„Ich will nicht Gott spielen“

Russell Coutts, weltbester Segler, über den America’s Cup und gefährliche Bergtouren

Interview. Russell Coutts, weltbester Segler, über seine vier Siege beim America’s Cup, gefährliche Bergtou­ren und die T

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Interview: Christian Rainer

profil: Um den Nichtseglern unter unseren Lesern den Mund wässerig zu machen: Wie wehren Sie sich, wenn ich Sie den besten Segler unserer Zeit nenne?
Coutts: Dann sage ich natürlich, so kann man das nicht auf den Punkt bringen.

profil: Und wie wäre es mit: einer der besten drei Segler der Welt? Zum Beispiel neben James Spithill, der hier am Traunsee auf dem anderen BMW-Oracle-Boot fährt, und neben Paul Cayard, der dem russischen Team unter den Großbaum greift.
Coutts: Schwer zu sagen. Ich habe mich in so vielen Kategorien versucht.

profil: Sehr bescheiden. Sie waren mit 19 Weltmeister im Finn-Dinghy, hatten mit 22 Ihre erste Olympia-Goldmedaille, und vor wenigen Monaten gewannen Sie zum vierten Mal den America’s Cup, die Formel 1 des Segelns.
Coutts: Ja. Aber im Offshore-Racing zum Beispiel habe ich weniger Erfahrung.

profil: Was ist der Unterschied zwischen diesem See hier und dem Meer?
Coutts: Vor allem der Wind, der auf einem See viel schneller wechseln kann. Der See erfordert schnellere und vehementere Manöver als das Meer.

profil: Unerwartbares Wetter, wie der Viechtauer Wind, der den Traunsee innerhalb ­weniger Minuten zu einem Orkangraben machen kann?
Coutts: Nein. Die Konditionen sind dennoch vorhersehbar.

profil: Und abgesehen vom Wind – Wasser ist Wasser?
Coutts: Wir Segler kommen hierher, weil es eine unglaublich schöne Gegend ist. Das ist ja das Tolle an diesem Sport, dass man ihn in vollkommen unterschiedlichen Umgebungen ausüben kann.

profil: Österreich wird regelmäßig mit Australien verwechselt, die Natur kommt Ihrer Heimat Neuseeland aber viel näher.
Coutts: Abgesehen von dieser Kirche da drüben, die so alt ist wie die ganze neuseeländische Geschichte, könnten dieser See und diese Berge auch in meiner Heimat liegen. Und so wie dort kann man hier am selben Tag Ski fahren und schwimmen gehen.

profil: Wenn Sie an Österreich denken, was kommt Ihnen da erst in den Sinn – der Segelmacher Hubert Raudaschl, Mozart, Hitler?
Coutts: Von allem ein bisschen. Aber Sie haben die Skifahrer vergessen, an die denkt ein Sportler wie ich natürlich sogleich.

profil: Im Jahr 2007 sagten Sie, Europa hätte sich als wichtigstes Segelrevier etabliert. Angesichts der berühmten amerikanischen Yacht Clubs nimmt das ein wenig wunder. Warum?
Coutts: In Europa passiert einfach am meisten. Es gibt unglaublich innovative Menschen. Allerdings sollte man Australien und Neuseeland nicht vergessen.

profil: Sie haben den America’s Cup für den amerikanischen Multimilliardär Larry Ellison gewonnen. Auch am Traunsee segeln Sie mit und für den Oracle-Eigentümer. Er gilt als extrem schwieriger Charakter. Haben Sie jemals ein schlechtes Wort über ihn gesagt? Manche Leute haben.
Coutts: Habe ich nicht. Ich habe vielmehr eine großartige Beziehung zu ihm. Er ist offen für Diskussionen, und man bekommt gerade Antworten von ihm. Larry ist unglaublich intelligent. So konnte er sein Firmenimperium aufbauen. Ich habe sehr viel von ihm gelernt.

profil: Man kann mit ihm wirklich diskutieren?
Coutts: Typischerweise wird es spannender, wenn er meint, dass etwas keine gute Idee ist, als wenn er zustimmt. Er hört noch, selbst wenn man am Telefon zehn Dinge aufzählt. Und wenn man glaubt, er habe längst aufgelegt, dann fängt er an zu analysieren, macht ein Zukunftsbild. Und er hat meistens Recht. Er denkt nach, kann das ­Risiko einschätzen und entscheidet.

