Säureka!

Säureka! Wird CO2 zum Rohstoff?

Umwelt. Wird das verteufelte Klimagas CO2 zum wertvollen Rohstoff?

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Ohne den stechenden, keineswegs unangenehmen Alkoholgeruch wäre die glasklare Flüssigkeit leicht mit Wasser zu verwechseln. Methanol, so heißt das Gebräu, ist schon lange bekannt, aber unter dem Eindruck des fortschreitenden Klimawandels bekommt die Substanz völlig neue Bedeutung – als mögliche Alternative zu Benzin und Diesel, als Treibstoff der Zukunft. Das Verlockende dabei ist, dass man zu dessen Herstellung im Wesentlichen nur zwei Komponenten benötigt: Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2).

Wasserstoff lässt sich mittels Wind- oder Solarenergie leicht per Elektrolyse aus Wasser gewinnen. Dabei wird auch Sauerstoff frei, den man für medizinische Zwecke oder effizientere Verbrennungsprozesse nutzen könnte. Und vom Kohlendioxid gibt es sowieso zu viel auf der Welt. Es ist jenes verteufelte Treibhausgas, das die überwiegende Mehrzahl der Klimaforscher für den vom Menschen verursachten Klimawandel verantwortlich macht.

Doch seit einigen Monaten mehren sich die Anzeichen für einen Paradigmenwechsel: Immer mehr Wissenschafter wollen in CO2 nicht länger ein böses Abfallprodukt, sondern einen wertvollen Rohstoff sehen. So fragte das deutsche Fachjournal „Angewandte Chemie“ schon Ende 2011, ob CO2 nicht als neue Kohlenstoffquelle dienen könnte. Bei der im vergangenen Juni in Frankfurt am Main abgehaltenen „Achema 2012“, der jährlichen Kongressmesse für Chemietechnik, Umweltschutz und Biotechnologie, war eines der heiß diskutierten Themen „Nachhaltige Kunststoffe aus CO2“. Und im vorigen November widmete sich in Linz ein Symposion dem Thema „CO2 als Wertstoff“.

CO2-Ausstoß weiterhin hoch
Kohlenstoffdioxid, wie es mit vollem Namen heißt, umgangssprachlich oft ungenau auch Kohlensäure genannt, wird seit Jahrzehnten in etlichen Industriebereichen verwendet, etwa für die Produktion von Aspirin oder für die Herstellung von Harnstoff, Ameisen- und Essigsäure, wichtigen Grundstoffen für chemische Prozesse. Viele Menschen schätzen die erfrischenden Kohlensäurebläschen im Bier oder im Mineralwasser, ohne diese gleich mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Doch mit steigender Erderwärmung ist das Gas in Verruf geraten. Bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl oder Erdgas werden große Mengen CO2 freigesetzt, die sich als Spurengas in der Atmosphäre ansammeln und – neben Wasserdampf und Methan – als zusätzliches Treibhausgas agieren. Wie eine unsichtbare Decke schweben die Gaspartikel in der Luft. Sie lassen die Sonnenstrahlen hindurch, bremsen aber die Wärmeabstrahlung der Erdoberfläche ins All – bis zu 200 Jahre lang.

Trotz zahlreicher Klimakonferenzen ist es bisher nicht gelungen, den CO2-Ausstoß nachhaltig einzudämmen. Die Menschheit emittiert weiterhin steigende Mengen und riskiert damit möglicherweise eine Erderwärmung von katastrophalem Ausmaß. Wenn die alten Gegenstrategien nicht greifen, sind neue gefragt: Schon jetzt laufen in mehreren Ländern – darunter in den USA, China, Japan, Großbritannien, den Niederlanden und Norwegen – Großversuche, um Kohlendioxid aus den Abgasen von Kraftwerken oder Industrieanlagen, den mit Abstand größten Emittenten, her­auszufiltern und bis zu 3000 Meter tief in die Erdkruste zu pumpen. Als bevorzugte Ziellagerstätten dienen ausgebeutete Erdöl- und Erdgasfelder. Angewandt in großem Stil, ließe sich mit dieser CO2-Tiefeneinlagerung der Treibhauseffekt dämpfen, so die Überlegung.

