Bruderzwist, SPÖ und ÖGB: Endzeitgenossen

Roter Bruderzwist zwischen SPÖ und ÖGB: Trennungsschmerzen der Endzeitgenossen

Trennungsschmerzen der roten siamesischen Twins

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Mit Orden kennt sich Michael Häupl aus. Der Wiener Bürgermeister trägt das Komturkreuz mit Stern des Landes Burgenland, das Goldene Komturkreuz mit dem Stern des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich sowie das Große Silberne Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich.

Montag vergangener Woche verlieh Häupl virtuell eine Auszeichnung: Fritz Verzetnitsch, so der Bürgermeister, gebühre für seinen Mut, den Streikfonds des ÖGB für die Spekulationsverluste der Bawag verpfändet zu haben, der Maria-Theresien-Orden. Die Auszeichnung war von der Herrscherin im Juni 1757 nach der siegreichen Schlacht gegen die Preußen bei Kolin gestiftet worden – bestimmt für Offiziere, die Eigeninitiative und vorzügliche Tapferkeit vor dem Feinde gezeigt hatten. Zur dekorativen Auszeichnung kam eine pekuniäre: Der Träger des Ordens erhielt eine Sonderpension.

Mit Pensionen kennt sich Fritz Verzetnitsch aus. Der in der Vorwoche zurückgetretene ÖGB-Präsident hat nach 19 Jahren an der Gewerkschaftsspitze und im SPÖ-Parlamentsklub Anrecht auf eine Zweifachrente inklusive Zuschuss in der Höhe von rund 11.000 Euro.

Der mögliche Pensionsschock Verzetnitschs erscheint milde im Vergleich zu den Sorgen seiner politisch hinterbliebenen Parteifreunde. Leicht verkrampft saßen Alfred Gusenbauer und sein Klubobmann Josef Cap Mittwoch vergangener Woche im Parlamentsplenum und mussten höhnische Kommentare der Regierungsparteien über sich ergehen lassen. Zur Selbstverteidigung traten die Abgeordneten der Gewerkschaft nicht an. So musste ausgerechnet der rote Vizepräsident der Wirtschaftskammer, Christoph Matznetter, die erste Gegenattacke reiten. Tapfer, ordenswürdig, aber vergeblich: Der Versuch, die Bawag-Affäre Finanzminister Karl-Heinz Grasser anzuhängen, wirkte wie ein bemühtes Ablenkungsmanöver. Die ÖVP-Abgeordneten dagegen tauschten bestens gelaunt Karibikwitze aus und erklärten Alfred Gusenbauer boshaft zum heimlichen Hauptprofiteur der Bawag-Affäre: Dank Verzetnitsch habe der SPÖ-Chef eine Ausrede für eine Wahlschlappe im Herbst.

Wähler ohne Mitleid. Alfred Gusenbauer darf mangelnde Fortune beklagen. Doch der Wähler kennt kein Mitleid und scheint auch die SPÖ für das Bawag-Desaster zu bestrafen. Laut einer Umfrage des OGM-Instituts im Auftrag von profil hat die ÖVP in der Sonntagsfrage aufgeholt und liegt nun mit der SPÖ gleichauf. Der Katzenjammer der Gewerkschafter über diese Auswirkung ihres Tuns hält sich in Grenzen. Er habe kein schlechtes Gewissen, meint etwa der oberste Post-Gewerkschafter Gerhard Fritz. „Ich bin SP-Mitglied, aber kein Funktionär“, stellt er klar. Ihm gehe es in erster Linie um seine Leute.

Zumindest gelang dem SPÖ-Vorsitzenden in der Vorwoche ein kleiner Punkteerfolg. Donnerstagmittag forderte er den Verkauf der Bawag, den der ÖGB-Vorstand – nach einer diskreten Besprechung mit Kanzler und Finanzminister – am späten Abend beschloss. Gusenbauers Anregung wird den Spitzengewerkschaftern um Interimspräsident Rudolf Hundstorfer wohl kaum Befehl gewesen sein, aber zumindest dürften sie den SPÖ-Boss vorab von den Verkaufsplänen informiert haben.

