Reportage

Reportage: Ein total verrücktes Rennen

Ein total verrücktes Rennen

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Jetzt geht es los mit dem US-Vorwahlkampf, und langsam kommt auch ein bisschen Hollywood-Glanz in den Politthriller. Martin Sheen – der Schauspieler spielt in der enorm erfolgreichen US-TV-Serie „The West Wing“ („Der Westflügel“) einen fiktiven Präsidenten von Amerika – wirft sich für Howard Dean ins Zeug: für einen Mann, der ein wirklicher Präsident werden will.

„Es gibt einige Ähnlichkeiten zwischen Howard Dean und der Figur, die ich in ,The West Wing‘ spiele“, sagte Sheen mit leiser Ironie Ende vergangener Woche in Des Moines, Iowa, jenem US-Bundesstaat, in dem diese Woche der Kampf um die Präsidentschaftsnominierung der Demokraten so richtig losgeht. „Beide waren linksliberale Gouverneure in Staaten Neuenglands, die mit Ärztinnen verheiratet sind und die darauf aus sind, das Establishment durchzuschütteln.“

Seine frühe und standhafte Opposition zum Irak-Krieg hat Dean, den Ex-Gouverneur von Vermont, attraktiv gemacht, nicht nur für Sheen, sondern auch für andere Anhänger der Demokraten aus Hollywood. So gesellte sich etwa vergangene Woche auch Regisseur Rob Reiner („Harry und Sally“) zu Deans Wahlkampftross, der mit einem Autobus durch die gefrorenen Prärien und kleinen Dörfer Iowas tourt, damit der Kandidat auch noch die letzten unentschiedenen Wähler bearbeiten kann – im letzten Augenblick, bevor das Rennen um die Präsidentschaft am Montag dieser Woche mit den „Caucuses“ (Wahlversammlungen) in Iowa so richtig beginnt. Dabei handelt es sich um ein kompliziertes und leicht anachronistisches Wahlverfahren innerhalb der lokalen demokratischen Bezirksparteiorganisationen, bei dem sich registrierte demokratische Wähler in Schulen, Kirchen oder auch privaten Wohnzimmern versammeln und für einen der Kandidaten stimmen. Sechzig- bis hunderttausend Leute werden, erfahrungsgemäß, daran teilnehmen.

Das Ergebnis dieser Wahlversammlungen ist ein ganz entscheidender Test für die Stärke der Kandidaten vor der nächsten Runde, den Vorwahlen Ende Jänner in New Hampshire. So skurril-basisdemokratisch das Prozedere auch anmuten mag, das Ergebnis der Iowa Caucuses ist ganz entscheidend für die weiteren Chancen der Kandidaten: Noch nie hat es ein Bewerber geschafft, das Rennen um die Präsidentschaftsnominierung seiner Partei zu gewinnen, der hier nicht unter die Top drei gekommen ist.

„Es werden drei Fahrkarten von Iowa nach New Hampshire vergeben, und John Kerry wird eine von ihnen bekommen“, formuliert etwa Laura Capps, lokale Wahlkampfmanagerin des Senators aus Massachusetts.

Lackmustest. Dieses Mal haben die Leute in Iowa jedenfalls aus einem ziemlich reichhaltigen Feld an Kandidaten zu wählen. „Ein wirklich verrückt knappes Rennen, in dem alles passieren kann“, sagt Mike Tramentina, jener Mann, der hier vor acht Jahren bei der Kampagne für Bill Clintons Wiederwahl die Feder führte.

Nach Tramentinas Einschätzung gibt es in Iowa „zwei Führende an der Spitze – Howard Dean und den Kongressabgeordneten Richard Gephardt, deren Umfragewerte aber in den letzten paar Wochen leicht gesunken sind“. Gleichzeitig wurde ein Aufwärtstrend für die Senatoren Kerry und John Edwards verzeichnet. Tramentina: „Immer dann, wenn Dean und Gephardt einen Punkt verlieren, gewinnen Kerry und Edwards dazu. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen, im Augenblick ist keineswegs klar, wer gewinnen wird.“

Die letzte Umfrage vom Mittwoch vergangener Woche sah Howard Dean

in Iowa mit 24 Prozent an der Spitze, eine Nasenlänge vor Dick Gephardt mit 21 Prozent – bei einer statistischen Schwankungsbreite der Umfrage von vier Prozent ergibt das praktisch ein Patt. Kerry verbesserte sich zuletzt um vier Prozent und liegt ebenfalls bei 21 Prozent, gefolgt von Edwards mit 15 Prozent.

