gastkommentar: Ewald Novotny

Renaissance der Entwicklungsbanken?

Renaissance der Entwicklungsbanken?

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In der Öffentlichkeit nicht sehr beachtet und auch etwas überraschend, erleben wir derzeit eine kleine Gründerwelle im Bereich der Entwicklungsbanken. Ausgehend von einer Initiative der Staatschefs von Venezuela und Argentinien, Hugo Chávez und Nestor Kirchner, wurde von sieben südamerikanischen Staaten die Gründung einer eigenen Entwicklungsbank – Banco del Sur – beschlossen, die beim Präsidentengipfel am 3. November in Caracas ins Leben gerufen werden soll. Russland hat angekündigt, nach dem Vorbild der großen – und erfolgreichen – deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) eine öffentliche Entwicklungsbank zu errichten. Und neben einer Reihe ähnlicher Initiativen wird auch in Österreich eine „Österreichische Entwicklungsbank“ als gemeinsame Einrichtung von Kontrollbank und Bund gegründet, die sich vor allem mit der Finanzierung privater Projekte in Schwerpunktländern der österreichischen Entwicklungshilfe befassen soll – ein interessantes und sinnvolles Projekt.

Insgesamt zeigen sich damit zwei Tendenzen: zum einen eine politische Aufwertung des Instruments der öffentlichen Entwicklungsbanken und zum anderen das Entstehen regionaler oder nationaler Entwicklungsbanken gegenüber den großen, „etablierten“ Einrichtungen wie Weltbank oder Europäische Investitionsbank.

Die Gründe dieser Entwicklung sind vielfältig und zum Teil nicht ohne innere Widersprüche. In einigen Fällen, wie etwa bei der geplanten südamerikanischen Entwicklungsbank, ist die Motivation eine deutlich politische, ausgerichtet speziell gegenüber der Weltbank-Gruppe. Diese wird als US-amerikanisch dominiert gesehen, was sich in der Auswahl der Schwerpunktländer und in der generellen Arbeitsweise zeigt.

Eine weiter gehende, auch in den USA selbst geführte Diskussion bezieht sich generell auf Inhalt und Wirkungsweise des „Washington Consensus“, grundlegende Arbeitshypothesen der „Bretton Woods Institutionen“ Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF). Beide Institutionen bemühen sich, aus der – zum Teil sehr dramatisch vorgebrachten – Kritik an ihrer Arbeit zu lernen, und haben insbesondere ökologische wie auch soziale Kriterien in ihre Kreditvergabe integriert. Entstanden ist dadurch freilich ein System umfassender „Conditionalities“, also eine Fülle von Bedingungen, die erfüllt werden müssen, damit zugesagte Kredite auch tatsächlich in Anspruch genommen werden können.

Dies hat wieder dazu geführt, dass solche Verfahren der Kreditvergabe oft überaus langsam und mühsam werden und Kredite letztlich gar nicht zustande kommen.

Diese Entwicklung wird für die „traditionellen“ Institutionen umso bedenklicher, als sie selbst ihre frühere Monopolstellung als Kreditgeber für „emerging markets“ längst verloren haben. Zum einen eben durch eine Renaissance regionaler Entwicklungsbanken, zum anderen durch – zum Teil – leichtere Verfügbarkeit von privatem Kapital und speziell in rohstoffreichen Staaten durch eine aggressive Kreditvergabe Chinas, die ohne ernsthafte ökologische und soziale Bedingungen erfolgt.

Die Frage der „Konditionalität“ stellt in der Tat eine Schlüsselfrage für die Beurteilung und die Zukunft internationaler Finanzinstitutionen dar. Zum einen ist die politische Existenzberechtigung, die „Mission“ dieser Institutionen, daran geknüpft, finanzielle Hilfsleistungen mit bestimmten grundlegenden Werten der „Geber“ zu verknüpfen, wie demokratische und ökologische Mindeststandards, Kampf gegen die Korruption etc. Zum anderen können ein zu umfassender Katalog von Bedingungen und ein zu bürokratisches „Abarbeiten“ dieses Katalogs dazu führen, dass die entsprechenden Institutionen sich zunehmend selbst verwalten und in ihrer praktischen Wirksamkeit zurückfallen.

