Reportage: „Ihr habt hier nichts verloren“

Slowenien: Volksaufstand gegen eine Roma-Familie

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Feuchte Wände, eingeschlagene Fensterscheiben, kaltes Neonlicht: Die alte Kaserne in der slowenischen Kleinstadt Postojna ist selbst für ein Flüchtlingslager in denkbar schlechtem Zustand. Dazu kommen Schikanen der Verwaltung. Manchmal gibt es keine Heizung, manchmal wird der Strom für einen ganzen Tag abgedreht.

Eigentlich sollten die 31 Mitglieder der Roma-Familie Strojan auch nur ein paar Tage in Postojna bleiben, aber jetzt befürchtet der 30-jährige Familienvater Mirko Strojan, dass es „uns wie den bosnischen Flüchtlingen im Nachbarzimmer gehen wird“. Die leben seit nunmehr 14 Jahren in der Baracke.

Die Strojans sind keine Flüchtlinge, zumindest nicht nach der Genfer Konvention. Sie sind slowenische Bürger aus dem Dorf Ambrus, die innerhalb ihres Heimatstaats vertrieben wurden. Am 28. Oktober flüchteten sie vor einer aufgebrachten und zum Teil alkoholisierten Menschenmenge, die aus dem Dorf hinausgezogen war, um das „Problem mit den Zigeunern“ ein für alle Mal zu lösen. Ein anwesender slowenischer Journalist will mehrmals Rufe: „Tötet die Zigeuner!“, gehört haben. Die Polizei stoppte zwar die aufgebrachten Bauern, aber sie schützte die Roma nur insofern, als sie deren Evakuation in das weit entfernte Postojna veranlasste.

In den folgenden Wochen scheiterten alle Versuche, die Familie an einem anderen Ort unterzubringen. Tauchte auch nur das Gerücht auf, dass die Strojans in anderen Ortschaften ein leeres Haus beziehen sollten, bildeten Bürgerwehren mit Autos und Traktoren sofort Straßensperren. So geschah es in Ig und in Sostro, einem Vorort von Ljubljana. In Grcarice kontrollieren die Dorfwächter bis heute jeden Lastwagen, damit Angehörige der Roma-Familie nicht vielleicht heimlich ins Dorf geschmuggelt werden. Selbst wenn Mirko Strojan die Kaserne verlassen und mit seinen Kindern ins Umland von Postojna fahren will, schickt ihn die Polizei zurück: „Sie sagen: In der Stadt habt ihr nichts verloren.“

Die Vertreibung aus Ambrus ist zum Problem für den slowenischen Staat geworden. Thomas Hammarberg, der Menschenrechtskommissar des Europarats, protestiert gegen die Behandlung der Strojans, die OSZE beobachtet den Fall, Regierungschef Janez Jansa musste sich auf EU-Gipfeltreffen vor Journalisten rechtfertigen. Slowenien galt als Musterschüler unter den neuen Mitgliedstaaten der Union. Nun aber berichten „New York Times“ und „Neue Zürcher Zeitung“ von einem Staat, der seine Minderheiten nicht vor Vertreibung schützt, und einer Regierung, die dem Druck der Straße nachgibt. Im Land herrsche „eine Massenpsychose gegen Roma“, schreibt ein slowenischer Journalist.

Am Rand. Ambrus liegt im sanften Hügelland etwa 40 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Ljubljana. Die konservativen, streng katholischen Traditionen Sloweniens werden hier besonders hochgehalten. Mittelpunkt des Dorfes ist die Kirche, im Wirtshaus feiert die freiwillige Feuerwehr, im Kulturhaus probt der Männergesangsverein. Die wenigen Familiennamen auf den Gräbern des Dorffriedhofs zeigen, dass man hier lieber untereinander heiratet.

Die Strojans leben seit den vierziger Jahren in der Gegend. Aber sie blieben am Rand der Dorfgemeinschaft, zogen von einer Hütte zur nächsten, sammelten Alteisen. Die Probleme hätten erst begonnen, als „die Zigeuner“ (die Bezeichnung Roma wird in Ambrus nicht benutzt) Mitte der neunziger Jahre sesshaft wurden, erzählen Dorfbewohner. Damals kaufte die Familie zwei Kilometer außerhalb des Dorfes ein Stück Land in einem Wald an der Landstraße nach Ljubljana. Der Kauf war legal, der Bau von zwei Stein- und drei Holzhütten im Wasserschutzgebiet ist es nicht.

Mit den Jahren sei die Familie immer aggressiver geworden, erzählt Branko Hocevar, der mit Mirko Strojan zur Schule ging. Immer wieder seien Mirko und seine Brüder in den Wäldern verschwunden, hätten dort Schießübungen gemacht oder Autos ohne Kennzeichen zu Schrott gefahren. Eine ganze Generation sei im Wald kriminell geworden, sagt Hocevar.

Der alte Schießstand ist heute noch zu sehen, auch die Verwüstung rund um die Hütten der Strojans. Überall liegt Müll im Wald: verrostete Autoteile, leere Flaschen, zerbrochene Möbel, alte Fahrräder. „Dabei haben wir schon aufgeräumt“, sagt Milan Muhic, ein älterer Herr mit weißen Haaren: Früher sei die Verschmutzung noch viel schlimmer gewesen, doch die Gemeinde habe einmal im Jahr auf eigene Kosten den Müll wegräumen lassen.

