Reproduktions-medizin: Nestbauer

Reproduktionsmedizin: Einnistung der be-fruchteten Eizelle ist die letzte große Frage

Die Einnistung der Eizelle ist die letzte große Frage

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Der erste Gedanke war: „unglaublich, ein Wunder“. Die Wiener Sekretärin Brigitte Weinmüller, 32, ist in der 16. Woche mit Zwillingen schwanger – und nach einem zehnjährigen Leidensweg überglücklich. Nach ihrer Heirat 1993 hatte sie sich ein Kind gewünscht, aber es wollte nicht klappen. Nach erfolgloser Hormonbehandlung und ebenso erfolgloser Insemination – eine Sameninjektion in die Gebärmutter – hatten sie und ihr Ehemann schon überlegt, sich mit einem Leben ohne Kind abzufinden. Doch das Gefühl, dass etwas fehle, wollte nicht vergehen. Erst das Spermiogramm zeigte, dass aufgrund der Samenqualität alle bisherigen Bemühungen von vornherein aussichtslos gewesen waren.

So blieb nur die künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF). Doch auch die wollte vorerst nicht klappen.

Älteste Mutter. Von ungewollter Kinderlosigkeit Betroffene, immerhin 15 Prozent der Paare in den Industrieländern, fühlen sich hin und her gerissen. Auf der einen Seite lässt die Reproduktionsmedizin durch spektakuläre Erfolge aufhorchen – erst zu Jahresanfang ging die Meldung von der 66-jährigen Rumänin Adriana Iliescu durch die Medien, die als bisher älteste Frau der Welt Mutter geworden war (siehe Kasten „Die ältesten Mütter“ auf Seite 100) – auf der anderen Seite gibt es noch immer Paare, denen trotz der hohen ärztlichen Kunst nicht geholfen werden kann.

Auch bei Brigitte Weinmüller hatte es lange so ausgesehen, als ob all die Mühe vergeblich gewesen wäre. Sie hatte sich ans „Kinderwunschzentrum“ im Wiener Privatspital Goldenes Kreuz gewandt. Zwei Befruchtungsversuche im September und Dezember 2003 waren fehlgeschlagen. Im vergangenen November klappte es beim dritten Versuch doch noch.

Mittlerweile berichten etliche Frauen mit langen Leidensgeschichten von unerwarteter Schwangerschaft. „Einfach super!“, sagt die 28-jährige Ursula Schewzik aus Wien, die nach jahrelangen erfolglosen Hormonbehandlungen Anfang Jänner den erlösenden Anruf erhalten hat. Wie Schewzik schreibt auch die 36-jährige Niederösterreicherin Claudia Grünbacher1) den Erfolg einer neuen „Einnistungsspritze“ zu, welche die Chancen auf eine Schwangerschaft erheblich erhöhen soll. Grünbacher hatte darüber im Internet gelesen und dann trotz ihres relativ hohen Alters („wo man schon sehr labil ist, weil die Chancen schwinden“) noch einmal Mut gefasst. Jetzt ist sie in der 17. Woche schwanger.

Hormoninjektion. Bei dieser „Einnistungsspritze“ handelt es sich um eine Hormoninjektion, die in der In-vitro-Fertilisation bisher nur zur Stimulierung des Eierstocks verwendet worden war. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie hatten französische Forscher das gleiche Präparat dazu verwendet, um bei Empfängerinnen von Spendereizellen die Einnistung der befruchteten Eispende zu unterstützen. Nachdem die Forscher im Vorjahr im Fachblatt „Human Reproduction“, der Bibel der Reproduktionsmediziner, berichtet hatten, dass sie mit dieser zusätzlichen Hormonunterstützung die Schwangerschaftsrate um 15 Prozent steigern konnten, kam der Wiener Reproduktionsmediziner Heinz Strohmer vom Kinderwunschzentrum im Goldenen Kreuz auf die Idee, diese Spritze versuchsweise auch bei normalen In-vitro-Fertilisationen einzusetzen. Die Injektion wird am sechsten Tag nach der Eierstockpunktion, also nach der Gewinnung von Eizellen, verabreicht.

