Rohrschaden

Affäre. Wiener Installateure sollen sich zu einem Kartell zusammengeschlossen und die Stadt Wien um Millionen geschädigt

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Sie trafen sich Mitte März beinahe jeden Tag zu geheimen Besprechungen. In wechselnder Besetzung und an unterschiedlichen Orten. Sie führten Verhandlungen über Telefon und verschickten E-Mails. Knapp zwei Monate nach dem ersten Treffen waren sie so weit, ihren Pakt zu beschließen: Im Frühling des Jahres 2007 soll sich nach Erkenntnissen von Ermittlern der Bundeswettbewerbsbehörde eine Gruppe von 49 Wiener Installationsunternehmen zu einem Kartell zusammengeschlossen haben, um einen lukrativen Auftrag der Stadt Wien unter sich aufzuteilen.

Derlei Absprachen basieren auf dem Prinzip eiserner Verschwiegenheit. In diesem Fall machte ein Insider die angeblichen Mauscheleien bei der Vergabe von Serviceverträgen in Wiener Gemeindebauten allerdings publik. Trotz der erhobenen Vorwürfe kamen die beschuldigten Unternehmen bei der Vergabe zum Zug. Seit mittlerweile mehr als zwei Jahren ermitteln Bundeswettbewerbsbehörde und Staatsanwaltschaft Wien gegen das mutmaßliche Kartell. Das Verfahren droht, in einem Gutachter-Streit zu versanden. Der Gemeinde Wien könnte ein Schaden von 100 Millionen Euro entstehen.

Alles begann mit einer Formalität. Am 15. Februar 2007 wurde im Amtsblatt für Wien respektive jenem der EU eine Ausschreibung veröffentlicht. „Ausschreibungsunterlagen über laufende Adaptierungs- und Instandsetzungsarbeiten sowie Neuarbeiten kleineren Umfangs … in Objekten der Stadt Wien – Wiener Wohnen“, so der spröde Titel. Weniger amtsdeutsch ausgedrückt: Die Stadt suchte nach Installationsunternehmen für die laufend anfallenden Arbeiten in den Wiener Gemeindebauten. Rohre verlegen, Thermen einbauen, defekte Geräte austauschen – das klassische Installateursgeschäft eben. Nur in einer etwas größeren Dimension. Wert der für die Dauer von drei Jahren vergebenen Aufträge: rund 200 Millionen Euro, aufgeteilt in mehrere Happen.

Die Wohnhausverwaltung Wiener Wohnen ist innerhalb der Gemeinde Wien zuständig für das Management von rund 220.000 Gemeindewohnungen (siehe Kasten). Für die Ausschreibung wurden 2007 insgesamt 48 regionale Lose vergeben. Wer sich als Bestbieter eines dieser 48 Lose sicherte, war also für drei Jahre mit den Installationsarbeiten in einem ganzen Grätzel mit Dutzenden Gemeindebauten betraut. Für den durchschnittlichen Betrieb mit ein paar Angestellten ein viel zu großer Brocken. Am 5. März 2007 lud die Installateursinnung interessierte Unternehmen daher zu einer Informationsveranstaltung in den Floridotower im 21. Gemeindebezirk. Dort wurde den Teilnehmern in einem einstündigen Vortrag erklärt, wie sie sich in Arbeitsgemeinschaften (ARGEN) organisieren und gemeinsame Angebote für die einzelnen Lose abgeben könnten.

Noch am selben Tag wurde das Treffen fortgesetzt – in einem weitaus intimeren Rahmen. Das behauptet jedenfalls Erich Z. (Name der Redaktion bekannt), damals selbst Installationsunternehmer in Wien. „Im Anschluss an die Veranstaltung, gegen 15.00 Uhr, trafen sich einige der Teilnehmer, in Summe etwa 15 Personen …“, heißt es in einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien.
In den Betriebsräumlichkeiten eines Wiener Installateurs soll dann von einem Kammer-Funktionär zunächst ein Schreiben an die Anwesenden ausgeteilt worden sein, „mit dem sie sich zum Stillschweigen über dieses Treffen verpflichteten, bei sonstiger Pönaleverpflichtung in Höhe von 20.000 Euro. Betont wurde insbesondere, dass dieses Treffen nach außen hin nie stattgefunden habe. Zu diesem Zeitpunkt verließ der Einschreiter (Erich Z.) das Treffen, ohne die Erklärung unterschrieben zu haben, da er Bedenken gegen ein solches Treffen hatte und nicht in etwaige strafbare Handlungen involviert werden wollte. (…) Ab diesem Zeitpunkt schaltete der Einschreiter einen Privatdetektiv ein, um die ab nun erfolgten Handlungen der angezeigten Personen zu dokumentieren.“ Über die weiteren Ereignisse existieren unterschiedliche Versionen. Die beschuldigten Installateure bestreiten den Vorwurf der Kartellbildung. Zwei Unternehmen, die selbst nicht zum Zug gekommen seien, wollten sich revanchieren, heißt es.

