Mogadischu: „Auf Wiedersehen“

Reportage: „Auf Wiedersehen“

Ein halbes Jahr regierten in Somalia die Islamisten

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Sie sind wieder da, und mit ihnen ist das Chaos in die Stadt zurückgekehrt: Erneut brettern die berüchtigten Kampffahrzeuge der Kriegsfürsten durch Mogadischus Straßen – jene „battle waggons“ genannten Geländewagen, auf deren Ladefläche schwere Maschinengewehre montiert sind. Am Abzug unberechenbare Schießgesellen, die schon vormittags Qat-Blätter von einer Backe in die andere schieben und sich entsprechend aufgeputscht gebärden. Immer wieder gellen auch mitten am Tag Schüsse durch die Stadt, die Leute hasten durch die Straßen.

Sieben Monate lang waren die Anarcho-Kämpfer und ihre Kriegswagen aus der Hauptstadt Somalias verschwunden. Im Juni vergangenen Jahres hatten islamische Milizen die Kontrolle über weite Teile des staatslosen Landes am Horn von Afrika übernommen und die Kriegsfürsten verjagt. Als die äthiopische Armee das Kurzzeitregime der Moslems Ende Dezember stürzte, feierten im Windschatten der Invasionstruppen die Warlords ein Comeback. Und seither herrscht wieder die tödliche Willkür der Soldateska.

Kein Tag vergeht ohne blutige Zwischenfälle. Wenige Stunden nachdem profil, Mitte Jänner auf Lokalaugenschein in Mogadischu, im Hotel Ambassador ein Interview mit dem neuen Polizeichef geführt hat, wird dort ein Granatenanschlag verübt. Ein Mensch stirbt, fünf werden verletzt. Auf der Straße zu unserem Hotel wird – wenige Minuten bevor wir sie passieren – ein Gebäude der Regierungsarmee mit Bazookas angegriffen: Zwei Soldaten sterben. Ali, unser Fahrer, spricht ununterbrochen mit irgendeinem Schutzengel am Telefon, um passierbare Routen zu vereinbaren: Einen Tag lang kommen wir trotzdem nicht aus dem Hotel, weil vor dem Eingang alle paar Minuten geschossen wird.

Selbst vor dem Regierungspalast von Präsident Abdullahi Jusuf kommt es zu einem Feuergefecht, bei dem neun Tote und mehr als zwanzig Verletzte zurückbleiben – Bodyguards des Staatsoberhauptes sind sich mit Milizionären eines Kriegsfürsten, der gerade über eine Entwaffnung verhandelt, in die Haare geraten.

Alltag in Mogadischu.

Historischer Moment. Präsident Jusuf, selbst ein ehemaliger Warlord, hat sich nur wenige Tage zuvor nach 13 Jahren erstmals wieder in die Hauptstadt seines Heimatlandes gewagt. Fast heimlich landet seine 16-sitzige Chartermaschine auf dem erst seit Kurzem wieder eröffneten Flughafen Mogadischus: Vom Alter sichtlich mitgenommen, schlurft der 73-Jährige das Treppchen auf das Rollfeld hinab. Mehr als ein „Ich bin glücklich“ fällt dem Präsidenten als Kommentar zu dem denkwürdigen Moment nicht ein. Obwohl dem wächsernen Gesicht des leberkranken Mannes die Freude kaum anzusehen ist, muss man ihm einfach glauben. „Sie haben das Glück, einen historischen Augenblick mitzuerleben“, hat Jusufs Premierminister, Ali Mohamed Ghedi, dem im Flugzeug befindlichen profil-Reporter beim Anflug auf Mogadischu eingebläut.

Statt von jubelnden Menschenmassen wird Präsident Jusuf jedoch lediglich von einer Hand voll Honoratioren und zwei Hundertschaften schwer bewaffneter Soldaten begrüßt und ohne Formalitäten umgehend in einen der schwarzen Geländewagen mit getönten Scheiben bugsiert – ab geht die Fahrt in rasendem Tempo durch die einst als Afrikas Perle gepriesene Stadt, von deren weißen Villen und Palästen heute nur noch Ruinen übrig sind, die wie Zahnstümpfe in die Luft ragen.

