Rohöl

Rohöl: Im Würgegriff des Kartells

Im Würgegriff des Kartells

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Es schaut gar nicht gut aus. Am Freitag dieser Woche werden die neuesten Konjunkturprognosen für Österreich präsentiert. Die Wirtschaftsforscher sind zwar noch heftig am Rechnen, doch mittlerweile gibt es keinen Zweifel mehr: Es wird keine Frohbotschaft sein.

„Die Risken für eine Konjunkturerholung sind gestiegen“, erklärt Markus Marterbauer, Konjunkturexperte im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Womit die letzte Prognose vom Dezember 2003 wohl hinfällig ist: „Konjunkturerholung gewinnt an Kontur“, postulierte das Wifo damals.

Doch seitdem hat sich einiges geändert: Der Euro hat an Wert stark zugelegt und macht der Exportwirtschaft schwer zu schaffen. Die Stimmung an den internationalen Aktienmärkten ist schlecht und belastet die Konsumlust der Verbraucher.
Und: Entgegen allen Prognosen steigen die Rohölpreise.

Rekordhöhe. Seit Mitte Februar hat sich Rohöl dramatisch verteuert, in den vergangenen zwei Wochen haben die Notierungen den höchsten Stand seit 13 Jahren erreicht. In den USA nahmen sie locker die 38-Dollar-Hürde, in Europa kostet ein Fass Rohöl zu 159 Liter, die Barrel genannte Maßeinheit im Ölgeschäft, mittlerweile gut 33 Dollar. Für die Weltwirtschaft verheißt das eher Schlechtes: Der Ölpreis ist eine wichtige Einflussgröße für die konjunkturelle Entwicklung. Eine starke Verteuerung schmälert Unternehmensgewinne, hemmt Investitionen und führt zu Kaufkraftentzug.

Besonders alarmierend: Experten rechnen auch für das restliche Jahr mit anhaltend hohen Preisen. Das schwarze Gold wird also aller Voraussicht nach teuer bleiben.
Eine zentrale Rolle dabei spielt die Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC). Das Preiskartell, dem elf Länder angehören und das immerhin ein Drittel des Weltverbrauchs deckt, hat in den vergangenen Monaten für ziemliche Verwirrung auf den Rohölmärkten gesorgt. Zum Beispiel Ende September: Damals beschloss die OPEC, ihre Gesamtförderung per 1. November um täglich 900.000 Barrel auf 24,5 Millionen Barrel zu drosseln.

Für die Ölmärkte war das ein richtiger Schock – zumal die OPEC kurz davor die Beibehaltung ihrer Fördermenge beteuert hatte. Sandra Ebner, Rohölexpertin der deutschen Deka-Bank: „Die Ankündigung kam völlig überraschend und entbehrte jeder Logik.“ In das Bild, das sich viele von der OPEC gemacht hatten, nämlich dass sie an Preisstabilität interessiert ist, passte das jedenfalls nicht: Üblicherweise steigt die Ölnachfrage in der kalten Jahreszeit – die von der OPEC verordnete Angebotsverknappung just zu Winterbeginn weckte Erinnerungen an die zwei Ölpreisschocks der siebziger Jahre, als zum Teil künstliche Angebotsrückgänge die Preise in lichte Höhen geschickt hatten.

Doch die OPEC legte noch ein Schäuferl nach: Am 10. Februar dieses Jahres wurde eine erneute Förderkürzung um eine weitere Million Barrel angekündigt. Zwar erst für den 1. April, doch die bloße Ankündigung – mitten im Winter – reichte, um
die Preise nochmals in die Höhe zu jagen. Jetzt warten alle gebannt darauf, ob das Ölkartell die Drohung diese Woche wahr macht.

Unklarheiten. Zwar haben sich in den vergangenen Tagen zwei OPEC-Mitglieder zaghaft zu Wort gemeldet, die eine Verschiebung der Förderkürzung auf Juni zumindest für nicht ausgeschlossen halten. So äußerte sich der algerische Ölminister über die Preisexplosion besorgt, und der saudische Ölminister meinte immerhin, es sei „unklar“, ob die Förderkürzung auch vollzogen werde. Wie diese Aussagen zu bewerten sind, ist allerdings ebenso unklar: Im Kartell gibt es eine ganze Phalanx von Hardlinern. Diese OPEC-„Falken“ sehen ihre Kaufkraft aufgrund des niedrigen Dollarkurses schwinden und machen sich für einen hohen Ölpreis stark. Dass das offizielle OPEC-Preisziel von 22 bis 28 Dollar je Barrel schon längst Schall und Rauch ist, kann ihnen nur recht sein.

Klaus Matthies, Rohstoffexperte im Hamburger Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA), meint, „die OPEC hat ihr Trauma der späten neunziger Jahre noch nicht verkraftet“. Damals hatte das Kartell die Produktion erhöht, doch dann brach die Nachfrage ein – und mit ihr die Preise. Auch jetzt spricht die OPEC gebetsmühlenartig von der angeblich zu erwartenden nachlassenden Nachfrage nach Rohöl.