Etwa um diese Zeit werden die in der Petrischale befruchteten Eizellen üblicherweise in die Gebärmutter eingepflanzt. Seit die Ärzte des Kinderwunschzentrums im November des vergangenen Jahres mit dem Einsatz dieser zusätzlichen Hormongabe begonnen haben, registrieren sie ungewöhnliche Erfolge: „Durch die Einnistungsspritze sind unsere Schwangerschaftsraten um mehr als 50 Prozent gestiegen, von 30 auf fast 50 Prozent“, berichtet Strohmer. „Wir haben plötzlich Erfolge wie nie zuvor.“

Mit Vorsicht. Erfolgsberichte von Fertilitätsinstituten sind aus mehreren Gründen mit Vorsicht zu betrachten. Erstens bedeutet Schwangerschaft noch nicht zwangsläufig Geburt eines gesunden Kindes. Wie bei der natürlichen so kann es auch bei der künstlichen Befruchtung passieren, dass sich der Fetus nicht normal entwickelt und es zu einem Abortus kommt. Zweitens sind die Erfolge oder Misserfolge im Bereich der Reproduktionsmedizin von vielen Faktoren abhängig, nicht zuletzt von der Art der Patienten.

Eine Fortpflanzungsklinik, die Frauen über vierzig wegen geringer Erfolgsaussichten ablehnt, wird andere Erfolgsziffern vorweisen können als ein Zentrum, das jeder Frau helfen will, egal, wie schwierig der Fall liegen mag. Und ein IVF-Institut, das statt der üblichen zwei befruchteten Eizellen gleich fünf oder sieben einsetzt, wie es in den USA gängige Praxis ist, wird eine höhere Schwangerschaftsrate vorlegen können als eine Klinik, die das von vornherein ablehnt, weil dadurch die Zahl der Mehrlings- und damit Risikoschwangerschaften steigt. Einen wissenschaftlichen Beweis bleiben die Wiener Reproduktionsmediziner vorerst auch deshalb schuldig, weil man Frauen, die sich ein Kind wünschen, nicht zu Versuchen missbrauchen kann, um zu einer wissenschaftlich haltbaren Evidenz zu kommen.

Wenn es allerdings so etwas gibt wie eine funktionierende Einnistungsspritze, dann hat die Reproduktionsmedizin einen Durchbruch geschafft. Denn nach wie vor ist die Einnistung der befruchteten Eizelle der wunde Punkt bei der In-vitro-Fertilisation. Alle anderen Probleme sind weit gehend gelöst. So gelingt es den Medizinern,

durch Hormonbehandlung die Eizellproduktion in den Ovarien zu stimulieren, mithilfe einer speziellen Technik die Eizellen aus dem Eierstock abzusaugen, im Labor zu kultivieren und zu befruchten und notfalls sogar Samen aus dem Hodengewebe zeugungsunfähiger Männer zu gewinnen und damit eine künstliche Befruchtung herbeizuführen, indem sie ein Spermium mithilfe einer feinen Nadel in die Eizelle einführen (so genannte ICSI-Methode, intracytoplasmatische Spermieninjektion).

Doch der weitere Verlauf ist dann dem Zufall überlassen. Denn bis heute können die Reproduktionsmediziner die Einnistung allenfalls unterstützen, aber wirklich steuern können sie diese nicht. Sie könnten es auch nur, indem sie – wie schon bei ihren bisherigen Techniken – die Natur überlisten. Denn selbst bei einer auf natürlichem Wege zustande gekommenen Befruchtung ist die Schwangerschaft noch nicht garantiert. Nur in etwa 20 bis 25, bei über 40-Jährigen in weniger als zehn Prozent der Fälle nistet sich ein künstlich befruchtetes Ei in die Gebärmutterschleimhaut ein. In allen anderen Fällen lehnt die Natur die Schwangerschaft ab.

Warum das so ist, lässt sich nur vermuten. Offenbar sträubt sich der Organismus gegen eine Einnistung, sobald er irgendein Merkmal der befruchteten Eizelle als störend erkennt. Damit will die Natur offenbar verhindern, dass defekte Embryonen weiter wachsen. Die Wissenschaft ist gerade erst dabei, die komplizierten biochemischen Prozesse zu entschlüsseln, die sich ab der Befruchtung des Eis im Eileiter bis zur erfolgten Einnistung in die Gebärmutterschleimhaut abspielen.

