Kate-Crasher

Royal Wedding: William und Kate

Royal Wedding. Wie die Prinzenhochzeit das britische Klassensystem erschüttert

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Ach, was sind denn diese jungen Leutchen nicht normal! Sie wollen es auf der After-Wedding-Party mit Abba, Culture Club und Duran Duran auf den Plattentellern krachen lassen. Schließlich ist „diese Sache“ davor, wie Prinz William das Trauungsspektakel am 29. April in der Westminster Abbey bezeichnet, alles andere als ein Vergnügen. Und in ihrem walisischen, weiß getünchten Fünf-Zimmer-Farmhaus, unweit von Williams derzeitiger Wirkungsstätte als Militärhubschrauber-Pilot, werden auch keine Diener zigmal am Tag „Anything else?“ zu fragen haben. Denn „Catherine“ – der Vorname wurde jetzt von dem doch sehr gewöhnlichen „Kate“ auf mehr Würde und Aura gepimpt – und William wollen Privatsphäre statt Personal.

Angesichts eines Bräutigamvaters, dessen Kammerdiener allabendlich die Zahnpasta in der richtigen Dosierung auf die prinzliche Bürste zu quetschen hat und bei Bedarf von Urinproben sogar das Fläschchen beim Wasserlassen unter die Königliche Hoheit halten muss, mutet der Wunsch nach einem solchen Do-it-yourself-Alltag als nahezu rebellischer Akt an.

Nur:
Die Sehnsucht nach protokollfreier Normalität ­erscheint im Wertesystem des Windsor-Clans nahezu als höchste Form von Exzentrik. Was in einer Familie durchaus nachvollziehbar ist, in der männliche Mitglieder als Tampon wiedergeboren werden möchten, Pflanzen ihre Sorgen anvertrauen oder bis ins Erwachsenenalter ihren Teddybären mit ins Bett nehmen, wie der Prince of Wales. Oder die Weltmeisterschaft in rassistischen Witzen anstreben, wie Prinzgemahl Philip, der nahezu im xenophoben Fettnäpfchen wohnt und bei einer offiziellen Fabriksbesichtigung vor nicht allzu langer Zeit angesichts einer schief montierten Steckdose folgenden Satz entlud: „Die hat sicher einer von diesen Indern montiert.“ Oder auch nur im Nazi-Kostüm mit Hakenkreuz-Binden, beschwingt von diversen lustigen Substanzen, auf eine Faschingsparty donnern, wie Prinz Harry.

In diesem Typen-Tohuwabohu wirkt der 28-jährige Prinz William mit seiner Lernschwäche, der IQ-Überschaubarkeit und den Geheimratsecken wie der kreuzbrave Junge von nebenan. Und dennoch hat dieser liebenswerte Langeweiler mit der Wahl seiner zukünftigen Frau einen revolutionären Akt gesetzt. Erstmals seit 1659, dem Jahr der heimlichen Trauung des zukünftigen Königs James II. mit der Ministerstochter Anne Hyde, geht der direkte Thronfolger des Inselreichs eine Liaison mit dem Bürgertum ein.

Was in den europäischen „Fahrradmonarchien“ wie Schweden, Norwegen und Dänemark inzwischen längst keine spitzen Schreie des Entsetzens mehr hervorruft und auch im weitaus konservativeren Spanien keinen höfischen Diskussionsstoff mehr bietet, ist in Großbritannien noch immer eine echte Mutprobe. Zwar gab es innerhalb des Windsor-Clans bereits Ausrutscher ins bürgerliche Lager, wie bei Prinzessin Margret mit ihrem späteren Lord Snowdon, Elizabeths Zweitgeborener Anne und ihrem jüngsten Sohn Edward, einem heute belächelten Loser in der Filmbranche, doch in so richtig gefährliche Thronnähe waren „Commoners“, also Gewöhnliche, bis dato noch nie gekommen.

Denn das britische Klassensystem gilt als das härteste und brutalste Europas; die soziale Durchlässigkeit der in Großbritannien ansässigen Aristokratie erweist sich bis heute als so steif wie die Oberlippe der Königin, wenn sie angesichts von Verstößen gegen die Etikette „not amused“ ist. „Soziale Mobilität stagniert in Großbritannien seit Jahrhunderten“, kommentiert der britische Universitätsprofessor für Soziologie Will Atkinson die gesellschaftliche Sperrigkeit seiner Heimat. „Üblicherweise ,erbt‘ man die Schicht seiner Eltern. Was Kate Middleton schaffte, ist eigentlich bei uns ansonsten nahezu unmöglich.“

Eigentlich verkörpert die bald 29-jährige Kate Middleton alles, was die britische Hocharistokratie seit Jahrhunderten mit Genuss und aus tiefster Seele verachtet: Sie ist eine Bilderbuch-Parvenue. Ihre Vorfahren waren Handwerker und Kohlenminenarbeiter, die Großmutter mütterlicherseits, Dorothy Goldsmith, genoss bereits einen Ruf als hyperehrgeizige „soziale Kletterin“, sie hatte es geschafft, sich aus der Unterschicht in die obere Mittelschicht hinaufzuheiraten. Kates Mutter Carole ging die Sache wieder von einem Stockwerk tiefer aus an. Sie diente jahrelang als „BA-Luftmatratze“, wie das ein Boulevardblatt gewohnt elegant beschrieb, korrekter als British-Airways-Stewardess, die ihren damaligen Kollegen, den späteren Piloten Michael Middleton, rund um einen ­Duty-free-Trolley zum ersten Mal küsste.

