„Können wir nicht einfach nur arbeiten?“

Thomas Hampson: „Können wir nicht einfach nur arbeiten?“

Interview. Star-Bariton Thomas Hampson über seine Stimme, Festspielerregungen und ein übermächtiges Idol

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Interview: Manuel Brug

profil: Sie gehören zum engeren Kreis um Alexander Pereira, haben viel und gern mit ihm schon in Zürich gearbeitet. Welche Zukunft sehen Sie nach seinem vorzeitigen Abgang für die Festspiele?
Thomas Hampson: Eine gute, schließlich ist das Festival als Marke etabliert. Man ist freilich mit Pereira in Salzburg nicht sehr freundlich umgegangen. Es ist alles so angespannt und daueraufgeregt hier. Können wir nicht einfach nur arbeiten? Man mag Pereira vieles nachsagen, aber er war immer ein exzellenter Geschäftsmann. Und das ist, wie wir inzwischen sehen, auch in Salzburg nicht unwichtig. Hoffentlich wird man ihn nicht gerade dieses Aspekts wegen schnell wieder vermissen.

profil: Sie sind eben 58 geworden, singen in Wien, Zürich, New York. Wie lange noch?
Hampson: Im Augenblick fühle ich mich top. Ich habe mich selbst wieder studiert. Neue Diät, neues Yoga-Workout, vorsichtige Planung. Ich habe mit einer Astrologin an meinem Biorhythmus gearbeitet und erschließe mir gerade ein anderes Repertoire. Eine neue Etappe beginnt, die ich genieße, auch weil meine Stimme so willig ist.

profil: Sie mussten sich stets aus dem Schatten von Dietrich Fischer-Dieskau kämpfen, der Ihre Generation von Liedsängern sehr dominiert hat. Wie ist das heute?
Hampson: Er ist immer noch ein Vorbild, ich bin ein rückhaltloser Fan, war auch bei seiner Beerdigung eingeladen. Früher hat Fischer-Dieskau den Markt unglaublich dominiert. Überall, wo man repertoiremäßig ankam, war er schon vor einem gewesen. Wie hat er das nur geschafft?

profil: Fischer-Dieskau hat 1961 das „War Requiem“ von Benjamin Britten uraufgeführt, das auch Sie viel gesungen und eben eingespielt haben. Kann man sich von diesem Vorbild überhaupt lösen?
Hampson: Das war damals eine geniale Besetzung, mit einer Russin, einem Engländer und einem Deutschen. Aber ich glaube nicht, dass es Brittens Absicht war, das so hochsymbolisch aufzustellen. Dieses Werk muss unabhängig von der Nationalität seiner Solisten bestehen. Das „War Requiem“ gehört für mich zu den drei wichtigsten Werken des 20. Jahrhunderts. Es hat enorme Ausstrahlung, es wirkt – wie Bachs Vokalwerke, die Requiems von Mozart, Brahms und Verdi oder die „Missa Solemnis“ – ganz für sich allein.

profil: Auch Verdis „Don Carlo“, den Sie nun noch einmal in Salzburg singen werden, hat einen politisch-idealistischen Hintergrund.
Hampson: Aber in erster Linie ist es ein italienisches Melodram. Schauspieler werden ja selten mit derselben Rolle noch einmal konfrontiert, wir Sänger durch unsere Fächereinteilung schon. Ich bin ein lyrischer Bariton, der inzwischen seine dramatischeren Grenzen ausreizt, aber ich singe immer wieder gern mein Kernrepertoire, eben auch den Posa. Das ist so ein Saftschinken – und zum Glück ein relativ altersloser. Kein unkomplizierter Charakter, eigentlich auch kein sympathischer, aber eine herrlich dankbare Rolle, mit der ich immer noch wachse. Natürlich konnte ich nicht nein sagen, als mir Alexander Pereira diesen Part in Kombination mit dem Dirigenten Tony Pappano, dem Regisseur Peter Stein und dem Tenor Jonas Kaufmann angeboten hat.

profil: Erachten Sie Regie und Musik in der Oper als gleichwertig?
Hampson: Oper ist in erster Linie eine musikalische Kunstform, unter theatralischen Bedingungen. Das ist für mich kein Widerspruch. Aber es darf nicht alles dem Primat der Regie untergeordnet werden. Jeder Takt, den ich singe, ist mir von Verdi und Mozart vorgegeben, darauf sollte man Rücksicht nehmen.

profil: Geben Sie das auch so an Ihre Studenten weiter?
Hampson: Ich bemühe mich. Deshalb lege ich so viel Wert auf Technik, erst dann kann der Ausdruck kommen. Und ich will, wenn sie mit Regisseuren konfrontiert werden, die eben bisweilen nicht so besonders viel Ahnung vom Musikalischen haben, dass sie sich auf das Schutzschild ihres Handwerks zurückziehen können, das ihnen die Basis gibt. Von dort aus kann und soll man sich dann auch auf Abenteuer einlassen. Aber sie sind immer in erster Linie Sänger, sie können musikalisch hörbar machen, was ein Mensch denkt. Das ist etwas Wundervolles.

profil: Was werden Sie nach dem Singen machen?
Hampson: Langweilig wird mir nie. Ich werde wohl irgendeine Art von Akademie ins Leben rufen. Man muss mit mir noch etwa zehn Jahre rechnen, ob man will oder nicht. Ich werde bald den Wozzeck singen und in Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“, möchte sehr gern den „Faust“ von Busoni noch einmal machen. Dann wäre da der „Lear“ von Reimann, den freilich Fischer-Dieskau für das Schwerste gehalten hat, was er je unternommen hat. Und es gibt einen unerschöpflichen Vorrat von Liedern.

Zur Person
Thomas Hampson, 58, besitzt eine der berühmtesten lyrischen Baritonstimmen der Klassikwelt. Die vergangenen Jahre waren für Hampson dennoch eine Belastung: Die Querelen um seine rechtskräftig wegen Betrugs verurteilte Frau Andrea, die sich heute als „Hampson“ vorstellt und nicht mehr als „Gräfin Herberstein“, haben Spuren hinterlassen. Der Sänger wurde in die Affäre mit hineingezogen, reagierte temperamentvoll und mit Unruhe. Heute sieht er die Dinge gelassener, das Paar scheint durch die widrigen Umstände zusammengeschweißt worden zu sein. Mit seinem Stiefschwiegersohn Luca Pisaroni, ebenfalls Bariton mit Mozart-Schwerpunkt, geht er generös auf Duo-Tour. Im Salzburger Sommer 2013 wird Hampson als Marquis Posa im „Don Carlo“ und an der Seite von Anna Netrebko und Ian Bostridge in Brittens „War Requiem“ zu den zentralen Festspielkünstlern zählen.