Religion in Öster- reich: Heiliger Schein

Religion: Heiliger Schein

Politische Spitze ist über- durchschnittlich gläubig

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Wie die Orgelpfeifen standen die vier Herren neben dem Kardinal und machten dem Papst im zugigen Schwechater Hangar ihre Aufwartung. Jeder von ihnen kannte die Gebete der folgenden beiden Tage, war mit den geistlichen Gesängen vertraut und hätte jederzeit trittsicher als Messdiener einspringen können. Alfred Gusenbauer, Wilhelm Molterer, Günther Platter und Norbert Darabos – sie bildeten die Spitze des Empfangskomitees der Regierung für Benedikt XVI. – haben allesamt in ihren frühen Jugendtagen heftig ministriert, viel Zeit in Kirche und Pfarrgemeinschaft verbracht und die liturgischen Handreichungen verinnerlicht.

Österreichs politische Spitze ist – formal jedenfalls – überdurchschnittlich katholisch: Zehn der 14 Minister bekennen sich zur römischen Kirche, das sind 71 Prozent. In der Gesamtbevölkerung sind nur 66 Prozent eingeschriebene Katholiken. Bloß ein einziges Regierungsmitglied – Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter – deklariert sich „ohne religiöses Bekenntnis“. Matznetter, Sohn „sehr katholischer“ Eltern, ist zwar getauft, jedoch „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ aus der Kirche ausgetreten.

Wirtschaftsminister Martin Bartenstein, Außenministerin Ursula Plassnik und Frauenministerin Doris Bures sind evangelisch. Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky tanzt auch glaubensmäßig etwas aus der Reihe: Sie ist altkatholisch.

In der großen Koalition der ersten zwanzig Nachkriegsjahre war kaum ein Sozialdemokrat gesessen, der Mitglied der Kirche war. Als Kardinal Franz König Ende der siebziger Jahre als erster geistlicher Würdenträger einen ÖGB-Kongress besuchte, war dies eine Sensation.

Jahrhundertelang hatte sich die Kirche auf die Seite der weltlichen Macht geschlagen, hatte die Kriege und die Kanonen der Habsburger gesegnet und die Republik verabscheut. Das Ende der Monarchie sei „eine brennende Wunde“, klagte der in Graz geborene Bischof Alois Hudal noch 1931. Nach 1945 betätigte sich Hudal im Vatikan als Fluchthelfer für NS-Kriegsverbrecher.

Vor allem die Parteinahme für den Austrofaschismus mochte Österreichs Linke der Kirche lange nicht verzeihen, den Eifer, mit dem sie ihm – so der Historiker Ernst Hanisch – als „unverzichtbarer Ideologielieferant“ diente. „Hinter solchen Männern müssen wir stehen“, jubelte Kardinal Theodor Innitzer 1933, nachdem der christlich-soziale Kanzler Engelbert Dollfuß das Parlament entmachtet hatte.

Im Windschatten des autoritären Regimes erkämpfte sich die Kirche in Österreich verloren gegangene Positionen zurück. Nun wurde die Verfügung des roten Schulreformers Otto Glöckel – eine besondere Hassfigur der Kirche – aus dem Jahr 1919 zurückgenommen, wonach die Schule nicht den sonntäglichen Kirchenbesuch der Kinder erzwingen dürfe. Wer aus der Kirche austrat, musste nach einem Erlass des Unterrichtsministeriums vom August 1933 seinen „gesunden Geistes- und Gemütszustand“ ärztlich bescheinigen lassen. In Salzburg wurde der „demonstrative Kirchenaustritt“ mit sechs Wochen Arrest geahndet.

Erst 1952, beim Katholikentag in Mariazell, ging die Kirche in sich und setzte im legendären „Mariazeller Manifest“ – eigentlich nur eine Presseerklärung am Ende des Konvents – einen neuen Kurs: Künftig werde man Äquidistanz halten – die Nähe zur Kirche sollten die Parteien selbst durch ihr politisches Handeln bestimmen.