Empirisch zeigen sich hier unterschiedliche Tendenzen zwischen den großen Entwicklungsbanken. Die weltweit größte Entwicklungsbank, die Europäische Investitionsbank in Luxemburg, verfolgt die Politik, als „Hausbank“ der EU primär bankspezifisch und technisch beratend zu agieren, sich auf einige essenzielle Bedingungen zu konzentrieren und politisch eher ein „low profile“ anzustreben. Dazu hilft auch eine Aufgabenstellung, die außerhalb der EU-Staaten vor allem auf wirtschaftlich weiterentwickelte „emerging markets“ abzielt. Ein ähnliches, eher pragmatisches Profil zeigt auch die große deutsche Entwicklungsbank KfW.

Sehr viel schwieriger, sowohl vom Aufgabenbereich wie vom politischen Umfeld, das stark vom US-Kongress bestimmt ist, haben es dagegen Weltbank-Gruppe und IWF, die in massive innere und äußere Diskussionen verstrickt sind. Ein Aspekt dieser Diskussionen, der vor allem in Zeiten der Dominanz eines radikalen Wirtschaftsliberalismus in den USA eine große Rolle spielte, war – und ist – die Frage, ob multilaterale Entwicklungsbanken in Zeiten globalisierter Kapitalmärkte überhaupt ökonomisch notwendig und berechtigt sind. Und in der Tat haben sich ja weltweit die Finanzierungsbedingungen mit dem Entstehen globaler, weitgehend liberalisierter Kapitalmärkte massiv geändert.

Allerdings ist auch hier eine realistische Betrachtung nötig. So machen die internationalen Kapitalmärkte – aus guten ökonomischen Gründen – erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Formen von „emerging markets“, die bis hin zum De-facto-Ausschluss für die Schwächsten führen. Zum anderen stehen die internationalen Kapitalmärkte primär für den Bereich kurz- und mittelfristige Finanzierungen offen. Damit können sich weiterhin erhebliche Finanzierungsprobleme speziell für langfristige Infrastrukturinvestitionen ergeben, was zu massiven Entwicklungsengpässen führen kann. Die vielfach genährten Hoffnungen auf private Infrastrukturfinanzierungen, etwa im Rahmen von Private-Public-Partnership(PPP)-Modellen, haben sich inzwischen in etlichen Fällen als überzogen herausgestellt. PPP-Modelle sind, wie sich zunehmend zeigt, auch in Industriestaaten mit Chancen, aber auch erheblichen Risiken verbunden. In „emerging markets“ sind diese Risiken ungleich höher anzusetzen.

Insgesamt ist demnach aus meiner Sicht festzuhalten, dass es auch heute gute ökonomische und gesellschaftspolitische Gründe für die Existenz von Entwicklungsbanken gibt. Dabei wieder haben „große“, global agierende Institutionen vielfach Vorteile gegenüber „kleineren“, regionalen Entwicklungsbanken. So ist eine gewisse Größe nötig, um ein effizientes System der technischen und wirtschaftlichen Beratung zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. Noch ausgeprägter gilt dies für die Refinanzierung auf den internationalen Kapitalmärkten und damit die möglichen Konditionen der Kredite. Politisch ist festzuhalten: Große multilaterale Institutionen, die unter starker öffentlicher Kontrolle stehen, sind in der Regel resistenter gegen Korruption und Vetternwirtschaft und von ihren Grundlagen her auch eher bereit und in der Lage, langfristige globale Aspekte, wie etwa die Probleme des Klimawandels, zu berücksichtigen.

Es ist nicht zu verkennen, dass es Reformbedarf bei den „etablierten“ Entwicklungsbanken gibt, dass für Staatschefs aber auch eine gewisse Versuchung besteht, feierliche Zusammenkünfte durch die Gründung einer neuen Regionalbank zu krönen – wie dies am 3. November in Caracas erfolgen soll.

Für bestimmte Fragestellungen kann eine stärkere Regionalisierung größere gesellschaftspolitische Sensibilität und – hoffentlich – geringere Bürokratie bedeuten. Generell ist es aus meiner Sicht unter Aspekten der globalen Entwicklung und der effizienten und korrekten Durchführung aber vielfach wirkungsvoller, eher an der Reform und Weiterentwicklung der „großen“ Entwicklungsbanken zu arbeiten, wobei ein Aspekt dieser Weiterentwicklung sicher auch in stärkerer Regionalisierung ihrer Tätigkeit gesehen werden sollte. Damit sollte es möglich sein, verstärkt regionales Problembewusstsein mit wirtschaftlicher und finanzierungstechnischer Effizienz und mit weltweit akzeptierten Mindestnormen zu verbinden.

Univ.-Prof. Dr. Ewald Nowotny, Generaldirektor der Bawag P.S.K., war zwischen 1999 und 2003 Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, Luxemburg.