Russland: Die Stun-de der Dschihadisten

Russland: Die Stunde der Dschihadisten

Ein Etappensieg für die Hardliner beider Seiten

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Im Krieg der Bilder hat der Kreml vergangene Woche gepunktet. Die Leiche von Aslan Maschadow machte sich Dienstagabend gut im russischen Fernsehen. Ein malträtierter, nackter Oberkörper. Verklebtes, ergrautes Haar. Blutlache auf Plastikplane. Hatte in diesem erbarmungswürdigen Körper einmal der stolze Geist des unabhängigen Tschetschenien geherrscht? Auf eine DNA-Analyse konnte der russische Staatsanwalt verzichten, es gab keinen Zweifel: Der Präsident der Tschetschenen war von einem russischen Spezialkommando zur Strecke gebracht worden. Zufrieden erstattete Nikolai Patruschew, Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, seinem Präsidenten Wladimir Putin Bericht.

In Grosni sollen Leute auf der Straße in Tränen ausgebrochen sein, als sie von dem demütigenden Ende ihres einstigen Präsidenten hörten. Persönliche Sympathie hatte Maschadow kaum mehr genossen, man weinte wohl eher um das Symbol der Unabhängigen Republik Itschkeria, wie die Tschetschenen ihren Staat nennen. Der 53-jährige ehemalige Oberst der Roten Armee, einst in der Verbannung in Kasachstan geboren, war im Jänner 1997 von seinem Volk zum Präsidenten Tschetscheniens gewählt worden. Obwohl seit 1999, dem Beginn des zweiten Krieges, im Untergrund, trat Maschadow bis zuletzt für Verhandlungen mit Moskau ein. Ein von ihm angebotener Waffenstillstand Anfang dieses Jahres war von der russischen Regierung ignoriert worden.

„Aslan Maschadow war kein Terroristenführer, sondern im Grund ein relativ moderater Politiker, der sich für Friedensgespräche eingesetzt hatte“, sagt Alexander Tscherkassow von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial. Deprimiert analysiert die Journalistin Anna Politkowskaja (siehe Interview): „Das ist das Ende einer Epoche. Jetzt wird sich niemand mehr für Verhandlungen mit Moskau aussprechen.“

Die Separatistenbewegung wird nun noch stärker unter die Kontrolle des islamistischen Flügels geraten. Schamil Bassajew, Tschetscheniens berüchtigtster Terrorchef, ist nun unbestrittener Führer der Rebellen. Der Drahtzieher des Schuldramas von Beslan im September 2004 und der Besetzung des Musicaltheaters in Moskau im Oktober 2002 hat sich sofort nach Maschadows Tod auf der Webseite www.kavkazcentr.com zu Wort gemeldet: „Es kann keine Verhandlungen mehr geben, es kann auch kein Ende des Krieges geben.“

Nachfolge. Offiziell ist nicht Bassajew Maschadows Nachfolger als Vorsitzender des Staatlichen Verteidigungsrates, der Untergrundregierung. Nach einem Beschluss vom Sommer 2002 wird im Falle des Todes des Präsidenten der Vorsitzende des Obersten Scharia-Gerichts mit den Chefpflichten betraut, bis es neue Wahlen gibt. Diesen Posten bekleidet Achmad Fairus Scheich abdel Chalim Sadulajew, ein Dschihadist aus Saudi-Arabien, der Attentäter für Selbstmordkommandos trainiert. Sadulajew hatte gemeinsam mit Maschadow in einem Videointerview im August 2004 die Verantwortung für den zwei Monate zuvor durchgeführten Überfall auf die inguschetische Stadt Nasran im Juni 2004 übernommen. Die russische Tageszeitung „Kommersant“ zitierte Donnerstag vergangener Woche allerdings einen Beamten aus dem tschetschenischen Innenministerium, der sich abschätzig über den „angeblichen Scheich“ und „Wanderprediger“ äußert: „Eine solche Figur kann die Rebellen nicht befehligen. Die Anführer der Banditen in Tschetschenien werden wie auch zu Maschadows Zeiten Schamil Bassajew und Doku Umarow bleiben.“

Schon ab Mitte der neunziger Jahre hatte Schamil Bassajew den Kampf gegen Russlands Dominanz immer radikaler geführt – gegen den Willen von Maschadow, der den Einfluss fundamentalistischer Kriegshetzer nicht weiter ansteigen lassen wollte. Bassajew aber hatte sich für den jordanischen Dschihadisten Omar Chattab begeistert, die beiden hatten den Terror nach Russland getragen. Maschadow hatte schon knapp nach seiner Wahl den fanatischen Kämpfern wenig entgegenzusetzen gewusst. Seine Fähigkeiten als Administrator waren beschränkt. Als Bassajew und Chattab 1999 in Dagestan einfielen, konnte der neue russische Machthaber Wladimir Putin publikumswirksam einen neuen Feldzug gegen die Aufständischen starten.

