Keine Ideen & immer weniger Wähler

Republikanisch ist doof: Die Republikaner stecken in einer großen Identitätskrise

Republikaner stecken in einer Identitätskrise

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Von Gunther Müller und Valerie Prassl

Als die republikanischen Parteistrategen vergangenen Dienstag die neuesten Umfrage­ergebnisse von ABC und der „Washington Post“ zur Performance von US-Präsident Barack Obama in Händen hielten, müssen sie sich ungläubig die Augen gerieben haben: Nach sechs Monaten scheint der Superstar im Weißen Haus erstmals angeschlagen. Nicht ernsthaft zwar, die überwältigende Mehrheit der Amerikaner findet ihren Präsidenten immer noch umwerfend. Doch gemessen an seiner fast übermenschlichen Verklärung bei Amtsantritt, deuten die Ergebnisse so etwas wie Verletzbarkeit an. Nur noch 49 Prozent der Amerikaner unterstützen demnach derzeit seine Vorschläge zur Reformierung des Gesundheitswesens. Die Zustimmung zu seiner Person sank auf 57 Prozent – nach Amtsantritt lag der Wert bei 67 Prozent. Zudem ist das milliardenschwere Konjunkturpaket gegen die Jahrhundertkrise noch nicht recht in die Gänge gekommen. Die Arbeitslosenrate hat in 15 Bundesstaaten die 10-Prozent-Marke erreicht, das US-Haushaltsdefizit ist – erstmals in der Geschichte der USA – auf 1000 Milliarden Dollar angestiegen.

Eigentlich ein idealer Zeitpunkt für die Republikaner, die Ärmel hochzukrempeln und sich wieder auf der politischen Bühne zurückzumelden. Schuldensenken, kluges Wirtschaften und ein schlanker Staat – das waren schließlich immer die Hauptgründe, warum die Amerikaner den Republikanern den Vorzug gegenüber den Demokraten gaben. „Doch die Grand Old Party ist nicht mehr, was sie einmal war. Nur 23 Prozent der Amerikaner bekennen sich heute als republikanische Wähler. Die Republikaner haben nicht nur das Weiße Haus verloren. Auch im ­Senat und im Kongress herrscht mittlerweile eine satte demokratische Mehrheit. Unter der unglückseligen Führung von George W. Bush verlor die Partei den Boden unter den Füßen und weiß jetzt nicht, wie sie wieder auf die Beine kommen soll. Kein Republikaner scheint derzeit in der Lage, die Schwächen der Demokraten ausnutzen zu können.

Niemand – mit Ausnahme von Rush Limbaugh. Der stämmige, zigarrerauchende Radiomoderator begeistert tagtäglich mit seinen reaktionären Pamphleten gegen das linke Amerika über zehn Millionen Hörer. Und die Reaktionen können den Entertainer darin nur bestärken. In einer Gallup-Umfrage unter republikanischen Wählern wünschte sich die Mehrheit Limbaugh als Sprachrohr der Partei. Während die Basis jubelt, sehen andere Parteimitglieder solche Daten als symptomatisch für den Untergang der Partei. „Es gab Zeiten“, klagt etwa der republikanische Stratege Yuval Levin im Magazin „Newsweek“, „da lag es den Republikanern mehr zu argumentieren, anstatt zu provozieren, eigene Konzepte zu finden, anstatt einfach nur andere zu kritisieren.“ Noch deutlicher sagt es der republikanische Berufungsrichter Richard Posner: „Das Gesicht der Partei ist heute Sarah Palin. Für intelligente Konservative gibt es keinen Platz mehr.“

Doch sosehr die Ex-Gouverneurin von Alaska als bigotte, nicht besonders intelligente Hausfrau selbst in der eigenen Partei verschrien war, eines lieferte Palin mit absoluter Verlässlichkeit: regelmäßige Schlagzeilen. Mit ihrem Rücktritt Anfang Juli haben die Republikaner auch diesen Bonus verloren. „Palin ist in der Lage, alleine durch Reden oder als Buchautorin so viel Geld zu verdienen wie Bill Clinton“, sagt der republikanische Strategieberater Alex Castellanos.