profil: Wie ist es möglich, dass ein Amateur wie Ellison ein Match Race gegen jemanden wie James Spithill, einen der weltbesten Segler, gewinnt? Das ist so, als würden Sie beim Golf eine Runde gegen Tiger Woods gewinnen – ohne ihn dabei von einer großen Blonden ablenken zu lassen.
Coutts: Er schart gute Leute um sich und ist definitiv ein guter Segler. An einem guten Tag kann er vorne sein.

profil: Klingt so, als wäre er ein einfacherer Charakter als Ernesto Bertarelli, für dessen Schweizer Alinghi-Team Sie 2003 den America’s Cup gewannen, den Sie später aber meist vor Gericht gesehen haben?
Coutts: Ich werde jetzt nicht Bertarelli kritisieren. Lassen wir es dabei: Ich habe viel von Larry gelernt.

profil: „Mutual consent“, also wechselseitige Übereinstimmung, steht in der Gründungsurkunde des America’s Cup und gilt auch als Ihre Arbeitsphilosophie. Wie in aller Welt geht sich das mit solchen Alpha­tieren wie Ellison und Bertarelli aus?
Coutts: Wenn Sie in die Geschichte schauen, dann ist die Philosophie richtig. Menschen sollten nicht Gott spielen und den anderen die Welt erklären. Menschen sollten zuhören und diskutieren, um richtige Antworten zu finden. Das heißt nicht, man müsse stets Konsens um jeden Preis finden. Zum richtigen Zeitpunkt braucht es Führungskraft.

profil: Larry Ellison in einem Satz: die Fähigkeit zuzuhören und dann zu entscheiden?
Coutts: Ich kann das nur für mich beantworten. Ich versammle fantastische Leute um mich. Ich will, dass sie ihre Ideen frei äußern. So hat jeder seinen Anteil am Erfolg.

profil: Herr Bertarelli hat sogar die Übergabezeremonie des America’s Cup an den San Francisco Golden Gate Yacht Club, also an Ellison geschwänzt. Gibt es irgendein Sport­event mit so viel männlichem Ego wie den America’s Cup?
Coutts: Was für eine Suggestivfrage! Ehrlich: Ich will lieber über die Zukunft sprechen als über die Dinge, die rund um den letzten America’s Cup geschehen sind. Wir werden aus den Fehlern lernen. Andererseits: Sind Herausforderung und Auseinandersetzung nicht die Dinge, die das Leben spannend machen? Vor einigen Tagen sah ich in England ein Fußballmatch, weil uns der Vulkan dort festgenagelt hatte. Es war grandios. Nur Sport kann eine derartige Leidenschaft erzeugen. Oder denken Sie an John McEnroe …

profil: … und die vielen Rackets, die er wütend zerschlagen hat.
Coutts: Will jeder gewinnen? Klar. Will ich gewinnen? Ja. Da ist nichts Schlechtes dran.

profil: Sie sind nach James Bond der zweite „Commander of the British Empire“, den die Österreicher kennen lernen, eine Auszeichnung, die Ihnen von Ihrer Queen verliehen wurde. Wie fühlt es sich da an, als Söldner zu dienen? Sie haben den America’s Cup zweimal für Neuseeland, aber dann für die Schweiz und die USA geholt.
Coutts: Zu den großartigen Eigenschaften des Sports gehört es, dass Menschen es lieben, zu einem Team oder einem Land zu gehören. Solange der Nationalismus nicht außer Kontrolle gerät, ist nichts Böses daran. Ich persönlich habe in so vielen Ländern gelebt und Verbindungen zu so vielen Menschen aufgebaut, dass die Welt für mich sehr klein wurde.

profil: Sie meinen, es gibt verschiedenste Gründe, gewinnen zu wollen?
Coutts: Absolut. Man kann für ein Land gewinnen oder einfach als ein Sportler. Für mich war das nie ein Widerspruch. Hier treffe ich Neuseeländer und in Neuseeland ­Österreicher.

