Salzburger in Händen einer Terrorgruppe

Salzburger in Händen einer Terrorgruppe

Geiseldrama: 'Die Geiseln Gottes' & der Al Kaida

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Abdelmalek Droukdel alias Abu Musab Abdel Wadud ist so etwas wie ein Bereichsleiter in einem weltweit agierenden Unternehmen. Er macht den Job erst seit eineinhalb Jahren, aber er hat schon jetzt viele Feinde in den eigenen Reihen, denn er hat gleich zu Beginn Mist gebaut. Mit anderen Worten: Der 37 Jahre alte Algerier steht gehörig unter Druck. Das Unternehmen, für das Droukdel arbeitet, ist das gefährlichste Terrornetzwerk der Welt: die Al Kaida. Der Bereich, für den der ehrgeizige Islamist zuständig ist: Nordafrika oder, nach eigener Definition: der islamische Maghreb.
Angefangen hat Droukdel als regionaler Islamistenführer in der algerischen „Salafis­tengruppe für Predigt und Kampf“ (GSPC), die sich seit Jahren durch Attentate auf Einrichtungen von Regierung, Polizei und Armee hervortut. Aber auch durch Attentate im Ausland.

Droukdel soll sich jahrelang darum bemüht haben, seine GSPC in die Al Kaida eingliedern zu dürfen. Am 11. September 2006 war es so weit: Zum fünften Jahrestag von 9/11 verkündete Ayman al-Zawahiri, die Nummer zwei der Al Kaida, die GSPC sei Teil des Netzwerks geworden und sprach von einem „gesegneten Bündnis“. Tags darauf gelobte Droukdel seinem neuen Führer Osama bin Laden öffentlich „Gefolgschaft bis zum Märtyrertod“. Das war die Geburtsstunde der „Al Kaida im islamischen Maghreb“. Und damit jener Gruppe, in deren Händen sich seit ein paar Tagen zwei österreichische Sahara-Touristen befinden: Wolfgang Ebner und Andrea Kloiber aus Salzburg.
Für Droukdel ist dieser Fang von entscheidender Bedeutung. Nach seiner Aufnahme in die Al Kaida hatte er mit allen Mitteln versucht, Erfolge vorzuweisen. Mit zunehmender Brutalität. Sie gipfelt am 11. Dezember 2007 in der Explosion von zwei Autobomben im Zentrum von Algier, dutzende Menschen sterben. Die Anschläge tragen die Handschrift der Al Kaida. Doch Droukdel hat einen Fehler gemacht: Es sind allzu viele arabische Zivilis­ten dabei ums Leben gekommen – Glaubensbrüder also. Sowohl bedeutende religiöse Führer als auch Aktivisten bewaffneter Gruppen üben heftige Kritik an den Attentaten. Der militante Prediger Omar Abdelhakim alias Abu Musab, genannt „der Syrer“, entzieht Droukdel sogar offiziell seine Unterstützung. Algerische Zeitungen berichten von einem internen Putschversuch gegen den Al-Kaida-Kommandanten, der allerdings fehlschlägt.

Anschläge. Das ist Droukdel Warnung genug. Er ändert seine Taktik. Ab sofort soll sich der Terror gegen Bürger westlicher Staaten richten. Seine Kämpfer reagieren rasch. Am Heiligen Abend 2007 überfallen sie in Mauretanien eine fünfköpfige französische Urlauberfamilie. Nur der Vater überlebt. Anfang Februar 2008 verüben sie einen (erfolglosen) Anschlag auf die israelische Botschaft in Mauretanien. Dann, am 22. Februar, gelingt der Al Kaida im islamischen Maghreb ein besonderer Coup: Auf – vermutlich – tunesischem Staatsgebiet stoppen sie einen blauen Geländewagen mit zwei Insassen: den österreichischen Touristen Wolfgang Ebner, 51, und Andrea Kloiber, 43. Die Terroristen, die zu einer im Süden Algeriens operierenden Al-Kaida-Einheit Tarik Ibn Ziad gehören sollen, können sich brüsten, bei der Entführung tief in tunesisches Territorium vorgedrungen zu sein. Und die dortige Regierung ist ihnen genauso verhasst wie ihre eigene. In einer Audiobotschaft, die dem arabischen Nachrichtensender Al Jazeera zugespielt wird, lobt ein Sprecher der Islamisten die „Schwadron heldenhafter Mudschaheddin“ und weist zur politischen Untermauerung der Aktion darauf hin, dass „unsere Brüder in Gaza von Juden unter der Mittäterschaft westlicher Staaten geschlachtet werden“. Droukdel ist mit der Entführung der Österreicher der erhoffte Befreiungsschlag geglückt. Die Nachricht, dass er zwei westliche Touristen und damit die perfekten Opfer in der Hand hat, verbreitet sich blitzschnell in der ganzen Welt.

