A Zar is born: Die Bilanz der Ära Putin

Russland: A Zar is born

Putin beehrt und verstört diese Woche Österreich

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Kleptomanen unter sich


Innenpolitik


Gelenkte Medien, unterdrückte Opposition: Unter Putin wurde die Demokratie wieder abgeschafft.

Als der ehemalige FSB-Offizier Wladimir Putin vor sieben Jahren sein Amt antrat, waren viele Beobachter der Meinung, er werde der Demokratie in Russland guttun. „Sein Aufenthalt in Deutschland hat ihn geprägt“, meinte etwa der Politologe Georgi Satarow damals gegenüber profil.

Heute ist Satarow davon überzeugt, dass Putin die Demokratie verraten hat: „Zuerst dachte er, die Demokratie führe sich mit liberalen Wirtschaftsreformen quasi von selbst ein. Auf Putin, der noch vom Sowjet-KGB geprägt wurde, wirkten die Jelzin-Jahre außerdem nicht wie wilde Freiheit, sondern wie bedrohliches Chaos.“ Als er erkannte, dass es keine einfachen Lösungen gibt, habe sich der Kreml-Herr mit seinen Gehilfen zu einem radikalen Schritt entschlossen: „Sie dachten, sie wüssten, wo es langgeht, und wollten sich bei der Umsetzung nicht stören lassen“, meint Satarow. „So wurde die Demokratie in Russland wieder abgeschafft.“

Zuerst brachte der Kreml die Massenmedien unter Kontrolle. Der private Fernsehkanal NTW wurde bereits 2001 vom staatlichen Energiemonopolisten Gazprom über- und damit an die Kandare genommen, die staatseigenen Kanäle wurden ebenfalls auf Linie gebracht. Dann kamen die nationalen Tageszeitungen an die Reihe. Die „Iswestija“ etwa ging 2005 an Gazprom, nachdem die Chefredaktion „provokative“ Fotos vom blutigen Schulgeiseldrama in Beslan gedruckt hatte.

„Das gleichgeschaltete Fernsehen ist für den Realitätsverlust des Volkes verantwortlich“, kritisiert Ludmila Resnanskaja von der Journalismus-Fakultät der Moskauer Universität. Sie weist aber auch darauf hin, dass es immer noch kritische Medien gibt: „Nowaja Gaseta“ oder die lokale Radiostation „Echo Moskaus“. Auch intellektuell anspruchsvolle Neuerscheinungen wie „The New Times“ tanzen aus der Reihe. „Wer will, kann sich informieren“, so Resnanskaja. Ein Großteil des Volkes aber lässt sich lieber vom Staatsfernsehen einlullen als von der bitteren Kritik ohnmächtiger Oppositionsmedien deprimieren.

In diesem Frühling unterzeichnete Putin auch ein Gesetz, das die Kontrolle über Internet und Digitalfernsehen erleichtern soll. Der jüngste Anschlag auf die Medienfreiheit: Die Büros der internationalen Stiftung „Internews Russia“, die seit 1997 15.000 Journalisten in Russland trainierte, wurden durchsucht und zugesperrt.

Mit der verstummenden Medienkritik ließ sich auch die unabhängige Justiz leichter aushebeln. Die entscheidende Zäsur bildete die Verhaftung von Michail Chodorkowski im Herbst 2003. Der Chef des Ölkonzerns Yukos hatte politische Ambitionen. Er sitzt derzeit eine achtjährige Lagerhaft an der Grenze zu China ab – und die Staatsanwaltschaft bastelt bereits an einem neuen Verfahren gegen ihn. Wer dem Regime nicht gefällt, wird vor Gericht gezerrt. Morde an Regimekritikern wie der Journalistin Anna Politkowskaja dagegen werden selten aufgeklärt. Und vor dem EU-Russland-Gipfel am Wochenende verhinderte die Staatsmacht die Anreise von Kritikern wie dem Liberalen Garri Kasparow.

Parallel zu Medien und Gerichten entseelte der Kreml auch die Staatsduma, das Parlament. Die Reform der Wahlgesetze zielte auf die „Vereinfachung“ des politischen Systems ab: Gouverneure in den Regionen werden von Putin direkt ernannt und nicht mehr gewählt. Unliebsame Parteien fliegen oft aus vorgeblich technischen Gründen aus dem Wahlregister. Zuletzt traf es die liberale Kleinpartei Jabloko, die im Februar nicht an den Regionalwahlen in St. Petersburg teilnehmen durfte.