Wie tief die Kluft noch immer war, zeigt sich auch daran, dass die Sozialdemokraten erst ein Vierteljahrhundert später den Ball aufnahmen. Angeregt durch die aus Lateinamerika hereinschwappende Idee der „Befreiungstheologie“, beauftragte der rote Kanzler Bruno Kreisky 1978 seinen Zentralsekretär Karl Blecha mit der Kontaktsuche zu der wegen der Fristenlösung schwer vergrämten Kirche. Nicht ohne Hintergedanken: Zur Absicherung seiner denkbar knappen absoluten Mehrheit brauchte Kreisky die Stimmen kritischer Katholiken – und diese seien zu kriegen, befundete der studierte Sozialforscher Blecha.

Der ÖVP behagten die Annäherung der SPÖ an die Kirche und deren geschmeichelte Reaktion naturgemäß wenig. Als Kreisky und Blecha just im Raiffeisenhaus am Donaukanal mit hochrangigen Kirchenvertretern zur öffentlichen Diskussion luden, wurde das Grummeln in der ÖVP-Zentrale unüberhörbar. „Das war wie beim Gleichnis vom verlorenen Sohn“, suchte Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol später nach einer passenden Metapher. „Wir, die wir immer im Pferch der Kirche waren, durften Holz holen für die Freudenfeuer. Aber für uns wurde kein Mastkalb geopfert.“

Umso mehr bemühten sich die christlichen Schwarzen, die Sozialdemokraten mit tiefen Glaubensgesten zu übertreffen. Im September 2000 etwa pilgerte die schwarze Regierungsmannschaft zur „Magna Mater Austriae“ nach Mariazell, um mit einem Gottesdienst für das Ende der EU-Sanktionen gegen das VP-FP-Kabinett zu danken. Schüssel nach der Messe: „Es gehört sich einfach, dass man zur heiligen Maria pilgert und Danke sagt.“ ÖVP-Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat dankte nach der triumphalen Nationalratswahl 2002 „dem lieben Gott für die Kraft, die er dem Wolfgang gegeben hat“.

Wurden solche Aktionen von den damals noch oppositionellen Roten bloß mit spitzen Bemerkungen bedacht, regte sich empörter Widerstand, als Nationalratspräsident Andreas Khol vorschlug, in die Präambel zur Bundesverfassung einen Gottesbezug aufzunehmen. Diesen hatte es zuletzt in der Dollfuß-Verfassung des Jahres 1934 gegeben.

Dennoch ist die derzeitige rote Regierungsriege ein Unikum in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie: Bruno Kreisky und Karl Blecha mögen um katholische Stimmen geworben haben – um Alfred Gusenbauer scharen sich tatsächlich praktizierende oder zumindest gläubige Katholiken.

Der Kanzler selbst war jahrelang Ministrant in seiner Heimatgemeinde Ybbs gewesen, seine Mutter singt nach wie vor im Kirchenchor. „Ich würde mich als gläubig bezeichnen“, meinte der Kanzler vergangene Woche in einem profil-Gespräch am Rande seines Israel-Besuchs. Er halte auch Glaubensinhalte wie die Auferstehung hoch: „Das ist ja der Kernpunkt des Glaubens. Wenn man daran nicht glaubt, ist man überhaupt nicht gläubig.“

Ein anderes rotes Regierungsmitglied wollte sogar noch mit 17 Priester werden – nur die Bekanntschaft mit einem Mädchen ließ den heranwachsenden Erwin Buchinger dann doch eine andere Laufbahn einschlagen. An Gott glaubt er noch heute. Im Juni, bei der „Langen Nacht der Kirchen“, trug Buchinger in der Wiener Karlskirche seine Lieblingsstelle aus dem Evangelium des Matthäus vor, jene „vom Weltgericht“ (Matthäus 25,31–46): „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Freilich: Eherne Glaubensinhalte wie jenen vom Leben nach dem Tod will Buchinger heute nicht mehr teilen.

