Rot-blaue Avancen für mögliche Koalition

HC Strache: "Bin die Kummernummer"

Drucken

Schriftgröße

Josef Broukal sieht Anlass genug, für den Tag X vorauszuplanen. Der SPÖ-Abgeordnete hat, nach einem Gespräch mit seiner Frau, eine Entscheidung getroffen: „Wenn die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ eingeht, dann trete ich zurück. Ich will immer die Möglichkeit haben, einen Nazi auch einen Nazi zu nennen.“ Selbst jemand wie Broukal ergänzt in diesen Tagen jedoch vorsorglich, dass er nur für sich selbst sprechen und der SPÖ keine Empfehlung geben möchte. Denn für seine Partei stelle sich die Frage ganz anders: „Wer den Satz ,Nie mit der FPÖ!‘ sagt, muss auch den Satz aussprechen, dass die SPÖ dann möglicherweise wenig Chancen zum Regieren hat.“

Die so genannte Vranitzky-Doktrin, die besagte, dass die SPÖ aus moralischen und weltanschaulichen Gründen Distanz zur FPÖ zu wahren habe, hat die 14 Monate der großen Koalition nicht überlebt. Lange Jahre waren es nur einsame Parteirechte wie Karl Schlögl, die gebetsmühlenartig ein Überdenken des Verhältnisses zur FPÖ forderten. Nun ist dieser Gedanke in der Mitte der SPÖ angekommen. Rege Kontaktpflege. Klubobmann Josef Cap charmiert seit dem Start der Regierung hingebungsvoll mit FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache. Anfangs hatte die Kontaktpflege den Hintergrund, die Freiheitlichen gegen Lockrufe der ÖVP zu immunisieren. Derzeit lotet die SPÖ die blaue Bereitschaft aus, nach einem allfälligen Koalitionsende Beschlüsse wie die Steuerreform oder die Abschaffung der Studiengebühren gemeinsam und gegen die ÖVP zu fassen – sei es in einer Minderheitsregierung oder in den zwei Monaten zwischen Neuwahlbeschluss und Wahlen. Der Ärger über die mühevolle Zusammenarbeit mit der ÖVP ist inzwischen aber so groß, dass auch die Vorbehalte gegenüber einer weiter reichenden Zusammenarbeit schwinden. Selbst lautes Nachdenken über eine künftige Koalition mit der FPÖ ist kein Tabu mehr.

Strategische Option. „Wir sind in einer aufrechten Koalition“, verbittet sich Klubchef Cap offiziell Spekulationen über die Zeit nach einer Neuwahl. Parteiintern ­jedoch gedeihen die Überlegungen, wie die Regierungsmacht auch ohne ÖVP erhalten werden kann. „Wichtig ist, dass unsere Forderungen umgesetzt werden, egal mit wem“, sagt Gerald Passegger, Landesgeschäftsführer der SPÖ Kärnten, und will eine Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ nach der nächsten Wahl dezidiert „nicht ausschlie­ßen“. Auch sein steirischer Kollege Toni Vukan erklärt, ­offen für Gespräche mit allen Parteien zu sein. Vom Vorarlberger SPÖ-Vorsitzenden Michael Ritsch sind ähnliche Töne zu vernehmen.

Diese neue Linie folgt auch der Arithmetik des Möglichen: Rot-Grün hatte in Österreich noch nie eine Mehrheit, selbst dann nicht, wenn man den Stimmenanteil des verblichenen Liberalen Forums dazuzählte. Spätestens seit den Wahlverlusten der Grünen in Nieder­österreich hoffen nur mehr die größten Optimisten in der SPÖ auf eine rot-grüne Regierung. Rot-Blau hingegen hätte bei allen Wahlgängen seit 1983, bis auf die Jahre 2002 und 2006, rechnerisch immer eine Mandatsmehrheit erreicht. Ohne die Variante FPÖ sei die SPÖ stets von der ÖVP erpressbar, erklären SPÖ-Taktiker.
„Es würde uns sehr schwer fallen, eine Koalition mit der FPÖ einzugehen. Aber ausschließen würde ich es nicht“, sagt auch SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser. Er argumentiert, dass Rot-Blau immer noch „das geringere Übel“ wäre als Schwarz-Blau – für Österreich, versteht sich, nicht für die SPÖ.
Von der prinzipiellen Ablehnung einer Partei der ausländerfeindlichen Wahlkämpfe und fragwürdigen Äußerungen zur NS-Zeit ist wenig übrig geblieben. Schon während ihrer Oppositionszeit agitierte die SPÖ vor allem gegen sozialpolitische Maßnahmen der Regierung, von der Pensionsreform bis zur Ambulanzgebühr. Mit der Ausländerpolitik hatte sie hingegen weit weniger Probleme: Der schwarz-blau-orangen Verschärfung der Fremdenrechte stimmte die SPÖ 2005 zu.