Seit den Wahlen 2003 besitzt die kremlnahe Partei „Geeintes Russland“ mit 307 von 450 Sitzen eine bequeme Zweidrittelmehrheit in der Duma. Damit bei den Parlamentswahlen im kommenden Dezember absolut nichts schiefgehen kann, schuf der Kreml eine neue Partei, das „Gerechte Russland“, dessen Chef Sergej Mironow gleich eine Kampagne für eine Verfassungsänderung startete, die Putin eine dritte Amtszeit erlauben soll. Das „Gerechte Russland“ soll den Kommunisten Stimmen abjagen.

Und wozu all die Mühe, wenn Putin in knapp einem Jahr aus dem Kreml ausscheidet? Politologe Satarow lächelt sanft. Nachdem die Demokratie abgeschafft worden sei, habe Putin festgestellt, dass der Aufbau der liberalen Marktwirtschaft nur schleppend voranging. Eines aber klappte hervorragend: „Putin und seine Mitarbeiter eigneten sich die in den Jelzin-Jahren privatisierten Staatsschätze an.“ Diese immensen Reichtümer gilt es nun über die Wahlen 2008 hinaus zu verteidigen.

Reich und Schön


Sozialpolitik


Die Elite im Konsumrausch, die breite Masse am Rand der Armut: Unter Putin boomt die Wirtschaft – aber nicht für alle.

Im Zentrum Moskaus riecht es nach frischen Baguettes. Himbeerrote Makronen und schokobraune Eclaires präsentieren sich appetitlich in den blitzsauberen Vitrinen der französischen Bäckerei „Volkonsky“. Die Preise sind stolz, der Laden ist dennoch immer voll. Vor dem kleinen Eckgeschäft stauen sich schwarze Limousinen.

Längst sind es nicht mehr nur kleine Oasen, in denen es sich die superreichen Russen gutgehen lassen. In Moskau sprießen Einkaufszentren, Luxusboutiquen und Edelrestaurants in schier unfassbarer Geschwindigkeit aus dem Boden. Vorbei die Tristesse des Sowjetkommunismus. Wer es sich leisten kann, versinkt im Konsumrausch. Im Datschagürtel rund um Moskau entstehen Yachtclubs und Golfplätze, in der Stadt selbst wachsen luxuriöse Wohntürme in den Himmel, die einen prachtvollen Blick auf die 12-Millionen-Metropole erlauben. Zumindest hier ist längst auch die Mittelklasse zu Wohlstand gekommen.

Der Boom hat aber auch Nachteile. Viele Moskauer können sich ihre eigene Stadt nicht mehr leisten. Moskau ist nach einer Studie des „Economist“ heute teurer als New York – und das bei einem Durchschnittslohn, der nach Angaben des offiziellen Statistikamtes Mosgorstat bei 900 Euro liegt. Eine eigene Wohnung, noch dazu halbwegs günstig gelegen? Für die meisten Familien immer noch ein unerfüllbarer Traum. In Russland öffnet sich die Schere zwischen Armen und Reichen schneller als anderswo. Die Soziologin Aleftina Guljugina weist auf die spezielle Bevölkerungsstruktur der Hauptstädter hin: „Alle Superreichen sind in Moskau konzentriert. Daneben gibt es aber ein wachsendes Lumpenproletariat. 13 Prozent leben heute unter der Armutsgrenze.“

Diese ist in Russland besonders niedrig angesetzt. In den Weiten des Landes macht sich der Hauptstadtboom oft überhaupt nicht bemerkbar. Die bäuerliche Landbevölkerung lebt den ganzen Winter von Kartoffeln und Rüben. Die von Putin angestrengten Infrastrukturprojekte sehen auf dem in Moskau beschriebenen Papier oft besser aus als in der Realität. Dort sind sie nach wie vor schlammige Dorfstraßen. Ein großer Teil des Geldes für Modernisierungsprojekte oder den Wiederaufbau in Krisengebieten wie dem Kaukasus verschwindet, bevor es die Provinzen erreicht. Auf dem Korruptionsindex von „Transparency International“ rangiert Russland auf Platz 127, gerade noch vor Ruanda.

