Was sein muss

Salzburger Festspiele: 20 Thesen zum Reformbedarf

Salzburger Festspiele. 20 Thesen zum Reformbedarf der Festspiele

Drucken

Schriftgröße

Von Manuel Brug

1. Die Festspiele brauchen ein neues Kuratorium
Das derzeit sechsköpfige Kuratorium der Festspiele, in dem neben zwei Gesandten des Bundes auch Landeshauptmann Wilfried Haslauer und Bürgermeister Heinz Schaden sowie die Tourismusförderung und Bundesthea-ter-Holding-Chef Georg Springer sitzen, muss dringend reformiert werden. Denn warum sollen ausgerechnet in Salzburg unbedarfte Lokalpolitiker, von den Hinterbänken entsandte Wiener Stellvertreter, Interessenlobbyisten konkurrierender Institutionen und Touristikexperten bei der Kunst entscheidend mitreden?

2. Eine stabile Intendanz muss gewährleistet sein
Die hohe Intendanten-Fluktuation muss unbedingt gestoppt werden. Es kann nicht sein, dass stets schon nach einer Saison gegen alles, was der jeweils Neue sich ausgedacht hat, nur intrigiert, kommentiert und gegeifert wird – und dies vorwiegend von Leuten (siehe Punkt eins), die wenig Ahnung von der Materie haben.

3. In der Intendantenwahl ist Unabhängigkeit nötig
Die Intendanz ist künftig von einer unabhängigen Findungskommission vorzuschlagen und nicht in den diversen Klüngeln nach dem Willen der lokalen, oft familiär miteinander verfilzten Führungslager zu bestimmen.

4. Die Festspielleitung braucht unangreifbaren Fachverstand
Nur eine renommierte, international erfahrene und anerkannte Opernfachkraft kann dieses Festival führen. Das Musiktheater ist und bleibt die Mitte der Festspiele. Sie muss fest verankert sein, muss glamourös strahlen, aber auch innovativ funkeln. Nur so lassen sich die anderen Kunstsparten in Salzburg sicher installieren und entwickeln.

5. Markantere Programmlinien sind einzuziehen
Die Festspielprogramme müssen stärker miteinander verbunden, abgestimmt und verzahnt werden. Nirgendwo auf der Welt finden sich gleichzeitig so viele virtuose Regisseure, Sänger, Schauspieler, visuelle Gestalter, Instrumentalisten, Dirigenten, bisweilen sogar Tänzer und Literaten an einem Ort. Dies gilt es viel mehr zu pflegen, in große Bögen und Themenkomplexe einzubinden.

6. Die Intendanz muss einflussreicher werden
Die Festspielführung muss mit ihrem Budget machen dürfen, was sie für richtig hält. Dafür wurde sie für fünf Jahre gewählt. So muss man die Intendanz innerhalb ihrer zu stärkenden Kompetenzen gewähren lassen, darf ihre Planung nicht alljährlich zerpflücken und zerreden. Denn im Kuratorium müssen Ermöglicher sitzen, nicht Verhinderer.

7. Die Präsidentschaft ist neu zu definieren
Das Präsidentenamt muss hinter den Intendanten zurücktreten. Der oder die Amtsinhaber/in soll dem Intendanten den Rücken freihalten, bei den so wichtigen Sponsorenanwerbungen federführend sein, aber sich weder in die Kunst einmischen noch sich mit den kreativen Kräften des Festivals öffentlich bekriegen.

8. Es muss wieder einen Verwaltungsdirektor geben
Nur ein Fachmann kann den immer komplexeren Alltag hinter den Kulissen organisatorisch gestalten, weder der Intendant noch der Präsident haben dafür die Fachkompetenz. Auf den Verwaltungsdirektor zu verzichten bedeutet Sparen am falschen Ende.

9. Die Schauspielschiene ist neu zu überdenken
Es ist wieder an der Zeit, darüber nachzudenken, welche Stellung das Schauspiel und dessen Direktor bei den Festspielen haben sollen. Von spartenübergreifendem, die Fachgrenzen verwischendem Denken ist in Salzburg bisher wenig zu sehen.

10. Ein eigener Konzertdirektor ist zu berufen
Der Tod des hochangesehenen Hans Landesmann, der nicht nur in der Post-Karajan-Ära mit der Berufung von Gérard Mortier entscheidende Weichen gestellt, sondern von 1992 bis 2001 auch einen nachhaltigen Reigen spannender und erfrischender Konzerte ersonnen hatte, rief vergangene Woche wieder in Erinnerung, wie sehr ein eigener Konzertdirektor diesem Festival zugutekäme.

11. Das Budget der Festspiele muss erhöht werden
Es kann nicht sein, dass ausgerechnet beim hochkulturellen Aushängeschild Österreichs, das zudem ein Mehrfaches seiner Ausgaben wieder einspielt, seit 1998 die Subventionen eingefroren sind und man sich immer mehr in die Abhängigkeit von Ticketverkäufen und Sponsoren begeben muss – oder, schlimmer noch, im Programm nur auf sichere Nummern setzt.

12. Der Subventionsanteil muss höher werden
Mit zwölf Prozent spielt die Förderung der öffentlichen Hand kaum noch eine nennenswerte Rolle. Die Festspiele müssen sich als Ort der Fantasie, der Utopie, der Vision neu etablieren. Wenn man sich viele Programme schon auf dem Papier ausmalen kann, weil alle Beteiligten bewährt und bekannt sind, hält sich der Festivalspaß in Grenzen. Es gibt nichts Schöneres als aufregende Entdeckungen im De-luxe-Rahmen der Salzburger Festspiele. Dieser aber muss auch öffentlich ausgestattet werden.

