Finger im Spiel
Von Franziska Dzugan
Der Verdacht, dass die Parlamentswahlen in Russland im vergangenen Dezember massiv manipuliert worden seien, tauchte schon auf, noch ehe das Ergebnis feststand. Igor Duda, ein junger Wahlbeobachter, hatte etwa einen Wahlkommissionsleiter dabei gefilmt, wie dieser stapelweise Stimmzettel ausfüllte. Via Internetplattform YouTube wurden über zwei Millionen Menschen Zeugen dieses Vorfalls. In einem anderen Video zeigten Wahlbeobachter der Oppositionspartei Jabloko, wie in einer Wahlbehörde Kugelschreiber mit Löschtinte verwendet wurden. Solche Vorfälle wurden vom Wahlsieger der Regierungspartei Einiges Russland von Premierminister Wladimir Putin als läppisch abgetan. Man könne da gar nichts sehen, behauptete auch Präsident Dmitri Medwedew.
Das ganze Ausmaß des mutmaßlichen Wahlbetrugs zu beweisen war ohnehin unmöglich. Oder doch nicht? Die Wiener Komplexitätsforscher Stefan Thurner und Peter Klimek haben ein statistisches Modell entwickelt, das reguläre von geschobenen Wahlen unterscheiden kann, sagen sie.
Wenn bestimmte statistische Parameter in einem Wahlergebnis auftauchen, spiegelt es nicht den Willen des Volkes wider, schreiben die beiden in ihrer Studie. Entscheidende Indizien dafür liefern die einzelnen Wahlbezirke. Deren Ergebnisse werden mittels Histogrammen grafisch sichtbar gemacht. Die Häufigkeitsverteilung wird so zu einem Bild, das an einen Fingerabdruck erinnert und im Fall von Unregelmäßigkeiten deutliche Abweichungen zeigt. Man wusste bereits, dass in manchen Wahlkreisen sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Stimmen für Einiges Russland 100 Prozent erreicht hatten. Das wissenschaftlich erstellte Bild scheint eindeutig zu sein: Wir haben die Wahlbetrüger quasi mittels Fingerabdrücken überführt, so Klimek. Die russische Botschaft wollte dazu keine Stellungnahme abgeben.
Die von Thurner und Klimek entwickelte Formel kann neben schweren Betrügereien auch kleinere Schummeleien aufspüren. Die Berechnungen der Wiener Wissenschafter ergeben: Insgesamt wurde in 64 Prozent der Wahlkreise betrogen. In 3000 Bezirken bekam Putins Partei 100 Prozent der Stimmen, zusammen waren das zwei Millionen. Die manipulierten Ergebnisse aus diesen Bezirken waren wahlentscheidend, so die beiden Forscher. Ihre Methode bezeichnen sie trotz einer für Laien beängstigenden Formel als so einfach wie zählen lernen. Es ist schockierend, dass noch niemand auf diese Idee gekommen ist.
Um das Ausmaß der Wahlfälschung zu verdeutlichen, verglichen sie die russischen Studienergebnisse mit jenen anderer Länder. Resultat: Die Urnengänge in Österreich, Spanien und den USA waren sauber, in Uganda wurden die Forscher jedoch wieder fündig. Die Wiederwahl von Präsident Yoweri Museveni im Februar 2011 wurde mit ähnlichen Mitteln wie in Russland geschoben. In knapp der Hälfte der Wahlbezirke seien die Ergebnisse manipuliert worden, so die Forscher.
Die Studie zeigt weiters, dass der Wahlbetrug seit Putins Amtsantritt 1999 stark gestiegen ist. Die schweren Wahlfälschungen haben sich demnach verfünffacht, kleinere Betrügereien verdoppelt. Ohne sie wäre Einiges Russland im Dezember 2011 nicht auf 49,5 Prozent der Stimmen gekommen, sondern nur auf etwa 30.
Am 4. März stehen die nächsten bedeutenden Wahlen an. Putin, der bereits von 2000 bis 2008 Präsident war, tritt erneut an und niemand zweifelt an seinem Sieg. Seine Gegner kündigten für die Wochen vor der Wahl Großdemonstrationen an. Die Studie der Wiener Forscher stützt die Proteste gegen Putin, der von vielen als Feind der Demokratie angesehen wird.
Bereits jetzt glaubt die Hälfte der Bevölkerung laut Umfragen, die Wahlen im Dezember seien manipuliert worden. Putin steht damit unter massivem Druck. Zweifelt die breite Öffentlichkeit die Wahlergebnisse neuerlich an, könnte das Massenproteste zur Folge haben. Der Regierungschef versucht nun gegenzusteuern. Webkameras in den Wahllokalen und durchsichtige Wahlurnen wurden angeordnet. In jedem Fall wird der Wahlgang wieder einen deutlichen Fingerabdruck hinterlassen.