Später kam noch Reichtum in Form von neuem Geld hinzu, was in der dünnen Luft der blaublütigen Elite beinahe den höchsten Ekelfaktor zur Folge hat. Zu allem Überfluss generierten die Middletons ihre Millionen auch noch in einer äußerst unwürdigen Branche: Kinderpartybedarf. Mit dem Erlös aus Papphütchen und Luftballons wurde der Nachwuchs – nach Kate kam die heute als „It-Girl“ punzierte Pippa, danach Bruder James, inzwischen Universitätsabbrecher und Kuchen-Vertreiber – auf die kostenintensivsten Colleges und Universitäten geschickt. Weniger die Bildung stand für die ­elitebesessenen Eltern bei diesem Investment im Vordergrund als die Tatsache, dass diese Institutionen als die besten Angelplätze für feinstes „marriage material“ gelten. Bei Kate machten sich die 40.000 Euro, welche die schottische St. Andrew’s University an jährlichen Gebühren kostet, mehr als bezahlt. Denn dort lief ihr 2001 ihr Kunstgeschichte-Kommilitone William Wales ins Fadenkreuz – man lernte gemeinsam, schupfte abends Palatschinken, und als Kate Middleton mit ihren Rennpferdbeinen und der dichten Mähne in einem transparenten Kleid bei einer Charity-Schulveranstaltung über den Catwalk stakste, setzte auch bei dem scheuen Wales endlich die notwendige hormonelle Verwirrtheit ein.
Dass die Queen, die ihren Corgis stets mehr Wärme und Zuwendung entgegenbrachte als ihren eigenen Kindern und Kindeskindern, jetzt zu einem „Hermelinfloh“ (so der Terminus für aristosüchtige Mittelständler), der schon in gelben Hotpants auf Rollschuhen durch Discos wirbelte, gute Miene machen muss, verlangt der Ende April 85-Jährigen einiges an Elastizität ab. Während Diana ihren zukünftigen Gemahl bis zur Verlobung mit „Sir“ anreden musste, wird diese Tradition nun gelockert. Allerdings ist noch nicht klar, wie die Gate-Crasherin der Windsors nach der Hochzeit anzureden sein wird. Aller Voraussicht nach als „Royal Highness Princess William“, denn „Princess Catherine“ verbietet die Etikette ob ihrer allzu gewöhnlichen Herkunft. Noch zerbricht sich die Sittenpolizei des Palasts die Köpfe, ob Camilla vor der Frau ihres Stiefsohns in den Hofknicks zu gleiten hat oder die ­Sache eher umgekehrt angelegt werden sollte.

Im Paralleluniversum von Elizabeth II. scheint es auch durchaus vertretbar, dass sie die Schwiegereltern ihres Enkels erst beim Hochzeitsbankett im Buckingham Palace erstmals zu Gesicht bekommen wird. „Die Queen sieht keine Notwendigkeit, die Herrschaften eher kennen zu lernen“, lautete die offizielle Begründung des Palasts, in der jahrhundertelang einstudierte Verachtung und Arroganz mitschwingen. Möge der Himmel vorsehen, dass Carole Middleton diesmal ihren Kaugummi zu Hause lässt, den sie so ausführlich bei der militärischen Angelobung ihres zukünftigen Schwiegersohns zwischen den Kieferladen zermalmte. Und bitte, auch ganz wichtig: nicht „Pleased to meet you“ als Konversationseisbrecher bei der Queen zum Einsatz bringen, sondern ein devot-schlichtes „How do you do?“ – „Kate ist die letzte Chance dieser Monarchie, noch einmal Popularität zu erlangen“, analysiert das US-Magazin „Newsweek“. „Eine Scheidung könnte auch das Ende der Windsors bedeuten.“

Im Gegensatz zu der unberechenbaren, psychisch äußerst labilen Diana ist Kate Middleton weitaus geerdeter und pragmatischer. Sie birgt keinen Risikofaktor, was Selbstverletzungen, Essstörungen, Medienspiele und Reitlehrer-Affären betrifft. Sie scheint also vor emotionaler Inkontinenz mehr als gewappnet und hielt auch während ihrer Trennung von William medial die Klappe. Das schätzte der von den Ehequerelen seiner Eltern schwer traumatisierte William, der seiner Mutter jenes BBC-Interview nie verzeihen konnte, in dem sie mit dem Blick eines waidwunden Rehs das „Establishment“ und seinen Vater vor einem Millionenpublikum bloßgestellt hatte. Kate, pardon, Catherine besitzt auch dankenswerter­weise keinerlei Selbstverwirklichungsflausen; schon in der Zeit vor ihrer Verlobung hängte die emanzipationsresistente Middle­ton ihren Job als Accessoire-Einkäuferin bei der Textilkette Jigsaw an den Nagel, um sich „ganz auf die Beziehung mit Willie“ zu konzentrieren. Als notorische „Show-Stehlerin“ wie Diana wird sich die ehrgeizige „Princess William“ mit Sicherheit nicht inszenieren, bloß nicht den gesellschaftlichen Lotto­siebener in Form von William aus dem seelischen Lot bringen! Unter diesen monarchiefestigenden Aspekten betrachtet, wird der zukünftigen Königin von England auch das „Establishment“ den Schweißgeruch jener Sportart nachsehen, in der sie es zur Vollendung gebracht hat: soziales Klettern.