Auch die kirchlichen Aktivitäten von Justizministerin Maria Berger liegen bereits einige Zeit zurück („Heute gehe ich eher selten in die Kirche“), dafür waren sie recht intensiv. Immerhin bekleidete die Bauerntochter das Amt der Jungscharführerin in ihrem Heimatbezirk Perg in Oberösterreich. Ihre Erziehung genoss sie – wie übrigens auch die ÖVP-Politikerin Maria Fekter – in der Klosterschule in Gmunden. Als Berger während des Jusstudiums in Innsbruck mit der Anti-AKW- und der Frauenbewegung in Kontakt kam, stellte sie ihre kirchlichen Tätigkeiten ein.

Verteidigungsminister Norbert Darabos, Absolvent einer katholischen Schule in Wien, ist hingegen weiterhin fest in die Kirchengemeinde seines burgenländischen Heimatorts Kroatisch-Minihof eingebunden. Wie einst der Vater ministrieren auch die beiden Darabos-Kinder.

Nicht zufällig sind Gusenbauer, Buchinger, Berger und Darabos jene vier Mitglieder der SP-Regierungsfraktion, die aus den Bundesländern kommen, oft erst in der ersten oder zweiten Generation Sozialdemokraten sind und noch die katholischen Traditionen der oft bäuerlichen Vorfahren in sich tragen.

Klosterurlaub. Die drei aus Wien stammenden SP-Minister können hingegen keine katholischen Karrieren aufweisen: Infrastrukturminister Werner Faymann und Unterrichtsministerin Claudia Schmied lassen bloß ausrichten, sie seien Mitglied der katholischen Kirche. Mehr sei nicht zu sagen. Frauenministerin Doris Bures ist evangelisch, aber nach eigenem Bekunden „nicht gläubig“. Bei ihrer Angelobung in der Präsidentschaftskanzlei trug sie dennoch eine Halskette mit einer Madonna. Warum? Bures: „Meine Mutter war eine sehr gläubige Frau, die diese Kette bis zu ihrem Tod getragen hat. Bei der Angelobung war meine Mutter auf diese Weise bei mir.“

Aber auch einige Wiener Sozialdemokraten kommen aus tief katholischem Milieu, wie etwa SP-Klubobmann Josef Cap. Aufgewachsen im bürgerlichen Bezirk Wien-Josefstadt, war Cap Ministrant, besuchte Volksschule und Gymnasium bei den Piaristen und wuchs in einer klassischen ÖVP-Familie auf. Der früh verstorbene Vater hatte dereinst sogar erwogen, Jesuitenpriester zu werden; in seinen letzten Lebensjahren engagierte er sich in der katholischen Reformbewegung Cursillo. Mit 20 trat Cap aus der Kirche aus: „Ich habe, ehrlich gesagt, einfach nicht mehr geglaubt.“ Heute folge er einem eher existenzialistischen Ansatz: „Du bist in dieses Leben geworfen und musst – mit Werten und Grundsätzen – das Beste daraus machen. Bei mir sind das eben sozialdemokratische Werte.“

Da sind die Regierungskollegen von der ÖVP naturgemäß um einiges glaubensfester. Vizekanzler Wilhelm Molterer sieht sich als „politischen Katholiken und katholischen Politiker“. Erste Sporen hatte sich der Adoptivsohn einer Bauernfamilie wie auch der Wiener Wolfgang Schüssel in der Katholischen Hochschuljugend verdient. Schüssel selbst, ein regelmäßiger Kirchgänger, zieht sich alljährlich mit einigen Freunden für mindestens eine Woche hinter die dicken Mauern des steirischen Stiftes Seckau zu Schweigen, Meditation und geistlichem Gesang zurück. Als liebste Bibelstelle nannte Schüssel einmal das alttestamentarische Buch Kohelet. „Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch“, beginnt der Text des etwas weltmüden Predigers aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert.