Als der von zahlreichen „battle waggons“ begleitete Konvoi durch die Straßen fegt, hebt kein Passant auch nur die Hand. „Die wissen nicht, dass da ihr Präsident vorbeifährt“, sucht Jusufs Kanzleichef, Abdirizak Adam Hassan, die frostige Reaktion der Hauptstädter zu erklären. „Wir wollten hier auch keinen mittelalterlichen Triumphzug veranstalten.“

Später stellt sich jedoch heraus, dass die Bewohner Mogadischus sehr wohl wussten, wer sich hinter den dunklen Scheiben verbarg – dennoch war ihnen nicht zum Feiern zumute. „Warum sollen wir uns freuen, wenn die Kriegsfürsten, die Waffen und die Schießereien nach Mogadischu zurückkehren?“, fragt ein grauhaariger Hauptstadtbewohner, der seinen Namen lieber nicht gedruckt sehen will: „Unter den Islamisten herrschte hier wenigstens Ruhe.“

Noch vor wenigen Monaten konnte man sich in Mogadischu ohne Bodyguards, ohne von Zwischenfällen diktierte Umwege und ohne Angst bewegen (profil 38/06). Jetzt erinnert die afrikanische Wildost-Metropole wieder an die Zeiten vor der Machtübernahme der Gottesmänner.

„Wir, die Bevölkerung von Mogadischu, waren es nicht, die die Äthiopier gerufen haben“, sagt Abdullahi Shirwa, Sprecher von „Civil Society in Action“, einem Netzwerk somalischer Nichtregierungsorganisationen. Der in der Sowjetunion ausgebildete Intellektuelle hatte auch mit den Islamisten und ihren überspitzten religiösen Vorschriften seine Schwierigkeiten. Das Verbot westlicher Musik in den Radioprogrammen, die Schließung zahlreicher Kinos und die Verpflichtung, fünfmal am Tag zu beten, ging dem religiös eher relaxten Somalier auf die Nerven. Doch „damit wären wir schon selber fertig geworden“, meint der würdevolle Herr, der die gesamte Ära der Anarchie miterlebte. „Dafür hätten wir weder die Amerikaner noch die Äthiopier, noch unsere Kriegsfürsten gebraucht.“

Machtlose Regenten. Vor allem Letztere sind zum Inbegriff des Hasses der Hauptstädter geworden. 16 Jahre lang teilten die Warlords die Stadt unter sich auf, drangsalierten die Bevölkerung und erstickten sämtliche Versuche, in dem regellosen Land wieder Ordnung zu schaffen. Erst als die Kriegsfürsten selbst in den Prozess der Regierungsbildung eingebunden wurden, stellte sich nach monatelangen Verhandlungen im Nachbarland Kenia ein fragwürdiger Erfolg ein: Ende 2004 wurde Abdullahi Jusuf, der Kriegsfürst aus der Puntland-Provinz, zum Präsidenten gewählt. Sämtlichen mächtigen Warlords wurden Sitze in dem über 60-köpfigen Kabinett eingeräumt, von den 275 Mitgliedern des Übergangsparlaments gelten fast die Hälfte als Kriegsfürsten.

Die neue Regierung stieß zumindest unter den Hauptstädtern auf wenig Gegenliebe. Als sich Jusuf und Konsorten Anfang 2005 in Mogadischu niederlassen wollten, kam es zu Demonstrationen und Bombenanschlägen: Die machtlosen Herrscher mussten zunächst ins 90 Kilometer entfernte Städtchen Jowhar, später sogar in die 250 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Baidoa ausweichen. Statt mit dem Kabinett der Kriegsfürsten zu kooperieren, setzten Mogadischus Geschäftsleute auf die Islamisten, unterstützten deren Schulen, Krankenhäuser und Scharia-Gerichte und kauften ihnen Waffen.

Womit keiner gerechnet hatte: Innerhalb weniger Tage gelang es den Moslem-Milizen im Juni 2006, sämtliche Kriegsfürsten aus der Stadt zu jagen – und das, obwohl diese von Washington mit hunderttausenden von Dollars als Bollwerk gegen die Islamisten aufgerüstet worden waren, die angeblich Terroristen Unterschlupf gewährten. Die Bevölkerung von Mogadischu jubelte: Erstmals nach 16 Jahren konnten sie wieder – sogar nachts – auf den zerschossenen Boulevards flanieren, die Straßensperren verschwanden, die Gassen wurden von dem sich meterhoch türmenden Schmutz gesäubert, Hafen und Flughafen nahmen wieder den Betrieb auf. Auch wenn viele Hauptstädter mit dem religiösen Fanatismus nicht einverstanden waren, zeigten sie sich den Gottesmännern gegenüber äußerst dankbar. „Wir werden den Islamisten nie vergessen, was sie für uns getan haben“, sagt Ahmed Dini von der Friedensgruppe Somali Peaceline.