Unstrittig ist jedenfalls, dass die an jenem Tag begründeten ARGEN in 45 von 48 Losen den Zuschlag erhielten. Erich Z. ging leer aus. Dabei hätte er laut der Sachverhaltsdarstellung ebenfalls partizipieren können. Einer der Organisatoren der ¬ARGEN hätte ihm demnach abgeboten, dass er sich „zwei Lose aussuchen könne, falls er sich einer ARGE anschließe. Diese Vorgehensweise sei für alle von Vorteil, da so keine bzw. unwesentliche Nachlässe gegeben werden müssten, im Gegensatz zu einem freien Wettbewerb, wo mit bis zu 30 Prozent Abschlägen oder mehr gerechnet werden müsse.“ Erich Z. hat ein umfangreiches Gutachten bei einem Sachverständigen in Auftrag gegeben.
Gutachter Andreas Kropik, Professor für Bauwirtschaft und Baumanagement an der TU Wien, will bei der Vergabe an die Arbeitsgemeinschaften einige Auffälligkeiten entdeckt haben. „Offensichtlich soll nach dem Willen des Auftraggebers (Stadt Wien, Anm.) jeweils der Gebiets-¬ARGE der Zuschlag erteilt werden, obwohl, alleine nach dem Preisspiegel betrachtet, die Gebiets-ARGEN (…) nicht bei allen Losen die Billigstbietereigenschaft innehatten“, heißt es in dem 51 Seiten umfassenden Dossier. In dem Gutachten wird darüber hinaus der Verdacht genährt, ein involviertes Unternehmen hätte bei zahlreichen Losen Scheinangebote gelegt. Der Grund dafür: Gibt es nur einen einzigen Bieter, hätte die Ausschreibung wegen des mangelnden Wettbewerbs wiederholt werden müssen. „Insgesamt hat sich die Firma M. bei allen 48 Losen am Wettbewerb beteiligt und eine Angebotssumme von 167 Millionen Euro abgegeben. Sie hat bei 48 Beteiligungen kein einziges Mal Billigstbietereigenschaft erlangt. Darüber hinaus ist die Fa M. von der Unternehmensgröße, nach Wissensstand des Unterfertigten, nicht in der Lage, Aufträge dieses Umfanges abarbeiten zu können. Bei diesen Losen kann daher von einem echten Wettbewerb nicht gesprochen werden“, so der Sachverständige.

Die seltsamen Umstände der Auftragsvergabe könnten Wiener Wohnen laut Gutachter Kropik teuer gekommen sein. Seiner Stellungnahme zufolge sind die Preise der beauftragten Installateure nicht marktkonform. Die Differenz zu einem „angemessenen Preisniveau“ bemisst er in seinen Berechnungen mit einem Wert zwischen exakt 46,28 Millionen Euro und 61,71 Millionen Euro. In anderen Worten: Wiener Wohnen hat in den vergangenen drei Jahren für die ausgeschriebenen Leistungen um etwa 50 Millionen zu viel gezahlt. Die meisten der auf drei Jahre ausgeschriebenen 48 Lose sind vor Kurzem ausgelaufen. Obwohl die Staatsanwaltschaft ermittelt und der Verdacht besteht, dass die Leistungen zu überhöhten Preisen eingekauft wurden, hat Wiener Wohnen eine Option auf Verlängerung um weitere drei Jahre gezogen. Stimmen die Berechnungen des Sachverständigen, dann würde die mögliche Schadenssumme damit rund 100 Millionen Euro betragen. Im Ressort des zuständigen Wohnbaustadtrats Michael Ludwig gibt man sich gelassen. „Für uns ist nicht entscheidend, was ein Gutachter sagt. Wenn das Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, und man kommt zum Schluss, dass es ein Kartell gegeben hat, gibt es auch die Möglichkeit, den Rahmenvertrag zu kündigen“, so Daniela Strassl, Direktorin von Wiener Wohnen. BZÖ-Wien-Chef Michael Tscharnutter: „Die Verlängerung der Verträge ist unter den gegebenen Umständen höchst dubios.“

Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) schenkt den Aussagen des Kronzeugen Erich Z. Glauben. Diese werden unter anderem auch durch die Selbstanzeige eines Unternehmers untermauert, der ursprünglich selbst Teil einer Bietergemeinschaft gewesen war. Vor rund zwei Jahren hat die BWB beim Kartellgericht eine Stellungnahme abgegeben. „Der vorliegende Antrag betrifft verbotene Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen (…) zwischen mehreren Installationsunternehmen im Zuge eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens zur Vergabe eines Rahmenvertrages für Gas-, Wasser- und Heizungsinstallationsarbeiten durch die Stadt Wien – Wiener Wohnen. Gegenstand dieser Vereinbarungen bzw. abgestimmten Verhaltensweisen war die Aufteilung von Märkten sowie die Festsetzung von Verkaufspreisen, wodurch eine Verhinderung, Einschränkung und Verfälschung des Wettbewerbs bezeichnet und auch tatsächlich bewirkt wurde“, heißt es darin.

Die Rolle der BWB bei kartellrechtlichen Prozessen entspricht jener der Staatsanwaltschaft bei strafrechtlichen Causen. Sie ist Ermittlungs- und Anklagebehörde. Der mit 18. Juni 2009 datierte Schriftsatz ist also einer Anklageschrift gleichzusetzen. Dem 33 Seiten umfassenden Antrag sind 14 Beilagen angefügt: E-Mails, Beweisfotos, Dokumente und Zeugenaussagen. Die Behörde ist sich aufgrund der Datenmenge ihrer Sache ziemlich sicher. Angeklagt sind in dem Verfahren 49 Unternehmen, bei einer Verurteilung müssen diese im schlimmsten Fall mit einer Strafe in der Höhe von zehn Prozent des Jahresumsatzes rechnen. Auch bei der Staatsanwaltschaft Wien ist die Causa anhängig. Das Verfahren wegen illegaler Preisabsprache gegen eine Reihe von Installateuren ruht allerdings seit Längerem. „Wir warten auf die Klärung von juristisch maßgeblichen Fragen beim Kartellgericht“, so ein Sprecher.

Vor dem Kartellgericht Wien hat sich vor geraumer Zeit ein Gelehrtenstreit zwischen Sachverständigen und der Bundeswettbewerbsbehörde entzündet. Erst kürzlich langte bei dem im Oberlandesgericht Wien angesiedelten Kartellgericht erneut ein 141 Seiten umfassendes Gutachten ein. Das Problem: Zwischen BWB und den Sachverständigen herrschen klar erkennbare Unterschiede in der Methodik. In seitenlangen Passagen mühen sich die Gutachter an dem Versuch, überhaupt den relevanten Markt für den Ausschreibungstext zu definieren. Sind es nur Wiener Installateure oder auch solche aus Niederösterreich und dem Burgenland? Muss jeder der Bieter bereits vorher einmal für Wiener Wohnen gearbeitet haben, oder reicht einer pro ARGE als Referenz? Oder um es mit den Worten des Gutachter-Duos Martin Lukanowicz und Paul Pisjak zu sagen: „Im Kern vertritt die BWB also die These, dass die am präsumtiven Kartell beteiligten Unternehmen über ein entsprechendes Gewicht verfügen müssen, da es ihnen sonst nicht gelungen wäre, einen entsprechend überhöhten Preis durchzusetzen.“ Und weiter: „Aus Sicht der Sachverständigen scheint diese Schlussfolgerung hinterfragbar, da auch bei Nicht-Vorliegen eines Kartells und bei Wettbewerbsverhalten das unterstellte Ergebnis (…) erklärbar wäre.“

Waren die rund 50 Installateursbetriebe ihrer schieren Marktgröße nach also überhaupt in der Lage, einen Wettbewerb in der Ausschreibung zu verhindern? Wenn nicht, dann würde es sich bei dem mutmaßlichen Zusammenschluss der in verschiedenen Bietergruppen aufgetretenen Installateursunternehmen nämlich um ein so genanntes Bagatellkartell handeln. Die Bildung eines solchen Kartells gilt nicht als wettbewerbsbeschränkend und steht daher nicht unter Strafe.
Die Bundeswettbewerbsbehörde bringt in den kommenden Wochen eine Entgegnung auf das Gutachten ein. Dem Vernehmen nach soll diese extrem kritisch ausfallen.

Wer da am Ende die Oberhand behält, ist offen.
Ein Verlierer ist jedenfalls Erich Z. Sein Installationsunternehmen musste im Vorjahr Konkurs anmelden.