Der Rest rangiert unter „ferner liefen“. Al Sharpton etwa, ein schwarzer Prediger aus New York, der eigentlich nie ernsthaft mit einer Chance rechnete. Oder der Kongressabgeordnete Dennis Kucinich aus Ohio, der am unteren Ende der Umfragen herumgrundelt, dafür aber auf die Unterstützung von Country-Sänger Willie Nelson zählen kann, der in Benefizkonzerten für ihn singt.

Zwei der bekannteren Kandidaten haben sich entschlossen, in Iowa gar nicht anzutreten: Joseph Lieberman, der vor vier Jahren glücklos mit Al Gore im Paket kandidierte, kämpft trotz seines hohen Bekanntheitsgrades im Mittelfeld um Prozentpunkte und hat sich entschieden, seine Zeit und Wahlkampfmittel lieber in New Hampshire zu investieren, das näher an seinem Heimatbundesstaat Connecticut liegt. Ex-General Wesley Clark hat ebenso einen Bogen um Iowa gemacht – auch er will sich seine begrenzten Ressourcen für New Hampshire aufsparen. In den dortigen Umfragen hat er zuletzt stark zugelegt und ist drauf und dran, zum führenden Howard Dean aufzuholen.

Darum hat Iowa womöglich diesmal nicht die übliche Aussagekraft, ist nicht jener Lackmustest, der dem traditionellen Vorwahlauftakt nach Graswurzelart seinen festen Platz im US-Politbetrieb gesichert hat. Denn wie die Dinge liegen, wird im März, wenn die Entscheidung bei den Demokraten naht, das Rennen zwischen Dean und Clark ausgemacht.

Überraschungen. Es sei denn, es gäbe noch große Überraschungen. Und dass solche nie auszuschließen sind, dafür bürgen eben lokale demokratische Übungen wie die Iowa Caucuses und Events wie die Auftaktvorwahlen in New Hampshire. Hier wurden schon Hoffnungen begraben, hier wurden aber auch schon Unbekannte auf die nationale Bühne katapultiert. Vor einem Vierteljahrhundert etwa ging hier der Stern eines Erdnussfarmers aus Georgia namens Jimmy Carter auf, der es dann in zehn Monaten vom Outsider zum Präsidenten brachte.

Diesmal kommt freilich der Outsider schon als Favorit nach Iowa. Howard Dean, der Ex-Gouverneur von Vermont, führte seit Wochen die Umfragen an, hat in den letzten Tagen jedoch einige Prozentpunkte verloren. Dean hat bisher aber jedenfalls eindeutig die Ansehnlichsten der begehrten Wahlempfehlungen erhalten – etwa die des ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore oder die des in Iowa sehr populären Senators Tom Harkin, ebenso die von Jesse Jackson Jr., Kongressabgeordneter und Sohn des charismatischen Bürgerrechtlers.

Bei seinem Wahlkampfauftritt auf dem Messegelände von Iowa hielt Dean seine Standardrede mit heiserer und krächzender Stimme vor rund tausend enthusiastischen Unterstützern und vielleicht ein paar wenigen neugierigen Wählern, die sich noch nicht entschieden haben und sich darüber den Kopf zerbrechen, welchen der Demokraten sie unterstützen sollen. Dean zieht über den Irak-Krieg her, kritisiert die Außenpolitik von Präsident Bush, die Steuererleichterungen für die Reichen und macht sich lustig über die jüngsten Ankündigungen des Amtsinhabers, Menschen zum Mond und zum Mars zu schicken. „Bush soll doch bitte der erste Besucher am Mars sein“, ruft er. Die Menge tobt zustimmend.

„The West Wing“. Der gutwillige Martin Sheen steht fast eine Stunde in der Kälte, unterschreibt Autogrammkarten und schüttelt die Hände von begeisterten Fans wie Melissa Hayungs und ihrer Schwester CeAnn Abben, die aus Grimes schon zwei Stunden vor dem Event angereist kamen, um „einen guten Platz“ zu bekommen.

„Ich gehe am Montagabend in meinen Caucus, werde aber bestimmt ,The West Wing‘ auf Video aufzeichnen, sodass ich die Folge nicht versäume. Ich bin hier, um Martin Sheen zu sehen und, hoffentlich, um in seine Nähe zu kommen. Der ist mein liebster Präsident“, sagt Melissa. Und lachend fügt sie hinzu: „Aber Howard Dean ist mein liebster Präsidentschaftskandidat.“