Regierung: Zum Ab-schied kein Servus

Regierung: Zum Abschied kein Servus

Die Hintergründe der Rochade Strasser/Platter

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Die grüne Abgeordnete Brigid Weinzinger nutzte die Gunst der Stunde. Voll wie selten präsentierte sich ihr der Plenarsaal des Nationalrats, als sie vergangenen Freitagmittag ihre Rede zum Tagesordnungspunkt „Tierversuchsverbote an Menschenaffen“ in Angriff nahm. Detailreich beschrieb sie die unfassbaren Fähigkeiten dieser Tiere. Kürzlich sei sogar eine Lautfolge der Affensprache dechiffriert worden, die so viel bedeute wie „Holt mich hier raus“.

Die im Plenum versammelten Abgeordneten waren jedoch weniger an den subtilen Facetten der Affensprache interessiert als an der folgenden Erklärung des Bundeskanzlers, in der es ebenfalls um einen ging, der schleunigst raus wollte. Wenige Minuten zuvor hatte Innenminister Ernst Strasser in einer Pressekonferenz seinen Rücktritt bekannt gegeben. In den Stunden vor diesem parlamentarischen High Noon war es hinter den Kulissen der heimischen Innenpolitik zu dramatischen Szenen gekommen.

Während sich der Innenminister am Donnerstag im Parlament sein Lieblingsprojekt, die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, absegnen ließ, weilte Wolfgang Schüssel in London zu Vorgesprächen für den dieswöchigen EU-Gipfel. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Wien empfing der Kanzler am frühen Abend eine Runde von Chefredakteuren zu einem Briefing zur Türkei-Frage. Das Hintergrundgespräch mündete in einen gemütlichen Teil mit Wein und Brötchen. Gegen 21 Uhr verließ der Kanzler wohlgelaunt die Runde und zog sich in sein Büro zurück. Wenig später erreichte ihn ein folgenschwerer Anruf: Der Innenminister teilte kurz und bündig mit, er werde mit Jahresende seine Funktion zurücklegen. Ein geradezu unglaublicher Schritt: Noch nie seit der schwarz-blauen Wende im Februar 2000 hatte Schüssel einen ÖVP-Minister entlassen, und schon gar nicht war einer einfach gegangen, sieht man vom Sonderfall Benita Ferrero-Waldner ab.

Blankes Entsetzen. Freitag, kurz vor neun, informierte Strasser sein Büro, er werde um elf Uhr in einer Pressekonferenz seinen Rücktrittt verkünden. Ein schockierter Mitarbeiter eilte in sein Zimmer und informierte das Kanzlerbüro. Dort herrschte blankes Entsetzen: Schüssel hatte keine Vorkehrungen getroffen, weil er davon ausgegangen war, dass das Abgangs-Prozedere noch näher besprochen werde. Der Kanzler wollte das sensible Amt des Innenministers jedoch keine Minute lang unbesetzt lassen: einerseits, um nicht den Verdacht einer Regierungskrise aufkeimen zu lassen; andererseits, um Begehrlichkeiten der FPÖ, die immer schon auf den Posten gespitzt hatte, im Keim zu ersticken.

Strasser selbst nützte die Zeit vor der Pressekonferenz, um ausgewählte Journalisten über seinen Schritt zu informieren. Der erste Anruf galt „Kurier“-Herausgeber Peter Rabl. Wenig später vermeldete die Online-Ausgabe der Tageszeitung die Neuigkeit. Die österreichische Presseagentur APA übernahm die Meldung um 9.43 Uhr. Um 10.11 Uhr reklamierte FPÖ-Generalsekretär Uwe Scheuch das Innenministerium für seine Partei.

Richtige Nase. Wolfgang Schüssel hatte – wie oft in derartigen Situationen – die richtige Nase gehabt. Sofort nach der vertraulichen Information aus Strassers Büro hatte er Verteidigungsminister Günther Platter zusätzlich zum Innenminister befördert. Den Tiroler erreichte der Befehl des Chefs in schwerer Stunde. Im Gegensatz zur Woche zuvor, als er für sein konsequentes Durchgreifen im Ausbildungsskandal allseits gelobt worden war, blies dem Verteidigungsminister seit einigen Stunden der Wind frontal ins Gesicht. Nunmehr war klar, dass die teils sadistischen Quälereien in den Kasernen Freistadt, Landeck und Bludesch nicht das Fehlverhalten einzelner Ausbildner waren, sondern Folge eines „Merkblattes“ des Heeres, das ein besonderes Training für den Fall der Geiselnahme vorsah. Überdies hatte „ZiB 2“-Moderator Armin Wolf den Minister Donnerstagabend mit dem Umstand konfrontiert, dass dessen Schwager zum Zeitpunkt der Misshandlungen Bataillonskommandant von Landeck war.