Derbes Auftreten. Seit Palins Abgang warnen manche gar vor dem endgültigen Untergang der Partei, wenn nicht bald eine konservative Antwort auf Barack Obama gefunden wird. Im derzeitigen Ensemble der Republikaner ist das aber alles andere als leicht. Wie Sternschnuppen tauchen immer wieder vermeintliche Zukunftshoffnungen auf, um gleich wieder medial zu verglühen. So wie John Ensign, Senator aus Nevada, und Mark Sanford, Gouverneur von South Carolina, zwei Namen, die man sich auch nicht mehr zu merken braucht. Beide sind jung, smart und rhetorisch talentiert, beiden wurde Zukunftspotenzial zugeschrieben, sie könnten die geknickte Partei wieder aufrichten und vielleicht sogar in drei Jahren als Präsidentschaftskandidaten gegen Amtsinhaber Barack Obama ins Rennen gehen. Aber binnen zwei Wochen mussten Ensign und Stanford, die seinerzeit Ex-Präsident Bill Clintons Lewinsky-Affäre angeprangert hatten, vor die Kameras treten und öffentlich ihre außerehelichen Affären beichten. Wieder zwei Hoffnungen weniger.

Wofür steht die republikanische Partei heute überhaupt noch? Die große Mehrheit der gebildeten, besser verdienenden Amerikaner würde darauf so antworten: für religiösen Fundamentalismus, der Slogans wie „Kreuzzug gegen den Terror“ hervorbrachte; für ein veraltetes Gesellschaftsbild, in dem Abtreibung strikt verboten und die Todesstrafe unverzichtbar ist; für einen mit Lügen gerechtfertigten Irak-Krieg, für Folter von Terrorverdächtigen – und für ein ziemlich derbes Auftreten obendrein. Für alles also, was sie mit Personen vom Typ eines George W. Bush oder einer Sarah Palin verbinden. Vor 15 Jahren hätten dieselben Personen ein ganz anderes Urteil gefällt. Sie hätten gesagt: für Ehrlichkeit und Konsequenz; für wirtschaftlichen Erfolg; für Familienwerte, Moral und für ein starkes Amerika. Für alles also, was mit Männern wie Abraham Lincoln, Dwight D. Eisenhower und Ronald Reagan verbunden wird. „Wenn wir die Wähler zurückgewinnen wollen, müssen wir uns auf unsere Wurzeln zurückbesinnen“, sagt der republikanische Parteistratege Chris Lacivita.

Keine leichte Aufgabe: Die Partei hat nicht nur die besser verdienenden Uni-Absolventen als Wählerbasis verloren. Als George W. Bushs Chefstratege Karl Rove im Jahr 2000 und 2004 die südlichen Bundesstaaten Colorado, Nevada und Florida eroberte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und verkündete mit stolzer Gewissheit, dass Amerika auf Jahrzehnte hinweg konservativ regiert werden würde. Was Bushs „graue Eminenz“ und seine Parteifreunde übersehen hatten: Amerika wird zusehends weniger ländlich, weniger religiös, weniger konservativ und – vor allem – weniger weiß. Und damit: weniger republikanisch.

Mittlerweile ist die Latino-Community die größte Minderheit des Landes. Mit 45 Millionen Angehörigen haben sie die rund 37 Millionen Afroamerikaner längst überholt. Die Minderheiten (mit den Latinos an der Spitze) werden bis 2050 die Zahl der Weißen übertreffen. Und alle Wahlanalysen haben gezeigt: Die Mehrheit von ihnen wählte bei den Präsidentschaftswahlen demokratisch. Rick Davis, der ehemalige Wahlkampfmanager John McCains, räumte zuletzt zerknirscht ein: „Die republikanische Partei ist an der Westküste ausgestorben, im Nordosten so gut wie ausgestorben und im Westen und Südwesten vom Aussterben bedroht.“

Geht das konservative Amerika, das seit 1968 über weite Strecken die Vorherrschaft innehatte und mit Ronald Reagan am Höhepunkt seiner Macht angelangt war, vor die Hunde? In seinem Buch „Nixonland“ kommt der amerikanische Historiker ­Richard Perlstein genau zu diesem Schluss. Nach dem linksliberalen Aufbruch der ­sechziger Jahre hatte mit dem Republikaner Richard Nixon 1968 ein Backlash eingesetzt. Bürgerrechte, Anti-Vietnamkriegs-Demos, sexuelle Befreiung – der Umbruch war vielen zu plötzlich gekommen. Die Demokratische Partei, die sich mit der liberalen Aufbruchsstimmung identifizierte, verlor den Süden, den sie bis dahin dominiert hatte. Der Konservativismus trat seinen Siegeszug an, Todesstrafe und Antiabtreibung fanden wieder eine Mehrheit von Befürwortern. Doch mittlerweile ist dieses Amerika – „Nixonland“ – weitgehend verschwunden.