Doch dagegen regt sich öffentlicher Widerstand. Mit einer an Anti-Atomkraft-Kampagnen erinnernden Kampfrhetorik („Stoppt das CO2-Endlager“) demonstrieren Umweltschützer gegen CCS (Carbon Capture and Storage, Kohlenstoffabscheidung und -lagerung), wie die Projekte international bezeichnet werden. Die Aktivisten fürchten, dass das unter hohem Druck ins poröse Gestein gepresste Klimagas zu tektonischen Verwerfungen, zum Entweichen des schädlichen Gases und zu erheblichen ökologischen Schäden führen könnte. Die EU-Kommission hingegen hält die Technologie für sicher und hat deshalb die Fördermittel für CCS-Projekte von ursprünglich einer auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt. Bis 2015 sollten innerhalb der EU zwölf Pilotanlagen zur Abscheidung und Versenkung von Kohlendioxid gebaut werden. „Aber wir sind davon noch weit entfernt“, sagt Torsten Wöllert, in der EU-Kommission zuständig für CO2-arme Technologien.

In Verbindung mit dem wachsenden öffentlichen Widerstand hapert es an der Finanzierung. In Deutschland, einem Kernland der Proteste gegen potenziell umweltgefährdende Technologien, mag das nicht weiter verwundern, aber auch im weniger technologiefeindlichen Dänemark wendet sich der Volkszorn gegen Versuche, mithilfe von abgeschiedenem und eingepresstem CO2 auch noch die letzten Reserven aus Ölfeldern zu fördern. In der Schweiz laufen gerade Sondierungsarbeiten für ein CO2-Tiefenlager, vorerst noch ohne laute Proteste.

„Grünes Benzin“
Aber schon der bisherige öffentliche Widerstand hat eine positive Nebenwirkung: Immer mehr Wissenschafter, Industrietechniker und Wirtschaftsbosse entdecken CO2 als wertvolle Rohstoffquelle – etwa für Methanproduktion, die Verstromung von Kohle, die Speicherung von Solar- und Windenergie („Windgas“), für die Erzeugung von Polymeren und nicht zuletzt für die Produktion von alternativen Kraftstoffen wie Methanol, das von einigen Enthusiasten bereits zum „grünen Benzin“ hochgejubelt wird.
Ganz so grün ist der Kraftstoff freilich nicht. Er hat den Nachteil, dass das beim Emittenten abgeschiedene und bei der Kraftstoffproduktion verwendete Kohlendioxid bei der Verbrennung des Sprits erst recht in die Atmosphäre entweicht. Dennoch, so kalkuliert Elias Frei, Materialforscher an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, hätte die Verwendung des alternativen Kraftstoffs den Vorteil, dass man – trotz der um etwa 50 Prozent geringeren Energiedichte gegenüber Benzin und Diesel – „theoretisch etwa 50 Prozent CO2 einspart“.

Frei gehört zu einer Gruppe von Doktoranden, die sich mit der Optimierung des Herstellungsprozesses von Methanol befasst. Der Schlüssel dazu sind bessere Katalysatoren. „Wenn es uns gelingt, die Prozesstemperatur von aktuell 250 Grad auf 200 Grad zu senken, könnten wir die Ausbeute verdoppeln“, erklärt Frei. Methanol eignet sich aber nicht nur als Benzinersatz, über weitere Prozessschritte ließe sich auch ein Dieselsubstitut herstellen. Für die Verwendung dieser alternativen Kraftstoffe wären allerdings geringfügige Modifikationen an den Motoren, etwa andere Dichtungen, erforderlich, weil das alkoholische Methanol herkömmliche Dichtungen angreift.

Das wäre noch das geringste Problem. Viel schwieriger ist die Herstellung des Methanol-Sprits zu marktfähigen Preisen. Befürworter kontern mit dem Argument, bei steigenden Ölpreisen würde die Konkurrenzfähigkeit des Alternativprodukts nicht allzu lange auf sich warten lassen. Materialforscher Frei hat noch ein weiteres Argument: Ein Treibstoff, der CO2 einspart, müsste politisch gewollt und daher steuerlich begünstigt sein. Für Deutschland, so rechnet der Forscher vor, müsste die Verwendung von etwa 15 Prozent des von Kraftwerken und Industrieanlagen emittierten Kohlendioxids reichen, um genügend Methanol zur Versorgung der gesamten Lkw- und Pkw-Flotte des Landes zu erzeugen.