Die Freude hielt jedoch nicht lange an. Von Baidoa aus wandte sich Präsident Jusuf an die Regierung des Nachbarlands Äthiopien, die ihm schon einmal im Kampf gegen Islamistenchef Hassan Dahir Aweys zur Seite gesprungen war. Auch die US-Regierung setzte nach dem Flop mit den Kriegsfürsten auf Äthiopien als neuen Stellvertreter im Kampf gegen die Islamisten. Nachdem die Mullahs wiederholt zum heiligen Krieg gegen das Nachbarland aufgerufen hatten, rückten die Äthiopier am Heiligen Abend mit Kampfhubschraubern und Panzern in Somalia ein. Angesichts der Übermacht räumten die Islamisten Mogadischu kampflos, um ein Blutbad unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden: Das rechneten ihnen die Hauptstädter noch zusätzlich hoch an.

Zögerliche Rückkehr. Äthiopiens Blitzsieg traf auch Jusuf überraschend. Seine Verbündeten in Washington und Addis Abeba drängten ihn, so schnell wie möglich die ihm zugeschanzte Macht in Mogadischu geltend zu machen: Eher zögerlich machte sich der alternde Kriegsfürst schließlich auf den Weg – um in Mogadischu umgehend zu erkennen, dass die Hoffnung, standesgemäß als Staatsoberhaupt agieren zu können, illusorisch war. Innenminister Hussein Aidid, Sohn des berüchtigten Kriegsfürsten Mohamed Farrah Aidid, stellte seinem Chef zwar den in seinem ehemaligen Machtbereich gelegenen Präsidentenpalast zur Verfügung (siehe Interview Seite 76). Doch im renovierungsbedürftigen Hauptteil des herrschaftlich auf einem Hügel gelegenen Präsidentenpalasts hatten sich bereits äthiopische Soldaten breitgemacht. Jusuf musste mit einem am Rand gelegenen Gästehaus Vorlieb nehmen. Dort traf er sich gleich nach seiner Ankunft mit den Ältesten der wichtigsten Clans der Stadt, deren Einfluss noch immer kaum zu überschätzen ist.

Er werde Jusuf niemals seine Waffen übergeben, gelobte Hassan Elmi Yahye. Der knorrige 65-Jährige gehört dem Ältestenrat des mächtigen Ayr-Unterclans der Habar Gidir an – sein Clan soll „so zahlreich wie die Sandkörner an Mogadischus Stränden“ sein und mindestens 10.000 Männer unter Waffen haben. Der raffinierteste Schachzug der Islamisten sei es gewesen, vor ihrem Abzug aus Mogadischu noch schnell alle zuvor konfiszierten Waffen wieder an die Clanmilizen, die Kämpfer der Warlords und die zahlreichen „freelance militias“ (bewaffnete Banden) zurückzugeben, sagt ein Sprecher der Regierung. Außerdem hätten sich zahllose islamische Kämpfer lediglich die Bärte abrasiert und führten ihren Kampf nun im Untergrund in Mogadischu fort.

Ausnahmezustand. Jusuf reagierte, wie man es von einem Kriegsfürsten erwartet: Er rief den Ausnahmezustand aus, ließ Radiostationen schließen und markierte den starken Mann. Fragen somalischer Journalisten, ob es nicht sinnvoller sei, eine möglichst umfassende Regierung der nationalen Einheit zu bilden und versöhnende Gespräche mit den Islamisten aufzunehmen, beantwortete der Präsident während einem der seltenen und kurzen Pressekontakte in seinem Gästehaus klar: „Nein. Die Islamisten haben Verbrechen begangen, und jetzt zahlen sie dafür.“

Inzwischen hatten sich die USA mit der Jagd auf fliehende Islamisten auch selbst direkt in die Kampfhandlungen eingeschaltet. Jusuf, der nach eigenen Worten über die US-Luftangriffe in seinem „Hoheitsgebiet“ nicht einmal informiert, geschweige denn von Washington um Erlaubnis gefragt worden war, begrüßte sie dennoch im Nachhinein: „Die Vereinigten Staaten haben völlig Recht, sich gegen die Terroristen zur Wehr zu setzen.“ Später stellte sich heraus, dass die US-Luftwaffe statt der drei steckbrieflich gesuchten Islamisten mehrere Zivilisten und dutzende von Ziegen und Kamelen gemeuchelt hatte.

Ob der Präsident einen Masterplan hat, bleibt schleierhaft: Für ein Interview steht er nicht zur Verfügung. Dabei hatte Jusuf während einem der zahlreichen Kurzkontakte mit profil zu erkennen gegeben, dass er sogar einiger deutscher Worte mächtig ist. Es handelt sich um „Auf Wiedersehen“ und „Gute Nacht“. Ausgerechnet.

Von Johannes Dieterich, Mogadischu