Restbräune

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Wer bislang an Kurt Scheuchs spitzenpolitischem Format gezweifelt haben sollte, kann sich nunmehr beruhigt zurücklehnen. Frei nach Konrad Adenauers (von Kurt Tucholsky geborgtem) Bonmot „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ legte der Klubchef der Kärntner Freiheitlichen vergangene Woche binnen Tagesfrist eine Volte hin, die ihn umstandslos für die obere heimische Machtliga qualifiziert. Am Mittwoch bescheinigte er dem BZÖ-Bundesrat Siegfried Kampl noch, eine „tadellose“ Rede gehalten zu haben. Keine 24 Stunden später erklärte Scheuch mit staatsmännisch betretener Miene, diese Rede habe „vielen Menschen Schmerz zugefügt“, weshalb Kampl, „ein aufrechter Ehrenmann“, sein Bundesratsmandat mit sofortiger Wirkung zurücklege. Ehrenmann Kampl selbst, der Mitte April in der zweiten Kammer des Parlaments Wehrmachtsdeserteure als „zum Teil Kameradenmörder“ bezeichnet und die „brutale Naziverfolgung“ nach dem Zweiten Weltkrieg beklagt hatte, war zehn Tage lang nicht bereit gewesen, seine Äußerungen zurückzunehmen und auf den Bundesratsvorsitz zu verzichten, den er am 1. Juli turnusmäßig hätte übernehmen sollen.

Wer bislang an Herbert Scheibners spitzenpolitischem Format gezweifelt haben sollte, ist selber schuld. Der Obmann des orange-blauen Parlamentsklubs packte vergangenen Mittwoch das ganz feine Sezierbesteck aus: Kampls Aussagen seien „zu kritisieren“, allerdings, was ihre „negative Qualität“ betrifft, keinesfalls gleichzustellen mit den Meinungen des freiheitlichen Bundesrates John Gudenus. Dieser hatte am Vortag im ORF-„Report“ wieder einmal die Existenz von Gaskammern im Zweiten Weltkrieg relativiert und angeregt, diese Frage „physikalisch und wissenschaftlich prüfen“ zu lassen. Scheibner feinsinnig: „Den Holocaust zu relativieren ist schon etwas anderes, als was Kampl gesagt hat.“

Genau. Schließlich gibt es gute und böse Revisionisten. Herr Gudenus gehört im Werteradar von Scheibner schon deshalb zu den Bösen, weil er nicht zum BZÖ konvertiert, sondern standhafter Alt-Freiheitlicher geblieben ist, im Gegensatz zu Herrn Kampl. Deshalb fand Bundeskanzler Schüssel, dem die Orangen aus akuter Koalitionsräson näher stehen als die Blauen, in seiner Rede anlässlich der Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag der Republik vergangenen Mittwoch in der Wiener Hofburg ungewohnt deutliche Worte der Abscheu – für Herrn Gudenus. Dieser wiederum wird aller Wahrscheinlichkeit nach aus freien Stücken eher schärfstens den Naziterror verurteilen, als sein Bundesratsmandat aufzugeben.

Die jüngsten Symptome von Restbräune erlauben unterschiedliche Bewertungen: Man kann einerseits erleichtert zur Kenntnis nehmen, dass revisionistische Ausfälle mittlerweile offiziell einhellige Ablehnung hervorrufen – die demokratischen Selbstreinigungsmechanismen Österreichs scheinen endlich zu greifen.

Man kann sich andererseits aber auch fragen, warum es immer noch – und immer wieder – zu solchen Ausfällen kommt, und man kann ein wenig genauer hinschauen: Wer die einschlägig Argumentierenden sind, ist bekannt, zum Teil schon lange Zeit; relevant in diesem Zusammenhang ist jedoch vielmehr, welche Positionen sie bekleiden. Siegfried Kampl sollte Bundesratsvorsitzender werden, nominell immerhin drittwichtigster Mann in der Republik. Sein Rückzug erfolgte „aus freien Stücken“, wie BZÖ-Sprecher Uwe Scheuch vergangenen Donnerstag betonte – aus freien Stücken, nicht auf BZÖ-Drängen, was Rückschlüsse auf die Verfasstheit jener Bewegung nahe legt, der bekanntlich Jörg Haider vorsteht, seinerseits bis vor Kurzem auch ganz gern in den Brackwassern des Revisionismus fischend.

John Gudenus (wohlgemerkt: immer noch Bundesrat) mag als anachronistischer Kauz durchgehen – nicht satisfaktionsfähig sozusagen, um eine Terminologie zu bemühen, die Heinz Christian Strache geläufig sein dürfte. Dieser wiederum, seit Kurzem Chef der Splitter- und irgendwie doch noch Regierungspartei FPÖ, straft die Beschwichtigungen derer Lügen, die das Revisionismus-Problem schon aus biologischen Gründen für (demnächst) erledigt halten. Weithin unbeachtet von der Kampl- und Gudenus-fixierten Öffentlichkeit, sinnierte Strache vergangene Woche in einem Interview mit den „Salzburger Nachrichten“ über einen „1000-Euro-Aufbauscheck“ für jene, die damals nicht geflüchtet seien – ein interessanter ideologischer Schulterschluss mit dem Parteifeind Kampl.

Wenn es also stimmen sollte, dass die Ewiggestrigen in Österreich inzwischen eine statistisch und politisch durchaus vernachlässigbare Größe darstellen, dann muss man sich wenigstens wundern dürfen, warum es immer wieder welche in mehr oder minder neuralgische Machtpositionen spült, wo sie jedenfalls die besten Voraussetzungen vorfinden, davon abzulenken, dass ihresgleichen eigentlich gar nichts mehr zu melden hat.

Über die Nachfolge Kampls ist noch nicht entschieden worden. Rein formal müsste der Kärntner BZÖ-Bundesrat Gerwald Kitz an seiner statt am 1. Juli den Vorsitz antreten. Auf Kampls „tadellose Rede“ angesprochen, gab Kitz vergangene Woche in den „Salzburger Nachrichten“ zu Protokoll: „Ich weiß nicht, was damals richtig oder falsch war.“