Doch das Genörgel internationaler Organisationen kratzt die russischen Player wenig. Arbeitsrecht oder Denkmalschutz sind auch in Sichtweite des Kreml Fremdwörter. Im Februar wurde im Schutz der Dunkelheit eine Reihe von aus dem 19. Jahrhundert stammenden Gebäuden am Roten Platz einfach abgerissen. Bürgermeister Luschkow fand, der Baugrund lasse sich besser für ein Luxushotel mit Tiefgarage nutzen.

Verfreundete Nachbarn


Aussenpolitik


Polternde Europapolitik und kluge Nahostdiplomatie: Putin machte die totgesagte Großmacht Russland wieder zum Global Player.

Es geht Schlag auf Schlag. Russland beschuldigt Polen, „Gammelfleisch“ geliefert zu haben, verhängt ein Einfuhrverbot und weigert sich, dieses aufzuheben. Polen blockiert deshalb die Verhandlungen zwischen der EU und Moskau um ein neues Partnerschaftsabkommen. Estland mischt auch mit: Es hat ein Denkmal für die sowjetische Befreiung im Zweiten Weltkrieg aus dem Stadtzentrum von Tallinn entfernt. Russland drohte im Gegenzug gleich mit der Einstellung von Energielieferungen und Zugverbindungen.

Der eskalierende Streit zwischen Russland und der EU hat etwas von einer Schlammschlacht in der Sandkiste. EU-Ratspräsidentin Angela Merkel mühte sich beim EU-Russland-Gipfel vergangenen Freitag in der Wolga-Stadt Samara redlich und vergeblich, das Niveau zu heben. Doch alle Streitfragen blieben offen. Es wird noch schlimmer kommen: Die Überreaktionen und Drohgebärden aus Moskau gegenüber Warschau und Tallinn sind Ausdruck einer tief sitzenden Verstimmung. Das Imperium ist wieder da. Und es schlägt zurück.

Sechzehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion spielt Russland auf der Weltbühne wieder eine tragende Rolle. Hohe Ölpreise, aber auch Putins Führungsstil haben dies ermöglicht. Zusätzlich wird Russlands Rückkehr in die Weltpolitik umso bereitwilliger akzeptiert, je deutlicher George Bushs Talentlosigkeit als Weltpolitiker offen zutage tritt. Im Gegensatz zu George Bush erfreut sich Wladimir Putin in der Heimat höchster Beliebtheit bei seinen Wählern – dem unabhängigen Umfrageinstitut Levada zufolge halten derzeit 80 Prozent der Russen Putin für einen guten Präsidenten. Putin nutzt die Gunst der Stunde redlich. Aber er ist kein einfacher Partner.

Denn der russische Präsident hat wie viele seiner Landsleute das Ende der Sowjetunion als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ empfunden. Er saß als KGB-Offizier in Ostdeutschland, als die Mauer fiel, und erlebte die plötzliche Ohnmacht der einstigen Allmacht. Auch die neunziger Jahre prägten den späteren Chef des Geheimdienstes FSB, der Nachfolgebehörde des KGB. Ganz Osteuropa wandte sich von Moskau ab und nahm Verhandlungen mit EU und NATO auf. Russland blieb als Führungsmacht der GUS, eines losen Bundes wenig demokratischer Staaten, zurück.

„Der Westen hätte ein freundliches Umfeld für Russland schaffen sollen, hätte uns anbieten sollen, Vollmitglied in wichtigen westlichen Organisationen zu werden. Das hätte uns viel erspart“, analysiert Alexej Arbatow vom Zentrum für Internationale Sicherheit an der russischen Akademie der Wissenschaften. „Doch der Westen hat das genaue Gegenteil getan: nicht zur Stabilisierung der politischen Szene beigetragen, sondern im Gegenteil die Schwäche und Konfusion Russlands zum eigenen Vorteil ausgenutzt – etwa, um die osteuropäischen Staaten der EU zuzuschlagen.“

De-facto-Monopol. Bis zur orangen Revolution in der Ukraine im Herbst 2004 hielt Russland international relativ still. Dass Ende 2003 der proamerikanische Reformer Michail Saakaschwili in Georgien das Ruder übernommen hatte, musste Moskau noch hinnehmen. Die Ukraine aber wollten die Russen nicht aus ihrer Einflusssphäre entlassen. So begann Putin, der den Staatssäckel dank hoher Ölpreise mittlerweile saniert hatte, die Energiekeule zu schwingen.

