Die Vogelgrippe hat Österreich erreicht

Reportage: Vogelperspektive

Doch die Österreicher nehmen's gelassen

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Der Amtstierarzt kommt zu spät. Mit verschränkten Armen steht der Landwirt auf der Terrasse seines Hauses, starrt am eben eingetroffenen Veterinär vorbei, und wenn er die Arme kurz vom stämmigen Oberkörper löst, dann nur, um dorthin zu zeigen, wo das Ärgernis seinen Ursprung hat.

Hinter dem niedrigen Stall, nach 500 Meter Wald liegt jenseits der Mur die Ortschaft Mellach. 1216 Einwohner, vier Wirtshäuser und einen Oldtimerklub zählt die Gemeinde südlich von Graz – und nun drei tote Schwäne. Montag vergangener Woche wurde in den toten Wildvögeln zweifelsfrei das für Menschen ansteckende H5N1-Virus identifiziert.

Der Bauer am Westufer der Mur, der seinen Namen nicht nennen und mit der Presse nicht sprechen will, hat kurzen Prozess gemacht. „Heute morgen hat er seine 18 Hendln alle umgebracht“, sagt Herfried Forster, Amtstierarzt der Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung.

Seit Mitternacht gilt in einem Umkreis von zehn Kilometern um Mellach der Ausnahmezustand. Kein Huhn, keine Gans und keine Ente darf ins Freie, Legeleistung und Gesundheitszustand sind zu melden, und vor dem Hofeingang muss eine Desinfektionsmatte aufliegen – obwohl Desinfektionsmittel im ganzen Bezirk ausverkauft sind.

Nach Monaten des bangen Wartens hat die Vogelgrippe Österreich erreicht, und doch bleiben Panikreaktionen aus. Selbst was so aussieht – wie die Schlachtung der 18 Hühner im bäuerlichen Kleinbetrieb –, entpuppt sich als rationale Entscheidung. Denn im Stall legen Freilandhühner kaum Eier. Und das Fleisch lässt sich derzeit nicht einmal verschenken.

Amtstierarzt Herfried Forster stapft in Gummistiefeln und Atemmaske von Hof zu Hof. Von der Landwirtschaft lebt hier, zwanzig Minuten südlich der Landeshauptstadt, kaum noch jemand. In den alten Ställen stehen statt Traktoren und Kühen oft Sportwägen, doch Hühner für den Eigenbedarf halten viele. Dreißig Gehöfte stehen auf der Liste des Veterinärs. Forster begrüßt Hofhunde mit Vornamen, scherzt mit alten Bekannten und fragt nach der Gesundheit der Tiere. Nach dem Wohlergehen der Dorfbewohner fragt er nicht – und wird auch auf sein eigenes nicht angesprochen.

Delikatesse. „Schauen Sie mich an“, sagt Karola Kalcher. „Mir fehlt doch nichts.“ Frau Kalchers Sorgen gelten ihren Vögeln. Schopfhühner züchtet sie, mit roten Kämmen und schwarz glänzendem Federbusch, und deutsche Pekingenten, die im Stall vor Aufregung schnattern und nichts ahnen von der anderorts üblichen Verarbeitung zu einer fernöstlichen Delikatesse.

Sie packt den schönsten Schopfhahn an den Flügeln, trägt ihn widerrechtlich aber nur für einige Sekunden aus dem Stall und hält ihn ins Sonnenlicht. „So leicht steckt man sich nicht an“, sagt sie. „Ich denke, wir sollten nicht in Angstzustände verfallen, weil ein paar Vögel gestorben sind.“

Die Panikattacke hatte Österreich lange vor dem Virus erreicht. Als sich die Vogelseuche im Frühherbst vergangenen Jahres von Asien ausgehend Europa näherte, schlug die Weltgesundheitsorganisation (WHO) medienwirksam Alarm. Der Überträger könnte mutieren und jeder fünfte Erdbewohner erkranken, warnten Virologen. 150 Millionen Menschenleben, hieß es in offiziellen Prognosen, könne die Seuche schlimmstenfalls fordern.

Binnen Wochen war das Influenza-Medikament Tamiflu ausverkauft, das Gesundheitsministerium erließ aus Sorge vor infizierten Zugvögeln eine bundesweite Stallpflicht für Freilandhühner.