Ihrer informellen Berichtspflicht gegenüber der SPÖ waren die Kollegen Gewerkschafter in der Causa nicht immer prompt nachgekommen. Während die roten ÖGB-Präsiden am 20. März, einem Montag, von Verzetnitsch über die verzockte Euro-Milliarde und die ÖGB-Garantie informiert worden waren, setzte man Gusenbauer & Co erst Mitte der Woche in Kenntnis. Der SPÖ-Chef reagierte dafür umso schneller. Bloß wenige Minuten nachdem die Agenturen Montag vergangener Woche den Rücktritt Verzetnitschs meldeten, setzte die SPÖ-Pressestelle Gusenbauers „Nachruf“ auf den Genossen ab. Verzetnitsch soll darob leicht irritiert gewesen sein.

Keine Solidarität. Seinen Rückzug hatte der ÖGB-Präsident – anders als von ihm dargestellt – keineswegs entscheidungsautonom in der Nacht von Sonntag auf Montag beschlossen. Im Verlauf des Wochenendes nach dem Platzen der Affäre hatten ihm die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften signalisiert, dass er im Falle einer Weigerung die Präsidiumssitzung kaum überleben werde. Kein führender Gewerkschafter trat auf, um Verzetnitsch öffentlich zu verteidigen, auch intern fehlten die Solidaritätsbezeugungen.

Klärende Gespräche zwischen Gusenbauer und Verzetnitsch gab es nicht. Der SPÖ-Chef soll sich eines Emissärs, Rudolf Nürnberger, bedient haben, um Verzetnitsch die Demission nahe zu legen. Der Metaller-Chef und Vorsitzende der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter ist der Mann mit dem stärksten Arm im ÖGB. Auch Hundstorfer – als Vorsitzender des Wiener Gemeinderats Verbindungsmann zu Michael Häupl – dürfte seinem Freund Verzetnitsch klar gemacht haben, dass es keine Rettung mehr gab.

Doch dem fintenreichen Präsidenten glückte im Abgang eine kleine Volte. Statt in der Präsidiumssitzung defensiv seinen Rücktritt anzubieten und annehmen zu lassen, erklärte er entschlossen, sich zurückzuziehen, und schlug Hundstorfer als interimistischen Präsidenten vor. Laut Regie hätte Nürnberger den ÖGB bis zur Wahl des neuen Präsidenten beim Gewerkschaftstag am 19. Juni führen sollen.
Zur unfreiwilligen Frühpensionierung Verzetnitschs hatte weniger die ÖGB-Garantie für die Bawag beigetragen. Diese klandestine Aktion am Präsidium vorbei sahen ihm seine Kollegen nach, zumal sie den Statuten des ÖGB entsprechen dürfte. Zum Verhängnis wurde Verzetnitsch die Personalpolitik nach dem vertuschten Bawag-beinahe-Crash im Jahr 2000. Kaum ein Spitzengewerkschafter konnte es fassen, dass das Fiasko für Generaldirektor Helmut Elsner und dessen Nachfolger Johann Zwettler nicht nur folgenlos blieb, sondern Elsner nach seiner Pensionierung noch einen lukrativen Job bei den Österreichischen Lotterien kassierte. Das Fazit eines ÖGB-Funktionärs: „Ein Nürnberger hätte das nicht geduldet.“

Mit offener Kritik an der Rolle des ÖGB wagt sich kein SPÖ-Vertreter hervor. Trotz der Bawag-Irritation ist die Partei von der Gewerkschaft abhängig. Rund die Hälfte der 40.000 landesweiten SPÖ-Funktionäre sind dem ÖGB zuzurechnen. In manchen Bezirken logieren der örtliche ÖGB-Vertreter und sein SPÖ-Kollege unter demselben Dach. Die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter, unumschränkte Herrscherin im ÖGB, leistet wertvolle Quersubventionen an die Partei. Und neben der Arbeiterkammer liefert vor allem die Gewerkschaft der SPÖ Experten für politische Ämter und Expertisen für konzeptuelle Knochenarbeit. Im Parlamentsklub der SPÖ sind im Gegenzug fast ein Drittel der Abgeordneten Gewerkschafter: Kapazunder wie ÖGB-Vizepräsidentin Renate Csörgits oder der leitende Sekretär Richard Leutner; einflussreiche Vertreter der Einzelgewerkschaften wie Metaller-Zentralsekretär Franz Riepl; Arbeitnehmervertreter aus Leitbetrieben wie der Zentralbetriebsrat der Voest, Dietmar Keck; lokale Funktionäre wie Erwin Spindelberger, Regionalgeschäftsführer der Gewerkschaft der Privatangestellten in der Steiermark. Fritz Verzetnitsch saß nicht nur im Nationalrat, sondern auch in Parteivorstand und Präsidium der SPÖ.