Forderungen. Am Donnerstag vergangener Woche, drei Wochen nach der Entführung, geben die Terroristen in einer zweiten Botschaft, die sie auf einer islamis­tischen Website veröffentlichen, ers­te Forderungen bekannt. Auch die sind geeignet, den Rückhalt innerhalb der eigenen Reihen zu stärken: Es geht darin vorerst nicht um Geld. Die österreichische Regierung wird vielmehr aufgefordert, die ­Freilassung von Al-Kaida-Mitgliedern zu erwirken, die in Algerien und Tunesien inhaftiert sind. Drei Tage, beginnend Donnerstag mitternachts, geben die Kidnapper Österreich dafür Zeit. Am Sonntag, 16. März, um 24 Uhr soll das Ultimatum auslaufen. Dann droht den Geiseln die Ermordung. Der Ablauf der Ereignisse folgt offensichtlich Anweisungen aus einer Art Kidnapping-Handbuch, das eine saudi-arabische Terrorgruppe 2004 zusammengestellt hat. Die Tipps stammen von Abdul Aziz al-Muqrin, dem früheren Chef der „Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel“, der im Juni 2004 in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad von einem Polizeikommando erschossen wurde. Seither wird sein Werk auf ungezählten islamistischen Websites verbreitet.

Die wichtigsten Regeln lauten:
1. Zwinge die Regierung oder den Gegner, eine Reihe spezifischer Forderungen zu erfüllen.
2. Bringe eine Regierung in ihren Beziehungen mit jenen Ländern, aus denen die entführten Personen kommen, in eine schwierige Situation.
3. Hole aus den Geiseln wichtige Informationen heraus.
4. Erpresse Lösegeld.
5. Lenke die Aufmerksamkeit auf ein spezifisches Anliegen.
Um einen professionellen Ablauf der Entführung zu gewährleisten, empfiehlt al-Muqrin ein arbeitsteiliges Vorgehen von mindestens vier Einheiten mit speziellen Aufgaben. Aufklärer sollen die potenziellen Opfer überwachen, Logistiker alles für ihren Transport und ihre Unterbringung vorbereiten. Erst dann kommen die tatsächlichen Kidnapper zum Einsatz. Für ihre Sicherheit sorgt ein Schutztrupp, der eventuelle Verfolger und ­Angriffe abwehrt. Die Geiseln selbst sind nach den Grundsätzen der Scharia zu behandeln.

Verhandlungen. In die unter Punkt 2 geforderte „schwierige Situation“ hat Droukdels Truppe die Regierungen Österreichs, Algeriens und Tunesiens tatsächlich gebracht. International gilt, dass dem Versuch, Terroris­ten freizupressen, nie nachgegeben werden darf, um nicht einen Anreiz für weitere Geiselnahmen zu schaffen. Als im Juni 2004 der US-Bürger Paul Johnson jr. in Riad entführt wurde, lautete die Forderung an die saudische Regierung, binnen 72 Stunden alle gefangenen Al-Kaida-Mitglieder freizulassen. Als nichts dergleichen geschah, köpften die Terroris­ten Johnson und veröffentlichten Fotos der Leiche im Internet. Unmittelbar nach dem Auffinden der Leiche tötete die Polizei die Geiselnehmer, darunter deren Anführer – es ist Abdul Aziz al-Muqrin, der Autor des Kidnapping-Handbuchs.
Im Zusammenhang mit dem nunmehrigen Geiseldrama in Algerien wollte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer jegliche Verhandlungen mit den Entführern vorerst ausschließen. „Man kann von keiner Vermittlungsaktion sprechen, weil es nichts zu vermitteln gibt“, erklärte er. Die Forderung nach der Freilassung von Al-Kaida-Mitgliedern sei von Österreich „nicht einmal theoretisch zu erfüllen“.

Tatsächlich gibt es aber Fälle, in denen anfangs völlig unrealistisch scheinende Bedingungen wenigstens zum Teil realisiert wurden. Ein Beispiel dafür ist der Fall des italienischen Journalisten Daniele Mastrogiacomo, der vergangenes Jahr einer Taliban-Gruppierung im Süden Afghanistans in die Hände fiel. Anfangs verlangten die Entführer für seine Freilassung den Rückzug der 1800 im Land stationierten italienischen Soldaten. Als die Regierung darauf nicht einging, forderten die Taliban einen Gefangenenaustausch. Zwei Wochen nach der Geiselnahme kamen schließlich fünf Islamisten frei, Mastrogiacomo durfte gehen. Die USA und Großbritannien protes­tierten gegen dieses „falsche Signal an potenzielle Kidnapper“ (das Außenministerium in London), der afghanische Präsident Hamid Karzai hielt fest, er habe dem Deal nur zugestimmt, um die „Freundschaft mit Italien“ zu bewahren, und ein Regierungssprecher fügte hinzu, so etwas werde es „nie wieder geben“.

