Russisches Roulette

Russisches Roulette

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Die österreichische Bundesethikkommission befürwortet seit kurzem eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in bestimmten Fällen. Das halte ich für einen begrüßenswerten ersten Schritt. Allerdings sollte meiner Meinung nach nicht nur untersucht werden, ob der einzupflanzende Embryo Schäden aufweist, die den Tod im Mutterleib oder kurz nach der Entbindung zur Folge hätten, sondern auch, ob andere schwerste Schädigungen vorliegen, die einem künftigen Kind mit ziemlicher Sicherheit arge gesundheitliche Defizite bescheren würden.

Denn sosehr ich dafür bin, dass alles getan wird, um behinderte Menschen zu integrieren und ihnen zu einem selbstbestimmten Leben zu verhelfen, so wenig glaube ich, dass wir nicht unterscheiden dürfen zwischen einem fertigen Menschen und einem achtzelligen Embryo in einem Reagenzglas.

Die Präimplantationsdiagnostik steht ja nur zur Debatte bei künstlicher Befruchtung. Es erscheint mir mehr als widersprüchlich, die Methode der In-vitro-Fertilisation (IVF) anzuwenden – also das naturgegebene Schicksal der Unfuchtbarkeit mithilfe der Wissenschaft zu korrigieren –, dann aber, bei der Einpflanzung der Embryonen, auf quasi russischem Roulette zu bestehen: Augen zu und das Schicksal entscheiden lassen. Worin liegt da die Moral?

Eltern wollten, heißt es, heutzutage das perfekte Kind, und das sei anmaßend. Wollen Eltern wirklich perfekte Kinder?

Kommt drauf an, wie wir perfekt definieren. Ist es der Wunsch nach dem Designerspross, der uns treibt, Kindern Zahnspangen verpassen und Fehlstellungen der Augen operieren zu lassen, oder steckt dahinter das verständliche Bemühen, den Kindern Beschwerden zu ersparen?

Ja, wir wollen Leid und Belastungen von unseren Kindern (und damit auch von uns, zugegeben) tunlichst fern halten, nicht aus Verachtung körperlichen Einschränkungen gegenüber, sondern aus dem Wunsch, dass es die Kinder so gut wie möglich haben sollen. Ist das verwerflich?

Kinder werden nie perfekt sein. Kinder haben Probleme, machen Probleme, werden krank, begeben sich in Gefahr – das ist aufregend genug. Wir vermögen ihnen weder die perfekte Gesundheit noch das perfekte Glück zu verschaffen, aber wir tun halt, was wir können, damit es ihnen nicht allzu schlecht geht. Und wir können immer mehr. Das ist nicht von vornherein von Übel. Unterm Strich bleiben sowieso noch reichlich Risiko und Kummer, auch wenn wir alle verfügbaren Instrumente einsetzen, um abwendbares Leid abzuwenden.

Ich verstehe, dass Behinderte Angst haben vor einem Klima der Diskriminierung und Ausgrenzung. Dass die Anwendung der Präimplantationsdiagnostik dieses Klima erzeugen oder fördern muss, ist jedoch nicht gesagt. Solange wir auf dem Unterschied bestehen zwischen dem Einsetzen oder Nicht-Einsetzen einer befruchteten Eizelle in eine Gebärmutter und einer Selektion unserer Mitmenschen (und das sollte möglich sein!), so lange wird die PID nicht mehr sein als ein logischer Schritt innerhalb des IVF-Verfahrens.

In dem Versuch, Behinderungen pränatal zu erfassen (mit der möglichen Konsequenz, eine Schwangerschaft gar nicht erst zu initiieren oder abzubrechen), stecke bereits eine Diskriminierung behinderter Menschen, wird oft argumentiert. Ich teile diese Auffassung nicht. Behinderung darf kein Unwert sein, gewiss, aber ist sie deshalb ein Wert? Zu behaupten, dass schwere Einschränkungen wie beispielsweise die Spina bifida – eine Wirbelsäulendeformation, bei der das Rückenmark offen liegt und die durch den Fruchtwassertest diagnostiziert werden kann – die Lebensqualität nicht beeinträchtigen, wäre einfach schlicht unrealistisch.
Mit der Ungerechtigkeit des Schicksals ist nicht leicht umzugehen, und deshalb neigen wir alle dazu, uns unser Leben schönzureden. Beharrlich glauben wir an eine ausgleichende Gerechtigkeit und daran, dass die anscheinend Privilegierten schon auch ihr Binkerl zu tragen haben werden, irgendwie.

Schön, aber einsam. Reich, aber unzufrieden. Berühmt, aber unglücklich. Das sind Gegensatzpaare, die wir nicht ungern für unumgänglich halten. Und wenn auch wenig dafür spricht, dass die Reichen, Schönen und Berühmten deswegen einsam und unzufrieden sind, so bleiben wir doch bei der Vermutung, dass sie bestimmt nie so glücklich waren wie wir in diesem oder jenem Moment unseres weniger glamourösen, aber dennoch äußerst lebenswerten Lebens.

Diese Haltung ist nur vernünftig. Genieße, was du hast. Mach das Beste draus. Ewig mit dem Schicksal herumzuhadern bringt nichts, höchstens miese Laune.
Deswegen ist es mehr als verständlich, wenn behinderte Mitmenschen nicht auf ihre Behinderung hingewiesen und über ihre angeblichen Defizite definiert werden wollen, sondern darauf bestehen, ein ganz normales Leben zu führen, mal vergnügt, mal missvergnügt, wie das der meisten anderen auch.

Trotzdem: Manche Schicksale sind schwerer als die meisten. Man kann sie bewältigen, aber dass sie – den Betroffenen und ihrer Umgebung – weit mehr Kraft und Kompensationsgeschick abverlangen, als Menschen für gewöhnlich abverlangt wird, ist nicht zu leugnen.

Solche Einbußen an Lebensqualität muss man in Kauf nehmen, wenn sie einen ereilen. Aber ist es wirklich verwerflich, wenn sie künftigen Generationen nicht von vornherein mitgegeben werden?