Zur Jahreswende 2005/2006 drehte Russland der Ukraine im Streit um die Erhöhung der Energiepreise das Gas ab, vergangenes Neujahr stoppte es die Öllieferungen an Weißrussland, im Denkmalstreit mit Estland ging Moskau vor wenigen Tagen ähnlich vor. Russland kann seine Ressourcen als Druckmittel nutzen und tut dies auch – es ist aber umgekehrt auch existenziell von ihnen abhängig. Würde Europa kein Gas von Russland kaufen, wäre eine Wirtschaftskrise nur eine Frage der Zeit. Würde der Ölpreis nachhaltig sinken, detto. Und deshalb versucht Moskau alles, um die EU immer enger an sich zu binden. Erst Anfang Mai einigte sich Putin mit den Präsidenten von Kasachstan und Turkmenistan auf den Bau einer neuen Pipeline. Dies sichert ihm nicht nur den Zugang zu den kaspischen Erdgasressourcen, sondern auch ein De-facto-Monopol für ihren Transport Richtung Europa.

Abgesehen von den Strafmaßnahmen gegen abtrünnige Nachbarrepubliken setzt der Kreml-Herr seine neue Macht aber auch zum Wohle der Welt ein. Wo George Bush im Nahen Osten polarisiert, bildet Putin ein Gegengewicht und bietet sich als Moderator an. Den Waffengang gegen Saddam Hussein verfolgten die Russen von Anfang an mit Skepsis; die von USA und EU geschnittene Hamas-Regierung der Palästinenser lud Außenminister Sergej Lawrow demonstrativ nach Moskau ein; statt Kriegsgeschrei Richtung Teheran fordert Moskau Gesprächsbereitschaft.

Für die deutliche Abkühlung in den Beziehungen zu westlichen „Partnern“ übernimmt Russland keine Verantwortung: „Die russische Seite ist nicht schuld an der Verstimmung“, betonte der russische Außenminister Sergej Lawrow vor knapp einem Jahr im Interview mit profil. „Die Atmosphäre ist sicher nicht so, wie wir sie gerne hätten.“ US-Außenministerin Condoleezza Rice wollte vergangene Woche beim Kurzbesuch in Moskau den Begriff „Kalter Krieg“ nicht in den Mund nehmen: „Ich habe diese Zeit erlebt, und ich sehe keine Parallelen.“

Letztlich war Russland dem Westen immer näher als dem Osten. Der Präsident selbst spricht Deutsch, nicht Chinesisch. Auch auf längere Sicht sind Europa und Russland in ihren Energiegeschäften voneinander abhängig. Und die russische Elite ankert ihre Yachten nicht nur an den schicksten Plätzen an der Côte d’Azur, sie schickt ihre Sprösslinge auch an die besten Universitäten der westlichen Welt.

„Wenn Russland auf dem Weg nach Europa ist, auch wenn der Weg lang ist und Jahrzehnte dauert, ist alles in Ordnung. Wenn Russland nicht auf dem Weg nach Europa ist, dann werden sich die Beziehungen drastisch verschlechtern“, warnt Sicherheitsexperte Alexej Arbatow, dessen Vater Georgi einst ein enger Mitstreiter von Michail Gorbatschow war. Dass Gorbatschow nun neuerdings Putins autoritären Führungsstil entschuldigt, hält Arbatow junior für unannehmbar: „Man kann die innenpolitische und außenpolitische Entwicklung nicht voneinander trennen. Wenn Russland nicht europäischer wird, dann wird es auch nicht demokratischer. Russland ist entweder mit Europa oder gegen Europa. Koexistenz gibt es nicht.“

Kreml-Astrologie


Zukunftspolitik


Ein unbekannter Nachfolger und ein dramatisches Szenario: Nach Putin steht das Schicksal Russlands in den Sternen.

Zehn Monate vor den russischen Präsidentenwahlen weiß niemand, wer Wladimir Putin nachfolgen wird. Zwei Kronprinzen hat er als Vizepremiers in Stellung gebracht. Der als moderat geltende Dimitri Medwedew und der ehemalige Verteidigungsminister Sergej Iwanow werden allabendlich in den staatlich gelenkten Fernsehnachrichten von ihrer besten Seite gezeigt. Da Putin sich nicht in die Karten schauen lässt, sind selbst ausgewiesene Kreml-Kenner ratlos.