Rote Scharmützel. Die viel beschworenen „siamesischen Zwillinge“ SPÖ und ÖGB trugen inner- und außerhalb des Parlaments und der Parteigremien schon immer Zwistigkeiten aus. Auch zwischen SPÖ-Genossen und ÖGB-Kollegen gab und gibt es Interessenkonflikte. Schon Bruno Kreisky und Anton Benya lieferten einander Scharmützel. Und auch die jüngere Parteigeschichte der SPÖ wurde von den Gewerkschaftern mitbestimmt, nicht selten zum Leidwesen der roten Kanzler.

Ein Sündenfall mit weit reichenden Folgen – nicht nur für die SPÖ – war das Agieren der Gewerkschaft rund um die Proteste gegen den Bau des Kraftwerks Hainburg im Dezember 1984. Josef Hesoun, damals Boss der Gewerkschaft Bau-Holz und entschiedener Gegner der unbebauten Natur, hatte gedroht, mit kräftigen Bauarbeitern in der von Demonstranten besetzten Au nach dem Rechten zu sehen. Um ein Gemetzel zu verhindern, entschloss sich Innenminister Karl Blecha, die Polizei in die Au zu schicken. Die prügelte zwar auch, trug aber wenigstens Uniform.

Hainburg wurde zum Gründungsmythos der Grünen. Und es war der Auftakt für eine Phase der Abkühlung zwischen SPÖ und ÖGB. In der Zeit der großen Koalition von 1986 bis Ende 1999 kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Partei und Interessenvertretung. Die Regierung musste sparen, die Gewerkschaft wollte nicht mitziehen. „Für die SPÖ war die enge Bindung an den ÖGB in dieser Phase oft eine große Belastung“, resümiert der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer.

Im Vergleich zum ÖGB verabschiedete sich die SPÖ in den neunziger Jahren deutlich früher von der Illusion, die marode Stahlindustrie mit staatlichen Zugaben auf Dauer durchfüttern zu können. Der Widerstand der Gewerkschafter verzögerte die Privatisierung und vergiftete auch das Klima in der Koalition. Ein guter Teil der Animositäten, die zwischen ÖVP und SPÖ gegen Ende der gemeinsamen Regierungszeit herrschten, geht auf diese Jahre des zähen Ringens um jeden noch so winzigen Privatisierungsschritt zurück.

Klassenfeind. Welch unerbittlicher Gegner der ÖGB sein kann, musste SP-Finanzminister Ferdinand Lacina 1995 erfahren. Da die roten Gewerkschafter sein Sparpaket für unsozial hielten, organisierten sie eine Demonstration vor seinem Büro. In ÖGB-Publikationen wurde der Parteifreund attackiert wie einst der Klassenfeind. Der Minister habe „kein soziales Gewissen“, klagte der damalige Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten, Hans Sallmutter. Das reichte, Lacina trat zurück.

Dass es mit dem sozialen Gewissen der Arbeitnehmervertreter auch nicht immer zum Besten steht, bewiesen mehrere Gagenskandale im Dunstkreis von ÖGB und Arbeiterkammer. 1990 war etwa der steirische AK-Präsident Alois Rechberger wegen seiner Mehrfachbezüge unter Beschuss geraten, 1994 dann der steirische Kammeramtsdirektor Kurt Zacharias. Hauptnutznießer war Jörg Haider, der als Anti-Privilegien-Kämpfer in den Wahlkampf ziehen konnte. Die SPÖ verlor kräftig.

Es waren nicht die einzigen Fälle, in denen die Gier roter Gewerkschafter bei der SPÖ einen Kollateralschaden verursachte. Im Jahr 2001 musste Hans-Georg Dörfler als Chef der Postgewerkschaft zurücktreten, weil er sich und seinen Betriebsratskollegen eine saftige Gehaltserhöhung verschafft hatte. Seit Jahren immer wieder kritisiert wird die Penthouse-Wohnung von Ex-ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch in der Wiener Innenstadt, für die er einen auffallend günstigen Zins bezahlt.

