Interview

Reuven Paz: „Wasser auf die Mühlen der Militanten“

„Wasser auf die Mühlen der Militanten“

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profil: Der Hamas-Hardliner Abdel Asis Rantisi hat als neuer „Generalkommandant“ der Islamischen Widerstandsbewegung aufgerufen, Israelis anzugreifen, „wo immer sie sind“. Ist die Hamas dabei, sich nach der gezielten Tötung ihres Gründungsmitgliedes Scheich Yassin mit dem globalen Terrornetz zu verbünden, um Racheakte neuer Qualität zu unternehmen?
Paz: Bislang war es Yassin, der Operationen der Hamas außerhalb Israels und der palästinensischen Gebiete verhinderte. Sein Tod könnte tatsächlich das Entstehen einer militanteren Führung zur Folge haben, die Anschläge gegen Israel, aber nicht mehr ausschließlich in Israel initiiert. Schließlich verfügt die Hamas über Unterstützerkreise in Europa und Nordamerika.
profil: Handelt es sich dabei nicht eher um Sympathisanten als um Kämpfer der Hamas?
Paz: Die Auslandszellen haben sich bisher mit Aufgaben wie Propaganda, Spendensammeln und Geldwäsche befasst, nicht mit Terroroperationen. Aber möglicherweise lassen sich ihre Mitglieder für andere Einsätze rekrutieren, wenn die Hamas sich entscheidet, ihr Operationsgebiet zu erweitern.
profil: Al-Qa’ida könnte sich auch unbefragt einmischen.
Paz: Darin sehe ich die zweite Gefahr: Selbst wenn die Hamas bei ihrer bisherigen Linie bleibt und sich auf das bisherige Konfliktgebiet beschränkt, könnten alle möglichen Gruppen, die sich zu al-Qa’ida oder dem globalen Dschihad rechnen, die Tötung Yassins zum Anlass für eigene Aktionen nehmen – und zwar gegen jüdische Einrichtungen im Ausland, die „Weichteile“ Israels.
profil: Für wie wahrscheinlich halten Sie eine weitere Radikalisierung der Hamas?
Paz: Radikal war schon Scheich Yassin. Aber seine Nachfolger – das gilt besonders im Fall Rantisi – dürften noch extremistischer agieren. Rantisi und seine Gefolgschaft haben stets engere Kontakte zu den Kämpfern der Issedin-al-Kassem-Brigaden gepflegt, dem militärischen Flügel der Hamas. Deshalb sind mehr und größere Operationen gegen Israel zu erwarten.
profil: Rechnen Sie mit einem Machtkampf zwischen der heimischen und der Exil-Führung der Hamas in Damaskus?
Paz: Ich habe Zweifel an dem Einfluss des Politbüros der Hamas im Ausland. Seine Position war stärker, solange es sich noch in Jordanien befand. Mit der Ausweisung von Khaled Maschal und anderen Gefolgsleuten nach Syrien verlor die Exil-Hamas an Relevanz. Seitdem geriet sie unter iranischen Einfluss, näherte sich auch der Hisbollah an. Die Exil-Hamas ist zwar radikaler, aber ihr fehlt eben auch die Autorität der lokalen Führung, die im palästinensischen Volk Rückhalt besitzt. Das eigentliche Sagen hat deshalb die zentrale Führung der Hamas in Gaza.
profil: Der israelische Generalstabschef Mosche Yaalon hat die Ausschaltung Yassins als „schweren Schlag“ gegen die Islamisten-Organisation bezeichnet, der kurzfristig die Attentatsmotivation erhöhen könnte, aber langfristig zur Beruhigung der Lage in Gaza beitragen würde. Teilen Sie diese Prognose?
Paz: Nein. Nicht jedenfalls, solange die Regierung Ariel Scharon keine konkreten politischen Schritte unternimmt. Es ist nicht damit getan, die Hamas militärisch zu bekämpfen. Man muss eine politisch bessere Atmosphäre schaffen, um Verhandlungen zu ermöglichen oder zumindest eine Art Vermittlung der eigenen Absichten an die palästinensische Öffentlichkeit.
profil: Nach dem Mord an Yassin ist es für die Autonomie-Regierung nahezu unmöglich, israelische Politiker auch nur zu treffen, geschweige denn die Hamas zu zügeln.
Paz: Nach Lage der Dinge bin ich sehr pessimistisch, was die nähere Zukunft betrifft. Ich glaube nicht, dass irgendein positiver Zug, ein Fortschritt, möglich sein wird. Das Attentat auf Yassin war Wasser auf die Mühlen der Militanten. Kein moderater Palästinenser kann es sich jetzt erlauben, über Frieden mit Israel zu sprechen.