Russland ist auf die Astrologen gekommen. Den Sterndeuter und Historiker Pawel Globa konsultierte schon der ehemalige Premierminister Wiktor Tschernomyrdin vor wichtigen Entscheidungen gern. Globa sieht sich als Diagnostiker des Schicksals, er errechnet seine Prognose aus kosmischen und irdischen Konstellationen. In seiner Fernsehshow muss er sich politischer Kommentare enthalten. Da die Politologen nur noch hilflos die Schultern zucken, hat profil den „Seher“ gebeten, Russlands Zukunft nach der Ära Putin zu skizzieren.

„Putin wird sich 2008 per Gesetzesänderung einen anderen Posten schaffen“, meint Globa, etwa den „Koordinator des Föderationsrates“, des russischen Pendants zum österreichischen Bundesrat. Von dieser Position aus wird er weiter die Strippen ziehen. Ähnlich wie Deng Xiao Ping in China will Putin eine Marktwirtschaft unter den Bedingungen einer autoritären Herrschaft entwickeln – und dafür, wie Deng, seine politische Pension opfern.

Konkret braucht er dafür einen schwachen Nachfolger, den er kontrollieren kann. „Putin wird im Spätsommer einen dritten Kandidaten aus dem Hut zaubern“ und dann einen nach außen hin offenen Dreikampf inszenieren, prognostiziert Globa. In der ersten Amtszeit von 2008 bis 2012 bleibt der neue Präsident farblos. Seine Herrschaft ist mit hohen Energiepreisen gesegnet. Amerika schlittert im Winter 2007/08 in eine eskalierende Auseinandersetzung mit dem Iran. Moskau ist der Kriegsgewinnler: Die Instabilität im Mittleren Osten treibt die Preise für russisches Öl noch weiter in die Höhe.

Nach vier Jahren hat Putins Nachfolger dann auch innenpolitisch genug Macht akkumuliert, um der alten Garde die Stirn zu bieten. Die urbane Elite in Moskau und St. Petersburg ist dem Ancien Régime von Wladimir Wladimirowitsch verpflichtet. Der Nachfolger baut sich daher seine Machtbasis in den Regionen auf. Die Dekadenz der Hauptstadt erbost die verarmte Landbevölkerung. Die sibirische Vendée stürmt die Metropole. Russland steht vor einer Rebellion. Der Nachfolger reitet ganz oben auf der Welle.

Hungerjahre. Mit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Jahr 2012 bricht die Krise in Russland voll aus. Es stehen sieben gleichsam biblische Hungerjahre bevor. Eine Energiekrise beutelt das Land. Der Nachfolger versucht, sich im Sattel zu halten, indem er bodenständigen Nationalisten und dem Klerus die Türen zum Kreml öffnet. 2016 wird er von einem „orthodoxen Ajatollah“ abgelöst. Er ist aber kein neuer Stalin, dafür sieht Globa keine Basis in Wirtschaft und Politik des heutigen Russland.

2019 beruhigt sich die Lage. Dem eifernden nationalreligiösen Führer folgt eine Generation von Pragmatikern. Dreißig Jahre nach Ende der Sowjetunion bringen die Technokraten-Politiker Russland auf den Weg von Wohlstand und Demokratie. „Es wird ein schwerer Weg“, meint Pawel Globa. Doch am Ende soll das russische Despotentum Geschichte sein.

Zumindest steht es so in den Sternen. Und auf die gibt man in Russland, im Gegensatz zu westeuropäischen Staaten, auch auf hoher politischer Ebene immer noch viel: Den Prophezeiungen Globas wird durchaus Gewicht beigemessen – nicht zuletzt, weil sie in ihrer wilden Mischung aus rationalen und irrationalen Elementen so sind wie Russland selbst.

Es kann natürlich und wird wahrscheinlich ganz anders kommen, als der kluge und fantasievolle Astrologe prophezeit. Was, so fragen die seriösen Kollegen Globas, die Moskauer Politologen, bange, wenn der Ölpreis drastisch fallen sollte? Für den durchaus plausiblen Fall, dass die Quellen des russischen Reichtums plötzlich versiegen könnten, wagt keiner sich ein Szenario auszumalen: „Dann Gnade uns Gott“, murmelt ein ehemaliger Berater von Wladimir Putin.

Von Tessa Szyszkowitz, Moskau