„Kochen ist eine sehr politische Sache“

Sommergespräch. Medienköchin Sarah Wiener über Agroindustrie, Frauenquoten und Rechtspopulisten

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Interview: Herbert Lackner

profil: Frau Wiener, wie schmeckt das Frühstück in Wiener Hotels?
Wiener: Ich bin hier in einem untypischen Hotel gelandet, deshalb kann ich sagen: ausgezeichnet.

profil: In anderen Hotels ist es nicht ausgezeichnet?
Wiener: Ich wundere mich manchmal, was für eine schlechte Frühstückskultur Fünfsternehotels haben. Die Auswahl scheint groß zu sein, aber die Semmeln und das Brot sind meist Industrieteigrohlinge, die Marmelade ist auch nie selbst gemacht. Es ist ­erstaunlich, dass sich die angeblich besten Hotels der Welt keine Mühe geben, einen guten Bäcker zu finden.

profil: Als Medienköchin muss man ununterbrochen über das ­Essen reden. Hat man dann überhaupt noch Appetit?
Wiener: Manchmal bin ich schon genervt. Wenn mir jemand eine Dreiviertelstunde lang erzählt, was er die ganze Woche gegessen hat, fehlt mir die Empathie, mich mit ihm zu freuen. Aber für ein Fachgespräch oder einen guten Tipp bin ich ­immer zu haben.

profil: Achtung, jetzt kommt die dümmste Frage, die man jemandem wie Ihnen stellen kann: Was ist Ihre Lieblingsspeise?
Wiener: Ich habe keine. Ich verstehe gar nicht, wie man eine Lieblingsspeise haben kann bei der Vielfalt der Speisen dieser Welt. Bei mir ist das eine Frage von Stimmung und Jahreszeit, bin ich am Land, bin ich am Meer, bin ich krank oder gesund, habe ich Liebeskummer, feiere ich gerade Triumphe, ist Frühstückszeit oder Abend – je nachdem springen mich dann Dinge an und sagen: Friss mich!

profil: Sie sagten einmal in einem Interview, ­Kochen und Essen sei eine politische Angelegenheit. Wie das?
Wiener: Das fängt beim Einkaufen an. Wenn man selbst mit Grundnahrungsmitteln kocht, versucht man seine Ernährungssouveränität zurückzuerlangen, die einem de facto längs verloren gegangen ist. Wir werden ja nur noch von fünf Großkonzernen ernährt, die uns diktieren, was wir zu essen haben. Das reicht von den Grundnahrungsmitteln Mais, Reis, Weizen und Soja bis zur Massentierhaltung. In Deutschland kommt nur ein Prozent des Fleischs aus der Öko-Zucht. Da kann man ja wirklich nicht von Ernährungssouveränität sprechen.

profil: Heute geben Familien nur noch elf Prozent ihres Einkommens für Essen aus. Früher waren es 50 Prozent. Sind die Lebensmittel zu billig?
Wiener: Die Grundnahrungsmittel sind zu billig, und industriell verarbeitete Lebensmittel gaukeln uns eine Qualität vor, die sie gar nicht haben. Können sie ja gar nicht haben. Wie kann ein ­Liter Suppe 69 Cent kosten, wenn dafür angeblich ein Hendl sterben musste, Gemüse drin ist und der Transport, die Verpackung und die Lagerung gezahlt werden müssen?

profil: Was sich die Familien damit ersparen, geben sie für schöne Dinge wie Smartphones und Urlaub aus.
Wiener: Und sie sparen beim Wichtigsten: unserem eigenen Körper, der dann krank und fett wird.