Dem Energie- und Klimaexperten Nebojsa Nakicenovic, Professor für Energiesysteme und elektrische Antriebe an der TU Wien, der auch am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien forscht, ist die Methanol-Schiene trotzdem nicht übermäßig sympathisch, weil dabei wieder Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt. Als Brückentechnologie sei das noch vertretbar, aber längerfristig müssten wir von den Emissionen gänzlich wegkommen. Denn um die Erderwärmung auf gerade noch erträgliche zwei Grad Celsius zu beschränken, müssten wir den weltweiten CO2-Ausstoß in den kommenden 40 Jahren um 50 bis 66 Prozent senken, was einer Reduktion von 700 bis 800 Milliarden Tonnen entspricht. Das wiederum würde bedeuten, dass in den EU-Ländern Strom nur noch emissionsfrei erzeugt wird. „Das ist eine unglaubliche Herausforderung“, so Nakicenovic.

„Man wird Schmunzeln über die Angst vor CO2“
Für die Erreichung dieses Ziels wären laut dem Klima- und Energieexperten drei Schritte erforderlich: Umstieg von Kohle auf Gas, von fossilen auf erneuerbare Energieträger plus Kohlendioxidabscheidung und -speicherung. In einigen Szenarien reichen aber selbst diese Maßnahmen nicht aus. Daher plädiert Nakicenovic für eine weltweite massive Aufforstung mit rasch wachsenden Baumarten, damit viel mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre in Biomasse gebunden wird. Derzeit stammen zehn bis 20 Prozent des Weltenergieverbrauchs aus Biomasse.
Dieser Wert müsste verdoppelt oder gar verdreifacht werden, was laut Nakicenovic allerdings schon an die Nachhaltigkeitsgrenze stößt. Aber eine Verdoppelung hält er in jedem Fall für machbar, vor allem auch deshalb, weil in den USA und auch in Europa viele vormals land- oder forstwirtschaftlich genutzte Flächen brachliegen. Zur massiven Aufforstung müsste aber noch ein zweiter Schritt kommen: die Abscheidung des Klimagases nicht erst aus den bei der Verbrennung entstehenden Rauchgasen, sondern schon vor der Verbrennung – eine bereits existierende und praktikable Technologie.

Durch Einpressen des bei Großemittenten gewonnenen Kohlendioxids in bereits ausgebeutete Öl- oder Gasfelder ließen sich die Klimaziele wahrscheinlich erreichen, aber für eine wachsende Schar von Experten ist das nicht der Weisheit letzter Schluss. CO2 sei einfach zu wertvoll, um es mit Riesenaufwand und extrem hohen Kosten in tiefen Gesteinsschichten wegzusperren. Viel sinnvoller wäre eine breite Nutzung des Rohstoffs mit einer großen Palette von möglichen Anwendungen.

Die Grundlagen für das neue Forschungs- und Wirtschaftsfeld propagierte einer der Pioniere des Fachs: der ungarischstämmige amerikanische Chemie-Nobelpreisträger 1994, George A. Olah. Sein mittlerweile in mehreren Auflagen erschienenes Buch „Beyond Oil & Gas: The Methanol Economy“ hat weltweit eine ganze Generation von Chemikern und mit ihnen zahlreiche Forschungsgruppen beeinflusst.

Unterdessen entwickeln die CO2-Jünger zahlreiche neue Produkte. So nutzen beispielsweise Forscher der Audi AG in Zusammenarbeit mit dem US-Partner Joule den Rohstoff CO2 und Sonnenlicht, um mithilfe von mikroskopisch kleinen Cyanobakterien neuartige synthetische Treibstoffe zu erzeugen. Die derzeitige Ausbeute von 3500 Litern pro Hektar wollen sie nach und nach auf 75.000 Liter steigern. Das US-Technologieunternehmen Skyonic stellt aus Kohlendioxid mehr als 20 mineralische Baustoffe wie Kalk, Zement und Mörtel her. Der Bostoner Kunststoffproduzent Novomer entwickelt aus CO2 unter anderem Polymere mit völlig neuartigen Eigenschaften – etwa Stoffe, die sich durch Bewegung erweichen lassen und im Ruhezustand aushärten. Von Plastikschlapfen über Bügeleisen bis zu Beschichtungen: Zahlreiche Produkte werden nicht mehr aus Öl, sondern aus Kohlendioxid gefertigt.

Der auch in Österreich tätige Kunststoffmulti Borealis kommentiert diese Entwicklung vorsichtig: „Aktuell sind uns keine Kunststoffe bekannt, die in industriellem Maßstab auf direkter Basis von CO2 produziert werden. Es gibt einige Pilotprojekte, die jedoch alle noch in einem sehr frühen Stadium sind.“ Werner Steinecker, Vorstand der oberösterreichischen Energie AG, ist dennoch überzeugt: „Kohlendioxid als Wertstoff hat eine große Zukunft. Man wird Schmunzeln über die Angst vor CO2.“