Ziel Sozialpolitik. Es ist in erster Linie die Sozialpolitik, in der SPÖ-Politiker Affinitäten zur FPÖ anführen. In diesem Bereich gebe es mehrere Themen, etwa die Abmilderung der Pensionsreform, die mit den Freiheitlichen leichter zu beschließen wären als mit der ÖVP. Die Wählerschicht der Modernisierungsverlierer pendelt auch wegen Sozialthemen seit den neunziger Jahren zwischen SPÖ und FPÖ. Rote Gewerkschafter sind überzeugt, dass die FPÖ im Gegensatz zur ÖVP den „Gusi-Hunderter“ oder eine Steuerentlastung für kleine Einkommen nicht ablehnen würde. Dabei übersieht die SPÖ allerdings geflissentlich, dass die FPÖ sozialpolitische Wohltaten ausschließlich Inländern vorbehalten will. Die oberösterreichische Abgeordnete Sonja Ablinger kann noch eine Reihe anderer Bereiche aufzählen, in denen sich die SPÖ fundamental von der FPÖ unterscheidet: von der Frauen- über die Europa- und Justizpolitik bis hin zu Menschenrechten. Neben inhaltlichen Differenzen hält Ablinger eine Zusammenarbeit deshalb für inakzeptabel, weil die SPÖ damit unerträgliche Positionen der FPÖ salonfähig machen würde: „Was tun wir denn, wenn FPÖ-Abgeordnete wie diese Woche im Parlament sagen, dass durch Abtreibung mehr Menschen getötet wurden als durch das NS-Regime? Schweigen wir?“ Auch ihre Kärntner Kollegin Melitta Trunk argumentiert, dass die antifaschistischen Grundsätze der SPÖ schwerer wiegen müssten als strategische Überlegungen. Nur wenige jedoch würden, wie die junge Wiener Abgeordnete Laura Rudas, „für die nächsten zehn Jahre eine Koalition mit der FPÖ ausschließen“.

Zerreißprobe. An sich ist die SPÖ-Linie durch einen Parteitagsbeschluss fixiert. Unter SPÖ-Chef Franz Vranitzky und dessen Nachfolger Viktor Klima gab es keine Notwendigkeit, die Nicht-Zusammenarbeit mit der FPÖ formal festzuhalten, sie war ohnehin Programm. Im Jahr 2004 aber, nach Alfred Gusenbauers Spargelessen mit Jörg Haider und dem mittlerweile aufgekündigten blau-roten Pakt in Kärnten, brachten die Jungsozialisten auf dem Parteitag einen Antrag auf ein klares Nein zu einer Koalition mit der FPÖ ein. Die SPÖ stimmte mit großer Mehrheit zu, nur Kärntner Delegierte wie der damalige Landeschef Peter Ambrozy votierten dagegen. Der rote Pragmatiker Gusenbauer fühlt sich durch den Beschluss nicht gebunden. Nach dem Motto „Hauptsache, Kanzler“ lässt er sich andere Mehrheitsoptionen offen – sei es durch Verniedlichung von Straches Wehrsportübungen als „Jugendtorheiten“, sei es durch eine dezidierte Nicht-Antwort in der „Pressestunde“ auf die Frage, ob eine Koalition mit der FPÖ auszuschließen sei. Die SPÖ-Parteispitze schweigt zu der seither schwelenden Diskussion über die theoretische Möglichkeit von Rot-Blau standhaft. Lediglich Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gab zu Protokoll, dass sich ihre Einschätzung der FPÖ nicht geändert habe. Ein großer Teil der Anhängerschaft der SPÖ freilich sieht schon bei strategischen Überlegungen in Richtung FPÖ ihre Seele verkauft. Sonja Ablinger nimmt als prononcierte Linke oft eine Minderheitenposition in ihrer Partei ein. In diesem Fall aber glaubt sie, für die Mehrheit zu sprechen, wenn sie sagt: „Eine Koalition mit der FPÖ würde die SPÖ zerreißen.“

Von Eva Linsinger