Imitierte Abläufe. Und sie kommt den Dingen immer näher. Immerhin versteht sie die Abläufe bis zur Befruchtung schon sehr gut und vermag sie auch so weit zu imitieren, dass eine künstliche Befruchtung zustande kommt. Die Wissenschafter wissen beispielsweise, dass in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) bestimmte Hormone ausgeschüttet werden, die bewirken, dass in den Eierstöcken normalerweise ein Ei pro Zyklus heranreift, sich dann aus dem Eibläschen löst und den Eileiter in Richtung Gebärmutter hinunterwandert. Dieser Hormoncocktail besteht aus einem übergeordneten Steuerhormon GnRH (Gonadotropin Releasing Hormone) sowie zwei untergeordneten Hormonen, dem luteinisierenden Hormon LH und dem Follikel stimulierenden Hormon FSH, welche die Aktivitäten des Eierstocks steuern. Nach Reifung des Follikels steigt der Spiegel des luteinisierenden Hormons im Blut für die Dauer eines Tages sprunghaft an und löst damit den Eisprung aus.

Wenn ein Samenerguss in die Scheide stattgefunden hat, dann bewirken in der Schleimhaut des Muttermundes gebildete biochemische Stoffe, dass die Samenfädchen durch Abnahme ihrer Schutzkappe aktiviert werden. Die solcherart „scharf“ gemachten Spermien wandern durch den Schleim des Gebärmutterhalses und der Gebärmutter in die Eileiter und werden von diesen in wellenartigen Bewegungen weiter in Richtung gereiftes Ei befördert, das seinerseits die Samenfäden durch die Abgabe entsprechender biochemischer Signalstoffe anlockt. In dem Moment, wo ein „scharf“ gemachtes Spermium in die Eizelle eindringt und diese befruchtet, macht die Eizelle ihre äußere Hülle dicht und schottet sich gegen weitere Eindringlinge ab.

Informationsaustausch. Auf ihrer Wanderung in die Gebärmutter startet die befruchtete Eizelle einen regen biochemischen Informationsaustausch mit Zellen in den Eileitern sowie schließlich mit der Gebärmutterschleimhaut. Dieser „biochemische Dialog“, wie ihn der Reproduktionsmediziner Andreas Obruca vom Wiener Kinderwunschzentrum nennt, dient offenbar dazu abzuchecken, ob die frisch befruchtete Eizelle für eine Einnistung und damit für eine optimale Entwicklung ausgestattet und daher tauglich ist.

Zu dieser Ausstattung gehört auch ein eingebauter Mechanismus zur Unterdrückung der mütterlichen Abstoßungsreaktion – immerhin enthält die befruchtete Eizelle ja 50 Prozent fremdes Erbgut. Damit der Embryo, wie es Reproduktionsmediziner Strohmer formuliert, „unter das mütterliche Radar hineinfliegen kann“, produziert er ein Immunmolekül namens HLA-G, von dem man aufgrund von Studien bereits weiß, dass ohne dieses Molekül keine Schwangerschaft zustande kommen kann. Umgekehrt produziert die Gebärmutterschleimhaut wieder Stoffe, die den Embryo dazu veranlassen, verstärkt das Schwangerschaftshormon hCG auszuschütten. „Das geht hin und her“, sagt Strohmer.

Verhärtete Hülle. Jedenfalls muss der Embryo aus seiner Hülle „schlüpfen“, um an die Rezeptoren der Gebärmutterschleimhaut andocken zu können. Mittlerweile wissen die Mediziner, dass eine verhärtete Hülle das „Schlüpfen“ und damit die Einnistung verhindern kann. Sie versuchen, diesen Defekt zu beheben, indem sie entweder mit einer Mikronadel, mit einem Präzisionslaser oder durch chemische Ätzung eine Sollbruchstelle in die Embryonenhülle ritzen, sodass das „Schlüpfen“ erleichtert wird.

Sobald sich der Embryo seiner Hülle entledigt hat, verschränken sich seine Rezeptoren mit den Rezeptoren der Gebärmutterschleimhaut nach Art eines Klettverschlusses. Ist dieser Andockmechanismus einmal vollzogen, dann „ruft“ der Embryo nach Nährstoffversorgung durch neu zu bildende Blutgefäße und beginnt, aggressiv in die Gebärmutterwand einzuwachsen.