Die Abfindungen für das Bawag-Management passen da ins Bild, findet Politologe Karlhofer. „Es gibt einen starken Kontrast zwischen dem, was Gewerkschafter in ihrer Alltagsrhetorik vertreten müssen, und dem, was sie selber tun. Für die kleinen Funktionäre bedeutet das einen ungeheuren Argumentationsnotstand.“

Aber auch die etwas größeren Funktionäre der SPÖ haben mitunter ihre liebe Not mit den Genossen aus der ÖGB-Zentrale in der Wiener Hohenstaufengasse. Recht beeindruckend war beispielsweise, was die Gewerkschaftsverhandler vor der Pensionsreform 1997 mit dem damaligen Bundeskanzler Viktor Klima anstellten. Klima, damals neu im Amt, hatte den Fehler begangen, bei einer Regierungsklausur in Rust launig über die Eckpfeiler der bevorstehenden Pensionsreform zu plaudern, ohne diese vorher mit dem ÖGB abgestimmt zu haben. Die Rache der Übergangenen war fürchterlich. Monatelang ließen Fritz Verzetnitsch und Kollegen den Kanzler an die Wand laufen, bis zuletzt war unklar, ob sie den Plänen zustimmen würden. Klima war so verzweifelt, dass er einmal mitten in der Nacht bei Vizekanzler Wolfgang Schüssel anrief und ihn um Unterstützung gegen die eigenen Genossen bat – was Schüssel anderntags genüsslich herumerzählte. Die Gewerkschafter stimmten schließlich doch noch zu. Allerdings fiel die Reform deutlich bescheidener aus als ursprünglich geplant.

Wutausbruch. Einen Monat nach der Einigung schrieb sich Hans Sallmutter, damals Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten, in einem Gastkommentar seine Wut über den SP-Kanzler von der Seele: „Es ist für mich zum Beispiel unvorstellbar, dass Kreisky im Fotostudio posiert hätte, um auf das Titelblatt eines Wochenmagazins zu kommen. Das soll vorerst keine Wertung sein, aber es macht die Dimensionen der Veränderung deutlich.“ Die Warnung für Viktor Klima war auch deutlich: Leg dich bloß nicht mit uns an!

Es wird sich wohl nie mehr klären lassen, ob Wolfgang Schüssel nach der Wahl 1999 ernsthaft um eine Fortführung der großen Koalition verhandelte oder von vornherein die FPÖ favorisierte. Fix ist nur, dass es ein Gewerkschafter war, der ihm einen Grund lieferte, die Verhandlungen platzen zu lassen. Metallerchef Nürnberger verweigerte im Jänner 2000 seine Unterschrift unter den Regierungspakt.

Der Weg in die Opposition war für SPÖ und Gewerkschaft gleichermaßen schwer. Doch der gemeinsame Machtverlust sorgte immerhin dafür, dass man sich wieder näher kam. Seit die SPÖ nicht mehr regiert und folglich auch keine Sparpakete mehr auf die Reise schicken muss, herrscht weitgehend Einigkeit über die Prioritäten. Der Politologe Emmerich Talos hält die Harmonie für trügerisch. „Sobald die SPÖ wieder in der Regierung sitzt, wird es Konflikte geben. Partei und Gewerkschaft müssen dringend ihr Verhältnis zueinander klären.“

Sein Verhältnis zur Kreditwirtschaft klärte der ÖGB mit der Ankündigung, die Bawag zu verkaufen, vergangene Woche. Die Aufräumungsarbeiten sind damit allerdings noch nicht abgeschlossen. Bis zum außerordentlichen Gewerkschaftstag im Juni soll auch die neue Struktur des ÖGB stehen. Ein neuer Finanzchef wurde nach dem Rücktritt von Günter Weninger mit dem Metaller Erich Foglar bereits gefunden. Auch auf den neuen ÖGB-Präsidenten will man sich möglichst bald einigen. Als Favoriten gelten Hundstorfer, Eisenbahner-Boss Wilhelm Haberzettl und – wohl als Außenseiter – Wolfgang Katzian. Der Chef der Privatangestellten-Gewerkschaft übernahm in der Vorwoche das Nationalratsmandat von Fritz Verzetnitsch.

Der langjährige Gewerkschaftspräsident verzichtete auf eine Abschiedsrede im Parlament. Er wolle sich, so Verzetnitsch, nach seinem Rücktritt nicht mehr öffentlich zu Wort zu melden. Gewerkschafter werde er bleiben – ein einfaches ÖGB-Mitglied gewissermaßen. Den Maria-Theresien-Orden hätte der gelernte Installateur Verzetnitsch wohl abgelehnt – aus Gewerkschafterstolz: Denn mit der Verleihung wurde dessen Inhaber in den Ritter- oder Freiherrnstand erhoben.

Von Gernot Bauer und Rosemarie Schwaiger