Muhic hat in diesem Konflikt die Rolle des Dorfsprechers. Wenn er Journalisten triff, schlägt er sofort eine dicke Mappe auf: das Sündenregister der Strojans mit Zeitungsberichten über Schlägereien, Polizeiprotokollen von Diebstählen und vielen Fotos von 30 Autowracks entlang der Landstraße. Die Ambruser fürchten eine Verschmutzung des Grundwassers, seit 1999 verlangen sie die Räumung der illegalen Siedlung. 2002 gab ihnen die zuständige Behörde Recht – Muhic holt die Bescheide aus seiner Mappe –, aber die Strojans konnten trotzdem bleiben. Politiker und Behörden schauten lieber weg. „Niemand wollte in den sauren Apfel beißen“, sagt Muhic. Dann ließ ein brutaler Überfall die Stimmung im Dorf endgültig kippen.

Ultimatum. Am 22. Oktober wurde der 57-jährige Joze Sinkovec auf der Fahrt nach Ambrus bei der Roma-Siedlung gestoppt, aus dem Auto gezerrt und zusammengeschlagen. Nach einem Monat im Koma ist er heute zwar wieder bei Bewusstsein, aber noch immer nicht ansprechbar. Als Täter wurde ein 40-jähriger Slowene verhaftet, der bei den Strojans lebte. Die Ambruser vermuteten die Roma hinter dem Gewaltakt und stellten ein Ultimatum: Innerhalb einer Woche sollte die ganze Familie verschwinden. Als wieder nichts passierte, übten sie am 28. Oktober Selbstjustiz. Heute fühlen sie sich zu Unrecht zu Rassisten abgestempelt. „Wir wollen niemanden lynchen“, sagt Branko Hocevar. „Wir wollten die Politik zwingen, endlich aktiv zu werden.“

Vielleicht aber geht es den Bewohnern von Ambrus doch um mehr als nur Schutz vor Kriminalität und Umweltverschmutzung. Milan Muhic empfiehlt dem Journalisten die Homepage des Heimatschutzvereins „Hervardi“, auf der die Problematik ausführlich erklärt werde. Dort ist viel von den Eigenarten der „Zigeuner“ zu lesen und der Unmöglichkeit, sie zu integrieren. Minderheitenschutz gebühre in der EU nicht „den zehn Millionen Zigeunern“, sondern den 2,5 Millionen Slowenen, denn „wir sind viermal weniger als sie“. Auch dass die Vertreibung kurz vor den Kommunalwahlen stattfand, dürfte kein Zufall gewesen sein. Der für Ambrus zuständige Bürgermeister in der Gemeinde Ivancna musste um seine Wiederwahl fürchten und wollte offenbar das Problem mit den Roma schnell und unbürokratisch lösen.

Sloweniens Menschenrechts-Ombudsmann Matjaz Hanzek macht deshalb Lokalpolitiker und die Regierung in Ljubljana für die Eskalation verantwortlich: Wenn eine wütende Menge über das Schicksal von Menschen entscheiden könne, drohe das Ende des Rechtsstaats. Hanzek streitet die kriminelle Vergangenheit der Strojans nicht ab: Drei Familienmitglieder seien derzeit im Gefängnis. Aber das Recht kenne keine Sippenhaftung: „Warum müssen die Kinder für ihre Väter büßen?“

Rückkehr. Als der Konservative Janez Jansa vor zwei Jahren noch Oppositionspolitiker war, demonstrierte er gegen den Unwillen der damaligen liberalen Regierung, die kriminellen Roma in Ambrus zu verhaften. Heute ist er Regierungschef und versucht so wie seine Vorgänger, den Konflikt zu ignorieren. In einer ersten Reaktion auf die Vertreibung erklärte Jansa, Roma seien eben Nomaden. Erst internationale Proteste schreckten die Regierung auf: Jetzt werden Konferenzen abgehalten und Pläne ausgearbeitet, um aus den rund 70 illegalen Roma-Siedlungen in Slowenien legale Bleiben zu machen.

Wie nun mit der Familie aus Ambrus verfahren werden soll, können weder Regierung noch der Ombudsmann sagen. „Dafür bin ich nicht zuständig“, erklärt Matjaz Hanzek. Es werde eine dauerhafte Lösung gesucht, versichert Regierungssprecherin Jana Kostric, allerdings erst im kommenden Frühjahr.

Vergangene Woche nahmen deshalb auch die Strojans ihr Schicksal selbst in die Hand. An einem Abend, als die Ambruser Bauern schon im wohlig warmen Wirtshaus saßen, kehrten still und heimlich sieben Mitglieder der Familie zurück. Zwei Kinder, zwei Jugendliche und drei Frauen, unter ihnen Großmutter Elka Strojan, zogen wieder in ihre heruntergekommenen Hütten, die sie fünf Wochen zuvor fluchtartig verlassen mussten. Als die Nachricht von ihrer Rückkehr im Dorf die Runde machte, war eine neuerliche Vertreibung nicht mehr möglich. Ein Großaufgebot der Polizei verhinderte, dass wütende Dorfbewohner, zu denen sich auch etliche Skinheads gesellt hatten, die Roma noch einmal gewaltsam davonjagten. Seither werden die sieben Strojans Tag und Nacht von dreißig Polizisten bewacht.

Die Bewohner von Ambrus stellen nun ein neues Ultimatum: Die Frauen und Kinder könnten einstweilen bleiben, sagt Branko Hocevar, das sei kein Problem. In den kommenden 14 Tagen aber müsse die Regierung für die ganze Familie einen neuen Platz zum Leben finden: „Es gab so viele Probleme, hier sind sie nicht mehr willkommen.“

Von Bernhard Odehnal, Slowenien