Die aus den Ländern kommenden ÖVP-Minister wurzeln ohnehin tief im Katholischen. Innenminister Günther Platter etwa, ein Tiroler, bezeichnet sich selbst als „gläubig und religiös“. Der Glaube an ein Leben im Jenseits sei in seinem diesseitigen Leben sehr wichtig. Von der Kirche wünscht er sich „klarere Predigten und weniger Beliebigkeit. Die Kirche darf ihre Grundwerte nicht verlassen.“ Gleichzeitig müsse aber auch die Jugend ins Boot geholt werden.

Auch der Niederösterreicher Josef Pröll sieht sich als „absolut gläubigen Menschen, der aus seiner Religiosität Kraft schöpft“. Pröll ist in der Pfarre Wien-Gersthof aktiv, der Pfarrer ist einer seiner engsten persönlichen Freunde.

Ganz so einfach ist die Sache für Staatssekretärin Christine Marek nicht. Marek, allein erziehende Mutter eines 14-jährigen Sohnes: „Ich kann schon sagen, dass ich gläubig bin – aber das betrifft nicht alles, was aus der katholischen Kirche kommt.“ Diese fordere oft Dinge, „denen ein Normalsterblicher einfach nicht folgen kann“.

Wissenschaftsminister Johannes Hahn ist sogar einmal aus der Kirche ausgetreten: Wegen einer damals aufgetretenen Krebserkrankung hatte er den Glauben verloren. 16 Jahre später trat Hahn zwar wieder der Kirche bei, praktiziert sein Christsein allerdings nicht und hat zur Religion „ein eher entspanntes Verhältnis“.

Verwirrend ist die Lage bei Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky. Kdolsky hatte ihre erste Ehe kirchlich annullieren lassen, sieht sich selbst als „gläubigen Menschen, der zu den christlichen Werten steht“, und meinte vergangene Woche in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“, sie müsse nach ihrer Scheidung nun eben akzeptieren, dass sie nicht mehr zur Kommunion gehen dürfe. Allerdings: Frau Kdolsky ist altkatholisch – und bei den Altkatholiken dürfen auch Geschiedene die Kommunion empfangen. Die Altkatholiken hatten sich 1873, nach dem ersten Vatikanum, wegen des damals beschlossenen Unfehlbarkeitsdogmas des Papstes abgespalten und gehen das Problem nun etwas entspannter an. So dürfen etwa auch Frauen das Priesteramt ausüben. Ein weiterer prominenter Altkatholik ist Ex-Finanzminister Hannes Androsch.

Sticheleien. Christliche Gesten der Sozialdemokraten werden von den Schwarzen oft nicht ganz ernst genommen. So erzählten ÖVP-Politiker immer wieder verwundert, mit welcher Selbstverständlichkeit der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk bei Messen zum Empfang der Kommunion schritt, obwohl er als Geschiedener und Mitglied der Freimaurer gleich aus zwei Gründen für deren Empfang gesperrt ist. Zu einem kleinen Hickhack war es 1998 gekommen. Nachdem sich der damalige Kanzler Viktor Klima bei einem Vatikan-Besuch als Superkatholik gegeben hatte, ätzte Andreas Khol in einem profil-Interview: „Ich habe Klima beim Papstbesuch in Wien zugesehen, als er offenbar zum ersten Mal bei einer Messe war. Er hat nicht gewusst, wann er aufstehen und wann er sich setzen sollte.“

Muss sich ein politischer Würdenträger also als guter Christ geben? Mitnichten, wie das Beispiel des mit Abstand beliebtesten österreichischen Politikers zeigt: Heinz Fischer hatte sich im Präsidentschaftswahlkampf bekanntlich ohne Umschweife als nicht gläubig deklariert.

Von Herbert Lackner