Russland: Der Rohrkrepierer

Russland: Rohrkrepierer

Putin ließ der halben EU das Öl abdrehen

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Was Russlands Präsident Wladimir Putin und sein weißrussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko vergangenen Mittwoch am Telefon konkret besprochen haben, wissen, abgesehen von den beiden Herren selbst, lediglich ein paar ihrer engsten Mitarbeiter. Sicher ist jedoch: Amikal verlief die Unterhaltung keinesfalls. Danach war Lukaschenko ein geschlagener Mann – einsamer Herrscher einer völlig isolierten Kleindiktatur, der mit Russland nun auch ihr letzter Verbündeter endgültig die Freundschaft aufgekündigt hatte. Wenig später zeigte das russische TV Putin, der sichtlich zufrieden einen Telefonhörer auflegte.

Was Deutschlands Regierungschefin Angela Merkel mit Präsident Putin zu besprechen hat, wenn sie ihn als EU-Ratspräsidentin kommenden Sonntag in Sotschi an der Schwarzmeerküste besucht, weiß man schon jetzt in groben Zügen. Auch hier ist sicher: Eine freundschaftliche Plauderei wird sich daraus nicht ergeben.

Zwischen Putin, Lukaschenko und Merkel geht es auf verschiedene Art und Weise um dasselbe Thema: russisches Erdöl. Über seinen Preis war vergangene Woche ein wüster Streit ausgebrochen, der Weißrussland in eine existenzielle Versorgungskrise stürzte und der EU wieder einmal vor Augen führte, wie verwundbar sie durch ihre Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland ist.

Lukaschenko musste für Weißrussland bereits klein beigeben. Merkel muss für Europa versuchen, zu verhindern, dass sich Ereignisse wie in den Tagen zwischen Montag, 8. Jänner, und Mittwoch, 10. Jänner, mit möglicherweise schlimmeren Folgen wiederholen.

Freundschaft. Und die lesen sich in Kurzfassung so: Moskau verlangt von Weißrussland von einem Tag auf den anderen empfindlich mehr Geld für Rohöl. Weißrussland, über dessen Staatsgebiet die wichtigste Ölpipeline Richtung Westen verläuft, kontert mit der Einführung einer saftigen Gebühr für den Transport von Öl in den EU-Raum. Daraufhin dreht Moskau die Leitung zu und legt nicht nur Weißrussland trocken, sondern gleich auch halb Europa. So lange, bis der Widerstand gebrochen ist und Weißrussland einlenkt. Den Zorn der EU nimmt der Kreml dafür gerne in Kauf.

All das spielte sich zwischen Montagabend und Mittwochnacht vergangener Woche an der „Druschba“-Pipeline (zu Deutsch: „Freundschaft“) ab – jener Schlagader, die Öl aus den Lagerstätten in Westsibirien, am Ural und in der kaspischen Region über 3000 Kilometer nach Europa transportiert: 1,2 Millionen Barrel (ein Barrel entspricht rund 159 Litern) pro Tag und damit immerhin 12,5 Prozent des Gesamtbedarfs der EU.

Energie als Waffe, als Ersatz für die geschwundene Militärmacht der großen russischen Nation: In den vergangenen Monaten hat Wladimir Putin mehrfach bewiesen, dass er die Drohung mit einem Stopp der Gas- und Ölversorgung als taugliches Mittel bilateraler Politik betrachtet. Die Druschba war dabei schon einmal Mittel zum Zweck: Nachdem die größte litauische Raffinerie bei ihrer Privatisierung vergangenes Jahr nicht, wie vom Kreml erwartet, an einen russischen Bewerber gegangen war, legte Moskau eine Abzweigung der Pipeline ins Baltikum lahm – angeblich wegen technischer Probleme, aber das glaubte niemand.

Sanktionen. Seit Ende vergangenen Jahres ist Putin mit derartigen Aktionen auch rechtlich auf der sicheren Seite. Knapp vor Silvester unterzeichnete er rasch noch ein Gesetz, das ihm erlaubt, „spezielle Wirtschaftsmaßnahmen“ – sprich: Sanktionen – als Reaktion auf „unfreundliches Verhalten eines ausländischen Staates“ zu verhängen.

Das lässt neuen Zoff erwarten. Zumal sich der russische Präsident vom Westen, der ihm die Hauptverantwortung an der Ölkrise zuspricht, ungerecht behandelt fühlt. In seinem Heimatland wird er darin bestärkt – selbst von unabhängigen Politologen wie Boris Makarenko: „Lukaschenko will selbstständig sein, aber Öl und Gas zu sowjetischen Bruderschaftspreisen beziehen – das ist doch vollkommen unlogisch.“ Putin sei im Recht, so der Politologe weiter. „Wer westliche Marktwirtschaft will, muss den Preis dafür zahlen.“

Tatsächlich hat Weißrussland mit dem Billigöl aus dem Osten in den vergangenen Jahren hohe Gewinne erzielt. Seit dem Zerfall der UdSSR war Langzeit-Autokrat Alexander Lukaschenko vom Kreml gehätschelt und remuneriert worden. Er bekam Gas und Öl zum günstigen russischen Inlandstarif. Dadurch sparte sich Weißrussland gegenüber Einkäufen am Weltmarkt pro Jahr rund zwei Milliarden Dollar.