Die Wiener Forscher wollen nun in der Petrischale wenigstens einen Teil dieses biochemischen Informationsaustausches imitieren, indem sie der Kultur Zellen aus der Gebärmutterschleimhaut beifügen. Dann wollen sie versuchen, die Stoffe zu isolieren, welche die Blastozyste (Zellverband von etwa 220 Zellen) von sich gibt, um auf diese Weise mehr über den Prozess der Einnistung zu erfahren. Vieles liegt derzeit noch im Dunkeln – so auch die Wirkweise ihrer „Einnistungsspritze“. Derzeit können die Mediziner nur vermuten, dass das dabei verwendete GnRH-Hormonersatzpräparat zu einer frühzeitigen Ausschüttung des Coriongonadotropins führt, eines von der Plazenta gebildeten Hormons, das die Einnistung offenbar unterstützt.

Bei der Entschlüsselung der biochemischen Vorgänge rund um die Einnistung der befruchteten Eizelle wird auch die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID) eine Rolle spielen. Mit dieser derzeit in Österreich noch verbotenen Genanalyse könnten die Forscher schon jetzt nicht nur Schäden im Erbgut, sondern auch die eine oder andere Ursache aufklären, warum sich mit bestimmten Embryonen keine Schwangerschaft herbeiführen lässt, weil die Einnistung nicht klappt. In mehreren europäischen Ländern, darunter in Belgien, Frankreich und den Niederlanden, ist diese Methode erlaubt, weil sie verhindern kann, dass durch In-vitro-Fertilisation Embryonen in die Gebärmutter eingepflanzt werden, die den Keim zu schweren Fehlbildungen in sich tragen. Die zur Beratung der Bundesregierung eingerichtete Bioethikkommission hat in ihrem letzten Bericht nicht mehr gegen die Zulassung der PID Stellung bezogen, weshalb die Branche mit einer baldigen diesbezüglichen Gesetzesnovelle rechnet.

Für die betroffenen Frauen sind die Details weniger wichtig als das Faktum, dass die zusätzliche Hormongabe imstande ist, sie ihrem Ziel näher zu bringen. Ungewollte Kinderlosigkeit ist ein wachsendes Problem, und viele Frauen müssen selbst nach wahren Odysseen erkennen, dass sie kinderlos bleiben werden. Nach internationaler Statistik liegen 50 Prozent der Ursachen bei der Frau, 40 Prozent beim Mann und zehn Prozent bei beiden. Allerdings variieren die Prozentsätze von Land zu Land. Manche Experten schätzen, dass die Ursachen gleichermaßen auf Mann und Frau verteilt sind, andere orten sie stärker aufseiten des Mannes. Über die Gründe der Zeugungsunfähigkeit gibt es eine Fülle von Spekulationen. Aber die Vorstellung, dass es sich dabei um ein neues Phänomen handle, verweist Hans Helmut Pusch, leitender Androloge des Grazer Ambulatoriums für Andrologie und Reproduktionsmedizin, in den Bereich der Fantasie: „Männliche Unfruchtbarkeit hat es immer gegeben, wie die Geschichte der Dynastien zeigt.“

Samenqualität. Neu ist nur das Ausmaß. In mehreren Untersuchungen hat eine Forschergruppe um Niels E. Skakkebaek vom Universitätsspital Kopenhagen nachgewiesen, dass sich die Zahl der Spermien im Ejakulat junger dänischer Männer seit den fünziger Jahren um 50 Prozent verringert hat. Auch die Qualität der Samenspenden habe in den vergangenen 30 Jahren kontinuierlich abgenommen, berichtet Pierre Jouannet, Präsident der Vereinigung französischer Eizell- und Samenbanken. Eine der wissenschaftlich nachgewiesenen Hauptursachen sei das Rauchen, sagt Androloge Pusch, weil das Gefäßgift Nikotin die Durchblutung des Hodens, eines der am stärksten durchbluteten Organe, herabsetze. „Bei 90 Prozent der Männer, die das Rauchen aufgeben, verbessert sich der Samenbefund innerhalb von acht Wochen deutlich.“

Unklar ist, warum die Situation in Finnland als einzigem Land Europas so gänzlich anders ist – dort sind Spermienzahl und -qualität noch in Ordnung. Offenbar sind die Finnen weniger durch Umweltgifte oder andere Faktoren gestresst. Denn Stress spielt eine gewichtige Rolle. Dauerstress beispielsweise erhöht den Prolaktinwert im Blut, was dazu führen kann, dass die Hirnanhangdrüse ihre Hormonproduktion drosselt. Die Folge davon ist ein geringeres Angebot an Testosteron, was die Zeugungsfähigkeit herabsetzt.