Es ist aber auch gut möglich, dass es den Entführern von Ebner und Kloiber in Wirklichkeit um Geld geht. Die algerische Zeitung „L’Expression“ berichtet von einer veritablen Finanz- und Versorgungskrise der maghrebinischen Al Kaida. Zudem wurden kürzlich die Konten Droukdels gemäß einem UN-Embargo eingefroren. Die Situation dürfte ähnlich sein wie im Frühjahr 2003. Damals versuchte die GSPC, sich durch die Entführung von 32 europäischen Touristen, darunter zehn Österreichern, zu sanieren. Dem Vernehmen nach erfolgreich: Es sollen fünf Millionen Euro Lösegeld geflossen sein. Ein ähnlicher Geldsegen wäre den Terroristen auch jetzt willkommen. Offiziell ist der algerische Bürgerkrieg, dem in den neunziger Jahren 120.000 Menschen zum Opfer fielen, zwar seit 1999 beendet – in Wirklichkeit führen sie ihn aber weiter. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Algeria-Watch, die Quartalsberichte über die Gewalt im Land erstellt, wurden alleine zwischen Oktober und Dezember 2007 bei Anschlägen und Kämpfen 82 aufständische Islamisten getötet. Aufseiten von Polizei und Armee gab es 33 Opfer. Die Regierung ließ laut Algeria-Watch in diesem Zeitraum mindestens 96 Menschen wegen vermuteter oder erwiesener Verbindungen zu „bewaffneten Gruppen“ oder der Beteiligung an Gewalttaten verhaften, Gerichte verhängten deswegen 68 Todesurteile und 45 teils langjährige Haftstrafen. Ein 14-Jähriger wurde etwa zu vier Jahren, ein 74-Jähriger zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch in Tunesien sind Verhaftungen an der Tagesordnung. Laut Amnesty International werden „hunderte politische Gefangene in Verbindung mit angeblichen Terroraktivitäten unter grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen festgehalten“.

Lösegeld. Die Freilassung aller Gefangenen – wie von der algerischen Al Kaida insinuiert – scheint angesichts dieser Zahlen unwahrscheinlich. Niemand konnte vergangene Woche abschätzen, wie sich Droukdels Al Kaida verhalten würde. Die Organisation verfügt dank ihrer Vorgeschichte als GSPC über viel Erfahrung mit Entführungen. In ihren Hochburgen in der nordalgerischen Region Kabylei verschleppen die Islamisten regelmäßig mehr oder weniger wohlhabende Bürger, um sie gegen Lösegeld bald wieder freizulassen. Die algerische Zeitung „El Watan“ berichtete vergangene Woche von einem 51 Jahre alten Unternehmer namens Madjid, der vier Tage von den Terroristen festgehalten wurde, ehe ihn die Dorfgemeinschaft mittels Lösegeld freikaufte. Während der Gefangenschaft in einem stockdunklen Zelt aus schwarzen Plas­tikplanen und Zweigen habe man ihn gut behandelt, erzählt Madjid. Die Entführer hätten ihn sogar gefragt, ob er nicht bei ihnen bleiben wolle.

Doch zwei westliche Geiseln, deren Schicksal möglicherweise ganz Europa bewegt, sind für die nordafrikanische Al Kaida natürlich ungleich wertvoller. Abdelmalek Droukdel wird alles tun, um aus der Affäre ein Maximum an Prestige für sich und seine Organisation herauszuschlagen. Solange die Geiseln am Leben sind, schützt ihn ihre Anwesenheit auch vor Zugriffen durch die algerische Volksarmee. Und Droukdel selbst hat nichts zu verlieren. Der Mann mit dem langen dunklen Bart und dem finsteren Blick, dem das Sanktionenkomittee des UN-Sicherheitsrats die Kennzahl QI.D.232.07 verpasst hat, wurde von einem algerischen Gericht in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Es besteht kein Zweifel daran, dass nach einer Verhaftung die Todesstrafe auf ihn wartet. Von der Entscheidung dieses Mannes hängt das Schicksal von Wolfgang Ebner und Andrea Kloiber ab.

Von Emil Bobi, Martin Staudinger und Robert Treichler