profil: Das meinten Sie mit politisch?
Wiener: Nein, es geht um mehr. Unsere Ernährungsgewohnheiten haben ja auch Auswirkungen auf die Ressourcenvernichtung und die Zerstörung des Bodens, von dem wir alle leben. Erosion, Überdüngung, verseuchtes Grundwasser – unsere Art zu essen hat enorme Folgen bis in die hintersten Anden-Täler. Wir haben eine Kultur, in der an jeder Ecke permanent alles zur Verfügung steht. Wir können gar nicht so schnell fressen, wie man uns minderwertige Nahrung reinstopfen will, und wissen gar nicht mehr, was wir essen. Wir kaufen billig ein, um die Hälfte davon in die Tonne zu treten, weil es eh nichts kostet. Aber wir haben kein einziges Kind mit unseren Hochleistungsweizensorten vor dem Hungertod gerettet. Das ist ein extrem komplexes Thema, an dem man vieles, was in unserer Welt schiefläuft, festmachen kann. Sie sehen: Kochen ist eine sehr politische Sache.

profil: Eines Ihrer Kochbücher heißt „Frau am Herd“. Ist das eine Persiflage auf den Feminismus?
Wiener: Nein. Das war eine Ironie auf „Mann am Steuer“. Da ich eine Frau am Herd bin und 80 bis 90 Prozent der Kochenden auf dieser Welt weiblich sind, habe ich mir den Egotrip gegönnt.

profil: Im Fernsehen kochen zu 90 Prozent Männer.
Wiener: Bei der Ernährung ist es so wie in allen anderen Bereichen des Lebens. Wenn es um Pflichten und Arbeit geht, dürfen es die Frauen machen, wenn es um Sterne, Knete und Anerkennung geht, schreien die Männer: Hier!

profil: Mögen Sie Alice Schwarzer?
Wiener: Ich bin ein großer Fan von Alice Schwarzer.

profil: Schwarzer wiederum ist ein Fan von Angela Merkel. Sind Sie auch ein Fan der deutschen Kanzlerin?
Wiener: Ich bin kein Fan von jemandem, nur weil er weiblich ist. Alle Frauen haben Alice Schwarzer viel zu verdanken. Alle Frauen sollten sich jeden Tag einmal kurz hinknien und sagen: Danke, Alice.

profil: Sie haben einen großen Teil Ihres Lebens in Deutschland verbracht. Kennen Sie Johanna Dohnal?
Wiener: Nicht wirklich, vielleicht würde ich sonst sagen: Danke, Johanna. Die Geschichte zeigt, dass Männer noch nie etwas freiwillig abgegeben haben und dass Menschen mit Macht sich nur durch Druck ändern. Ob das McDonald’s ist, der auf einmal Biomilch einführt, oder das Frauenwahlrecht. Insofern bin ich eine Befürworterin der Frauenquote. Wenn die Frauen 90 Prozent des Kuchens backen, sollten sie zumindest 50 Prozent davon essen dürfen. Ich wundere mich, dass nicht alle sagen: Ja sicher. Alle Männer, die da oben auf ihrer Fettschicht herumschwabbeln, finden das nicht diskussionswürdig. Die fahren nachts nicht im Albtraum hoch, weil die Hälfte der Menschheit schon seit 2000 Jahren unterdrückt wird. Da auf die Männer kein Verlass ist, muss man dankbar sein, dass es Frauen gibt, die so viel Selbstliebe haben zu sagen: Wir wollen gleichberechtigt neben euch stehen.

profil: Ihre Mutter ist Deutsche und hat den größten Teil ihres Lebens in Wien verbracht. Ihr Vater ist Österreicher und hat die meiste Zeit in Deutschland und ­Kanada gelebt. Fühlen Sie sich als Deutsche oder als Österreicherin?
Wiener: Je nachdem, wo ich bin. Ich bin österreichische Staatsbürgerin, und in meinem Herzen bin ich Wienerin, eine typische Wienerin, die viel grantelt, wenn sie hier ist. Je weiter ich von Österreich weg bin, desto mehr werde ich Österreicherin. Ich merke übrigens, dass viele Österreicher große Vorbehalte gegen Deutsche haben.

profil: Das hat sich gebessert.
Wiener: Ja, aber es ist schon noch zu spüren. Nicht bei mir, weil ich kann immer sagen: Bist deppert? Wos wüst, ich kumm aus dem dritten Hieb. Aber ich habe auch deutsche Freunde, da merke ich dann, wie über die „Piefkineser“ geredet wird.