Bei Frauen hat die Unfruchtbarkeit zumeist organische Ursachen, die allerdings „auch psychisch mit bedingt sein können“, so die Wiener Psychotherapeutin Eveline Leitl. Freilich gibt es – bei Männern wie bei Frauen – häufig verborgene Ängste und Schuldgefühle, die in einen Teufelskreis münden können, „aber die psychischen Ursachen werden zumeist überschätzt“, sagt Leitl. Etwa 60 Prozent der ungewollt kinderlosen Frauen zeigen Verwachsungen oder Verstopfungen der Eileiter, etwa 20 Prozent leiden unter einer Funktionsstörung der Eierstöcke. Der Rest sind Fehlbildungen oder Störungen im Bereich der Gebärmutter, wie etwa die Endometriose, eine Erkrankung, bei der die Gebärmutterschleimhaut in Richtung Bauchhöhle wandert und dadurch die Einnistung des befruchteten Eis verhindert. Durch krankhafte Veränderungen kann es passieren, dass sich der Gebärmutterhals gegen ein Eindringen der Spermien sperrt oder diese aufgrund einer entzündungsbedingten Immunreaktion überhaupt von sich stößt. Auch eine Chlamydieninfektion kann die Einnistung verhindern.

Zu viel IVF. „Bis auf die verschlossenen Eileiter sind alle diese Erkrankungen gut behandelbar“, sagt der Hormonforscher Johannes Huber von der Wiener Medizinuniversität. Laut Huber beschreiten Reproduktionsmediziner vorschnell den bereits eingefahrenen, einfacheren Weg der In-vitro-Fertilisation, obwohl dies oft gar nicht notwendig sei. „Die IVF wird viel zu oft angewandt“, ist Huber überzeugt, „dabei ist sie nur in 30 bis 40 Prozent aller Fälle notwendig, oft hilft sie gar nicht, weil die Ursachen ganz andere sind.“

Allerdings ortet Huber dort, wo die Anwendung der In-vitro-Fertilisation gerechtfertigt sei, noch enormes Entwicklungspotenzial. In einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter und immer rüstiger alt werden, wären Gebärende über 70 „höchstens ein Paradigmenwechsel“, aber kein großer Sprung mehr. Die einzige Frage, die sich dabei stelle, sei nur noch, ob es die Medizin schaffe, die Eltern im Oma- und Opa-Alter geistig und körperlich so fit zu halten, dass sie ihren Kindern gute Eltern sein können.

„In der Reproduktionsmedizin kommen Dinge auf uns zu, für die unsere Gesellschaft überhaupt noch nicht gerüstet ist – vom Einfrieren von Ei- und Samenzellen bis zum Aufheben der Menopause“, sagt Huber. Zukunftsforscher wie Matthias Horx sagen eine zeitliche Abkoppelung des Elternseins vom Berufsleben voraus. Man werde Ei- und Samenzellen in jungen Jahren einfrieren lassen, um sie erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt für die Befruchtung zu verwenden. So werden auch alte, durch die Anti-Aging-Medizin jugendlich gehaltene Menschen in der Lage sein, aus ihren in Jugendjahren gewonnenen Zellen Kinder zu bekommen und Eltern zu sein, wann immer es Berufsleben und Karriere erlauben. Genanalysen werden es ermöglichen, dafür Zellen zu verwenden, die keinen Keim zur Entwicklung von Erb- oder anderen schweren Krankenheiten in sich tragen.

Ethische Bedenken werden dabei so nebensächlich sein, wie sie es jetzt schon gegenüber der In-vitro-Fertilisation geworden sind – von der katholischen Lehre einmal abgesehen. Hätte sich Robert Edwards, der schon in den sechziger Jahren erste Versuche gestartet hatte, Eizellen im Labor zu befruchten, von ethischen Bedenken leiten lassen, wären hunderttausende Paare kinderlos geblieben. Seit der Geburt des ersten Retortenbabys Luise Brown vor nunmehr bald 27 Jahren haben durch die neue Technik zwischen einer und eineinhalb Millionen Menschen das Licht der Welt erblickt – und kaum jemand denkt noch daran, dass Edwards und sein Forscherkollege Patrick Streptoe wegen ihrer Forschungen anfangs des „Kindsmords“ bezichtigt wurden.