„Mir geht es gut.“ Fünf Jahre später hat Russland die Rebellen immer noch nicht niedergerungen. Maschadow ist tot, auch Chattab wurde inzwischen getötet. Doch am 8. Februar meldete sich Schamil Bassajew wieder einmal mit einem Video zu Wort, um Gerüchten über seinen Tod entgegenzuwirken. „Mir geht es gut und meinem Bein auch“, sagt er dort und sticht sich zweimal mit einem Messer in sein Holzbein. Sein echtes Bein verlor der Rebellenführer beim Rückzug aus Grosni im Winter 2000 auf einem verminten Feld.

Auch Doku Umarow sei, so Bassajew, entgegen anders lautenden Gerüchten, quicklebendig. Der Kommandant von Westtschetschenien und Sicherheitsminister in Maschadows Kabinett ist derzeit aber vornehmlich in eine innertschetschenische Clanfehde verstrickt. Nach Angaben des russischen Geheimdienstes hätten am 26. Februar gedungene Mörder versucht, in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku zu gelangen, um Familienmitglieder von Umarows ehemaligem Konkurrenten Ruslan Gelajew umzulegen. Den Rebellenführer Ruslan Gelajew soll Umarow an die Russen verraten haben.

Angesichts von Vetternmorden und Scharia-Gerichten hofft Achmed Sakajew, bisher Botschafter Maschadows im politischen Asyl in London, auf eine Wahl im Verteidigungsrat, der tschetschenischen Untergrundregierung. Die 30 Mitglieder werden einen neuen Vorsitzenden bestimmen, der nicht Mitglied sein muss. „Das Wichtigste ist, dass diese Person in Tschetschenien lebt“, meinte Sakajew vergangene Woche in einem Interview.

Bassajew findet dies inzwischen vielleicht nicht mehr so wichtig. Seine Operationen haben sich längst in die Nachbarrepubliken ausgedehnt. Seine Geld- und Ideengeber möchten gerne im gesamten Nordkaukasus ein islamistisches Kalifat errichten (siehe Kasten).

De facto hat Bassajew mit seiner Logik der Eskalation durch Maschadows Ermordung einen Etappensieg errungen. Ebenso wie die russische Regierung, die Verhandlungen mit dem gewählten Präsidenten von Itschkeria immer abgelehnt hat: „Wie Sie sehen, gibt es wirklich niemanden, mit dem man verhandeln kann“, meint etwa Juri Scharandin, Senator des russischen Föderationsrates, durchaus zufrieden.

Die kritische russische Intelligenzija kann über den unerbittlichen Kurs der eigenen Regierung nur den Kopf schütteln. „12.000 russische Soldaten hat der zweite Tschetschenien-Krieg schon gekostet, seit zehn Jahren herrscht Krieg“, faucht Valentina Melnikowa, die Vorsitzende des Komitees der Soldatenmütter. „Nachdem es mit militärischen Mitteln offenbar nicht zu schaffen ist, müssen wir eben verhandeln!“ Noch im Februar hat sie Sakajew in London getroffen. Ihr Aufruf, mit Maschadow zu reden, hatte in Russland überraschend großes Echo ausgelöst.

Popularität. Die Neopolitikerin Melnikowa nimmt deshalb sogar an, dass „unser Versuch, einen Friedensprozess zu beginnen, die Föderationskräfte zu dieser Operation angespornt hat“. Die Tageszeitung „Iswestja“ kommentiert, Maschadow habe sich nicht besonders versteckt und hätte schon früher erledigt werden können.

Kurzfristig könnten die Bilder von Maschadows Leiche Putins zuletzt sinkende Beliebtheit durchaus wieder fördern. Vielen Russen ist der Unterschied zwischen Maschadow und Bassajew nicht einsichtig. Für sie stehen alle tschetschenischen Separatisten hinter den Terroranschlägen gegen russische Zivilisten. Die Bilder der toten Kinder von Beslan sind unvergessen.

Sich selbst des letzten verhandlungsfähigen Politikers in Tschetschenien zu berauben, der noch über einen Rest von Legitimität in der Bevölkerung verfügte, könnte sich als Fehler erweisen. „Die Ermordung Maschadows ist vielleicht ein Sieg für Putin“, ätzte der umstrittene Unternehmer Boris Beresowski, der sich aus Furcht vor den russischen Behörden ins britische Exil abgesetzt hat, in einem Interview mit der Radiostation „Echo Moskaus“, „aber eine Niederlage für Russland.“

Von Andrej Iwanowski und Tessa Szyszkowitz/Moskau