profil: In Zeiten der Krise wird man immer wieder ­daran erinnert, dass man eigentlich Europäer ist.
Wiener: Ich fühle mich solidarisch mit den Bewohnern der betroffenen Staaten. Aber in Sachen Ernährung ist die EU ganz sicher nicht das, was ich für richtig halte. Wenn man sieht, wie die EU-Normen auf jeden kleinen Winzer und jede kleine Sennerin gestülpt werden, wie viel zerstört wird an Kultur und Regionalität – da sage ich Nein: Das brauche ich nicht. Es geht so viel Wissen, Handwerkskunst und Tradition verloren. Ich öffne jetzt in Berlin eine Holzofenbäckerei. Wir haben eineinhalb Jahre lang Bäcker gesucht, die noch traditionell backen können. Dann mussten wir einen Holzofenbauer in Österreich beauftragen, weil es in Deutschland niemanden mehr gibt, der das kann.

profil: Sie glauben, dass das eine Folge der europäischen Integration ist?
Wiener: Klar. Die Industrie will den Allerweltsgeschmack verbreiten und den Konsumenten auf verschiedene Aromastoffe eichen, um essbares Zeug, das den Namen Lebensmittel nicht mehr verdient, an die Frau und den Mann zu bringen. Niemand würde das essen, wenn wir noch den Geschmack und die Vielfalt von Wurst oder Milch kennen würden.

profil: Haben Sie Angst vor der Krise?
Wiener: Ich bin nicht sehr optimistisch, weil ich sehe, dass die Menschen sich viel mit Finanzsystemen, Handelsabkommen und politischen Systemen beschäftigen. Für mich ist es ein existenzielles Problem, wie wir mit unserem Saatgut, unserem Wasser und unseren Böden umgehen, sodass ich wenig Interesse für die Eurokrise habe.

profil: Sie könnten ja auch denken: Ich war arm wie eine Kirchenmaus, und jetzt, wo ich mir etwas aufgebaut habe, geht vielleicht alles den Bach runter.
Wiener: Wir haben doch nicht Angst, alles zu verlieren, sondern Angst, nicht mehr das fetteste Stück vom Kuchen abzukriegen. Meine Generation hat in ihrem Leben noch auf gar nichts verzichtet. Nicht einmal auf ein halbes Würstchen. Wir haben auf Kosten anderer gelebt.

profil: Kennen Sie Leute in Berlin, die der DDR nachtrauern?
Wiener: Nach der Wende kannte ich viele, die der DDR nachtrauerten, aus dem einfachen Grund, weil sie ihren Job verloren haben. Das waren unpolitische Leute, die eine gesicherte Existenz hatten, und auf einmal galt das alles nichts mehr. Man hat vielen Menschen ihre Biografie geraubt. Ich finde es völlig legitim, dass man da so etwas wie Trauer empfindet, auch wenn man mit dem System ganz und gar nicht einverstanden war. Das ist wie in einer unglücklichen Ehe, in der man schlecht behandelt wird, aber es soll sich nichts ändern, weil man wenigstens weiß, wie der Alte drauf ist. Für politisch aufgeklärte, engagierte Menschen war die DDR sicher die Hölle.

profil: Ihre Mutter Lore Heuermann ist eine bekannte Zeichnerin und Performancekünstlerin, Ihr Vater Oswald Wiener machte wilde Aktionen, zum Beispiel 1968 das berüchtigte Happening „Kunst und Revolution“ im Hörsaal 1. Prägt so etwas?
Wiener: Nein, Gott sei Dank nicht (lacht). Aber ich hatte immer große Freiheiten, so zu sein, wie ich bin. Einmal habe ich mir ein meterlanges Batiktuch um den Körper geschlungen und fand das total cool. Natürlich ­klaffte das Tuch überall auf, auch unter der Brust. Mein Mütterchen sagte nur: Sährchen, bitte schau dich auch von der Seite und von hinten an, ich habe ja gar nichts dagegen, aber du solltest schon wissen, wie du aussiehst. Sie ließ mich immer selbst draufkommen. Es ist ein großes Glück, so angstfrei aufwachsen zu dürfen. Auf der anderen Seite: Wenn man mich früh diszipliniert hätte, hätte ich gelernt, mehr am Ball zu bleiben. Wie immer du aufwächst, hinterher denkst du dir immer, dass noch ein ganz anderes Leben möglich gewesen wäre.