13. Die Kartenpreise müssen gesenkt werden
Festspieltickets sind so teuer, weil die Subventionen so gering sind. Halbwegs günstige Karten werden in der Regel nur für Nebenveranstaltungen aufgelegt. Alle wichtigen Premieren und Veranstaltungen werden von den immergleichen, oft gelangweilten reichen Leuten besucht. Die Festspiele brauchen ein Publikum, das sie mehr fordert.

14. Sponsoren sollten sich in vornehmer Zurückhaltung üben
Geld aus der Wirtschaft ist gut und schön. Doch der Kapitalfluss darf nicht dazu führen, dass die Dominanz dieser Finanzspritzen das Bild der Festspiele verstellt, sie als Jahrmarkt und Silbertablett für Unternehmenseitelkeiten neu definiert.

15. Klasse ist besser als Masse
Es geht nicht darum, in Salzburg jedes Jahr neue Kartenverkaufs- und Besucherrekorde aufzustellen. Die Festspiele sind nicht in allererster Linie ein auf monetären Erfolg getrimmtes Wirtschaftsunternehmen, das mit Künstlern handelt, auch wenn man in den vergangenen Jahren nicht selten diesen Eindruck hatte. Konzentration schärft die Sinne und auch die Planung. Deshalb: lieber weniger, aber qualitätsvollere Programme – und nicht so oft Erwartbares, Routiniertes, Durchschnittliches. Und klar: Uraufführungen müssen in Salzburg stattfinden. Weil sie hier mit einem Paukenschlag in den Betrieb eingespeist werden und sich anschließend zu bewähren haben. Aber neu ist nicht automatisch auch gut. Hier müssen ähnliche Qualitätskriterien wie beim Repertoire gelten.

16. Salzburg hat ein Recht auf Spiritualität
Die „Ouverture spirituelle“ wird als die schönste Idee der Pereira-Jahre in Erinnerung bleiben. Salzburg hat die nötigen kirchlichen Räume und das geistige Klima, das gerade hier zum Austausch herausfordert. Ehe die Galapremieren starten, sind diese geistlichen Konzerte, die auch nur als Musikgenuss gelten können, ein feiner Moment der Einkehr, der Konzentration.

17. Mehr Wagemut ist dringend nötig
Subventionen in der Kultur sollten ästhetische Wagnisse gewährleisten. In Salzburg muss nicht jede Veranstaltung ausverkauft, aber relevant und wegweisend sein. Nur das Besondere, das nirgendwo sonst zu sehen ist, hat hier seinen Platz. Zum Besonderen gehören in der Musik die Stars, aber eben auch die festspielreifen Newcomer, die man in einmaligen Konstellationen erleben dürfen muss, in neuen Rollen und seltenen Stücken, die aus dem Repertoirebetrieb herausragen. Nur dann lohnt sich auch der Weg nach Salzburg. Und während sich die Mozartwoche zum Experimentier- und Ausprobierpodium auch der Wiener Philharmoniker für jüngere Dirigenten vor einem fachkundigen Publikum entwickelt hat, setzten die Orchesterkonzerte im Sommer meist zu sehr auf Bewährtes und Sicheres. Rares, Sperriges, Vergessenes, Versäumtes gehören viel stärker ins Festspielprogramm. Gerade die zentraleuropäische Musikgeschichte ist immer noch voll davon. Man muss nur die richtigen Werke für Salzburg finden.

18. Mozart ist eine Pause zu gönnen
Mozart muss nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen. Er ist in 93 Salzburger Festspielsommern so oft gespielt worden, dass selbst die Werke dieses Komponisten nicht selten ausgelaugt und müde wirken. Erfrischung tut not, es kann auch ein paar Jahre ohne Da Ponte geben. Der musikalische Kosmos ist in Salzburg von der Renaissance bis zur Zeitgenossenschaft derart gewaltig erweitert worden, dass sich immer noch viel Spezifisches, Populäres und Kostbares findet, ohne dass immer gleich Wolfgang Amadeus draufstehen muss.

19. Es müssen nicht immer die Wiener Philharmoniker sein
Zu den Säulen der Salzburger Festspiele gehören die Wiener Philharmoniker, aber sie sind nicht ihr Herz. Die Leistung der Philharmonie war zuletzt besonders im Opernbereich oft schwankend. Es sollen bei den Festspielen stets jene musizieren, die mit dem jeweiligen Stil eines Werkes am besten vertraut sind. Das können und sollen gern die Philharmoniker sein, doch sie sind meist teurer als alle anderen. Zudem belebt Abwechslung die Sinne und das Geschäft.

20. Der Diskurs ist zu intensivieren
Die Festspiele müssen viel mehr noch zu einem Ort der Vermittlung, des Diskurses, der Vertiefung werden. Jeden Sommer finden sich hier so viele wichtige Künstler ein, die auf ein aufgeschlossenes, neugieriges Publikum treffen. Warum wird da nicht noch viel mehr in die Wege geleitet? Die Salzburger Festspiele sollten mehr Fragen stellen, herausfordern, auch verstören. Nur wer angeregt wird, denkt. Und dafür ist dann wirklich jeder Eintrittspreis recht.