Nun, da die Vogelgrippe Österreich erreicht, fällt die Aufregung vergleichsweise bescheiden aus. Einen Tag nach der Nachricht, dass im steirischen Mellach mit dem Vogelgrippevirus H5N1 infizierte Schwäne gefunden worden waren, verdrängte Michaela Dorfmeisters Abfahrtsgold die toten Vögel bereits von den Titelseiten. Tamiflu liegt wieder in den Apotheken bereit, und Spekulationen über Opferzahlen sind nüchternen Ratschlägen für den Umgang mit Wildvögeln gewichen. Selbst auf eine bundesweite Stallpflicht will Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat verzichten: Bisher stimmte sie nur einer Ausweitung auf weite Teile Kärntens und der Steiermark zu.

Die Bevölkerung reagiert ähnlich gelassen. Im Oktober hatten 29 Prozent der Österreicher in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts market für profil gemeint, die Vogelgrippe stelle hierzulande eine Gefahr für Menschen dar. Vergangene Woche waren nur mehr 24 Prozent dieser Ansicht.

Dennoch könnte die Stimmung kippen. Mitte vergangener Woche wurde der tödliche Virus bei zwei weiteren Schwänen aus der südlichen Steiermark nachgewiesen – einem aus Mellach, einem zweiten aus Werndorf. Am Wochenende untersuchten Pathologen dann einen verendeten Wildschwan, der vor seinem Tod im Grazer Tierheim Arche Noah aufgenommen worden war.

Greift die Vogelgrippe auf weitere Bundesländer oder Geflügelzuchten über, könnte die Gelassenheit schnell in Massenhysterie umschlagen und die Österreicher auf einen guten Teil der durchschnittlich 227 Hühnereier verzichten, die pro Person und Jahr verzehrt werden.

Krisenstab. Im Krisenstab des Landes Steiermark erinnert ein einzelner Schwan an die drohende Gefahr. Auf der Pinnwand im Sitzungszimmer führt ein Pfeil von dem Foto des Wildvogels zu einer Steiermarkkarte und den Fundorten. Inmitten der Flachbildschirme und Telefone der Bürgerhotline hat Veterinärdirektor Peter Wagner die letzten Arbeitstage verbracht.

Ängstliche Anrufer sind nur wenige eingegangen. „Die Leute sind interessiert, einige besorgt“, sagt Wagner. „Panisch sind sie nicht.“ Mittlerweile sinkt die Zahl der Anrufe wieder, dafür steigt die Zahl der Kadaverfunde. 50 verendete Wildvögel wird an diesem Tag alleine die Steiermark in das österreichische Referenzlabor für Vogelgrippe in Mödling liefern.

Joachim Weikel weiß noch nicht, was ihn aus der Steiermark erwartet. Der Leiter der veterinärmedizinischen Untersuchungsanstalt der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) sitzt in seinem Büro mit Blick auf die Labors und gönnt sich eine Pause. Bereits am frühen Morgen hat er die ersten Vögel seziert, Lunge und Magen in kleine Plastikbecher gepackt und zur Virusanalyse ins Nebengebäude geschickt. Dort wird die Erbsubstanz vervielfältigt und liefert ein erstes Ergebnis, bevor die Viren schließlich in einem Ei angezüchtet werden.

Es werde weitere Fälle geben, weiß Weikel aus neuen Untersuchungen. Nach Schwänen seien mittlerweile auch Enten aus der Steiermark von dem Virus befallen.

Erfolgserlebnis. Es sind anstrengende Tage für seine Anstalt. Bereits am Montagnachmittag hatte er in den ersten beiden Vögeln das Virus H5N1 nachgewiesen – ein Beweis für die Leistungsfähigkeit des Labors. Zweifel an der Vogelgrippeinfektion hatte es trotz gegenteiliger Medienberichte nicht gegeben. So hoch infiziert waren die beiden Schwäne gewesen, dass die erste Untersuchung statt wie üblich in zwei bis drei Tagen schon nach 20 Stunden ein positives Ergebnis geliefert hatte.

Gestorben wären die am Sonntag angelieferten Tiere allerdings auch ohne Vogelgrippe, meint Joachim Weikel: Nach dem harten Winter waren die Wildvögel fast verhungert und ihre Abwehrkräfte geschwächt.

Wenige Stunden später wird Herfried Forster zu einem neuen Fall gerufen. Im Stausee Mellach sollen zwei tote Schwäne gefunden worden sein – wie bereits an den Tagen zuvor.

Am Stausee angekommen, schrumpfen die beiden Schwäne allerdings zu einem Blässhuhn und einer Wildente. Letztere sei vermutlich vor längerer Zeit verstorben, meint Forster, als er den verwesten Vogel für den Transport in einen Metallcontainer verpackt. Zur pathologischen Untersuchung nach Mödling dennoch. Denn in diesen Tagen ist totes Geflügel in jedem Fall verdächtig.

Von Alexander Dunst