Konterrevolution. Was kann also eine Partei, die zwölf der letzten 20 Präsidenten der USA stellte, gegen ihren Untergang unternehmen? Der Historiker Sam Tanenhaus beruft sich in seinem Essay „Conservatism Is Dead“ auf einen der Gründerväter des Konservatismus, den in Irland geborenen Abgeordneten des englischen Unterhauses Edmund Burke (1729–1797). Burke, einem vehementen Gegner der Französischen Revolution, waren umstürzlerische, totalitäre Ideologien ein Gräuel, er glaubte an das Eigentum als Basis der gesellschaftlichen Entwicklung und wurde von Liberalen und Konservativen gleichermaßen rezipiert. Tanenhaus stellt die beiden Strömungen der Konservativen gegenüber. „Auf der einen Seite gibt es die Burke-Anhänger, die das Ideal vertreten, die bürgerliche Gesellschaft müsse in Anpassung an sich verändernde Bedingungen ergänzt werden. Auf der anderen Seite gibt es die revanchistischen Konterrevolutionäre, die für die Wiederherstellung des Ancien Régime aus der Zeit vor dem Wohlfahrtsstaat kämpfen. Und immer wieder haben die Konterrevolutionäre gewonnen“, schreibt Tanenhaus. Daraus resultiere eine aggressive Staatsfeindlichkeit.

In der aktuellen Phase der Ziellosigkeit kommen solche Tendenzen in aktionistischen Attacken hoch. Zuletzt versuchte etwa das nationale Organisationskomitee der Republikaner (RNC) eine Resolution durchzuboxen, nach der die Demokratische Partei künftig „Demokratische Sozialistische Partei“ genannt werden solle. Republikanische Basisgruppierungen versuchen mit albernen Kampagnen, Barack Obama zu verunglimpfen, indem sie etwa den Präsidenten als Diktator darstellen, der den Amerikanern ihre Waffen wegnehmen will. „So etwas macht keinen Sinn. Wir verlieren die Jungen, die Minderheiten, die Umweltaktivisten, die Abtreibungsgegner“, sagt Olympia Snowe, eine der wenigen moderaten Republikanerinnen im Senat. „Mit ideologischem Fundamentalismus werden wir nicht weit kommen. Wir müssen uns endlich öffnen“, warnt Snowe.
Doch wem könnte diese durchaus riskante Parteiöffnung gelingen? Junge Talente werden schnell auf Abschiebeposten versetzt, wenn sie wegen allzu moderater Äußerungen von der Parteibasis nicht akzeptiert werden. Lange haben die Republikaner nicht Zeit, sich neu zu organisieren und eine geeignete Führungspersönlichkeit zu finden. 2010 stehen Kongresswahlen an, und der Präsidentschaftswahlkampf beginnt in der Regel schon ein Jahr vor dem Urnengang, also bereits in zwei Jahren.

Wenn niemand gefunden wird, könnte es am Ende doch auf Sarah Palin hinauslaufen. Oder auf den schrulligen, baptistischen Fundi Mike Huckabee. Im Gesellschaftsmagazin „Esquire“ brachte sich zuletzt Jeb Bush, der jüngere Bruder von George W., ins Spiel. Jeb Bush ist zwar in der Latino-Community beliebt. Mit seinem Namen wird er es jedoch schwer haben, denn Amerika hat mit George W. Bush noch lange keinen Frieden gemacht. Nach allen Umfragen ist Bush heute der mit Abstand unbeliebteste Präsident in der Geschichte der USA.

Geht es nach dem republikanischen Strategen John Weaver ist es im Grunde egal, wer in vier Jahren Barack Obama herausfordert: „Offen gesagt wird es eine Generation dauern, bis wir uns erholt haben. Vielleicht aber auch zwei.“ Ganz so schlimm muss es doch nicht kommen. Denn seit 1945 haben weder Demokraten noch Republikaner jemals länger als drei Amtsperioden, also zwölf Jahre, durchgehend regiert.