profil: Sie haben erklärt, der vergangene, der 33. America’s Cup würde zu 95 Prozent von Ingenieursleistung entschieden. Ist das ein Zeichen des Alters, dass Sie sich als Supersportler damit abfinden?
Coutts: Autsch! Persönlich denke ich, das Verhältnis sollte eher 50 zu 50 sein. Allerdings ist es bei diesem Segeln – nicht anders als in der Formel 1 – so, dass die Segler mit ihren Erfahrungen die Technologie entscheidend beeinflussen und verändern.

profil: In dieser Regatta traten zwei Kampfmaschinen in Form von Mehrrumpfbooten gegeneinander an, ganz anders als in der Vergangenheit und anders als Ihre RC44-Rennserie. Sie waren damit nicht sehr glücklich?
Coutts: Man sollte überlegen, was gut für den Sport ist. Ich will bei diesen Entscheidungen nicht Gott spielen.

profil: Aber Sie haben einen enormen Einfluss darauf, ob es in Zukunft wieder Ein- oder Mehrrumpfboote sind.
Coutts: Es gibt sehr viele Leute, die meinen, der America’s Cup sollte in den schnellstmöglichen Booten gesegelt werden. Das sind sicherlich nicht Einrumpfboote. Und die Segler konventioneller Boote haben gemerkt, dass auch auf Katamaranen und Trimaranen definitiv richtig gesegelt wird. Umgekehrt nähern sich Einrumpfboote in ihrer Performance immer mehr den Mehrrumpfbooten an. Die entscheidende Frage ist, womit beim America’s Cup in 50 Jahren gesegelt wird und ob wir uns schon heute dorthin bewegen.

profil: Womit also?
Coutts: Ich habe keinen Zweifel, dass es Mehrrumpfboote sein werden. Und hätte ich diese Boote früher in meiner Karriere kennen gelernt, dann hätte ich früher gewechselt. Man fährt spektakuläre Geschwindigkeiten, und die taktischen Entscheidungen müssen noch viel präziser sitzen, weil sie nicht leicht zu korrigieren sind. Ich will aber nicht sagen, dass ich gut dabei bin.

profil: Genau – Sie haben bloß eben den America’s Cup auf einem Trimaran gewonnen. Mehrrumpfboote sind also geil, dennoch wurde der Tornado aus den olympischen Klassen eliminiert.
Coutts: Eine absurde Entscheidung.

profil: Segeln kann ganz schön gefährlich werden, auf Mehrrumpf-Racern erst recht. Was war die gefährlichste Situation Ihres Lebens?
Coutts: Ich begebe mich nicht gerne in Lebensgefahr. Sie als Österreicher werden lachen: Die subjektiv gefährlichste Situation war für mich eine Bergtour in der Schweiz vor ein paar Jahren. Eine einfache Querung – aber ich hätte einen Haufen Geld bezahlt, wenn mich jemand im Helikopter abgeholt hätte.

profil: Dann sollten wir doch im kommenden Jahr den Traunstein da drüben angehen?
Coutts: Nun ja …

profil: In der RC44-Rennserie ist ein einziges Amateur-Team dabei, Leute, die nicht mit dem Segeln Geld verdienen, sondern Geld verdienen müssen, um segeln zu können: das österreichische AEZ Sailing Team. Eine Kuriosität für Sie oder Mitbewerber wie alle anderen auch?
Coutts: Fantastische Segler. Wunderbare Einstellung zum Sport. Sie können jeden besiegen.

profil: Wir beide sind exakt gleich alt. Oder jedenfalls fast, Sie sind 67 Tage jünger. Mit etwas Glück bleiben uns da noch 35 oder 40 Jahre. Wohin wollen Sie von hier noch gehen – und ich meine nicht die Bar des Union Yacht Clubs Gmunden?
Coutts: Es gibt noch so viele gute Dinge zu tun. Alle werden wir nicht tun können, aber wir sollten es versuchen.

profil: Glauben Sie an Gott?
Coutts: Ich bin mit dieser Seite der Dinge nicht übermäßig stark verbunden.

profil: Gibt es da oben Boote?
Coutts: Wer weiß. Aber hoffentlich.