profil: Man könnte auch sagen: Sie wählten den Mittelweg zwischen der Kunst Ihrer Eltern und etwas sehr Konventionellem, dem Kochen. Sie betreiben Ernährung als Kunstform.
Wiener: Kochen ist nicht so konventionell, da banalisieren Sie das Kochen. Für mich ist es ein Feld für Kreativität, ein Transportmittel für Liebe und Zuneigung, für Individualität und Selbstwertgefühl.

profil: Viele der klassischen Wiener Speisen gibt es unverändert seit 150 Jahren. Das Schnitzel, das gekochte Rindfleisch, die Knödel. Schippern Sie da nicht in ­einem ganz langsamen Fluss?
Wiener: Ja, so ist es. Unser Darm und unsere Biologie verändern sich nicht innerhalb von 20 Jahren. Bis vor Kurzem waren wir so perfekt angepasst an die Verstoffwechselung verschiedener Speisen, dass wir immer wohlgenährt und zufrieden waren. Das änderte sich erst, als die Agroindustrie meinte, Dinge erfinden zu müssen, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab. Dass das Folgen auf unsere Psyche und unseren Körper hat, liegt auf der Hand.

profil: Sie sind in Wien aufgewachsen und kommen heute nur noch als Besucherin. Was hat sich in Österreich seit den Sechzigern und Siebzigern verändert?
Wiener: Ich bin nicht in den Netzwerken drinnen, insofern kann ich frei und unbeeindruckt durch Österreich reisen und alle anlächeln und angelächelt werden. Das ist natürlich ein extremes Privileg, weil ich – wenn es gerade passt – trotzdem immer sagen kann: Ich bin eine von euch.

profil: Wie erklären Sie sich, dass es in Deutschland keine rechtspopulistischen Parteien gibt, die fast ein Drittel der Wähler binden, wie in Österreich?
Wiener: Dazu habe ich meine sehr dezidierte Meinung, kann mich dazu aber nicht öffentlich äußern, weil es sonst heißt: Jetzt sagt die depperte Köchin auch noch etwas zu diesen rechtspopulistischen Armleuchtern.

profil: Das klingt nicht so, als gehörten Sie zu deren Stammwählern.
Wiener: Ja, das ist ein guter Satz: Ich gehöre nicht zu den Stammwählern der rechtspopulistischen Armleuchter.

profil: Kennen Sie österreichische Politiker aus der Nähe?
Wiener: Nicht wirklich, aber ich habe schon ein paar von ihnen die Hand geschüttelt. Ich hatte zum Beispiel ein lustiges Gespräch mit Gesundheitsminister Alois Stöger, der war ganz nett. Bei mir geht es immer nach Sympathie.

profil: Der frühere Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hätte Ihnen gefallen. Er ist ein dem Essen und Trinken sehr zugeneigter Mensch.
Wiener: Das habe ich gehört. Der hat mich aber nie eingeladen. Als kleine Köchin kann ich nur sagen: Politik ist so eine Sache. Aber ich glaube, wir sollten den Großkopferten aus der Wirtschaft viel genauer auf die Finger schauen als den Politikern. Die richten weit mehr Schaden an.

profil: Wissen Sie schon, was Sie heute Abend essen werden?
Wiener: Ich fliege heute zurück nach Hamburg und schau einmal nach, was im Kühlschrank ist und wie sehr die Karotten verschrumpelt sind, während ich in Wien war.

Sarah Wiener, 49
Ihre Mutter ist die bekannte Zeichnerin Lore Heuermann, ihr Vater der Autor Oswald Wiener. Sarah ­Wiener war knapp über 20, als sie nach Berlin zog und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlug. 1990 eröffnete sie ihr erstes Restaurant. Heute betreibt sie drei Lokale und ein Catering-Service. Sarah Wiener ist verheiratet und hat einen Sohn. Ihr Beruf: „Medienköchin“.