Schüssel hatte freilich keine andere Wahl: Das Vorgehen Strassers hatte ihm nur wenige Minuten Reaktionszeit gelassen, und der Ex-Gendarm Platter erschien als Platzhalter ideal. Der Kanzler gewann den Wettlauf mit der Zeit: Um 10.52 Uhr, acht Minuten vor Beginn von Strassers Pressekonferenz, verkündete die APA den Namen des provisorischen Nachfolgers: Günther Platter.

Während am Ballhausplatz hektisches Treiben herrschte, befand sich Bundespräsident Heinz Fischer auf dem Flug nach Warschau. Unmittelbar nach der Landung erreichte der Kanzler den Präsidenten am Handy und ersuchte ihn um einen Angelobungstermin für Platter am Samstag. „Ich bin 48. Ich gehe zurück in die Wirtschaft, von wo ich gekommen bin“, sagte Strasser zur selben Stunde den zur Pressekonferenz geeilten Journalisten.

Eine leichte Übertreibung. Nur zwei Jahre, von 1990 bis 1992, hatte Strasser bei der Amstettener Firma Umdasch freie Marktwirtschaft betrieben. Den Großteil seines Berufslebens verbrachte er in der Politik: als Sekretär beim ÖVP-Bauernbund, im Kabinett von Landwirtschaftsminister Josef Riegler, als Landesgeschäftsführer der ÖVP Niederösterreich und schließlich als Erwin Prölls Klubobmann.

Als er im Februar 2000 von der Landes- in die Bundespolitik wechselte, galt der damals 43-Jährige als typischer Vertreter der machtbewussten niederösterreichischen Volkspartei.

Seine ersten Monate als Regierungsmitglied veränderten Strassers Image gravierend. Der Innenminister schickte versöhnliche Grußadressen an die Anti-Regierungs-Demonstranten („95 Prozent der Kundgebungsteilnehmer sind friedliche junge Leute, die einem Lebensgefühl und einer Haltung Platz verschaffen“), er sorgte für ein gutes Gesprächsklima mit Hilfsorganisationen wie der Caritas und distanzierte sich damit überdeutlich vom freiheitlichen Koalitionspartner: „Ich bin seit meinen Studententagen ein harter Kritiker jeder ausländerfeindlichen, jeder die Gesellschaft spaltenden Gesinnung. Ich werde auch in Zukunft den Mund nicht halten.“

Zum Bild des dynamischen und modernen Politikers passte Strassers Weigerung, in seinem Büro einen Schreibtisch aufzustellen. Er benötige nur einen kleinen Glastisch für seinen Laptop, erklärte er.

In der Öffentlichkeit kam das gut an. Seine Popularitätswerte lagen anfangs über jenen des Bundeskanzlers. In den Medien wurde er als liberales Aushängeschild von Schwarz-Blau und als Kronprinz von Bundeskanzler Schüssel präsentiert. Die FPÖ tat das ihre, um die Profilierung des neuen Innenministers als Freigeist zu unterstützen. Als sich Strasser dafür aussprach, die Zuwanderungsquote zu erhöhen, um ausländische Computerexperten ins Land zu holen, ging ein Platzregen von Verwünschungen über ihm nieder. Jörg Haider etwa nannte Strasser einen „linken Schwarzen“, der seine „Lehre bei der Caritas“ gemacht habe.

Erschöpft. Doch schon in dieser Phase zog Strasser auch schon mal ganz andere Saiten auf. Aus dem jovialen, konzilianten Mann konnte – fernab von TV-Kameras – übergangslos ein zugeknöpfter und grantiger Gesprächspartner werden, wenn er sich attackiert fühlte. Manchmal schien es, als sei Strasser von seiner Rolle als weiser, vernünftiger Staatsmann selbst ein wenig erschöpft.

Schon gegen Ende der ersten schwarz-blauen Koalition, vor allem aber in seiner zweiten Amtsperiode als Minister nahm Strasser eine Kurskorrektur vor. Er verschärfte den Ton in der Flüchtlingsfrage, änderte das Asylgesetz und manövrierte sich damit in einen Dauerkonflikt mit der Caritas und anderen Hilfsorganisationen. Vor zwei Monaten hob der Verfassungsgerichtshof das im Vorjahr beschlossene Asylgesetz teilweise wieder auf. Strasser reagierte patzig: „Was Recht ist, muss nicht unbedingt gut sein.“

Mit seiner Personalpolitik beschädigte Strasser seinen Ruf als liberaler Musterknabe nachhaltig. Im zuvor recht roten Innenministerium mussten Spitzenbeamte wie Gendarmeriegeneral Oskar Strohmeyer –gehen oder sich degradieren lassen. Entsprechend unfreundlich fallen deren Nachrufe auf den Ex-Chef aus (Kasten unten).