Dazu kamen Profite aus der Produktion von Benzin und Diesel, die in einer hochmodernen Raffinerie direkt an der Druschba hergestellt und nach Europa exportiert wurden. Nach einer Mitte der neunziger Jahre geschlossenen Vereinbarung hätte Weißrussland 85 Prozent dieser Gewinne eigentlich an Moskau refundieren müssen. Darauf wurde aber ab der Jahrtausendwende stillschweigend vergessen. Inzwischen kühlte das Verhältnis zwischen Moskau und Minsk aber rasant ab. Hintergrund: Russland würde sich seinen kleinen westlichen Nachbarn gerne einverleiben. Der weigert sich aber (siehe Kasten Seite 61).

In den vergangenen Jahren hatte Russland immer wieder auf eine Neuverhandlung der Energiepreise gedrängt. Die Verhandlungen stockten jedoch – und eskalierten im vergangenen November in einen Streit zwischen Putin und Lukaschenko, der damit endete, dass der Weißrusse das gemeinsame Abendessen platzen ließ und wutentbrannt vorzeitig abreiste.

Zum Jahreswechsel 2006/2007 akzeptierte Lukaschenko nach zähen Verhandlungen zähneknirschend die Verdoppelung des Gaspreises, mit 100 Dollar im Vergleich zu anderen Kunden noch immer eine Okkasion (siehe Kasten Seite 59). Was er glaubte, nicht akzeptieren zu können: dass ihm Russland auch noch 180 Dollar Zoll pro Tonne geliefertes Erdöl aufbrummen wollte. Im Gegenzug wollte Lukaschenko nun von den Russen 45 Dollar Durchleitungsgebühr pro Tonne einheben. Zudem dürften seine Ölmanager in den Tagen vor der Blockade beträchtliche Mengen Rohöl abgezweigt haben – quasi als Entschädigung für die höheren Preise.

Stillgelegt. Der Rest ist bekannt: „Freundschaft“ stillgelegt, die EU erbost. Nicht nur in Weißrussland, auch in Polen, Ungarn, der Slowakei und Deutschland versiegte der Nachschub.

„Inakzeptabel“ nannte Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso die Vorgangsweise der Russen. „Konsultationen sind das Mindeste, wenn es Schwierigkeiten gibt“, mahnte Merkel. „Es wird endlich Zeit, dass die EU-Kommission der russischen Herausforderung frontal entgegentritt und zeigt, dass es ihr mit der Sicherung der europäischen Energiezukunft ernst ist“, fordert Robert Amsterdam, Anwalt des in Sibirien inhaftierten Michail Chodorkowski – jenes Ex-Oligarchen, dessen Ölunternehmen Yukos von der Kreml-Führung zerschlagen und dem Staatsvermögen einverleibt worden war.

Derweil begannen manche Staaten schon die Tage zu zählen, bis ihre Tanks leer sein würden. Ungarn gab seine Teile seiner strategischen Erdölreserven, die insgesamt drei Monate reichen sollen, zur Verarbeitung frei. Die slowakische Regierung kündigte ähnliche Maßnahmen an, sollte die Blockade andauern. Österreich war nur deshalb nicht betroffen, weil die Druschba in der Slowakei endet und die OMV russische Öllieferungen, die im Jahr 2005 28 Prozent der Importe ausmachten, über den Seeweg nach Triest und von dort aus nach Schwechat abwickelt. „Hier hat sich Russland immer als verlässlicher Partner erwiesen“, sagt OMV-Sprecher Thomas Huemer.

Druck. Das rüde Vorgehen des Kreml verdeckt, unter welchem Druck die Regierung selbst steht. Der Investitionsbedarf in der Infrastruktur der Öl- und Gasanlagen ist beträchtlich, die Subventionierung von Energie am Heimatmarkt tut ein Übriges: Putin muss auch die Preise im Land Schritt für Schritt anheben – bis zum Jahr 2011 sollen sie sich auf EU-Niveau befinden. „Angesichts dessen kann sich Russland Preisnachlässe einfach nicht mehr leisten“, gibt Hans Holzhacker, Osteuropa-Experte der BA-CA, zu bedenken.

Dass die ehemaligen Bruderstaaten dabei mit vorgehaltener Energiewaffe genötigt werden, sei auch aus einer gewissen Verunsicherung der Regierung zu erklären, sagt Jewgeni Gawrilenkow, Chefökonom beim Investmenthaus Troika Dialog: „Die Energiekrisen werden deshalb so schlecht gemanagt, weil Moskau zu wenig Erfahrung darin hat, wie es mit den ehemaligen Sowjetrepubliken umgehen soll.“
Wie beruhigend.

Von Martin Staudinger und Tessa Szyszkowitz/MoskauMitarbeit: Andrej Iwanowski,
Russland, und Franziska Dzugan