Auf welche Daten sie sich dabei beruft, ist ein Rätsel. Denn von einer flauen Nachfrage kann derzeit beileibe nicht die Rede sein. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat in ihrem jüngsten Monatsbericht die Schätzungen für den weltweiten Ölbedarf nach oben revidiert. Gegenüber der Prognose vom Februar wurde die Nachfrage für heuer um 0,3 Millionen auf 80,2 Millionen Barrel täglich erhöht. „Grund
ist eine starke Ölnachfrage in den USA und in China“, erklärt HWWA-Mann Matthies.

Zum hohen Bedarf in den Vereinigten Staaten gesellt sich ein weiterer Faktor, der ausgesprochen preistreibend wirkt: In den USA sind die Öllager seit Monaten wie leer gefegt. Logisch: Wer füllt bei solch hohen Preisen schon Lager an? „Die Bestände sind dort so niedrig wie seit 30 Jahren nicht mehr“, betont Matthies. Was in den USA bereits für erhebliche Nervosität sorgt. Jetzt wird der Druck auf US-Präsident George W. Bush verstärkt, die strategischen Reserven des Landes zumindest teilweise freizugeben. Sein Vorgänger Bill Clinton hatte das zuletzt im Jahr 2000 praktiziert: Damals herrschte Wahlkampf, die Energiepreise waren hoch, und es galt, die Konjunktur zu stützen.

Bush könnte nun ebenso handeln: Seit 2001 hat er die strategischen Reserven für den Krisenfall um 100 Millionen Barrel auf 650 Millionen Barrel aufstocken lassen – genügend Spielraum wäre also da. Zumal die Bevölkerung wegen der rekordverdächtigen Treibstoffpreise murrt und auch US-Finanzminister John Snow vor wenigen Tagen erklärte, hohe Energiepreise seien angesichts der erstarkenden Konjunktur „nicht willkommen“. Zum unliebsam teuren Öl meinte er: „Ich wage zu hoffen, dass die Energiepreise wieder sinken werden.“

Weiter teuer. Hoffen darf er – aber realistisch ist es nicht. Die Experten gehen überwiegend von hohen Ölpreisen im weiteren Jahresverlauf aus. Sandra Ebner von der Deka-Bank etwa erwartet im Jahresdurchschnitt einen Preis von 32 Dollar für die in den USA verkaufte Sorte „West Texas Intermediate“. Die für den europäischen Markt bedeutende Sorte „Brent“ werde einen Preis von durchschnittlich 30 Dollar erreichen. Zwar werde es im zweiten Quartal vorübergehend zu einer leichten Entspannung kommen, im Sommer sei allerdings wieder mit einem steigenden Ölverbrauch zu rechnen: Dann beginnt in den USA die so genannte „driving season“, Millionen Urlauber sind auf den Straßen unterwegs.
Die hohe Nachfrage ist die eine Seite. Nicht zu unterschätzen ist aber auch der Einfluss, den die Finanzmärkte auf den Ölpreis haben. Deka-Bank-Analystin Ebner: „Es sind unglaublich viele Spekulanten tätig, die auf steigende Ölpreise setzen.“ Vor allem so genannte Hedge Funds – Investmentfonds, die das ihnen anvertraute Kapital unter anderem auch in Warentermingeschäften mit Öl veranlagen – peitschen die Preise weiter nach oben. Laut einer Statistik der Commodity Futures Trading Commission, der Aufsichtsbehörde für die US-Terminbörsen, wurden an der New Yorker Mercantile Exchange noch nie so viele Netto-Kaufpositionen eingegangen wie in den vergangenen Wochen. Das Volumen dieser Kaufwetten soll 75,75 Millionen Barrel ausgemacht haben. Ebner: „Ich schätze, dass die Spekulationen am aktuellen Ölpreis einen Anteil von vier bis fünf Dollar haben.“

Vorsichtshalber gab das OPEC-Mitglied Saudi-Arabien vergangene Woche den Spekulanten die Schuld an den hohen Ölpreisen. Die OPEC könne nicht viel gegen die Preisexplosion unternehmen, sekundierte Algerien. Doch OPEC-Präsident Purnomo Yusgiantoro meinte wiederum, dass „zur Stabilisierung der Preise Produktionsausweitungen toleriert werden sollen“.

Verwirrende Rhetorik, die zeigt, in welchem Dilemma die OPEC steckt: Verschiebt sie die für Donnerstag geplante weitere Förderkürzung auf Juni, erleidet sie einen Glaubwürdigkeitsverlust.

Andererseits begibt sie sich mit ihrer Hochpreispolitik auf gefährliches Terrain: Wenn es das Kartell auf die Spitze treibt, könnte dies der Weltwirtschaft arg zusetzen. Womit die Nachfrage nach Öl tatsächlich einbrechen würde.
Und das wäre wohl nicht im Sinne der OPEC.