Die Zusammenlegung von Gendarmerie und Polizei wollte Strasser noch vollenden. Dies habe er als guten Zeitpunkt dafür gesehen, sich aus der Politik zurückzuziehen, so Strasser bei seiner Abschiedspressekonferenz. Der Entschluss sei in ihm seit dem Frühsommer gereift.

Damals war klar geworden, dass dem ehrgeizigen Bauernsohn aus Oberösterreich der Weg nach weiter oben wohl nicht mehr offen steht. Erwin Pröll war nicht Bundespräsident geworden, der Sessel des Landeshauptmanns von Niederösterreich also auf unabsehbare Zeit fix besetzt. Wolfgang Schüssel war nicht EU-Kommissionspräsident geworden, auch sein Posten stand also nicht zur Disposition. In die EU-Kommission zog Benita Ferrero-Waldner ein, weil Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf einer Frau bestand; deren Nachfolge im Wiener Außenamt wiederum trat Ursula Plassnik an.

Alle Jobs, an denen Strasser Interesse gehabt hätte, waren somit vergeben, und ob er nach der nächsten Wahl noch einmal zum Innenminister ernannt würde, war naturgemäß alles andere als sicher. Worauf sollte er noch warten?

Diese Frage war umso virulenter, als die Chemie zwischen Kanzler und Innenminister zunehmend schlechter wurde: Strasser hatte das Gefühl, unbedankt die Drecksarbeit zu erledigen. Im Juni verlor er eine weitere Machtposition. Bis dahin hatte er mit Justizminister Dieter Böhmdorfer die Koalitionsarbeit koordiniert. Als Böhmdorfer zurücktrat, verlangte die FPÖ, diesen Job künftig von den Klubobmännern Herbert Scheibner und Wilhelm Molterer erledigen zu lassen. Zum Trost nahm Wolfgang Schüssel Strasser in die so genannte „Montagsrunde“ auf, das wichtigste schwarze Strategiegremium. Die Motivation des enttäuschten Ministers konnte dieser symbolische Akt aber nicht mehr beflügeln.

Nur einen Mann hatte er von seinen Plänen informiert: Erwin Pröll. Mit seinem politischen Schutzherrn besprach sich Strasser vor einer Woche – und das nicht ohne Hintergedanken: Das Innenministerium „gehört“ nach ÖVP-interner Logik den mächtigen Niederösterreichern. Auch die SPÖ hatte mit Oskar Helmer, Franz Olah, Otto Rösch, Karl Blecha und Karl Schlögl immer wieder Niederösterreicher in das wichtige Amt in der Herrengasse entsandt.

Pröll redet mit. Noch am Freitag konferierte Pröll in dieser Causa telefonisch mit dem Kanzler. „Natürlich wird die ÖVP Niederösterreich entsprechend ihres Gewichts bei dieser Entscheidung mitreden“, kündigte der Landeshauptmann Freitagabend gegenüber profil an: „Wir haben ein paar Persönlichkeiten, die dafür infrage kommen.“ Namen wollte er freilich keine nennen. Gerüchteweise stehen folgende Kandidaten in der engeren Wahl: der immer wieder für höhere Ämter genannte Mödlinger Abgeordnete Michael Spindelegger sowie der Wiener Neustädter Bezirkshauptmann Heinz Zimper, einige Monate lang Strassers Büroleiter.

Schüssel selbst denke angesichts der für die ÖVP schwierigen Landtagswahl in der Bundeshauptstadt an eine Nachbesetzung aus Wien, heißt es – möglicherweise sogar an eine Frau, nämlich an seine Ex-Bürochefin Ulrike Baumgartner-Gabitzer. Kühne Spekulanten tippen auf Johannes Hahn, den die Wiener VP als Spitzenkandidaten ins aussichtslose Bürgermeister-Rennen schicken wird. Ein Ministeramt würde dem weit gehend unbekannten Kandidaten zu mehr Publizität verhelfen.

Das Tauziehen könnte noch eine Zeit lang dauern. Schüssel sagte am Freitagabend, Platter sei eine Übergangslösung „für vier bis fünf Wochen“.