussreichste Einflüsterin. Die als „grün angehaucht“ geltende Gattin übe auf ihn „die Zauberwirkung eines Gurus“ aus, schrieb der „trend“ 1989, als Schüssel sein Amt als Wirtschaftsminister antrat. Bei der Diskussion über eine Absenkung des Homosexuellen-Schutzalters soll Schüssel nicht zuletzt deshalb auf der Bremse gestanden sein, weil seine Frau dies aus entwicklungspsychologischer Sicht ablehnte. Auch aus ihrer Aversion gegenüber dem freiheitlichen Koalitionspartner soll sie zur Jahreswende 1999/2000 kein Hehl gemacht haben. Heute freilich kommt Krista Schüssel sogar ohne ihren Mann ins Parlament, wenn Jörg und Claudia Haider wie vor drei Wochen zum „Kärntner Advent“ laden.

Schüssels Tochter, wie die Mutter studierte Psychologin, macht sich als Nina Blum gerade als TV- und Theaterschauspielerin einen Namen. Das Pseudonym soll die Unabhängigkeit vom berühmten Vater unterstreichen. Erst Mittwoch vorvergangener Woche sah man einen begeisterten Kanzler im Wiener Raimundtheater, als die 27-Jährige bei der Premiere des Kindermusicals „Hier beginnt Binna Burra“ auf der Bühne stand.

Sympathie. Liese Prokop passt jedenfalls ins Bild der Frauen, die den Kanzler umgeben: entschlossen und selbstbewusst, allerdings stets bereit, den Chef als Alpha-Tier anzuerkennen. Das machten Schüssels bisherige Ministerinnen so, das machte Liese Prokop bei Erwin Pröll.

In ihrer politischen Heimat Niederösterreich verfügte sie über ausgezeichnete Sympathiewerte. In den Rankings der Meinungsforscher liegt sie nur knapp hinter Superstar Pröll. Auch in ihrer Partei ist Prokop ungebrochen beliebt. Beim Landesparteitag vergangenen November wurde sie mit 98,4 Prozent wieder zur Vizechefin der niederösterreichischen VP gewählt.

„Ausdauer, Konsequenz und sich überwinden können sind die Qualitäten im Sport. Die wird sie bei der Umsetzung der Polizeireform und beim Asylgesetz jetzt auch brauchen“, deutet Sport-Staatssekretär Karl Schweitzer (FPÖ) an, dass auf Prokop schwerere Zeiten zukommen als jene, die sie im eher ruhigen Landhaus in St. Pölten zugebracht hat.

Mit dem Innenministerium übernimmt die Langzeit-Politikerin ein Ressort, dessen Führung noch kaum einer ihrer Vorgänger unbeschädigt überstanden hat.

Bis zur Pension fehlen Prokop 20 harte Monate. Dann wird gewählt.